26. März 2024
Sahra Wagenknecht will abgelehnten Asylbewerbern die Geldleistungen streichen. Doch das wäre unverantwortlich, verfassungswidrig – und würde weder die Kommunen effektiv entlasten, noch die schlechten Renten aufbessern.
Sahra Wagenknecht bei einer Pressekonferenz am 12. März 2024.
Ohne Frage: Sahra Wagenknechts neue Partei füllt eine Lücke im Parteienspektrum. Ihr Credo: Die Reichen sollen mehr Steuern zahlen und Malocher mehr verdienen, aber gesellschaftlich soll bitte alles so bleiben oder wieder werden, wie es früher mal war. Das BSW ist eine Mischung aus der traditionellen Linken und dem Arbeitnehmerflügel der CDU. Hat das eine Daseinsberechtigung? Ja. Man kann sogar argumentieren: Das BSW stärkt die Demokratie, wenn Nichtwählerinnen oder Frustwähler sich dadurch repräsentiert fühlen.
Die Ausgangslage bedingt allerdings, dass Wagenknecht nicht nur frustrierte Sozialdemokratinnen, sondern auch potenzielle AfD-Wähler überzeugen muss. Sie will der AfD schließlich das Dasein als Protestpartei abringen – und sich von dort aus als Volkspartei in der Mitte etablieren.
Ihre Strategie: Populismus. Mal linker Populismus, mal rechter Populismus. Mal poltern gegen Reiche, mal einstimmen in die Hetze gegen Arbeitslose und Geflüchtete. Sie fischt in zwei Teichen gleichzeitig. Das erkennt man auch an der Kandidatenwahl: Mal Fabio De Masi, mal Thomas Geisel.
Zwangsläufig wandert Wagenknecht damit auf einem schmalen Grat. Gefährlich wird es allerdings, wenn sie es mit ihrem rechten Populismus übertreibt – und die Gratwanderung zu einem Abdriften wird: dann nämlich, wenn sie rechte Positionen legitimiert und beflügelt, indem sie diese kopiert und aufbläst.
Kürzlich hat Wagenknecht wieder ein perfektes Beispiel dafür geliefert – und zwar in Sachen Asylpolitik. Dass sie hierzu eine konservative Position vertritt, weiß jeder im Land. Das wusste man auch schon, bevor sie aus der Linken austrat und das BSW gründete. Profilieren muss sie sich hier also eigentlich nicht mehr, sollte man meinen. Und trotzdem hat sie es getan – in einer bisher ungekannten Schärfe – und damit ihr Profil radikalisiert.
Wagenknecht fordert nämlich, Menschen, deren Asylgesuche abgelehnt wurden, die Gelder zu streichen. »Dass der Staat nach einer Ablehnung dieselben Leistungen weiterzahlt, ist dem Steuerzahler nicht erklärbar«, sagte sie der Nachrichtenagentur dpa. »Nach einer Übergangsfrist sollten Geldleistungen auslaufen, wenn kein Schutzstatus vorliegt.«
Betroffen wären davon nicht nur diejenigen, die tatsächlich innerhalb von dreißig Tagen das Land verlassen müssen und rechtssicher abgeschoben werden können, sondern auch alle Geduldeten, die zwar keinen Schutzstatus, aber eine befristete Aufenthaltserlaubnis haben. Um das in Zahlen deutlich zu machen: Es gibt rund 15.000 abgelehnte Asylbewerberinnen und -bewerber ohne Duldung, die ausreisen müssen oder rechtssicher abgeschoben werden können, aber mehr als 100.000 mit Duldung.
»Würde man noch heute all jene abschieben, die rechtlich abgeschoben werden können, also rund 15.000 Menschen, wären die Kommunen morgen noch immer überlastet.«
Diese Unterscheidung macht Wagenknecht nicht. Sie wirft alle in einen Topf und rüttelt damit implizit an der Daseinsberechtigung vom Duldungsstatus. Dabei gibt es etliche legitime Gründe dafür. Eine Duldung bekommen Asylsuchende etwa, wenn eine Rückkehr in das Heimatland zu gefährlich ist, zum Beispiel weil in Syrien ein Bürgerkrieg tobt oder in Afghanistan die Taliban eine Schreckensherrschaft ausüben.
