14. Dezember 2023
Der guyanische Historiker zeigte auf, welchen Anteil die Dritte Welt an der Entstehung des Kapitalismus hatte – und welchen der Kapitalismus an der Verelendung der Dritten Welt.
»Der Marxismus überzeugte Rodney nicht nur als Theorie. Es waren vielmehr auch die realen Erfahrungen erfolgreicher antikolonialer Befreiung durch sozialistische Bewegungen, die ihn inspirierten.«
2007 hielt der damalige französische Präsident Nicolas Sarkozy auf seiner Afrikareise eine Rede vor den Studierenden der Universität von Dakar. Darin sagte er: »Die Tragödie Afrikas ist, dass der Afrikaner noch nicht in die Geschichte eingetreten ist.« Diese Vorstellung eines Afrikas ohne historische Entwicklung und ohne eigenen Beitrag zur Weltgeschichte lässt sich schon bei Hegel finden. Bei ihm wandert der Weltgeist von Osten nach Westen und lässt Afrika links liegen. Das moderne Afrikabild im Westen unterscheidet sich davon nicht wesentlich. Es ist auch dasselbe Bild, das den Rassismus gegen afrikanische Menschen charakterisiert: kindlich und unfähig zu intellektueller Leistung.
Unter politisch interessierten Afrikanerinnen und Afrikanern ist Walter Rodneys 1972 erschienenes Buch Wie Europa Afrika unterentwickelte deshalb ein Standardwerk. Rodney ging es darum, zu beweisen, dass die Unterentwicklung Afrikas nicht Ergebnis einer natürlichen oder kulturellen Minderwertigkeit der afrikanischen Bevölkerung war, sondern ein Resultat des Kapitalismus, der in Europa entstanden war. Auch wollte er mit seinem Buch Schwarzen Menschen dabei helfen, sich ideologisch selbstzuermächtigen.
Rassismus als begleitende Ideologie des Kolonialismus hatte neben den ökonomischen und politischen Effekten auch auf das Selbstbewusstsein der Schwarzen Bevölkerung einen negativen Einfluss. Nicht zuletzt Frantz Fanon verwies auf die psychologischen Effekte des Kolonialismus und untersuchte während des Algerienkriegs den Minderwertigkeitskomplex, an dem Schwarze infolge einer rassistischen Klassengesellschaft litten.
Walter Rodney wurde in Georgetown, Guyana in eine Arbeiterfamilie geboren. Sein Studium nahm er zunächst in Jamaika an der University of the West Indies auf. Dabei setzte er sich schon früh mit der Russischen Revolution und insbesondere mit Lenin als politischer Figur auseinander und entwickelte die Vorstellung eines revolutionären Intellektuellen, die ein Leitbild in seiner Arbeit werden sollte. Die Kubanische Revolution, die weniger als 200 Kilometer von ihm entfernt stattfand und glückte, erfuhr Rodney als Moment politischer Ermächtigung. Der Marxismus überzeugte ihn nicht nur als Theorie. Es waren vielmehr auch die realen Erfahrungen erfolgreicher antikolonialer Befreiung durch sozialistische Bewegungen, die ihn inspirierten.
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Bafta Sarbo ist Sozialwissenschaftlerin und Verfasserin des Vorworts zur Neuausgabe von Walter Rodneys Wie Europa Afrika unterentwickelte (Manifest, 2023).