23. Dezember 2022
Der Zwischenbericht der Expertenkommission zu »Deutsche Wohnen und Co Enteignen« klärt wichtige juristische Fragen. Doch die politischen Hürden für die Umsetzung des Volksentscheids bleiben gewaltig.
Demonstranten fordern am 1. Mai 2022 in Berlin, den Volksentscheid umzusetzen.
IMAGO / IPONExpertenkommission hält Enteignung von Wohnungskonzernen wohl für möglich«, titelte der Spiegel in einem Artikel nach dem Leak des Zwischenberichts der Expertenkommission, die nach dem erfolgreichen Volksentscheid, die rechtlichen Möglichkeiten, Wege und Voraussetzung einer Vergesellschaftung großer, privater Wohnungsunternehmen in Berlin prüfen soll. Knapp eine Woche vor der offiziellen Vorstellung des Zwischenberichts hatte die Berliner Morgenpost über den Entwurf berichtet und zeichnete ein Bild, wonach wesentliche juristische Knackpunkte, allen voran die Frage der landesrechtlichen Kompetenz für die Vergesellschaftung, durch die Kommission geklärt seien. Der mediale Widerhall auf diese Nachricht entfachte eine öffentliche Diskussion, nachdem es in den vergangenen Monaten etwas ruhiger um die Vergesellschaftung geworden war.
Tatsächlich besteht laut dem Zwischenbericht unter den Expertinnen und Experten ein Konsens darüber, dass das Land Berlin die Gesetzgebungskompetenz für die in Artikel 15 Grundgesetz festgeschriebene Überführung von Grund und Boden und damit auch der darauf stehenden Immobilien wie Wohnungen hätte. Ebenfalls unstrittig ist, dass für eine mögliche Entschädigung nicht der Verkehrswert, der wesentlich vom spekulativen Marktwert bestimmt ist, maßgeblich sein muss, sondern es »Abschläge« geben könnte.
Jedoch listet der Bericht auch eine ganze Reihe von ungeklärten Fragen auf und führt zu verschiedenen Punkten gegensätzliche Ansichten auf. Ungeklärt ist bislang, welche Auswirkungen es hat, dass die Vergesellschaftung in der Berliner Landesverfassung nicht auftaucht. Die Immobilienlobby argumentierte in der Vergangenheit, dass der fehlende Artikel in der Landesverfassung die Anwendung des Grundgesetzartikels sperre. Weiterhin offen ist die Frage, welche Wohnungsbestände vergesellschaftet werden sollen und inwiefern die von der Initiative vorgeschlagene Grenze von Unternehmen mit einem Besitz von mindestens 3.000 Wohneinheiten dem verfassungsrechtlichen verbrieften Gleichheitsgrundsatz standhält.
Unabhängig von den tatsächlichen Inhalten gelang es durch den Leak des Zwischenberichts allerdings nach Monaten wieder, die Vergesellschaftung wieder zurück in die politische Arena zu hieven. Die nicht-öffentlich tagende Expertenkommission ist nämlich nicht nur ein Verschiebebahnhof, um den Konflikt zwischen den Koalitionspartnern aus SPD, Grünen und Linken über den Umgang mit dem Volksentscheid vorübergehend auf ein Abstellgleis zu manövrieren. Sie ist auch der Versuch, die Umsetzung des Volksentscheids zu entpolitisieren und juristisch zu verengen.
Deshalb war die Vorsitzende der Expertenkommission und frühere Bundesjustizministerin Herta Däubler-Gmelin (SPD) in der Pressekonferenz zum Zwischenbericht stark darum bemüht, die Arbeit der Kommission als vollkommen unabhängig und ihre Mitglieder als unpolitisch darzustellen. Dieses Bemühen um eine scheinbar unabhängige Expertenkommission verweist auf die Ideologie eines vermeintlich neutralen Staates, auf dessen vermintem Terrain auch die Initiative nach dem gewonnenen Volksentscheid agieren muss. Im Kampf um die Kräfteverhältnisse im Staatsapparat kann sie nur Land gewinnen, wenn sie auch in der juristischen Auseinandersetzung die entscheidenden Konflikte gewinnt. Insofern war die Entsendung von eigenen Expertinnen und Experten strategisch notwendig, gleichzeitig verschaffte sie dem Gremium damit eine hohe Legitimität und schafft eine große Abhängigkeit von dessen Votum. Sollte eine Mehrheit der Kommissionsmitglieder gewichtige juristische Hürden für nicht überwindbar halten, gerät das ganze Vorhaben über Jahre in Gefahr.
