13. März 2023
Nach der blutigen Zerschlagung der Münchner Räterepublik wurde Bayern zu einer antisozialistischen »Ordnungszelle«. Eine neue Studie zeigt, warum diese regionale Konfrontation zwischen Kommunismus und Faschismus für den folgenschweren Aufstieg der NSDAP so entscheidend war.
Gefangene Rotgardisten auf dem Max-Joseph-Platz, München, 1919.
Foto: GemeinfreiKrieg und Wirtschaftskrise erschüttern ein Jahrzehnte währendes Wachstum, Abstiegsängste radikalisieren die Mittelschichten und die Grenzen von Rechts und Links beginnen zu verschwimmen – meist zugunsten der politischen Rechten, die besonders aus den ländlichen Regionen Zulauf erfährt. Geschickt werden Begriffe und Symbole linker Protestkultur angeeignet und zu Ikonen eines rechten Populismus umgedeutet. Der inszeniert sich auf der Straße als gesellschaftliche Alternative, während rechte Zellen in Justiz und Polizeiapparat eindringen.
Mit dieser skizzenhaften Momentaufnahme könnte man das Deutschland des Jahres 2023 umreißen – doch lassen sich all ihre Elemente bereits 1923 ausmachen, dem Kulminationspunkt von Sebastian Zehetmairs Studie Im Hinterland der Gegenrevolution, die letztes Jahr im Düsseldorfer Droste Verlag erschien. Erst der Untertitel seines Buches verrät, dass es eigentlich um die Geschichte der Kommunistischen Bewegung in Bayern geht.
Die Geschichte der KPD wurde bisher auch von Kennerinnen und Kennern meist aus Berliner und Preußischer Perspektive erzählt, mit einigen lesenswerten Ausnahmen zu Sachsen und Thüringen, wie Norman LaPortes The German Communist Party in Saxony, 1924–1933 oder Steffen Kachels Ein rot-roter Sonderweg? Sozialdemokraten und Kommunisten in Thüringen. Und in der populären Erinnerung dominiert vollständig die Erzählung eines Endkampfes um die Weimarer Republik mit dem Hauptschauplatz Berlin.
Doch eben dieser Kampf hatte seine Anfänge weit weg von der Hauptstadt, die fast bis zum Ende der Republik von der politischen Linken dominiert wurde. Zehetmairs Studie über die Konfrontation von Kommunismus und Faschismus in Bayern ist daher mehr als eine Regionalgeschichte. Sie erzählt eine andere Geschichte der Weimarer Arbeiterbewegung, die statt urbaner Straßenkämpfe etwa den Stadt-Land-Konflikt ins Zentrum rückt.
Die Kämpfe um das Land erzählt Zehetmair für den Zeitraum 1919–1923, seine Vorgeschichte reicht jedoch in die Jahre vor dem Ersten Weltkrieg zurück. Es geht um die »punktuelle Industrialisierung« Bayerns, das abgesehen von wenigen industriellen Leuchttürmen wie München, Nürnberg oder Augsburg ein Agrarstaat mit patriarchalen Sozialstrukturen blieb. Dementsprechend schwach war vor 1914 die sozialdemokratische Arbeiterbewegung verankert und der Kommunismus als ihr radikaler Ableger von Beginn an marginal. Er entstand 1917–1919 als Friedensbewegung aus dem Widerstand gegen den Weltkrieg, andererseits als Radikalisierung sozialistischer Politik in Form der Rätebewegung. Als solche war er, noch ohne Programm und mit großer Nähe zu anarchistischen und syndikalistischen Praktiken, bis 1920 sehr erfolgreich.
Die kurzlebige Münchener Räterepublik vom April 1919 ist bis heute unter Linken legendär, und die Führungsrolle der KPD in ihrer zweiten Phase unbestritten. Gleichzeitig zeigen die Ereignisse von 1919 ein Dilemma des bayerischen Kommunismus: Die Städte radikalisierten sich, die Landbevölkerung blieb passiv. Nur so konnte es einer Allianz aus rechten Freikorps und sozialdemokratischer Landesregierung gelingen, das Aufbegehren mit Gewalt zu beenden. Die Hintergründe des Stadt-Land-Konfliktes sind vielfältig, sie lagen nicht nur im ungleichen Tempo der Industrialisierung, sondern auch in der Wut der Landbevölkerung über die Zwangswirtschaft in der Landwirtschaft während des Weltkrieges. Anders als in Spanien oder Italien, wo eine abhängige Landbevölkerung sich ab 1919 mit kommunistischen Zielen identifizierte, blieb Kommunismus in Deutschland und Bayern ein urbanes Phänomen.
