20. Juli 2021
Auf Druck der linken Partei Más País erprobt die spanische Regierung eine 4-Tage-Woche bei gleichem Lohn. Mehr Freizeit ist gut für die Gesundheit, schont das Klima – und ist dabei nicht einmal schlecht für die Wirtschaft.
Jede Woche ein 3-Tages-Wochenende am Strand? In Spanien startet das Experiment einer Vier-Tage-Woche bei gleichem Lohn.
Das jüngste Experiment zur 4-Tage-Woche in Island hat uns die Vorteile einer kürzeren Arbeitswoche vor Augen geführt. Wenn wir weniger arbeiten, ohne dabei Lohneinbußen hinnehmen zu müssen, sind wir weniger gestresst und haben mehr Zeit für das, was uns wichtig ist. Aber nicht nur das: Die 4-Tage-Woche könnte unser Verhalten in einer Weise beeinflussen, die der Globalen Erwärmung entgegenwirkt – und dabei sogar die Produktivität steigert. Dank eines Vorschlags der linken Partei Más País soll Spanien nun das nächste Land sein, das die 32-Stunden-Woche erprobt.
Àngel Ferrero hat mit Héctor Tejero von Más País über den Vorschlag seiner Partei gesprochen – und darüber, wie ein Pilotprojekt zur Realität werden kann.
Im Januar hat Deine Fraktion im spanischen Parlament den Gesetzesentwurf für ein Pilotprojekt zur Verkürzung der Wochenarbeitszeit auf 32 Stunden vorgelegt. Worum genau geht es dabei – und wie ist der aktuelle Stand?
Das Pilotprojekt soll in etwa 200 bis 400 Firmen untersuchen, welche Auswirkungen eine Arbeitszeitverkürzung ohne Lohneinbußen sowohl für die Arbeitenden als auch für die Unternehmen hat. Es gibt Belege dafür, dass weniger Arbeitsstunden die Lebensqualität der Arbeitenden erhöhen sowie ihre geistige und körperliche Gesundheit fördern. Das wiederum könnte bedeuten, dass sich die Produktivität der Unternehmen steigert, die Work-Life-Balance verbessert und die Umweltbelastungen abnehmen.
Zum aktuellen Zeitpunkt stammen diese Daten jedoch nur von wenigen Unternehmen in sehr spezifischen Sektoren und aus Ländern mit unterschiedlichen Kulturen und Arbeitsumgebungen. Im Rahmen des Pilotprojekts wollen wir eine randomisierte, kontrollierte Studie durchführen, um bessere Erkenntnisse zu erhalten.
Wir wollen Unternehmen gewinnen, die freiwillig die Arbeitszeit reduzieren wollen, sie finanziell unterstützen und die Ergebnisse mit anderen Unternehmen vergleichen, die die Arbeitszeit nicht reduziert haben. So bekommen wir ein besseres Bild der Vorteile, aber auch der Probleme, mit denen die Arbeitenden und die Firmen konfrontiert sein könnten. Derzeit verhandeln wir mit dem Industrieministerium der spanischen Regierung. Unser Ziel ist es, so bald wie möglich mit der Studie zu beginnen. Ende 2021 oder Anfang 2022 sollte die finanzielle Unterstützung die beteiligten Firmen erreichen.
Die Idee eines »Pilotprojekts«, das die Auswirkungen gründlich überprüft, hat uns geholfen, diese Debatte in Spanien auf die Tagesordnung zu setzen. Laut einer Umfrage, die wir in Auftrag gegeben haben, wissen bereits 62 Prozent der Bevölkerung von unserem Vorhaben, die Arbeitswoche auf 4 Tage oder 32 Stunden zu reduzieren.
Wir glauben, dass es dieses Projekt unter anderem deswegen so weit oben auf die Agenda geschafft hat, weil wir den Vorschlag als begrenztes Experiment eingebracht haben. Aber der Diskurs, der dadurch angestoßen wurde, dreht sich nicht nur um das Pilotprojekt selbst, sondern vor allem darum, aus welchen Gründen wir eine Reduzierung der Arbeitszeit fordern und wie wir die gewonnene Zeit nutzen würden. In diesem Sinne war das Pilotprojekt so etwas wie ein trojanisches Pferd, um eine viel umfassendere gesellschaftliche Debatte in Gang zu setzen.
