22. März 2024
Wirtschaftskrise, Investitionsstau, Rechtsruck – dass all das auf die EU zukommen würde, hat Gregor Gysi schon vor 25 Jahren vorhergesagt. Nur hörte ihm damals niemand zu.
»Im Rückblick mutet Gysis Euro-Rede an, als hätte er eine Glaskugel gehabt.«
Dieses Jahr war Silberhochzeit. Vor 25 Jahren gingen elf der damals fünfzehn Mitgliedsstaaten der Europäischen Union mit dem Euro den Bund der Ehe ein. Seitdem kamen neun weitere Länder hinzu. Grund für Sekt und Konfetti ist das aber nicht. Denn mal ehrlich: Für viele Länder kann das keine glückliche Ehe sein, schon lange nicht mehr. Rechtsruck, Investitionsstau, Wirtschaftskrise – die Europäische Währungsunion braucht dringend eine Paartherapie.
Dass es genau so kommen würde, hat ein Mann prophezeit: Gregor Gysi. Und zwar schon vor dem Eheschluss. Als der Bundestag im April 1998 über die Einführung des Euros debattiert, ist Gysi Vorsitzender der PDS-Fraktion. Bundeskanzler ist da noch CDU-Chef Helmut Kohl, der Bundestag noch in Bonn.
Gysi traut Kohl keinen Millimeter über den Weg. Kein Wunder: Kohl hatte dem Osten nach der Deutschen Einheit blühende Landschaften versprochen; Gysi sah mit an, wie verwelkte Landschaften daraus wurden. Und jetzt verspricht Kohl, der Euro würde für »ein neues Gefühl der Zusammengehörigkeit« sorgen, den europäischen Handel stärken und die Arbeitslosigkeit in Europa abbauen.
Als Gysi zu seiner Rede ansetzt, ist das Plenum nur zu drei Vierteln gefüllt. Wolfgang Schäuble rollt mit Verspätung in den Saal und begrüßt seine Unionskollegen, statt Gysis Argumentation zu folgen. Kohl wendet ihm gar den Rücken zu. Große Aufmerksamkeit bekommt Gysi nicht. Dafür, dass es um eine so weitreichende Entscheidung geht, wirkt die Stimmung im Bundestag leichtfertig heiter.
Gysi hingegen ist das Anliegen sehr wichtig. Er steht mit dunklem Anzug und bordeauxroter Krawatte am Pult. Im Rückblick mutet seine Rede an, als hätte er eine Glaskugel gehabt. »Wenn man die europäische Integration unter falschen Voraussetzungen macht, dann wird das der Keim zu einem neuen Nationalismus und damit auch zu steigendem Rassismus sein«, so Gysi damals.
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Maurice Höfgen ist Wissenschaftlicher Mitarbeiter für Finanzpolitik im Bundestag und Autor des Buches »Mythos Geldknappheit«. Zudem betreibt er den YouTube-Kanal »Geld für die Welt«.