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06. Dezember 2025

Kommt das BSW wieder auf die Beine?

Das BSW steht vor seiner größten Bewährungsprobe: Mit einer Neuauszählung in weiter Ferne und Sahra Wagenknecht in der zweiten Reihe hängt die Zukunft der Partei davon ab, ob die neue Führung einen klaren weltanschaulichen Kurs vorgeben kann.

Fabio De Masi, Sahra Wagenknecht und Amira Mohamed Ali auf der Pressekonferenz zur Neuaufstellung des BSWs in Berlin, 10. November 2025.

Fabio De Masi, Sahra Wagenknecht und Amira Mohamed Ali auf der Pressekonferenz zur Neuaufstellung des BSWs in Berlin, 10. November 2025.

IMAGO / IPON

Ein bisschen verzweifelt wirkt Fabio de Masi schon, wie er da bei NIUS am Flipchart steht. An diesem Wochenende soll de Masi zum Parteivorsitzenden des BSW gewählt werden. Gut zwei Wochen vorher sitzt er jedoch bei NIUS Live und hat zwanzig Minuten, um Julian Reichelt zu erklären, warum seine Partei eigentlich im Bundestag sitzen müsste. Gemeinsam mit Reichelt rechnet er vor, dass laut ihren Vermutungen bei einer Neuauszählung mindestens 28.000 Stimmen mehr herauskämen. Für einen Wiedereinzug bräuchte es nur 9.500. »Wenn das den Grünen passiert wäre«, sagt de Masi, »dann hätte es fünfzig Leitartikel in den ersten 24 Stunden gegeben.«

Die gab es für das BSW nicht. In einigen etablierten Medien finden sich zwar inzwischen Stimmen, die eine Neuauszählung unterstützen. Mehrheitlich ignoriert man das Anliegen jedoch. Und das, obwohl es kaum plausible Gegenargumente gibt, nicht noch einmal nachzuzählen. Denn tatsächlich gab es eine Reihe von Ungereimtheiten, auf die das BSW aufmerksam gemacht hat. Insbesondere scheinen in mehreren Wahllokalen die Stimmen für das BSW fälschlicherweise für das ähnlich klingende Bündnis Deutschland gezählt worden zu sein. Außerdem wurden dem BSW schon bei der routinemäßigen Nachprüfung des vorläufigen Ergebnisses etwa 60 Prozent der korrigierten Stimmen zugesprochen.

Doch selbst wenn sich bei einer Neuauszählung nicht genügend Stimmen fänden, wäre das neue Ergebnis immerhin demokratisch eindeutig legitimiert. Stattdessen leisten nicht nur die Abgeordneten, die im Bundestagswahlausschuss sitzen und die Beschwerde des BSW abgelehnt haben, der Demokratie einen Bärendienst. Auch die Journalisten, die das Thema totschweigen, tun es. Nun bleibt der Partei jedenfalls nur noch der Gang vor das Bundesverfassungsgericht.

»Außerhalb der Bindekraft von Sahra Wagenknecht gibt es wenig Grundsätzliches, auf das man sich einigen könnte.«

Die Stimmung innerhalb des BSW ist damit, kurz vor seinem dritten Bundesparteitag, wohl so schlecht wie nie. Doch nicht nur der verpasste Einzug in den Bundestag drückt die Gemütslage. In Brandenburg zerriss eine Abstimmung über den Medienstaatsvertrag fast die Fraktion. In Sachsen-Anhalt entledigte man sich auf einem Sonderparteitag Ende November des halben Vorstands. Zuletzt musste der Vize-Vorsitzende in Brandenburg zurücktreten, nachdem er einen AfD-Mann nach relativierenden Aussagen zum Holocaust gedeckt hatte. »Das BSW ist im Moment in einer schwierigen Situation«, sagte die Thüringer Landesvorsitzende Katja Wolf kürzlich. Das ist noch untertrieben. Die Partei ist, fast zwei Jahre nach ihrer Gründung, am wohl schwierigsten Punkt ihrer kurzen Geschichte.

In bundesweiten Umfragen dümpelt sie bei 3 bis 4 Prozent. Selbst in einigen ostdeutschen Bundesländern schafft sie es zurzeit kaum über die 5-Prozent-Hürde. Die Hoffnung, sich durch die Arbeit in zwei Landesregierungen wenigstens als erfolgreiche Regionalpartei stabilisieren zu können, scheint damit zunehmend fragwürdig. Dass jetzt auch noch Sahra Wagenknecht in die zweite Reihe verschwindet, macht die Sache nicht einfacher.

Das Comeback der Linken

Dabei war der Start 2024 rasant. Bei der Europawahl erreichte das BSW 6,2 Prozent, bei drei Landtagswahlen zweistellige Ergebnisse. Das lag auch daran, dass die Linkspartei, von der sich Wagenknecht und Co. abgespalten hatten, zu diesem Zeitpunkt schlecht aufgestellt war. Bei der Europawahl versuchte sie sich an einer bewegungslinken Strategie und stellte die Seenotretterin und Klimaaktivistin Carola Rackete auf, die sich kaum im Wahlkampf engagierte. Mit Sahra Wagenknecht und Fabio de Masi gab es beim BSW hingegen zwei prominente und ausdauernde Zugpferde.