Deine Partei listet eine lange Reihe von Vorteilen einer kürzeren Arbeitswoche auf: Sie würde das körperliche und geistige Wohlbefinden der Arbeitenden verbessern, ihnen mehr Zeit für ihr Familienleben bieten und könnte sogar ihre Beteiligung an der Demokratie erhöhen. Welche Auswirkungen hätte die Arbeitszeitverkürzung auf den Arbeitsmarkt?
Überall, wo solche Versuche durchgeführt wurden, hat man vielfältige Nutzen einer kürzeren Arbeitswoche beobachtet. Das ist einer der zentralen Gründe, weshalb dieses Projekt gefördert wird. Zudem greift es eine historische Forderung der Bewegung der arbeitenden Klasse auf. 1919 initiierte die anarchistisch geführte Gewerkschaft CNT (Confederación Nacional del Trabajo) einen massiven Streik in Barcelona. Spanien führte daraufhin als eines der ersten Länder der Welt den Achtstundentag ein.
Die Internationale Arbeitsorganisation ILO (International Labour Organization) veröffentlichte kürzlich einen Bericht, der belegt, dass sich bei exzessiven Arbeitszeiten von über 55 Stunden das Risiko, an Herz-Kreislauf-Erkrankungen zu sterben, dramatisch erhöht. In der schwedischen Stadt Göteborg wurde 2015 ein Pilotprojekt durchgeführt, bei dem der Arbeitstag für Pflegekräfte in Pflegeheimen reduziert wurde. Bei denjenigen, die weniger Stunden arbeiteten, wurden signifikante gesundheitliche Verbesserungen wie weniger Stress oder besserer Schlaf beobachtet.
Das persönliche und familiäre Leben ist ein weiterer wichtiger Faktor. In unserer Umfrage war das der größte Gewinn, den die Menschen mit dieser Maßnahme verbanden. Heute gibt es eine doppelte Care-Krise: Die offensichtlichere ist die ungleiche Verteilung der Betreuungs- und Reproduktionsaufgaben zwischen Männern und Frauen. Diese wurde verschärft, weil parallel zur Integration von Frauen in den Arbeitsmarkt kein Care-System aufgebaut wurde, das als eine der Säulen im modernen Wohlfahrtsstaat fungiert.
Hätten wir mehr Zeit abseits der Lohnarbeit, könnte sich diese Situation verbessern. Aber eine gleichmäßige Verteilung der Arbeit wird sich nicht von allein aus der Reduzierung der Arbeitszeit ergeben. Diese Maßnahme kann also Teil von Gleichstellungsstrategien sein – darüber hinaus braucht es aber ergänzende politische Maßnahmen und kulturelle Veränderungen.
Es stellt sich auch die Frage, wie die Arbeitszeit reduziert werden soll – ob durch einen Arbeitstag weniger pro Woche oder weniger Arbeitsstunden am Tag. In Spanien gab es einige Debatten zu diesem Thema, gerade auch hinsichtlich der Work-Life-Balance, was insbesondere Frauen mit kleinen Kindern betrifft.
Unsere Umfrage konnte in dieser Frage keine signifikante Tendenz feststellen. Aber es gab einen signifikanten geschlechtsspezifischen Unterschied: Frauen wollten eher weniger Stunden am Tag arbeiten (49 Prozent), während Männer eher weniger Arbeitstage präferierten (47 Prozent). Überraschend ist möglicherweise, dass für dieses Ergebnis vor allem die Meinung von Frauen mit erwachsenen Kindern oder Frauen ohne Kinder ausschlaggebend war. Bei Frauen mit jüngeren Kindern dagegen lag das Ergebnis nahe am Durchschnitt. Wir ergründen aktuell noch die Ursachen für diese Unterschiede. Aber in jedem Fall zeigt dies, warum die Debatte aus einer Geschlechterperspektive angegangen werden muss.
Welche Auswirkungen hätte die Arbeitszeitverkürzung auf die Umwelt?
Más País schlug die Arbeitszeitverkürzung ursprünglich als Maßnahme zur Bekämpfung der Klimakrise im Rahmen des Entwurfs zum Green New Deal vor. Zum einen würde ein Arbeitstag weniger pro Woche die mit dem Pendeln verbundenen Emissionen reduzieren und auch den Energieverbrauch der Unternehmen senken. Ein weiteres Argument dafür ist, dass sich die Produktivitätsgewinne nicht in höheren Emissionen, sondern in mehr Freizeit niederschlagen würden.