Geduldet wird aber auch, wer eine Ausbildung angefangen hat, wer schwer krank ist, wer ein Kind mit Aufenthaltserlaubnis hat oder mit anderen Geduldeten eng verwandt ist. Und dann sind da noch solche, die keine vollständigen Papiere haben und vom Herkunftsland nicht zurückgenommen werden.
All diesen Menschen will Wagenknecht die Gelder streichen – und damit ökonomischen Druck ausüben, damit sie das Land verlassen, obwohl sie eine Aufenthaltsgenehmigung haben. Im Klartext: Wagenknecht will Geduldete mit Geldentzug erpressen. Ob sie dann eine Ausbildung aufgeben, Verwandte zurückzulassen oder gar zurück ins Land der Taliban müssen – Hauptsache weg aus Deutschland, so die Botschaft. Klingt hart, ja sogar menschenfeindlich und kaltherzig, ist aber die logische Konsequenz aus ihrer Forderung.
Nebenbei: Naiv ist, wer wirklich glaubt, Asylsuchende würden sich damit zurück in die Heimat drängen lassen, in der sie es nicht ausgehalten haben. Vielmehr drängt man sie in Schwarzmärkte und Kriminalität, wenn man ihnen noch den letzten Euro raubt. Das ist unverantwortlich.
Ein Hoch auf das deutsche Grundgesetz. Denn was Wagenknecht fordert, ist verfassungswidrig. Das Bundesverfassungsgericht hat bereits in mehreren Urteilen das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums nach Artikel 20 Grundgesetz festgestellt. »Das Grundrecht steht deutschen und ausländischen Staatsangehörigen, die sich in der Bundesrepublik Deutschland aufhalten, gleichermaßen zu«, heißt es in einem Urteil aus dem Jahr 2012.
Zehn Jahre später, 2022, ging das Gericht in einem anderen Urteil noch weiter und stellte klar: Wie viel Geld Asylsuchenden zusteht, darf nicht von »migrationspolitischen Erwägungen« abhängen. »Die Leistungen an Asylbewerber und Flüchtlinge niedrig zu halten, um Anreize für Wanderungsbewegungen durch ein im internationalen Vergleich eventuell hohes Leistungsniveau zu vermeiden, können von vornherein kein Absenken des Leistungsstandards unter das physische und soziokulturelle Existenzminimum rechtfertigen«, so das Gericht. Die in Artikel 1 des Grundgesetzes garantierte Menschenwürde sei migrationspolitisch eben nicht zu relativieren. Auch nicht von Sahra Wagenknecht.
Bei der AfD und im rechten Flügel der Union wird man sich sehr über die Aussagen Wagenknechts gefreut haben. Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU) gab ihr gleich öffentlich Rückendeckung für den Vorstoß. Die Forderung ist gleich mehrfach Wasser auf rechte Mühlen.
Erstens, weil abgelehnte Asylsuchende so als relevantes Problem und als Sozialschmarotzer dargestellt werden. Die Wahrheit ist: Würde man noch heute all jene abschieben, die rechtlich abgeschoben werden können, also rund 15.000 Menschen, wären die Kommunen morgen noch immer überlastet. Mehr Geld für die Kommunen hat Wagenknecht aber nicht gefordert. Auch nicht einen Turbo beim sozialen Wohnungsbau. Oder eine Recruitingoffensive für Lehrerinnen, Erzieher und Mitarbeitende in Ausländerbehörden.
»Rentner haben hierzulande keine schlechten Renten, weil abgelehnten Asylbewerben ein Existenzminimum gewährt wird, sondern weil die letzten Regierungen schlechte Politik gemacht haben.«
Stattdessen bietet Wagenknecht eine Scheinlösung an, die Asylsuchende stigmatisiert, um im AfD-Milieu zu punkten. Anders gesagt: Sie tritt nach unten, um das Profil von BSW zu schärfen, ohne echte Probleme bei der Unterbringung zu lösen. Für die Asylsuchenden aber brächte das sehr wohl neue Probleme: Entwürdigung, Stigmatisierung, Geldnot, Hunger, noch mehr Existenzängste als vorher schon. Und das ausgerechnet bei dem Teil der Gesellschaft, der ohnehin zu ihrem sozioökonomischen »Bodensatz« verdonnert ist.