Doch die Linke ist wieder aufgestanden. Zur Bundestagswahl hatte sich die Partei neu sortiert. Mit ihrem Fokus auf klassische Brot-und-Butter-Themen wie hohe Mieten und Lebenshaltungskosten gab es kaum Raum für das BSW, sich als wahre Verfechter der Arbeiterinteressen zu positionieren. Stattdessen wirkte die Partei mit ihrer Rhetorik der »wirtschaftlichen Vernunft« und der Einbindung des Mittelstandes auch ökonomisch wie ein Rechtsausleger. Ursprünglich sollte das BSW eine Repräsentationslücke schließen: für Menschen, die sich gesellschaftspolitisch konservativ, ökonomisch aber links verorten. Stattdessen entwickelte sich das Bündnis zu einer Kraft, die in jeder Hinsicht rechter als die Ausgangspartei war. Das lag auch am fehlenden ideellen Überbau.

Anfangs konnte das BSW vor allem mit außenpolitischen Themen punkten. Die Angst vor einer Eskalation des Ukraine-Kriegs trieb viele um. Das BSW positionierte sich als einzige Kraft, die sich bedingungslos gegen Militarisierung ausspricht. Inzwischen scheint der Krieg in der öffentlichen Wahrnehmung jedoch »normalisiert« zu sein. Während im März 2024 noch 22 Prozent den Ukraine-Krieg als größtes Problem benannten, sind es inzwischen nur noch sieben Prozent. Solange die finanziellen und realen Kosten der Wiederaufrüstung nicht zu hoch werden oder ein weiterer Konflikt aufbrandet oder eskaliert, kann das Thema die Menschen scheinbar nicht mehr aktivieren. Neben Migration, Renten und der Wirtschaftslage spielt der Krieg nur noch eine untergeordnete Rolle.

Die ideologische Leerstelle

Das Problem: In diesen wie in den meisten anderen Bereichen ist noch immer unklar, wie sich die Partei positioniert. Außerhalb der Bindekraft von Sahra Wagenknecht gibt es wenig Grundsätzliches, auf das man sich einigen könnte. »Keine Ideologie und keine Theorie ist auch nur einen Pfifferling wert, solange sie keine Partei gefunden hat«, schrieb der marxistische Kultursoziologe Stuart Hall einmal. Im Fall des BSW könnte man den Satz umdrehen. Eine Partei ohne Theorie kann über die affektive Bespielung von Reizthemen durchaus kurzfristige Wahlerfolge erlangen – doch für den langfristigen Erfolg braucht es eine weltanschauliche Grundlage. Dass die Partei nun auf den nichtssagenden Namen »Bündnis Soziale Gerechtigkeit und Wirtschaftliche Vernunft« umgetauft werden soll, ist emblematisch für dieses Defizit.

Bei einer Pressekonferenz Anfang November deutete Wagenknecht selbst an, dass es in diesem Bereich Lücken gibt: »Ich war in meiner Zeit als Parteichefin extrem durch Aufgaben des Parteimanagements und der Organisation beansprucht«, erklärte sie. »Und zwar in einem Ausmaß, das mich für andere Aufgaben weitgehend lahmgelegt hat, das mir die Möglichkeit genommen hat, die Partei weiter inhaltlich und strategisch zu profilieren.« Darum werde sie die Vorsitzende einer neuen Grundsatzkommission.

»Der fundamentale Widerspruch, der nun offen zu Tage tritt, ist, dass das BSW eigentlich als Anti-Establishment-Partei angetreten ist, dabei aber fast ausschließlich auf parlamentarische Repräsentanz gesetzt hat.«

Eigentlich wäre es auch Aufgabe einer parteinahen Stiftung, an der theoretischen Unterfütterung zu arbeiten. Doch von der »Stiftung für Frieden, Vernunft und Gerechtigkeit« ist seit ihrer Gründung vor knapp einem Jahr nichts zu hören. Dabei gäbe es durchaus theoretische Angebote, um eine Partei wie das BSW ideologisch zu unterfüttern. Man könnte offensiv an kommunitaristische Konzepte anknüpfen, die Gemeinschaft und soziale Bindungen in den Mittelpunkt stellen. Man könnte sich auf einen demokratischen Republikanismus berufen, der wirtschaftliche Unabhängigkeit als Voraussetzung für politische Teilhabe begreift. Oder man könnte, wie es Wagenknecht zum Teil andeutet, einen aufgeklärten Konservatismus vertreten.

Stattdessen scheint sich eine postpolitisch-pragmatische Sicht breitgemacht zu haben. So forderte Wagenknecht vor der Bundestagswahl statt einer Koalition unter Scholz oder Merz eine »Expertenregierung«. Mit dem »Sozialismus in Chanel«, vor dem Friedrich Merz vor der Wahl warnte, hat das nichts zu tun.