Studien weisen auf einen Zusammenhang zwischen längerer Arbeitszeit und einem höheren CO2-Verbrauch hin. Menschen, die weniger arbeiten, verhalten sich nachhaltiger. Sie gehen mehr zu Fuß oder fahren mit öffentlichen Verkehrsmitteln zur Arbeit, kaufen in der Nähe ein und kochen zu Hause.
Unsere Umfrage kam zu dem Ergebnis, das Menschen ihre dazugewonnene Freizeit vor allem nutzen würden, um sich auszuruhen, Zeit mit ihrer Familie sowie Freundinnen und Freunden zu verbringen oder ihren Hobbies nachzugehen. Das alles sind nachhaltige Aktivitäten, was den grünen Charakter dieser Maßnahme noch unterstreicht. Wenn wir wirklich nachhaltige Gesellschaften aufbauen wollen, müssen wir auch darum kämpfen, anstelle der Arbeit die Freizeit in den Mittelpunkt unseres Lebens zu rücken – das ist eine zentrale Maßnahme auf dem Weg zur Postwachstumsökonomie.
Ihr sprecht sogar von positiven Auswirkungen auf die Wirtschaft im Allgemeinen.
Es gibt zwei große »wirtschaftliche« Fragen. Die erste ist, wie sich die Verkürzung der Arbeitszeit auf die Produktivität auswirkt. Nach der vorherrschenden Wirtschaftstheorie kann eine solche Reduzierung nur erfolgen, wenn die Produktivität eines Unternehmens steigt (aufgrund von Änderungen in der Produktion oder technologischen Neuerungen). Dieser Produktivitätsgewinn kann mit den Arbeitenden entweder durch eine Erhöhung des Lohns oder eine Verkürzung der Arbeitszeit ohne Lohnverlust geteilt werden. Letztere wurde auch oft als eine Möglichkeit diskutiert, um die »technologische Arbeitslosigkeit« als Folge von Automatisierung oder Digitalisierung einzudämmen.
Dabei könnte sie tatsächlich auch die Produktivität erhöhen und sich sozusagen teilweise selbst »finanzieren«. Es wird vermutet, dieser Produktivitätszuwachs sei darauf zurückzuführen, dass neue talentierte Arbeitskräfte angezogen werden, die Beschäftigten ausgeruhter sind, sich mehr mit der eigenen Arbeit identifizieren und die Fluktuationsrate deshalb geringer ist. Eines der Hauptziele des Pilotprojekts besteht für uns darin, zu quantifizieren, unter welchen Bedingungen, in welchen Branchen und in welchen Unternehmen diese Produktivitätsgewinne auftreten.
Die zweite, noch umstrittenere ökonomische Frage ist, ob eine Arbeitszeitverkürzung Arbeitsplätze schafft. Die neoklassische Wirtschaftstheorie geht davon aus, dass die Anzahl der Arbeitsplätze in einer Volkswirtschaft keine »feste« Größe ist, die wie ein Kuchen aufgeteilt werden kann. Mit anderen Worten: Eine gegebene Arbeitszeitverkürzung führt nicht notwendigerweise zu einem proportionalen Anstieg der Beschäftigung. Das belegen Versuche der 35-Stunden-Woche in Frankreich oder die Umstellung von 44 auf 40 Stunden in Portugal im Jahr 1996. Die Reduzierung schafft zwar Arbeitsplätze, aber proportional weniger als die Gesamtzahl der reduzierten Stunden.
Darüber hinaus gibt es große Unterschiede zwischen den einzelnen Sektoren. In der Kreativwirtschaft oder in Sektoren, in denen die Produktivität durch technologische oder organisatorische Innovationen gesteigert werden kann, werden nur wenige oder sogar gar keine neuen Arbeitsplätze entstehen. In der Pflege, im Bildungswesen und im Gesundheitswesen können Arbeitszeitverkürzungen ohne die Einstellung von zusätzlichem Personal jedoch dazu führen, dass die Qualität der Betreuung abnimmt. In diesen Sektoren (von denen viele im öffentlichen Sektor angesiedelt sind) werden mehr Arbeitsplätze geschaffen werden. Im Rahmen des Pilotprojekts wollen wir in einem kontrollierten Setting untersuchen, ob sich diese Hypothese bewahrheitet.
Welche positiven Erfahrungen gibt es bereits mit verkürzten Arbeitszeiten?