Der Leak ist ein Beweis dafür, wie politisch die Kommission tatsächlich ist. Vermutlich hat eines der Kommissionsmitglieder den Bericht mit einer entsprechenden Interpretation an die Morgenpost gegeben. Ohnehin bildet die Besetzung der Kommission das politische Kräfteverhältnis innerhalb der Koalition recht gut ab. So schickte die SPD drei ausgewiesene Kritiker in die Kommission, einige davon sogar mit CDU-Parteibuch. Die Grünen benannten zwei Mitglieder, deren Verhältnis zur Vergesellschaftung ungeklärt ist, während Die LINKE und die Initiative Deutsche Wohnen & Co enteignen jeweils der Vergesellschaftung zugewandte Expertinnen und Experten entsandte. Die gefundenen Konsense sind zugleich ein Beweis dafür, dass gerade die von der SPD entsandten Expertinnen und Experten ein Stück weit unabhängiger zu sein scheinen, als es sich die sozialdemokratische Führungsriege wohl gewünscht hätte.
Für den Wahlkampf für die voraussichtlichen Wiederholungswahlen im Februar des kommenden Jahres dürfte das Thema Vergesellschaftung gesetzt sein, auch wenn es mitten in der Inflation wohl nicht das Topthema sein wird. In der Initiative gibt es bereits konkrete Planungen, wie sie sich selbst weiter im Diskurs hält und die wahlkämpfenden Parteien weiter unter Druck setzt. Neben einer bereits gestarteten Plakatkampagne will die Kampagne durch eigene Stände im Straßenbild präsent sein und die Spitzenkandidatinnen und -kandidaten der Parteien auf einer öffentlichen Podiumsdiskussion dazu bringen, Farbe zu bekennen. Der Leak gibt der Diskussion dabei einen gewissen Rahmen, nachdem die Vergesellschaftung zumindest rechtlich möglich sei. Daran hat auch die nachträgliche Korrektur in der Berichterstattung über den Zwischenbericht kaum etwas verändert.
Franziska Giffey war sichtlich überrascht von den Signalen aus dem vorab veröffentlichen Zwischenbericht und warf in einem ersten Statement die Frage in den Raum, ob der Artikel 15 tatsächlich auch für Wohnraum gelte, obwohl die Kommission genau diese Frage bereits konsensual positiv beschieden hat. Giffey und dem Stadtentwicklungssenator Andreas Geisel (ebenfalls SPD) sitzt die Parteibasis im Nacken, die sich vor einigen Monaten auf einem Parteitag für die Erarbeitung eines Vergesellschaftungsgesetzes ausgesprochen hatte, wenn die Kommission die rechtlichen Hürden aus dem Weg räumt. Geisel erklärte bereits auf dem Parteitag, dass er sich an dieses Votum nicht gebunden fühlt. Kurz nach Veröffentlichung des Zwischenberichts bekräftigte er gegenüber dem RBB die Position: Selbst »wenn die Kommission sagt, es geht, dann stellt sich die Frage, was wir letztendlich tun und welchen Nutzen das Ganze hat.« Deutlicher kann man seinen Unwillen, den Volksentscheid umzusetzen, kaum äußern.
Der Stadtentwicklungssenator und die Regierende Bürgermeisterin sind als entschiedene Enteignungsgegner folglich die Zielscheibe der Enteignungsinitiative, die offensiv für deren Abwahl wirbt. Doch Geisel steht nicht nur wegen seiner politischen Verantwortung für die Wiederholungswahlen mächtig unter Druck. Auch das von ihm und Giffey vorangetriebene Wohnungsbündnis, das auf eine Kooperation mit Wohnungskonzerne setzt, lieferte bislang keine nennenswerten Verbesserungen für Mieterinnen und Mieter. Auch auf die einbrechenden Genehmigungszahlen beim Neubau hat der Senator keine Antworten.
