16. November 2022
Um den Verkauf eines Hamburger Hafenterminals an einen chinesischen Investor hat sich eine hitzige Debatte entzündet. Um Sicherheitspolitik geht es dabei nur vordergründig. Denn der Streit offenbart vor allem Konstruktionsfehler der neoliberalen Globalisierung.
Der Verkauf von Anteilen des Containerterminals Tollerort an das chinesische Staatsunternehmen Cosco hat für Kontroversen gesorgt, Hamburg, 22. Oktober 2022.
IMAGO / NikitaIm Oktober wurde bekannt, dass 35 Prozent des Terminals Tollerort am Hamburger Hafen an Cosco Shipping Ports Limited (CSPL), mehrheitlich im Besitz des chinesischen Staatskonzerns China Cosco Shipping Corporation, kurz Cosco, verkauft werden sollen. Sechs Bundesministerien legten Einspruch gegen die Investition ein. Kanzler Scholz beharrte jedoch auf den Abschluss des Deals, um den eine intensive Debatte entbrannte.
»In der Eurokrise galten chinesische Investoren noch als Retter in der Not. Chinesische Finanziers wurden als Garanten für Stabilität, Wachstum und Arbeitsplatzsicherheit hofiert.«
Der Tenor der Diskussion: Die russische Invasion in der Ukraine habe bewiesen, dass kritische Infrastruktur nicht der Kontrolle eines autoritären Staates unterliegen dürfe. Die Abhängigkeit von Chinas Volkswirtschaft sei ohnehin zu groß. Außerdem verfolge Cosco eine gewiefte Strategie. Die chinesische Reederei kaufe sich systematisch in die europäische Hafeninfrastruktur ein, China hingegen halte Schlüsselsektoren seiner eigenen Wirtschaft vor ausländischen Investoren verschlossen. Der spätere Regierungskompromiss ist hinlänglich bekannt: Cosco übernimmt 24,9 Prozent des Terminals und wird somit keinen Einfluss auf strategische Entscheidungen der Betreibergesellschaft HHLA (Hamburger Hafen und Logistik AG) ausüben können.
Das sogenannte Landlord-Hafen-Modell (landlord port model), bei dem das Eigentum an Flächen und Infrastruktur in öffentlicher Hand bleibt, während die Frachtterminals von Betreibergesellschaften und finanzstarken Anlegern gepachtet werden, ist keine Erfindung von Cosco. Die Reederei, die mittlerweile die viertgrößte weltweit ist, hält heute Anteile an verschiedenen europäischen Hafenterminals, darunter im belgischen Zeebrugge, im spanischen Valencia oder dem niederländischen Rotterdam. Doch auch viele andere große Reedereien haben weltweit investiert, so auch die Marktführer APM-Maersk, Mediterranean Shipping Company und die CMA CGM Group.
Verschiedene europäische Reedereien halten umfangreiche Anteile an Hafenterminals in China. So ist APM-Maersk an Terminals in insgesamt elf Häfen beteiligt, darunter in einigen der weltweit größten Containerhäfen wie Shanghai, Tianjin und Qingdao. Auch die französische CMA CGM Group ist über das Joint Venture Terminal Link beispielsweise in Qingdao vertreten. Weitere namhafte Investoren sind die Hafenwirtschaftskonzerne Dubai Ports World (DPW) oder PSA International aus Singapur. Die Eigentumsverhältnisse an Chinas Frachtterminals wurden in der hiesigen Debatte geflissentlich ignoriert.
Zudem sieht das neoliberale Landlord-Hafen-Modell vor, dass die Hafenentwicklung durch Investitionen der großen Reedereien und Hafenwirtschaftskonzerne vorangetrieben wird, die den Güterumschlag erhöhen. Dabei handelt es sich also um klassische Standortpolitik in einem globalen Wettbewerb. Anders ausgedrückt: Wo der Seehandel über große Reedereien abgewickelt wird, folgen Investitionen, so auch beim Hamburger Hafen, der ein wichtiger Umschlagplatz für den deutsch-chinesischen Handel ist.
Hamburg ist einer der bedeutendsten europäischen Frachthäfen und konkurriert mit noch größeren Spielern wie dem europäischen Branchenprimus Rotterdam. Die Stadt Hamburg will also den Standort fit machen für den globalen Wettbewerb, während der Bund eine sicherheitspolitische Bedrohung nationaler Tragweite heraufziehen sieht. Kanzler Scholz, ehemals Hamburger Bürgermeister, wagte den Spagat zwischen beiden Lagern. Das Ergebnis: Viel Schall und Rauch und eine Kompromissformel.