In Spanien gibt es ein paar bekannte Beispiele. Eines ist das Unternehmen Software del Sol in Jaén. Seit Anfang 2020 wird dort nicht mehr 40 Stunden pro Woche gearbeitet, sondern an 4 Arbeitstagen jeweils 9 Stunden. Trotz des Lockdowns ab März 2020 war das Ergebnis sehr positiv und in der Firma wird auch weiterhin so gearbeitet. Die Beschäftigten sind sehr zufrieden – und der wirtschaftliche Erfolg des Unternehmens hat sich ebenfalls gesteigert.
In der Abteilung für Softwareentwicklung wurde die Arbeitszeitverkürzung von einem Tag auf den anderen umgesetzt; die Beschäftigten arbeiteten freitags einfach nicht mehr. Der Vertrieb stand hingegen vor der Herausforderung, 4 Tage zu arbeiten, aber an 5 Tagen in der Woche Service bereitzustellen. Das bedeutete, dass mehr Mitarbeitende eingestellt werden mussten (etwa 12 Prozent mehr), was wiederum eine Investition in Material, Schulungen und Personalrekrutierung erforderte. Der Vertrieb arbeitet jetzt an 4 Tagen in der Woche, aber der freie Tag variiert von Woche zu Woche.
Software del Sol ist jedoch ein klassisches Beispiel für ein »kreatives« Technologieunternehmen, dass den Eindruck erweckt, eine solche Veränderung sei leicht zu bewerkstelligen. Wenn wir über Arbeitszeitverkürzung sprechen, hören wir immer den gleichen Einwand: »Ja klar, das kann bei Google funktionieren, aber wie schaut es bei einer Bar aus?« Es lohnt sich deshalb, einen Blick auf das Restaurant La Francachela in Madrid zu werfen, das die Arbeitszeit auf 35 Stunden, verteilt auf 4 Tage, reduziert hat.
Hier ist der Prozess anders verlaufen als bei Software del Sol. Die Reduzierung der Arbeitszeit diente hier zunächst der Verbesserung der Work-Life-Balance und der Beschränkung der Kontakte während der Pandemie. Aber die Regelung wurde seither beibehalten. Das Restaurant hat seine Arbeitsweise neu organisiert: Gerichte, die viel Arbeit in der Küche erfordern, wurden von der Karte gestrichen. Außerdem können Gäste jetzt per WhatsApp direkt vom Tisch bestellen, sodass die Zeit, in der die Kellnerinnen und Kellner auf die Bestellungen warten, entfällt.
Die Gründer, die auch die Kampagne 4suma! zur Arbeitszeitverkürzung ins Leben gerufen haben, beschlossen, dass diese technologische und organisatorische Neuerung nicht mit Entlassungen, sondern mit reduzierten Arbeitszeiten ohne Lohnkürzung einhergehen sollte. Wie auch bei Software del Sol fällt die Bilanz positiv aus: Die Beschäftigten sind zufriedener und die Ergebnisse des Unternehmens haben sich verbessert.
Wie zu erwarten war, wurde der Vorschlag von den Rechten und den Unternehmen kritisiert. Kann sich ein Land wie Spanien eine solche Initiative leisten, vor allem inmitten der aktuellen Krise?
Diese Reaktionen waren erwartbar. Jenseits der persönlichen Attacken, wir seien »faul«, und der absurden Angriffe (uns wurde etwa vorgeworfen, wir wollten Unternehmen, denen gegenüber wir »freundlich« eingestellt seien, Geld zufließen lassen), gibt es vor allem zwei ernsthafte Kritikpunkte.
Zum einen wird angemerkt, dass die Arbeitszeitverkürzung für die Unternehmen ein untragbarer Kostenaufwand sei, wenn sie nicht durch proportionale Produktivitätssteigerungen ausgeglichen wird. Und zweitens hören wir, wie jedes Mal bei einem sozialen Vorstoß, dass dafür jetzt »nicht der richtige Zeitpunkt« sei. Was das Pilotprojekt selbst betrifft, sind beide Kritikpunkte unbegründet: Es handelt sich um ein begrenztes Experiment mit Unternehmen, die sich freiwillig beteiligen, und es wird nur 50 Millionen Euro an öffentlichen Ausgaben kosten.
Freiwillige Unternehmen sollen staatlich unterstützt und mit Unternehmen verglichen werden, die nicht an dem Versuch teilnehmen. Wenn die Studie gut konzipiert ist, dann ist der wirtschaftliche Kontext, in dem die Unternehmen jeweils agieren, derselbe. Somit spielt es keine Rolle, ob wir eine Depression oder einen wirtschaftliche Boom erleben.