Für Die LINKE bedeutet der Zwischenbericht Rückenwind für ihren Wahlkampf, in dem sie ihre Unterstützung des Volksentscheids zum Thema machen will. Für den erstarkten linken Flügel in Partei und Fraktion im Abgeordnetenhaus ist die Umsetzung des Volksentscheids weiterhin das entscheidende Thema. Die Basis fährt derzeit sogar eine eigene Kampagne zur Vergesellschaftung. Für den Reformerflügel und die Parteivertreterinnen und -vertreter im Senat war der Volksentscheid zuletzt eher ein Randthema, das den ohnehin brüchigen Koalitionsfrieden nicht gefährden sollte.
Dabei leidet das Verhältnis zur Initiative immer wieder unter dem Widerspruch zwischen den Parteiflügeln, deren linker Ableger die »Enteignungslobby im Parlament« sein will, während die Reformer möglichst geräuschlos und harmonisch mit SPD und Grünen regieren will. Zwar sorgte die Linkspartei für eine Mehrheit von vergesellschaftungsfreundlichen Expertinnen und Experten in der Kommission, dennoch steht die Partei weiter in der Bringschuld die Umsetzung des Volksentscheids auch im Senat mit handfesten Ergebnissen voranzubringen.
Auch das Verhältnis der Initiative gegenüber der LINKEN ist widersprüchlich. Einerseits zeigt sie sich zuweilen enttäuscht vom Agieren des linken Spitzenpersonals, andererseits ist eine linke Regierungsbeteiligung wohl ihre politische Lebensversicherung und notwendige Voraussetzung, eine Umsetzung des Volksentscheids überhaupt zu ermöglichen. Nicht nur für das Verhältnis zwischen Partei und Initiative, sondern auch für die verschiedenen Flügel der Partei dürfte das Ende der Expertenkommission zur Zerreißprobe werden, da spätestens dann die Umsetzung des Volksentscheids wieder auf der politischen Tagesordnung steht. Denn sollte sich die Koalition nicht auf die Vergesellschaftung verständigen, würde sich die Frage des Verbleibs der Linken in der Regierung erneut stellen.
Die Grünen als dritte senatstragende Partei agieren bislang ein Stück weit unter dem Radar und bleiben in ihrer Positionierung vage. Das macht sie zwar wenig angreifbar aber auch wenig berechenbar. Zuletzt sorgte der grüne Finanzsenator Daniel Wesener für Aufsehen, als er auf einer Veranstaltung der Initiative eine neue Berechnung der Entschädigungssumme auf Basis des Ertragswerts statt des Marktwerts ins Spiel brachte. Obwohl der linke Parteiflügel mittlerweile recht deutlich für die Vergesellschaftung eintritt, suchen die Realos in der Partei nach wie vor händeringend nach Alternativen zur Vergesellschaftung, nachdem sich die großen Konzerne nicht auf den ihr im vergangenen Wahlkampf vorgeschlagenen Mietenschutzschirm einließen. Die grüne Verkehrssenatorin und Spitzenkandidatin Bettina Jarrasch äußerte sich zuletzt einem Interview offen für weitere Ankäufe »zu einem rechtssicheren Entschädigungspreis«, sollten die großen Wohnungsunternehmen weitere Wohnungen auf den Markt werfen, und rahmte dies geschickt als eine Form der Vergesellschaftung.