Das Landlord-Hafen-Modell ist also sowohl in Asien und Europa schon lange gängig, sodass sich die Frage stellt, warum die Debatte derart aufgeheizt verlief. Die Gründe dafür gehen dem russischen Angriffskrieg auf die Ukraine voraus. Bereits zuvor war eine Neuorientierung der europäisch-chinesischen Wirtschaftsbeziehungen in vollem Gange. Noch in der Eurokrise ab dem Jahr 2010 galten chinesische Investoren als Retter in der Not. Ob spanische Staatsanleihen, notleidende deutsche Industriebetriebe oder der griechische Hafen in Piräus: chinesische Finanziers wurden als Garanten für Stabilität, Wachstum und Arbeitsplatzsicherheit hofiert.
Etwa seit dem Jahr 2017 hat sich das China-Bild in der deutschen Öffentlichkeit jedoch gewandelt. Die chinesischen Direktinvestitionen in der EU hatten im Vorjahr mit 44,2 Milliarden US-Dollar einen Rekordstand erreicht, die Übernahme des Augsburger Industrieroboterherstellers Kuka durch den chinesischen Haushaltsgerätehersteller Midea im gleichen Jahr wirkte wie ein Warnsignal an die deutsche Politik. Gleichzeitig drängen große chinesische Firmen auf den EU-Binnenmarkt.
»Im Grunde entzünden sich viele der aktuellen Konflikte an unterschiedlichen Vorstellungen der Globalisierung. Die staatsgeleitete Globalisierung in China trifft auf das EU-weite neoliberale Modell.«
Ein Beispiel dafür ist der größte Schienenfahrzeughersteller der Welt, der chinesische Konzern CRRC (China Railway Rolling Stock Corporation). Der Versuch von Alstom und Siemens, durch eine Fusion ihrer Bahnsparten einen konkurrenzfähigen »Eurochampion« zu schaffen, scheiterte 2019 am Veto der EU-Wettbewerbskommissarin Margrethe Vestager. Selbst in industriellen Kernbranchen wie der deutschen Automobilindustrie geht heute die Angst vor chinesischen Wettbewerbern um. Batteriehersteller wie CATL oder SVolt drohen, den Markt in Europa aufzurollen.
Hinzu kam, dass zentrale europäische Wirtschaftsakteure wie der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) und Business Europe das wirtschaftliche Umfeld in China neu bewerteten. Industriepolitische Initiativen wie der »Made in China 2025«-Plan stärkten die Position der chinesischen Wettbewerber auf dem heimischen Markt und drängten europäische Zulieferer aus den Wertschöpfungsketten.
Die EU bezeichnete daraufhin China in offiziellen Dokumenten nicht mehr nur als Partner, sondern auch als Wettbewerber und Systemrivalen. Zunächst bezog sich diese Neubewertung vor allem auf das chinesische Wirtschaftsmodell. Der chinesische Staatskapitalismus zeichne sich durch selektiven Protektionismus und staatliche Regulierungen aus, hinzu komme die Internationalisierung hochsubventionierter Staatsunternehmen. Dabei wird immer wieder das Schlagwort »Reziprozität« ins Feld geführt: Aus der Perspektive der EU-Kommission sollen gleiche Wettbewerbsbedingungen hergestellt werden. Im Grunde geht es dabei um Freihandel und die Liberalisierung des Kapitalverkehrs. Der chinesische Parteistaat verwehrt sich jedoch einer umfassenden Marktöffnung nach europäischen Vorstellungen, da diese dem chinesischen Entwicklungsmodell zuwiderlaufen.
Das zeigt sich etwa im Bereich der Hafenlogistik: China lässt ausländische Investitionen in Terminals an den Seehäfen zu, aber belässt die Kontrolle des Geschäfts bei den örtlichen Betreibergesellschaften. Gleichzeitig bleiben die Binnenhäfen in inländischer Hand. Der chinesische Staat hat mit Cosco zudem einen Trust geschaffen, der im Jahr 2015 aus der Fusion zweier Staatsunternehmen, Cosco und Ocean Shipping, entstanden ist und seitdem erfolgreich global expandiert.