Aber nehmen wir einmal an, dass sich diese Kritik allgemein gegen die Arbeitszeitverkürzung richtet. Sind die Kosten für die Unternehmen tragbar? Ist jetzt ein guter Zeitpunkt, um die Maßnahme umzusetzen? Más País findet: Ja. Wir berufen uns auf eine aktuelle Studie, die die Reduzierung der Arbeitszeit von 40 auf 35 Stunden simuliert, und zwar über zwei Gesetzgebungsphasen hinweg, die zuerst große und dann kleine Unternehmen erfasst (wie beim Aubry-II-Gesetz in Frankreich im Jahr 2000).
Demnach würden etwa 560.000 Arbeitsplätze geschaffen, was einen Netto-Beschäftigungszuwachs von 6 Prozent bedeutet. Die Löhne würden um 4,2 Prozent ansteigen und das BIP infolge steigender Nachfrage um 1,55 Prozent. Mit anderen Worten: Eine Arbeitszeitverkürzung würde die Rezession nicht nur nicht verschärfen – sie könnte im Gegenteil sogar für höheres Wachstum sorgen.
Wir schlagen vor, dass die Ausweitung der Arbeitszeitverkürzung in der ersten Phase freiwillig erfolgen und über Anreize gefördert werden sollte. Sie richtet sich an Unternehmen, die tendenziell bereit sind, diesen Schritt zu gehen. Ziel ist es, eine ausreichende kritische Masse zu erreichen, vielleicht 20 bis 25 Prozent der Unternehmen. Dann soll die Umsetzung gesetzlich verabschiedet werden. Gerade in dieser ersten Phase werden auch die Gewerkschaften eine entscheidende Rolle spielen, wenn sie die Arbeitszeitverkürzung in Tarif- oder Betriebsvereinbarungen einbringen.
Wir glauben, diese Strategie wird weniger Widerstand hervorrufen und gleichzeitig Veränderungen in der Arbeitskultur des Landes fördern sowie wichtige Erfahrungswerte liefern, um die Veränderung reibungslos zu verallgemeinern. Schon jetzt, so eine aktuelle britische Umfrage, führen 5 Prozent der Unternehmen die 4-Tage-Woche ein, weitere 17 Prozent ziehen sie zumindest in Betracht. In Spanien ergab eine weitere Umfrage, dass 12 Prozent der Unternehmen bereit wären, den Arbeitstag ohne Lohneinbußen auf 4 Tage zu verkürzen, was etwa 400.000 Unternehmen entspricht.
Euer Vorschlag hat auch von Teilen der Linken Kritik geerntet. Wäre es nicht besser, sich darauf zu konzentrieren, gut bezahlte Arbeitsplätze zu sichern und Vollbeschäftigung zu erreichen?
Más País vertritt die Position, dass verschiedene soziale Fortschritte nicht in Konkurrenz zueinander stehen, sondern einander ergänzen. Natürlich ist die Arbeitszeitverkürzung kein Allheilmittel für alle Probleme des Arbeitsmarktes. Angesichts der hohen strukturellen Arbeitslosigkeit in Spanien und der rekordverdächtigen Jugendarbeitslosigkeit in der Europäischen Union brauchen wir entweder politische Strategien, die durch Veränderungen in der Sphäre der Produktion mehr Arbeitsplätze schaffen, oder wir müssen Grundrechte, einschließlich des Einkommens, von der Erwerbsfähigkeit entkoppeln.
Unabhängig von der spezifischen Vorgehensweise lohnt es sich jedoch, zu einem Lebensmodell überzugehen, das die Idee, »freie Zeit zu haben«, in den Mittelpunkt seiner Ideologie, Kultur und Praxis stellt – und zwar ohne die essenzielle Bedeutung der Arbeit in unserer Gesellschaft zu verkennen oder sich in techno-utopischen Tagträumen zu verlieren. Es geht darum, genug Zeit für Familie und Freunde zu haben, für Hobbys, für Erholung und die eigene Gesundheit.
Ich glaube, dass dieses Leitbild besser in der Lage ist, die großen Herausforderungen des kommenden Jahrhunderts zu bewältigen als ein Modell, das die Erwerbsfähigkeit und die Lohnarbeit in den Mittelpunkt der Organisierung stellt. Ich halte es für wichtig, auch dann noch über Arbeitszeitverkürzung nachzudenken, wenn der eigene Fokus darauf liegt, im Rahmen der Vollbeschäftigung viele hochwertige Arbeitsplätze zu schaffen.