Für die junge KPD bedeutete die Niederlage von 1919 nicht nur einen Rückschlag, sondern schuf eine Zwangslage, die sich im Folgejahr verschärfte. Denn während in Berlin der Kapp-Putsch 1920 als Versuch zur Etablierung einer Militärdiktatur per Generalstreik verhindert wurde, war das Unternehmen in Bayern erfolgreich. Unter Ministerpräsident Kahr entstand das Regime der »Ordnungszelle«, eine Präsidialdiktatur mit parlamentarischer Unterstützung.
Schlüsselkraft war die Bayerische Volkspartei (BVP), eine Abspaltung der Katholischen Zentrumspartei und später Quellgruppe der heutigen CSU. Die BVP als Mehrheitskraft im Bayerischen Landtag schloss nach dem Putsch von 1920 einen Pakt mit den aufständischen Militärs. Der Landtag legalisierte die Beseitigung der gewählten Regierung, als Gegenleistung wurde BVP-Mitglied Gustav von Kahr zum Ministerpräsidenten ernannt. Dass der Putsch innerhalb des Systems ablief, erschwerte den Widerstand – auch, weil die Sozialdemokratie ihre Basis nicht über den erzwungenen Rücktritt des SPD-Ministerpräsidenten Hoffmann aufklärte.
»Ordnungszelle« – dieser von den Rechten selbst erdachte Begriff beschrieb den Anspruch eines Blocks aus parlamentarischem Konservatismus und rechten Militärs. Man wollte die in den Kriegsjahren auch in Bayern weit gediehene Radikalisierung der Bevölkerung zurückdrehen und zur »alten Ordnung« zurückkehren. Langfristiges Ziel war ein autoritäres Regime in ganz Deutschland, fürs Erste begnügte man sich mit dem Kleinhalten der Arbeiterbewegung in Bayern. Das zentrale juristische Werkzeug der Ordnungszelle war der Ausnahmezustand. Er ermöglichte es Kahr, über Versammlungsverbote, Pressezensur, Verbot von Presseorganen und Schutzhaft jede Regung der Arbeiterbewegung zu unterdrücken – selbstverständlich galten diese Verbote nicht für »vaterländische« Vereine und Organisationen, mochten sie auch bewaffnet sein. Diese wurden wiederum nicht nur geduldet, sondern waren Teil des Staatsapparates.
Am wichtigsten für Kahr war die »Einwohnerwehr« – ein rechtes Paramilitär. Es wurde 1921 auf Druck der Alliierten in kleinere Einheiten der »schwarzen Reichswehr« aufgespalten. Diese blieben jedoch in enger Verbindung zur »offiziellen« Armee und dem Polizeiapparat. Die Privatisierung des Gewaltmonopols führte zu Kontrollverlusten des Staates, etwa bei Fememorden gegen vermeintliche »Verräter« in den verschiedenen Geheimbünden der Rechten. Jedoch hielt ein antisozialistischer Konsens, der sich gegen KPD, Gewerkschaften und Sozialdemokratie richtete, diesen »tiefen Staat« zusammen. Es entstand ein Klima, in dem die Rechte volle Versammlungs- und Agitationsfreiheit genoß, die Linke dagegen eng limitiert war.
Der jungen KPD fehlte unter diesen Umständen jede Luft zum Atmen – sie wurde in den Jahren 1920–1921 wider Willen zur konspirativen Sekte. Die Partei konnte keine Versammlungen abhalten, keine Führung wählen, nicht mit ihren Mitgliedern kommunizieren und erst recht nicht Außenstehende von ihren Ansichten überzeugen. Nur Phasenweise konnte sie sich erholen, wenn durch Risse im herrschenden Rechtsblock die Repression nachließ, so etwa ab September 1921, nachdem Kahr durch den liberaleren Hugo von Lerchenfeld, ebenfalls Mitglied der BVP, abgelöst wurde.
