06. April 2020
In den kommenden Wahlen müssen Feministinnen eine klare Entscheidung treffen – wollen sie die Interessen des oberen einen Prozents der Frauen fördern oder für die Befreiung der übrigen Frauen kämpfen? Auf der Seite der 99 Prozent steht Bernie Sanders.
Bernie Sanders mit Alexandria Ocasio-Cortez bei einem Wahlkampfauftritt in Kalifornien.
Wir sind Feministinnen und stimmen für Bernie Sanders. Wir unterstützen Sanders gerade weil wir Feministinnen sind. Elizabeth Warren, Amy Klobuchar und ihre Unterstützerinnen, einschließlich der Redaktion der New York Times, bestehen darauf, dass es Zeit sei, eine Frau ins Amt zu heben. Warren und ihre Anhängerschaft betonten die Bedeutung der Geschlechterpolitik am stärksten. Und wenn Bernie Sanders nicht im Rennen wäre, würden wir ihnen vielleicht zustimmen. Aber die Sanders-Kampagne ist eine historische Chance – und zwar für Frauen.
Bitte versteht uns nicht falsch. Wir wünschen uns genauso sehr eine Präsidentin wie alle anderen. Doch dieser Wunsch darf uns nicht die Chance kosten, eine Bewegung aufzubauen, die das Leben der überwiegenden Mehrheit der Frauen verbessern kann. Genau diese Chance bietet Sanders’ Kampagne.
Weitläufig bekannt ist, dass Sanders die Interessen der 99 Prozent gegenüber denen der »Milliardärsklasse« vertritt. Weniger bekannt ist hingegen, dass seine Kampagne – und die wachsende Bewegung dahinter – gegen Sexismus kämpft, und zwar nicht nur gegen dessen offensichtliche Formen, sondern auch gegen seine tiefe Verwurzelung in der kapitalistischen Gesellschaft.
Zwar werden Bernies Kernthemen – Krankenversicherung für alle (Medicare for All), kostenloses Studium an öffentlichen Colleges, ein Mindestlohn von 15 Dollar, ein Green New Deal, die Stärkung der Gewerkschaften – nicht immer als feministisch verstanden. Doch sie richten sich gegen jene sozialen Missstände, die sich in der Ungleichheit der Geschlechter, Klassen und Ethnien niederschlagen.
Schließlich sind Frauen unter den Niedriglohnbeschäftigten überdurchschnittlich häufig vertreten. Den Mindestlohn anzuheben, bedeutet einen emanzipatorischen Zugewinn für Frauen – sowohl im Beruf als auch zu Hause. Und mit der rechtlichen Stärkung von Gewerkschaften wird uns Frauen eine mächtige Waffe im Kampf gegen sexuelle Belästigung und sexuelle Übergriffe am Arbeitsplatz an die Hand gegeben.
Es sind auch in erster Linie Frauen, die von Medicare for All profitieren würden und nur Sanders unterstützt diese Forderung vorbehaltlos: Frauen nehmen häufiger Gesundheitsdienste in Anspruch als Männer und haben somit auch höhere medizinische Ausgaben. Insbesondere Afroamerikanerinnen, Latinas und indigene Frauen würden davon profitieren, denn im gegenwärtigen, gewinnorientierten System ist die Versichertenquote in dieser Gruppe weitaus niedriger als unter weißen Frauen.
Dann ist da noch der Green New Deal. Zurecht wird von ihm gesagt, dass er allen zu Gute kommt. Doch das liegt daran, dass er nicht nur ökologisch und arbeiterfreundlich, sondern auch antisexistisch und antirassistisch ist. Denn gegenwärtig müssen Frauen und nicht-weiße Communities bis zum Letzten um Grundlagen des Überlebens kämpfen, wie etwa um sauberes Wasser in Flint oder Dakota. Sie werden überproportional von umweltfreundlichen Infrastrukturinvestitionen profitieren sowie von den damit verbundenen, gut bezahlten Gewerkschaftsjobs. Der Green New Deal verkörpert ein aktivistisches Versprechen, denn er fordert, sich sowohl der umweltzerstörenden Politik des Kapitalismus als auch den eingefahrenen, rassistischen und patriarchalen Strukturen, die den Status quo bewahren, entgegenzustellen.