Zweitens spült Wagenknecht Wasser auf rechte Mühlen, weil sie auch ökonomisch die Metaphern der Rechten kopiert. Gelder für abgelehnte Asylbewerber, das sei »den Steuerzahlern nicht mehr erklärbar«, so Wagenknechts Formulierung. Damit transportiert sie das Bild, der fleißige deutsche Michel wolle mit seinen sauer verdienten Steuern nicht länger die illegalen Asylschmarotzer finanzieren. Und weil der Staat nur das Geld seiner Steuermichel habe, sei Geld nunmal knapp. Was die Asylschmarotzer bekommen, fehle bei deutschen Rentnern und deutschen Straßen.
So sagt sie es nicht selbst, so kommt es aber an bei denen, die sie mit ihren Aussagen adressiert. So werden die Schwächsten gegen die Ärmsten ausgespielt und die Bevölkerung zur Empörung getrieben, in der Hoffnung, sie möge doch beim nächsten Mal BSW wählen.
Rechte lieben dieses Framing. Und neu ist es gewiss nicht. Wer das Berliner Museum Topografie des Terrors besucht, eine Ausstellung über den Nationalsozialismus, findet dort etliche Beispiele. Nur eines will ich zitieren, eine Plakatwerbung aus dem Jahr 1938 für die Monatszeitschrift Neues Volk des Rassenpolitischen Amtes der NSDAP. Auf dem Bild steht ein Arzt hinter einem offensichtlich kranken Mann, darüber der Slogan: »60.000 Reichsmark kostet dieser Erbkranke die Volksgemeinschaft auf Lebenszeit. Volksgenosse, das ist auch Dein Geld!« Das Beispiel zeigt hoffentlich, wie destruktiv dieses Framing ist.
Ökonomisch ist es natürlich falsch, weil Geld nicht knapp ist. Staatliche Währung entsteht nicht, weil deutsche Michel Steuern zahlen, sondern weil der Staat sie schöpft. Arbeitskräfte sind knapp, Ressourcen sind knapp, aber Geld ist es nicht. Außerdem haben Rentner hierzulande keine schlechten Renten, weil abgelehnten Asylbewerben ein Existenzminimum gewährt wird, sondern weil die letzten Regierungen schlechte Politik gemacht haben. Auf die sollte Wagenknecht ihren Populismus richten und nicht Asylsuchende zum Sündenbock machen.
Zugegeben: Dieses Framing vom knappen Steuergeld benutzt nicht nur Sahra Wagenknecht, sondern quasi alle etablierten Politikerinnen und Politiker, selbst Linke, Grüne und Sozialdemokraten. Es hat sich als vermeintlicher Konsens etabliert, auch wenn es ökonomisch falsch und gesellschaftlich destruktiv ist. Auch unterstelle ich Wagenknecht mit dem Beispiel aus dem Museum keine Nähe zu Nationalsozialisten. Trotzdem trägt sie die Verantwortung dafür, was ihre Worte anrichten.
Überhaupt nutzt Wagenknecht den rechten Populismus nicht, weil sie selbst rechts ist (wie ihr oft vorgeworfen wird), sondern weil ihre Strategie es verlangt. Dass sie dabei die Geduldeten politisch mit unter den Bus wirft, ist wohl eher ein kalkulierter Kollateralschaden. Zwei Fragen bleiben zum Schluss. Die strategische Frage: Bringt das ihr und dem BSW Erfolg? Das werden die Wahlen zeigen. Und die moralische Frage: Heiligt der Zweck solche Mittel? Ich denke nicht.
Dieser Artikel erschien zuerst auf dem Substack Geld für die Welt und wurde für die Veröffentlichung bei JACOBIN leicht bearbeitet.
Maurice Höfgen ist Wissenschaftlicher Mitarbeiter für Finanzpolitik im Bundestag und Autor des Buches »Mythos Geldknappheit«. Zudem betreibt er den YouTube-Kanal »Geld für die Welt«.