»Auch der historische Faschismus hat sich nicht plötzlich an die Macht geputscht, sondern faulte hinter einer Fassade von Rechtsstaat und Parlamentarismus langsam heran.«
Eine Wiederherstellung der Versammlungsfreiheit ermöglichte der KPD die Rückkehr zu demokratischen Prozessen. Indem Zehetmair die Grenzen und Spielräume der Parteiarbeit skizziert, gibt er eine ganz eigene Antwort auf die Kontroverse um einen »demokratischen Kommunismus« in den Gründerjahren der Weimarer Republik. Auf diese demokratischen Ursprünge insistierte eine Gründergeneration der KPD-Forschung, etwa Ossip K. Flechtheim oder Hermann Weber, und verteidigten sie gegen totalitarismustheoretische Deutungen. Erst mit der Stalinisierung Mitte der 1920er Jahre sei der KPD die Demokratie abhanden gekommen. Spätere Autoren wie Klaus Michael Mallmann konnten dieser These nicht mehr viel abgewinnen. Seiner sozialgeschichtlichen Deutung zufolge musste die KPD nicht stalinisiert werden, da sie nie ein demokratisches Projekt war.
Aus bayerischer Perspektive relativiert sich diese Kontroverse gleich zweifach: Einerseits tritt die radikaldemokratische Komponente des frühen Kommunismus mit der Räterepublik 1919 besonders deutlich hervor. Im Kontrast dazu wird klar, dass ab 1920 in der »Ordnungszelle« ein demokratisches Parteileben schlicht nicht möglich war. Doch sobald es die Umstände erlaubten, führte die bayerische KPD Versammlungen und Wahlen durch und diskutierte in Zeitungen öffentlich ihre Politik. Sie war auf die Mitsprache ihrer Mitglieder angewiesen – auch deshalb, weil jeder Instrukteur aus der Zentrale bald als »Reichsausländer« zurück nach Berlin abgeschoben wurde.
Die Konstruktion einer Abschiebung innerhalb Deutschlands stammte noch aus dem Kaiserreich – und verhinderte erfolgreich, dass die bayerische KPD aus Berlin oder gar aus Moskau ferngesteuert wurde. So gelang es erst Mitte der 1920er Jahre, die bayerischen Kommunisten »auf Linie« zu bringen. Zehetmair bestätigt damit die Interpretation eines demokratischen Kommunismus, gefolgt von späterer Stalinisierung und liegt im Trend jüngerer Einzelstudien, wie Florian Wildes Biographie des späteren KPD-Führers Ernst Meyer.
In der bisher geschilderten Konfrontation aus Kommunismus und Rechtsblock fehlt eine Kraft, die für die Geschicke Bayerns und der Weimarer Republik entscheidend war – Sozialdemokratie und Gewerkschaften. Zwar waren viele Großbetriebe Hochburgen der KPD, wo die Partei auch zu Verbotszeiten kontinuierlich ihre Strukturen festigen konnte. Jedoch blieben die großen Gewerkschaften der Sozialdemokratie verbunden, lediglich im Deutschen Metallarbeiterverband (DMV) und bei den Eisenbahngewerkschaften konnte die KPD eigene Akzente setzen. Das bedeutete, dass die KPD bei Streikaufrufen auf Kooperation mit der SPD angewiesen war.
Anders als bei den Genossinnen und Genossen in Berlin wurde das recht früh beherzigt, was zu einer relativ konstanten Einheitsfrontpolitik führte. Erleichtert wurde diese Tendenz auch, weil die Sozialdemokratie seit 1920 nicht mehr Teil des Staatsapparates war. Der herrschende Rechtsblock hielt sie von der Macht fern, Zehetmair zitiert Polizeiquellen, in denen Kommunismus und Gewerkschaften als gleichrangige Übel galten.
Auch vor einer Zusammenarbeit mit der NSDAP schreckte die bayerische Polizei nicht zurück. Zwar sahen die »weiß-blauen«, am katholischen Partikularismus orientierten Teile des rechten Spektrums die entstehende NS-Bewegung skeptisch. Die deutschnationalen und »schwarz-weiß-roten« Teile des Rechtsblocks begrüßten die NSDAP jedoch bereits um 1922 als nützlichen Gegenpol zur Arbeiterbewegung. Besonders weit ging der Münchener Polizeipräsident Ernst Pöhner, der sich im November 1923 am Hitler-Ludendorff-Putsch beteiligte. Der Unterschied zu Berlin, wo die Polizei einem sozialdemokratischen Präsidenten unterstand, ist augenfällig.