Weil aber nicht nur für den politischen Gegner, sondern auch für Sympathisanten unklar ist, wofür das BSW eigentlich steht, ist es kein Wunder, dass seine Bindungskraft fast die geringste unter allen Parteien ist. Laut Forsa würden nur 46 Prozent derjenigen, die im Februar ihr Kreuz beim BSW machten, die Partei auch im November 2025 noch wählen. Nur bei der FDP war das Ergebnis leicht schlechter. Die größte Bindekraft hat übrigens die AfD – mit 90 Prozent.

Nicht für die Straße gemacht

Der knappe (und potenziell nicht dem Wunsch der Wähler entsprechende) Nicht-Einzug in den Bundestag mit 4,98 Prozent wäre für jede neugegründete Partei verheerend. Doch es gibt ein strukturelles Problem, das es für das BSW besonders schwierig macht, sich davon zu erholen. Das Führungspersonal rekrutiert sich zu großen Teilen aus parlamentarischen und Parteistrukturen, insbesondere aus ehemaligen SPD- und Linken-Abgeordneten. Diejenigen, auf die das nicht zutrifft, waren vor der Parteigründung meist nicht politisch engagiert. Erfahrungen mit erfolgreichen außerparlamentarischen Bewegungen hat kaum jemand.

Es ist also bloß ehrlich, wenn der Berliner Landesvorsitzende Alexander King sagt: »Wir sind keine Bewegung, wir sind eine Partei.« Das BSW profitierte anfänglich enorm davon, dass zehn Abgeordnete bereits im Bundestag saßen. Das bedeutete Zugriff auf Mitarbeiter, Strukturen, Geld – und vor allem die Sicherheit, medial wahrgenommen zu werden.

»Es ist trotz aller fehlenden Inhalte nicht völlig ausgeschlossen, dass sich die Partei über Wasser hält, bis eines ihrer Kernthemen wieder aufbrandet. Die zunehmende Wiederaufrüstung Europas, bei der Deutschland eine führende Rolle einnehmen soll, könnte ein solches Thema sein.«

Der fundamentale Widerspruch, der nun offen zu Tage tritt, ist, dass das BSW eigentlich als Anti-Establishment-Partei angetreten ist, dabei aber fast ausschließlich auf parlamentarische Repräsentanz gesetzt hat. Das wird jetzt, da dieser Zugriff aufs Parlament fehlt, zum Problem.

Die meisten Beobachter gehen davon aus, dass die frühen Regierungsbeteiligungen ein Fehler waren. So hat das BSW allein in Thüringen nach der Koalitionsbildung mit der CDU bei der Bundestagswahl 66.000 Stimmen im Vergleich zur Landtagswahl verloren – gut 35 Prozent ihrer Wähler. Auch diese Entscheidung hat mit dem Parlamentsfokus zu tun. Für viele Beteiligte war der Wechsel zum BSW eine Möglichkeit, ihren Karrieren Aufschwung zu verleihen. Hätte man sich der Regierungsbeteiligung verweigert, wäre von dem persönlichen Aufschwung nicht viel übriggeblieben. Langfristig hätte es der Partei aber wahrscheinlich geholfen, sich zu konsolidieren.

Kann sich das BSW erholen?

Den Abgesang sollte man dennoch nicht zu früh anstimmen. Inzwischen gibt es über 7.000 Mitglieder, bundesweit über 100 Kreisverbände, Landesverbände in allen Ländern und einen eigenen Jugendverband. Es ist trotz aller fehlenden Inhalte nicht völlig ausgeschlossen, dass sich die Partei über Wasser hält, bis eines ihrer Kernthemen wieder aufbrandet. Die zunehmende Wiederaufrüstung Europas, bei der Deutschland eine führende Rolle einnehmen soll, könnte ein solches Thema sein.

Dass Wagenknecht nun Vorsitzende einer Grundwertekommission wird, wurde medial vor allem als letzter Rettungsanker verstanden. Tatsächlich könnte es aber enorm wichtig sein, gerade diese grundsätzliche Ausrichtung zu klären, um langfristig die Bindungskraft zu potenziellen Mitgliedern und Aktivisten zu erhöhen – oder überhaupt erst herzustellen.

Sollte das gelingen, könnte es wieder bergauf gehen. Käme dazu noch eine erfolgreiche Klage vor dem Bundesverfassungsgericht, dürften die Chancen gut stehen, dass sich die Partei nachhaltig im bundesdeutschen Parteiensystem hält. Scheitern diese beiden Punkte, dürfte sie aber sogar Schwierigkeiten bekommen, sich auch nur als regionaler Machtfaktor im Osten zu etablieren.

Nils Schniederjann ist Journalist in Berlin. Gemeinsam mit Sebastian Friedrich betreibt er den Newsletter und Podcast Über Rechts.