Was würde mit denjenigen passieren, die nicht in dieses Arbeitsregime passen, wie etwa prekär Beschäftigte, Unterbeschäftigte und informell Beschäftigte?
Diese Beispiele verdeutlichen, dass die Arbeitszeitverkürzung nicht alle Probleme lösen kann. Abgesehen von Maßnahmen, die sich konkret mit der Situation dieser Beschäftigten befassen, glaube ich, dass die Verkürzung der Arbeitszeit zwei positive Effekte haben könnte. Zum einen könnte die Arbeitszeitverkürzung zu einem Rückgang der unerwünschten Teilzeitverträge führen.
Daneben gibt es aber noch einen weiteren, noch wichtigeren Effekt. 2019 waren in Spanien 84 Prozent der Erwerbstätigen lohnabhängig und 15 Prozent selbständig. Unter den Lohnabhängigen arbeiteten 7 Prozent der Männer und 23 Prozent der Frauen in Teilzeit. Die Vollzeitbeschäftigung hat also eine zentrale Bedeutung in der Arbeitswelt. Verbesserungen in diesem Bereich werden sich nach und nach auf den Rest des Arbeitsmarktes übertragen.
In Spanien betrug die durchschnittliche Wochenarbeitszeit im Jahr 2019 bei Männern 39,3 und bei Frauen 33,9 Stunden. Die Spannbreite reicht von 36,3 Stunden für Angestellte des öffentlichen Sektors bis zu 45 Stunden für Selbstständige. Aber im Durchschnitt liegt die Wochenarbeitszeit für Angestellte im privaten Sektor bei etwa 38 Stunden. Das wird bei einer Arbeitszeitverkürzung auch weiterhin der Fall sein: entweder weil sich eine neue gesellschaftliche Konvention etabliert oder aufgrund von Veränderungen in der Produktion, die in den nächsten Jahren stattfinden werden.
Sicherlich besteht das Risiko, dass sich durch die Arbeitszeitverkürzung zwischen dem Teil der arbeitenden Klasse mit guten Arbeitsplätzen, hoher Bildung und hohem gewerkschaftlichen Organisationsgrad und einem eher prekären Segment eine Kluft auftut. Das ist jedoch kein neues Risiko in Bezug auf Arbeitsrechte. Deshalb müssen wir alle uns zur Verfügung stehenden Mittel nutzen – gewerkschaftliche, rechtliche und politische –, um zu vermeiden, dass es zu einer solchen Polarisierung kommt.
Wie haben die Gewerkschaften auf Euren Vorschlag reagiert?
In Spanien gibt es zwei Hauptgewerkschaften. Es gibt die Mehrheitsgewerkschaft, die CCOO (Comisiones Obreras), die historisch mit der Kommunistischen Partei verbunden ist, und die UGT (Unión General de Trabajadores), die historisch der sozialistischen Arbeiterpartei PSOE nahesteht. Nachdem das Pilotprojekt beschlossen wurde, haben wir uns mit beiden Gewerkschaften getroffen, um ihnen unseren Vorschlag zu präsentieren. Beide begrüßen die Idee, aber für die CCOO ist die Flexibilisierung der Arbeitszeit vorerst ein wichtigeres Anliegen als eine generelle Arbeitszeitverkürzung.
Die UGT hatte eine 4-Tage-Woche bereits 2018 in einem Papier zu den Auswirkungen der Automatisierung und Digitalisierung vorgeschlagen und nahm unseren Vorschlag daher mit großem Interesse auf. Für die UGT ist die 4-Tage-Woche eine ihrer wichtigsten Forderungen für die kommenden Jahre und sie kämpft seit Monaten für ihre Umsetzung. Sie fordert, dass der Tag, an dem nicht gearbeitet wird, vorzugsweise der Weiterbildung der Beschäftigten gewidmet sein sollte.
Wir teilen diese Position nicht, aber wir kommen trotzdem sehr gut miteinander aus und veranstalten gemeinsame Workshops zu diesem Thema. Es ist sehr wichtig und positiv, dass sich eine der beiden großen spanischen Gewerkschaften so klar zur Arbeitszeitverkürzung bekennt und an der Seite von Umweltorganisationen die Grenzen des Denkbaren – und damit des Möglichen – ausdehnt.
Héctor Tejero ist politischer Koordinator bei Más País.
Àngel Ferrero ist Journalist und Übersetzer und schreibt regelmäßig für »Público«, »El Salto« und die Zeitschrift »Catarsi«.
Héctor Tejero ist politischer Koordinator bei Más País.