Dementsprechend entfiel die Konfrontation von Kommunisten auf der Straße und Sozialdemokraten in den Institutionen – ein Hauptgrund für die erbitterte Spaltung der Arbeiterbewegung in den letzten Jahren der Republik. Jedoch entstand auch in Bayern aus diesen vergleichsweise günstigen Bedingungen keine Einheitsfront. Obwohl die KPD aufgrund eigener Schwäche pragmatischer agierte, stieß sie auf wenig Gegenliebe seitens der Sozialdemokratie. Diese hoffte auf einen Ausgleich mit der BVP – wie in Preußen, wo Sozialdemokratie und Zentrum Reformkoalitionen bildeten. Dementsprechend wetterten bayerische SPD-Zeitungen gegen »Kommunisten und Faszisten« und verweigerten die Kooperation, so etwa in der Bewegung für »Arbeiterwehren«. Diese entstanden 1922 als Schutz für Versammlungen der Arbeiterbewegung gegen faschistischen Straßenterror. Es gelang der KPD jedoch nicht, gemeinsame Schutzorganisationen mit SPD und Gewerkschaften aufzubauen.
Zehetmair widmet dem Problem der Einheitsfront einige Aufmerksamkeit, er verschweigt dabei auch nicht zwei »nationalbolschewistische« Episoden aus den Jahren 1919 und 1921, in der einige KPD-Abgeordnete und Intellektuelle versuchten, die völkische Bewegung durch Umarmungsversuche zu »neutralisieren«. Dieses Experiment fand jedoch in Bayern schnell sein Ende durch Proteste der Basis – und wiederholte sich auch nicht im Krisenjahr 1923, in dem die KPD auf Reichsebene noch einmal ähnliche Irrwege beschritt. Der sozialdemokratische Faschismusvorwurf an die bayerische KPD war also Fiktion – oder aber die Wiederkehr der eigenen, längst verdrängten Schuld. Denn es war eine sozialdemokratische Landesregierung, die 1919 die Hilfe rechter Paramilitärs gesucht hatte, um die Münchener Räterepublik niederzuschlagen.
Festzuhalten ist, dass die Gleichsetzung von »Kommunisten und Faszisten« am Ende des Tages kein demokratisches Projekt hervorbrachte, sondern die Gegner der Faschisten geschwächt zurückließ. Der SPD gelang es durch ihre Distanzierung von der KPD nicht, die BVP für sich zu gewinnen. Diese blieb Teil des Rechtsblocks. Sie hielt einige Jahre die Nazis von der Macht fern, ermöglichte aber langfristig deren Aufstieg, indem sie allen Spielarten des völkischen Radikalismus einen Rückzugsraum bot. Das galt auch für aktive Terroristen – so flüchteten die Mörder des ehemaligen Finanzministers Matthias Erzberger 1921 nach München, wo ihnen mit staatlicher Deckung die Weiterreise ins Ausland ermöglicht wurde.
Derartige Straflosigkeit war kein Einzelfall, sondern die Regel. Zehetmair zitiert zahlreiche Fälle von ungesühnten politischen Morden – die sich in der Summe zu einem Klima des Terrors gegen Gewerkschaften, Sozialdemokratie und die KPD verdichteten. Die Straflosigkeit ermunterte die radikalen Teile des Rechtsblocks. Die Binnenkämpfe zwischen dem »weiß-blauen« und dem »schwarz-weiß-roten« Block ermöglichten es der NSDAP, immer mehr an Boden zu gewinnen.
Die bayerische SPD hoffte angesichts dieser Zustände an verschiedenen Punkten auf eine »Reichsexekution«, also ein Einschreiten der Berliner Zentralregierung gegen das Abgleiten Bayerns in die Diktatur. Das stand in zwei Konflikten zwischen Bayern und Berlin 1921 und 1923 auch zur Debatte – wurde jedoch nie vollzogen. Die Reichsregierung vermied den Konflikt mit den bis an die Zähne bewaffneten Rechtskräften im Süden. Berlin begnügte sich von Krise zu Krise damit, dass durch Rücktritte und Neugruppierung innerhalb des bayerischen Rechtsblocks die parlamentarische Ordnung formal wiederhergestellt wurde.