Wenn es um die sogenannten »Geschlechterthemen« geht, ist Sanders von allen Kandidatinnen und Kandidaten im Rennen weitaus der Überzeugendste: reproduktive Rechte, Kinderbetreuung, Elternzeit und Trans-Rechte. Lippenbekenntnisse abzugeben fällt bei diesen Fragen leicht und so tun es Einige auch. Doch die Sanders-Kampagne benennt die materiellen und sozialen Ressourcen, die notwendig sind, um Rechte auf dem Papier in tatsächliche Freiheiten zu verwandeln. Bernies Medicare for All bietet beispielsweise uneingeschränkten Zugang zur reproduktiven Gesundheitsversorgung, einschließlich Abtreibung. Dafür kämpfen wir Feministinnen seit Jahrzehnten. Es ist die einzig wahre Pro-Choice-Position: Was nützt das Recht auf Abtreibung, wenn man es sich nicht leisten kann oder niemand Abtreibungen durchführt?
Elizabeth Warren verdient sicherlich Anerkennung dafür, das Thema der Kinderbetreuung in ihrer Kampagne hervorgehoben und ausführlich darüber gesprochen zu haben. Doch Bernie Sanders setzt sich seit Jahrzehnten für eine allgemeine Kinderbetreuung von Kleinkindern ein. 2011 brachte er eine Gesetzesvorlage ein, die darauf abzielte, allen Kindern von der sechsten Lebenswoche bis zum Kindergartenalter sowohl Kinderbetreuung als auch Früherziehung anzubieten. Sanders ist außerdem der einzige Kandidat im Rennen, der den öffentlichen K-12-Bildungsbereich (das, was in den USA der universellen Kinderbetreuung am nächsten kommt) schützen und gerechter gestalten möchte, unter anderem durch Gehaltserhöhungen für die (mehrheitlich weibliche) Belegschaft.
Die Sanders-Kampagne behandelt also »Frauenprobleme« grundsätzlich nicht als bloße Ergänzungen. Anders als die meisten seiner Konkurrentinnen und Konkurrenten geht Bernies Politik davon aus, dass Reformen bei der Organisation der Lohnarbeit mit Reformen bei der Organisation der unbezahlten Pflegearbeit einhergehen müssen und umgekehrt. Damit wird eine zentrale feministische Einsicht zum Ausdruck gebracht, nämlich, dass die Bereiche der Lohn- und Reproduktionsarbeit so tief miteinander verwoben sind, dass man sie nicht unabhängig voneinander transformieren kann. Nur eine grundlegende, gleichzeitige Erneuerung beider Bereiche kann eine uneingeschränkte und gleichberechtigte Teilhabe von Frauen an der Gesellschaft ermöglichen.
Sanders ist auch in Fragen der Einwanderung und Außenpolitik die bestmögliche feministische Wahl. Die USA haben in Afghanistan, dem Irak und anderen Nahoststaaten katastrophale militärische Gewalt entfesselt. Sie haben unzählige Staatsstreiche und destabilisierende imperialistische Projekte in Mittel- und Südamerika unterstützt – alle mit eindeutigen geschlechterspezifischen Auswirkungen. Dort und anderswo sind in erster Linie Frauen für die Sicherheit und das Überleben von Familien und Gemeinschaften verantwortlich. Diese ohnehin herausfordernde Arbeit wird unerträglich, wenn Gewalt, Konflikte und autoritäre Unterdrückung ein normales Alltagsleben unmöglich gemacht haben. Die Menschen, deren Aufgabe die Erziehung der nächsten Generation ist, trifft dies besonders hart. Sie versuchen, durch Flucht ihre Kinder vor Gewalt zu Hause zu schützen, nur um dann einer militarisierten Grenze und dem US-Regime gegenüberzustehen, das Kinder allzu bereitwillig einsperrt. Sanders und seine Bewegung sind die einzigen politischen Akteure, die an dieser mörderischen Einwanderungs- und Außenpolitik etwas verändern wollen. Dies hat für jede ernsthafte feministische Bewegung oberste Priorität.
