28. Mai 2024
Spaniens Rechtsaußen-Partei Vox lud kürzlich rechte Führungsfiguren von Marine Le Pen bis Javier Milei nach Madrid. Der Kongress hat gezeigt, wie enthusiastisch und wie koordiniert diese globale Bewegung ist – und welche zentrale Rolle Vox dabei spielt.
Vox-Vorsitzender Santiago Abascal beim »Viva24«-Kongress in Madrid, 19. Mai 2024.
Drei Wochen vor den EU-Parlamentswahlen hat sich die globale radikale Rechte am vorvergangenen Sonntag in Madrid versammelt. Es zeigte sich, wie gut die Szene international koordiniert ist. Die dreitägige Veranstaltung wurde von der spanischen neofranquistischen Vox ausgerichtet und endete mit einer Massenkundgebung mit Rednerinnen und Rednern wie der Französin Marine Le Pen, dem Portugiesen André Ventura, dem argentinischen Präsidenten Javier Milei und dem israelischen Minister Amichai Chikli von der Likud-Partei. Per Videoübertragung meldeten sich auch Italiens Ministerpräsidentin Giorgia Meloni und der ungarische Premier Viktor Orbán zu Wort.
An der Abschlussveranstaltung nahmen mehr als 10.000 Menschen teil. Zunächst wurde ein Video eingespielt, in dem die Entwicklungsziele der Vereinten Nationen als »ökofeministische« Verschwörung kritisiert wurden, während verzerrte Bilder von Bill Gates und Greta Thunberg über die Leinwand flimmerten. Kurz danach stimmte die frühere Trump-Mitarbeiterin Mercedes Schlapp einen prozionistischen Sprechchor an: »Viva España! Viva Israel!«
»Umfragen zufolge dürfte die radikale Rechte bei den Wahlen im Juni deutlich zulegen.«
Zwar gab es deutliche Unterschiede zwischen den diversen rechtsradikalen bis -extremen Diskursen, aber die geteilte Abneigung gegen vermeintliche gemeinsame Feinde sowie das Bekenntnis zu einem reaktionären Autoritarismus überwogen alle anderen, eher spaltenden Faktoren. So schaffte Vox es, sowohl den Neonazi und Holocaust-Leugner Pedro Varela einzuladen als auch Israel zu einer »internationalen Bezugsgröße im Kampf gegen den islamischen Terrorismus« zu erklären. Ebenso wurden Javier Mileis Anarcho-Liberalismus und Marine Le Pens chauvinistisch-protektionistische Politik unter einen Hut gebracht und mit Begeisterung aufgenommen.
»Wir Patrioten müssen vereint bleiben«, betonte der Vorsitzende der American Conservative Union, Matt Schlapp, auf der Kundgebung: »Wir werden nicht zulassen, dass George Soros oder Biden uns spalten.«
Die Kundgebung war ein weiterer Beweis für die zunehmend zentrale Rolle der Vox bei der Vernetzung reaktionärer politischer Bewegungen aus aller Welt. Die spanische Partei fungiert nicht nur als wichtige Brückenbauerin zwischen der europäischen und der lateinamerikanischen radikalen Rechten, sondern bemüht sich im Vorfeld der Wahlen zum Europäischen Parlament auch um engere Beziehungen zwischen den beiden großen rechten Fraktionen in der EU: die eher pro-NATO-orientierte und traditionalistische Europäische Konservative und Reformer (EKR) mit Meloni als Gallionsfigur einerseits; Le Pens eher pro-russische und radikalere Gruppierung Identität und Demokratie (ID) andererseits.
Umfragen zufolge dürfte die radikale Rechte bei den Wahlen im Juni deutlich zulegen. Santiago Abascal von Vox positioniert sich nun schon als zentrale Figur innerhalb dieser »reaktionären Internationale« – selbst wenn seine eigene Partei im letzten Jahr daheim in Spanien etwas an Boden verloren hat. Ein anderer Parteifunktionär betonte mit sichtlichem Stolz, nur die Vox sei »in der Lage, ein derartiges [rechtsradikales] Treffen abzuhalten«.
Die Schlagzeilen rund um den Kongress waren dominiert von einem diplomatischen Eklat, nachdem Javier Milei die Frau des spanischen Premierministers Pedro Sánchez auf der Bühne als »korrupt« bezeichnet hatte.