Für die politische Linke galten ähnliche Rücksichten nicht: Als in Thüringen und Sachsen im Herbst 1923 kurzfristig Kommunisten in die Regierungen eintraten, zögerte die Reichsregierung nicht, beide nach wenigen Tagen vom Militär absetzen zu lassen. Nicht ganz zu Unrecht befürchtete Reichspräsident Ebert, dass die KPD die Regierungsbeteiligung als Vorstufe zum Aufstand betrachtete. Der Reichsregierung gelang es durch ihren verfassungswidrigen Akt, die KPD zu schwächen und einen von Hitler lange erträumten Marsch auf Berlin zu vereiteln. Indem das sozialdemokratische Berlin selbst gegen die »roten Umtriebe« einschritt, entfiel für die Rechte jede Legitimation für ihren Traum vom »Marsch auf Berlin« nach italienischem Vorbild. Hitlers Aufstand konnte so im November 1923 innerhalb Bayerns abgewürgt werden.
Dies hatte jedoch nur aufschiebende Wirkung. Die lange Duldung der NSDAP in Bayern durch BVP und andere bürgerliche Parteien, die Kultur der Straflosigkeit bei politischer Gewalt, die Schwäche der KPD und das vergebliche passive Hoffen der bayerischen Sozialdemokratie auf eine Rettung von Außen führte dazu, dass die Arbeiterbewegung Bayerns schon 1923 als politische Kraft so marginalisiert war, dass Machtkämpfe nur noch innerhalb des Rechtsblocks ausgefochten wurden. Die Dominanz eines Landesteils wiederum war Vorbedingung für die republikweite Ausdehnung der Nazibewegung im Jahrzehnt danach.
Zehetmairs Studie ist also die Geschichte einer Niederlage – die Marginalisierung einer ohnehin randständigen Partei, ihr Scheitern an scheinbar übermächtiger Repression. Bisweilen dominiert die Gegnerbeschreibung, manchmal wüsste man gerne mehr zur Alltagsgeschichte. Hier gibt es einige spannende Episoden aus dem Kampf um den öffentlichen Raum, etwa dem »Flaggenkrieg« zwischen KPD und völkischen Kräften um die Entfernung oder Zurschaustellung schwarz-weiß-roter Fahnen.
Doch wenig erfährt man zur Geschlechtergeschichte, und auch wenig darüber, wie die KPD in ihren Rückzugsräumen agiert hat – den Großbetrieben, in denen sie unter dem Schutz der Arbeitsprozesse und privater Netzwerke auch in Verbotszeiten neue Kräfte sammeln konnte. Genau diese Informationen sind jedoch kaum zu beschaffen. Die Niederlage bringt es mit sich, dass Zehetmair seine Akteure aus dem Blick der Gegner heraus rekonstruiert: Zentrale Quellen sind Polizeiakten und Gerichtsprozesse, während die Eigen-Überlieferung der KPD lückenhaft ist. Illegale Sitzungen wurden selten protokolliert, Zeitungsberichte fehlen, wo die Pressefreiheit nicht existierte – kurzum, je repressiver das Umfeld, desto schlechter überliefert sind die tatsächlichen Arbeits- und Lebensumstände der bayerischen Kommunistinnen und Kommunisten.
Unter diesem Vorbehalt betrachtet ist Zehetmairs Rekonstruktion bemerkenswert. Sie bereichert unser Wissen über die KPD in einer Detailtiefe, die für Bayern bisher unerreicht ist und ermöglicht einen neuen Blick auf die Weimarer Republik. Jenseits dessen kann die Studie auch als Mahnung für die Gegenwart gelesen werden: Nach wie vor wird der Übergang von Demokratie zu Diktatur von Linken und Demokraten als Putsch gefürchtet – oder auch verlacht. Denn bisher erwiesen sich alle Pläne eines »Tag X« als Beginn des Bürgerkrieges als stümperhafte Phantasien von Reichsbürgern und Neonazis.
Das von Zehetmair skizzierte historische Beispiel zeigt jedoch, dass solche Misserfolge wenig aussagen. Denn auch der historische Faschismus hat sich nicht plötzlich an die Macht geputscht, sondern faulte hinter einer Fassade von Rechtsstaat und Parlamentarismus langsam heran. Während jeder Putschplan der NSDAP scheiterte, war ihre in Bayern erprobte Kombination aus Straßengewalt gegen Linke und Legalismus im Parlament überaus erfolgreich. Ihren Schein von Legalität erhielt die Partei nicht erst mit der Ernennung Hitlers zum Reichskanzler 1933 – sie hatte diesen Schein zuvor zehn Jahre lang poliert.
Ralf Hoffrogge ist Historiker, von ihm erschien 2014 »Werner Scholem – eine Politische Biographie (1895-1949)« im UVK-Verlag.