Die Chancen, dass die Wohnungskonzerne bald einige Wohnungen zum Verkauf anbieten, stehen derweil ziemlich gut. Die börsennotierten Immobilienaktiengesellschaften leiden unter sinkenden Aktienkursen und steigenden Zinsen für Kredite und Anleihen. Um an frisches Geld zu gelangen, reagieren sie mit Mietsteigerungen sowie dem Verkauf von Wohnungen. Dabei werden sie versuchen, einen möglichst hohen Preis zu erzielen. Deshalb gilt es an dieser Stelle, den Unterschied zwischen Re-Kommunalisierungen und Vergesellschaftung klarzumachen. Eine echte Vergesellschaftung würde nicht nur jene Wohnungen umfassen, die die Konzerne freiwillig verkaufen, sondern alle Bestände der Unternehmen in Berlin. Enteignet würde unter Marktwert und die vergesellschafteten Wohnungen würden demokratisch und zu einem gemeinwirtschaftlichen Zweck verwaltet, soweit sind sich die Expertinnen und Experten in Kommission einig.
Die Wiederholungswahlen könnten je nach Ausgang nun die Machtverhältnisse in der Stadt durcheinander wirbeln und damit auch die Chancen für die Umsetzung des Volksentscheids beeinflussen. Nach derzeitigem Stand ist jedoch eine Fortführung der aktuellen rot-grün-roten Koalition recht wahrscheinlich.
Nach bisherigen Plänen wird die Kommission ihre Arbeit im April beenden. Laut Kommissionsmitglied Florian Rödl soll dabei weiter nach Konsensen gesucht werden. Es deutet aber vieles darauf hin, dass einzelne Mitglieder im Endbericht und in den Empfehlungen an den Senat von ihrer Möglichkeit zu Sonder- und Minderheitenvoten bei wesentlichen Streitfragen Gebrauch machen könnten. Damit stünde es den Parteien weiter offen, die Empfehlungen der Kommission für ihre Zwecke, ob Pro oder Contra Vergesellschaftung, zu nutzen.
Gleichzeitig wäre es naiv zu glauben, dass ein positives Votum der Expertenkommission die aktuelle Führungsriege der SPD von ihrer Haltung zur Vergesellschaftung überzeugen könnte. Auch innerhalb der Grünen dürfte spätestens die Erarbeitung eines Gesetzesentwurfs für die Vergesellschaftung harte Diskussionen auslösen, schließlich dürften viele Parteivertreterinnen und -vertreter innerhalb und außerhalb des Berliner Landesverbands wahrlich keine Freunde der Vergesellschaftung sein und sich um die gutbürgerliche Wählerklientel sorgen.
Ohnehin wird die Auseinandersetzung um die Enteignung der Konzerne nicht durch die besseren Argumente entschieden. Sie ist eine politische Auseinandersetzung um die Durchsetzung materieller Interessen einer Mehrheit von Mieterinnen und Mietern gegen die Interessen der Immobilienkonzerne. Nicht nur das Immobilienkapital, sondern auch alle anderen Kapitalfraktionen und ihre politischen Vertretungen sowie ideologischen Apparate dürften erhebliche Widerstände gegen dieses Vorhaben ins Feld führen, sollten sich die Zeichen auf die Vergesellschaftung verdichten.
Die Umsetzung des Volksentscheids hängt zwar entscheidend von der politischen Konstellation im Senat ab, es ist aber eine Frage der politischen Kräfteverhältnisse nicht nur in den Parlamenten, sondern auch auf der Straße. Nur wenn die Forderung nach Enteignung und Vergesellschaftung in breiten Teilen der Bevölkerung verankert und gegen die Vergesellschaftung kein Staat mehr zu machen ist, kann das Vorhaben erfolgreich sein. Ob das in Zeiten multipler Krisen mit einer schwächelnden Mobilisierung der Mietenbewegung und einer weit verbreiteten gesellschaftlichen Lethargie wirklich realistisch ist, wird das nächste Jahr zeigen. Es wäre jedoch nicht das erste Mal, dass die Kampagne von Deutsche Wohnen & Co Enteignen für Überraschungen sorgt.
Philipp Möller ist Redakteur des MieterEcho, der Zeitschrift der Berliner MieterGemeinschaft und Co-Host des Podcast »Schöner Wohnen«, der sich mit den Wohnungsfragen unserer Zeit beschäftigt.