Die enge Beziehung des argentinischen Präsidenten zu Vox besteht schon seit seinem Eintritt in die Spitzenpolitik. Milei war neben Eduardo Bolsonaro und dem chilenischen Extremisten José Antonio Kast einer der Unterzeichner der sogenannten Charta von Madrid 2020. Dies war das Gründungsdokument des von Vox geführten antilinken Bündnisses, dem Madrid Forum, das die Ausbreitung »kommunistisch geprägter totalitärer Regime« in Lateinamerika bekämpfen will.
»Darüber hinaus ist das Madrid Forum Teil einer breiteren rechten Infrastruktur, bestehend aus extremistischen katholischen Vereinigungen, lateinamerikanischen Exilanten und reaktionären Think-Tanks in der spanischen Hauptstadt.«
Wie der Podemos-Gründer Miguel Urbán in seinem in diesem Jahr erschienenen Buch Trumpismos erklärt, will das Madrid Forum etwas erreichen, das sich von anderen rechten Bündnissen wie der Conservative Political Action Conference (CPAC) in den USA unterscheidet. Letztere organisiert in regelmäßigen Abständen Veranstaltungen, bei denen internationale Führungspersönlichkeiten und rechte Aktivisten zusammenkommen, wohingegen das Madrid Forum eine kontinuierlich agierende »internationale Organisation rechtsradikaler Parteien« mit einem jährlichen Aktionsplan sein will. Urbán schreibt weiter: »Vox hat mit viel Elan und Fiebrigkeit eine Agenda mit Netzwerken, Reisen und Veranstaltungen aufgestellt – mit dem Ziel, den ersten stabilen Rahmen für die Koordinierung rechtsradikaler lateinamerikanischer Kräfte zu schaffen, bei dem darüber hinaus [die Partei selbst] im Mittelpunkt stehen soll.«
Die grenzüberschreitende Zusammenarbeit steckt noch in den Kinderschuhen. Dennoch: Einem kürzlich erschienenen Bericht der Progressiven Internationale zufolge war die bisher »wichtigste Auswirkung« des Madrid Forums »seine Fähigkeit, ein Netzwerk zu schaffen und zu mobilisieren [...], um linke Regierungen in der Region zu schwächen«. Eine umfassende Analyse mehrerer lateinamerikanischer Publikationen zeigt außerdem auf, wie mit der Bewegung verbandelte Politikerinnen und Politiker koordinierte Kampagnen zur »Delegitimierung der Wahlergebnisse in mehreren Ländern« betrieben haben. So hätten diese grenzüberschreitend zusammengearbeitet, um Fake News über Wahlfälschungen in Peru, Kolumbien und Chile zu verbreiten. Diese Meldungen wurden durch organisierte Trolling-Kampagnen online zusätzlich verstärkt.
Darüber hinaus ist das Madrid Forum Teil einer breiteren rechten Infrastruktur, bestehend aus extremistischen katholischen Vereinigungen, lateinamerikanischen Exilanten und reaktionären Think-Tanks in der spanischen Hauptstadt. So ist die Stadt zu einem wichtigen Treff- und Knotenpunkt für autoritäre Kräfte aus der ganzen Welt geworden. Die Madrider Regionalpräsidentin Isabel Ayuso, die dem radikalen Flügel der konservativen Partido Popular angehört, hat sich für ihre Auftritte den exilkubanischen Slogan »Freiheit oder Kommunismus« zu eigen gemacht. Während der einmonatigen, teils gewalttätigen Straßenproteste gegen die Wiederwahl von Sánchez im vergangenen November wurde erneut das Netzwerk mit schriller Rhetorik mobilisiert, um die Legitimität von Sánchez’ parlamentarischer Mehrheit infrage zu stellen.
Milei brachte sich auf dem Vox-Kongress ein, indem er eigens nach Spanien reiste, um dort einen Streit mit dem sozialdemokratischen Premierminister des Landes vom Zaun zu brechen. Milei ging so weit, bei seiner Rückkehr nach Buenos Aires den angeblichen »Totalitarismus« von Sánchez zu kritisieren und ihn als »arroganten und delirierenden Sozialisten« zu bezeichnen. Die folgenden diplomatischen Spannungen, im Zuge derer Spanien sogar seinen Botschafter in Argentinien abzog, hatte vor allem den Effekt, dass der EU-Wahlkampfauftakt der Vox viel Aufmerksamkeit erhielt und lautstark eingeläutet werden konnte.