Die Gründe für das staatsgeleitete Modell in der Hafenwirtschaft sind auch historisch bedingt. Die europäischen Kolonialmächte erzwangen im 19. Jahrhundert die Etablierung von Vertragshäfen in China, die für den ausländischen Handel geöffnet wurden und als Brückenkopf für den europäischen Imperialismus dienten.
Im Grunde entzünden sich aber viele der aktuellen Konflikte an unterschiedlichen Vorstellungen der Globalisierung. Die staatsgeleitete Globalisierung in China trifft auf das EU-weite neoliberale Modell. Um das freie Spiel der Märkte zu schützen, reagieren die EU und auch Deutschland mit defensiven Maßnahmen in der Außenwirtschaft.
Auf europäischer Ebene wurden etwa verschiedenste Instrumente wie ein Screening-Verfahren für ausländische Investitionen oder das International Procurement Instrument zur Regulierung des staatlichen Beschaffungswesens verabschiedet. Sie wirken als »Filter-Funktionen« gegenüber staatskapitalistischen Wirtschaftsakteuren und möglichen Marktverzerrungen, insbesondere gegenüber China. Durch den neuen geopolitischen Wettbewerb zeigen sich Konstruktionsfehler der europäischen Integration. Sie setzt seit Mitte der 1980er Jahren vor allem auf »negative Integration« und damit primär auf Deregulierung und freien Wettbewerb.
»Die Auseinandersetzung um den Hamburger Hafen ist auch ein Stück weit Symbolpolitik innerhalb der Ampel-Koalition.«
Seit Anfang 2021 hat die primär wirtschaftliche Konkurrenz mit China zudem auch einen ideologischen Charakter angenommen. Die EU sanktionierte aufgrund von Menschenrechtsverletzungen an den muslimischen Bevölkerungsgruppen in Xinjiang chinesische Politiker und Institutionen, worauf China mit Gegensanktionen antwortete. Seitdem ist die öffentliche Meinung gegenüber China endgültig gekippt.
Mit der Ampel-Koalition kamen Ende 2021 mit den Grünen und der FDP zudem Parteien in Regierungsverantwortung, die auf eine kritischere Haltung in der bundesdeutschen Außenpolitik gegenüber China drängen. Dabei sind Konflikte mit dem sozialdemokratischen Koalitionspartner vorprogrammiert. Die Auseinandersetzung um den Hamburger Hafen ist in diesem Sinne auch ein Stück weit Symbolpolitik innerhalb der Koalition.
Klar ist, dass nicht nur die chinesisch-europäischen Beziehungen, sondern auch das Landlord-Hafen-Modell und damit eine Form neoliberaler Globalisierung in die Krise geraten ist. Die EU und deren Mitgliedstaaten hatten die Liberalisierung der Hafenwirtschaft selbst aktiv vorangetrieben, zwei Vorstöße zur Deregulierung (Port Package I und II) scheiterten jedoch am europaweiten politischen Widerstand, darunter einer Streikbewegung der Hafenarbeiterinnen und Hafenarbeiter. Diese Agenda ist heute in der Brüsseler Politik nicht mehr konsensfähig. Das Port Package III aus dem Jahr 2016 zielt zwar noch auf einheitliche Wettbewerbsbedingungen, trägt aber nicht mehr die Handschrift einer umfassenden Liberalisierung. Was jedoch bleibt, ist die fragwürdige Konkurrenz um die finanzstarken Anleger und größten Containerschiffe.
Um diese europaweite Logik zu durchbrechen, braucht es einen Paradigmenwechsel in der Hafenwirtschaft. Denn lange Zeit verschifften viele Reedereien ihre Container auch zuverlässig ohne Eigentumsanteile an Frachtterminals in Europa oder China. Hierzu zählt etwa die Hamburger Reederei Hapag-Lloyd, die bei diesem globalen Investitionsgeschäft erst sehr spät eingestiegen ist. Die entscheidende Frage ist deshalb nicht, aus welchem Land die Anleger kommen, die sich in die Häfen einkaufen, sondern die Frage nach dem Landlord-Hafen-Modell als solches: Ein politischer Gegenentwurf besteht in einer koordinierten Hafenpolitik mit umfangreichen staatlichen Investitionen. Die Frachtterminals gehören in öffentliche Hand.
Stefan Schmalz ist Forschungsgruppenleiter an der Universität Erfurt und leitet das Projekt »Streikmonitor«.