Ebenso wichtig ist, dass die Sanders-Kampagne die sozialen Kräfte, die ihren feministischen und arbeiterfreundlichen Zielen im Wege stehen, als solche richtig erkannt hat. Wie Sanders oft betont, sind das die Milliardäre und die Megakonzerne (Banken, Pharma-, IT-, Versicherungsunternehmen und Unternehmen für fossile Brennstoffe). Als Feministinnen sind wir besonders in der Pflicht, uns den progressiven Neoliberalen unter uns zu widersetzen: diejenigen, die mit solchen Superreichen verkehren, die für »Lean In« und das »Durchbrechen der gläsernen Decke« stehen und die gleichzeitig die überwiegende Mehrheit der Frauen der räuberischen Gier der Unternehmen ausliefern. Wir sollten uns auch denjenigen widersetzen, die geschlechterspezifische Missstände instrumentalisieren, um Sanders zu untergraben, die Linke zu spalten und die intriganten Zentristen und Konservativen zu stärken, die uns wiederholt und rücksichtslos im Stich gelassen haben.
Umgekehrt erkannte die Sanders-Kampagne, wer unsere wahrscheinlichsten und vielversprechendsten Verbündeten sind: die Gewerkschaften, Antirassistinnen, Eingewanderte, Umweltschützerinnen und Umweltschützer und alle »Arbeiterinnen und Arbeiter« – sowohl bezahlte als auch unbezahlte. Nur zusammen mit ihnen können wir Feministinnen die nötige Kraft aufbringen, um unsere Feinde zu besiegen und soziale Gerechtigkeit zu verwirklichen.
Ohne eine solche Perspektive und ohne die Bündnisse, die aus ihr entstehen, laufen Feministinnen Gefahr, eine unheilige Allianz mit der Wall Street einzugehen, die 2016 Hillary Clintons Nominierung sicherte und uns damit Donald Trump bescherte. Eine Wiederholung dieses Debakels ist das Letzte, was wir jetzt brauchen!
Schließlich sollten Feministinnen erwägen, wer wirklich verlässlich für die Interessen von Frauen kämpfen wird – und wer weiterhin eine Politik für die 99 Prozent machen wird. Zwar enthalten auch die Programme anderer Kandidatinnen und Kandidaten feministische Elemente. Doch diese haben gleichzeitig auch ihre Bereitschaft signalisiert, irgendwann mit der Klasse der Großspender ihren Frieden zu schließen. Einzig Sanders versteht, dass auch nach den Wahlen im November ein Kampf der Bevölkerungsmassen notwendig sein wird. Nur seine Kampagne hat sich zum Ziel gesetzt, eine Bewegung für den großen Strukturwandel aufzubauen, den Frauen brauchen.
Außerdem versteht die Sanders-Kampagne, dass eine solche Bewegung eine Stärkung unseres Solidaritätsgefühls erfordert. Mit ihrem Aufruf »für Menschen zu kämpfen, die wir nicht kennen« werden Feministinnen gefordert, in antirassistischen, in ökologischen, in migrantischen, in gewerkschaftlichen und anderen Kämpfen von Arbeiterinnen und Arbeitern aktiv zu werden. Selbst wenn wir gerade den Sexismus bekämpfen.
Werden wir uns dieser Herausforderung stellen?
In den kommenden Wahlen müssen wir eine klare Entscheidung treffen. Was ist unser wichtigstes oder drängendstes Ziel: Eine Frau ins Weiße Haus zu bringen und hoffen, dass die Gewinne bis nach unten zu allen anderen durchsickern? Oder sich einer Kampagne anschließen, welche die Bedürfnisse und Hoffnungen der überwiegenden Mehrheit der Frauen nach vorne stellt? Ebenso stellt sich die Frage nach der wahren Bedeutung des Feminismus und der Geschlechtergleichstellung: die Gleichstellung von Männern und Frauen innerhalb der privilegierten Klassen, und damit eine gleichberechtigte Unterdrückung aller anderen? Oder die Gleichstellung der Geschlechter in einer Gesellschaft, die zum Nutzen der 99 Prozent organisiert ist?
Mit anderen Worten: Gehen wir der zynischen Bezugnahme auf den Feminismus auf den Leim, mit der versucht wird, eine fortschrittliche Massenbewegung zu untergraben? Oder unterstützen wir den einzigen Kandidaten, dessen Politik das Leben aller Frauen der 99 Prozent tatsächlich verbessern wird?
Bernie Sanders ist dieser Kandidat. Nicht obwohl, sondern weil wir Feministinnen sind, erklären wir mit Stolz unsere Unterstützung für ihn.
Bernie ist die wahre feministische Wahl.