Eigentlich hatte Vox-Chef Abascal jedoch gehofft, seinen Wahlkampf in Anwesenheit sowohl von Le Pen als auch von Meloni starten zu können. Hätte er für eine verstärkte Zusammenarbeit zwischen den beiden bestehenden Flügeln der europäischen radikalen Rechten werben können, hätte ihm dies sicherlich auf globaler Ebene zusätzliche Sympathie und Achtung unter Rechten eingebracht. Sowohl Melonis postfaschistische Fratelli d’Italia als auch Le Pens Rassemblement National liegen derzeit in den Umfragen in ihren jeweiligen Ländern vorn. Gemeinsam könnten die beiden EU-weit agierenden Fraktionen der radikalen Rechten die Kraft mit den zweitmeisten Sitzen im Europäischen Parlament werden.
»Mit ihrer strikten Pro-NATO-Positionierung hat Meloni, seit sie Italiens Ministerpräsidentin ist, enge Verbindungen mit der EVP gepflegt.«
Da außerdem zu erwarten ist, dass die Grünen und Macrons liberale Fraktion Renew starke Verluste erleiden werden, könnte das Europäische Parlament zum ersten Mal in seiner Geschichte eine rechte Mehrheit bekommen. Damit würde zwar nicht zwangsläufig die stabil agierende »Große Koalition« der Mitte-Parteien abgelöst, doch die konservative Europäische Volkspartei (EVP) könnte sich bei gewissen Abstimmungen um eine alternative Mehrheit mit Unterstützung von rechts bemühen – etwa wenn es um gemeinsame Interessen bei Umweltfragen, bürgerlichen Freiheiten oder Einwanderung geht.
Der Wissenschaftler Cas Mudde merkt allerdings an, der Aufschwung der radikalen Rechten könnte für sie »zu einem Pyrrhussieg werden, wenn die Parteien weiterhin so gespalten bleiben«. Die EKR-Fraktion, zu der die Fratelli, die Vox und Éric Zemmours Reconquête gehören, unterscheidet sich am stärksten von Le Pens ID-Fraktion, was die Außenpolitik angeht (und damit auch ihre wahrgenommene Seriosität im Mainstream). Mit ihrer strikten Pro-NATO-Positionierung hat Meloni, seit sie Italiens Ministerpräsidentin ist, enge Verbindungen mit der EVP gepflegt. Sie will sich die Tür für einen Pakt mit Ursula von der Leyen offen halten, wenn diese nach den Wahlen im Juni als Chefin der Europäischen Kommission wiedergewählt werden möchte.
»In jedem Fall besteht weiterhin die Gefahr eines großen radikal-rechten Vorstoßes.«
In dieser Hinsicht war Melonis Entscheidung, nicht persönlich an der Vox-Veranstaltung am vergangenen Sonntag teilzunehmen, ein (schwieriger) Balanceakt: Mit ihrem Videobeitrag wollte sie weder die Annäherungsversuche der Vox an Le Pen kritisieren noch sich ihnen anschließen. »Wir werden sehen, wie es nach den Wahlen weitergeht«, betonte auch ein Vox-Vertreter. Seine Partei sehe sich jedenfalls am besten in der Lage, in der kommenden Legislaturperiode als Bindeglied zwischen den verschiedenen rechten Gruppierungen zu fungieren.
Insbesondere die Ankündigung von Le Pen und Matteo Salvini am vergangenen Dienstag, dass ihre Parteien nicht mehr in derselben Fraktion wie die AfD sitzen werden, eröffnet die Möglichkeit, dass es zu einer tiefgehenden Neuausrichtung der europäischen radikalen Rechten nach den Wahlen kommt. Darüber hinaus wird erwartet, dass sich Viktor Orbáns Fidesz demnächst der EKR-Fraktion anschließt.
In jedem Fall besteht weiterhin die Gefahr eines großen radikal-rechten Vorstoßes. »Wir Patrioten müssen Brüssel einnehmen«, forderte Orbán in seinem Statement auf dem Vox-Kongress. Ventura von der portugiesischen Chega behauptete unmissverständlich: »Europa gehört uns!« Es bleibt im Zuge der Wahlen am 9. Juni abzuwarten, wie realistisch und umsetzbar das rechtsradikale Projekt ist.
Eoghan Gilmartin ist Journalist und Übersetzer, der für »Jacobin« und »Tribune« über spanische Politik berichtet.