05. September 2022
Der »Krieg gegen den Terror« in Afghanistan hat nicht nur sein Ziel verfehlt. Seine Verwerfungen reichen bis in die Ukraine.
Fahrzeugpapiere?«, fragt ein Taliban-Kämpfer an einem Checkpoint im Westen Kabuls. Walid, der eigentlich anders heißt, überreicht sie ihm. Der Talib wirft einen kurzen Blick darauf und lässt ihn passieren.
Meist fahnden die Taliban nach Dieben oder bewaffneten Männern. Wer keine gültigen Papiere vorzeigen kann, dem droht außerdem, sein Fahrzeug zu verlieren. Vor allem Pick-ups und die großen Toyota-Kombis sind bei den neuen Machthabern beliebt. »Mich erkennen die hier in Kabul zum Glück nicht«, sagt Walid. Was er damit meint, erklärt er später in der Wohnung seines Bruders. Walid wickelt sich in einen langen Schal ein und trinkt einen Schluck Ananassaft. Er ist kräftig gebaut und hat ein rundes Gesicht. Mittlerweile trägt er lange Haare. An sein neues Leben muss sich der 27-Jährige erst gewöhnen.
Mehr als sieben Jahre lang hat er im Norden des Landes für eine Spezialeinheit der Afghanischen Nationalarmee (ANA) gekämpft. Sein Alltag war rau und tödlich. Walids Aufgabe war es, Gebiete wieder einzunehmen, die von den Taliban kontrolliert wurden. Oft agierten er und seine Kameraden wie eine Art Himmelfahrtskommando. Viele seiner Weggefährten sind heute tot, während Walid und andere Ex-Soldaten im Schatten leben. Er ist untergetaucht im anonymen Kabul, wo er sich sicherer fühlt. Seine Heimat im Norden Afghanistans meidet er. Dort kennen zu viele Menschen sein Gesicht. Das gilt auch für die Taliban, die er jahrelang unerbittlich bekämpft hat.
Im August 2021 haben die Taliban nach zwei Jahrzehnten Krieg die Macht im Land zurückerobert. Mit dem Abzug der internationalen Truppen verließen viele führende Politiker das Land. Der ehemalige Präsident Ashraf Ghani flüchtete, kurz bevor die Taliban in die Hauptstadt einzogen. Für Walid war das ein bitterer Tag, den er nie vergessen wird. »Ich wünschte, ich wäre damals gestorben. Dann müsste ich diese Schande nicht ertragen«, sagt er mit ernstem Gesichtsausdruck.
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Emran Feroz ist Journalist, Initiator der virtuellen Gedenkstätte »Drone Memorial« und Autor von Der längste Krieg: 20 Jahre War on Terror (Westend, 2021).