09. Februar 2023
Um die Löhne merklich nach oben zu ziehen, sind die bevorstehenden Lohnkämpfe im öffentlichen Dienst besonders entscheidend. Denn sie bilden die Voraussetzung für steigende Löhne in der Privatwirtschaft.
Die Beschäftigten der Berliner Stadtreinigung sind im Zuge der laufenden Tarifrunde am 9. Februar in den Warnstreik getreten (Symbolbild).
IMAGO / Markus HeineEs ist wohl einer der wichtigsten Lohnkämpfe seit Jahren, wenn nicht Jahrzehnten: die Tarifverhandlungen im öffentlichen Dienst. 10,5 Prozent und mindestens 500 Euro mehr Lohn, so lautet die Forderung. Das ist mehr als angemessen. Denn seit Jahren blieben die Lohnzuwächse – beim Staat und in der Wirtschaft – weit hinter dem Notwendigen zurück. 2022 ist der Reallohn aufgrund der Inflation sogar um 4,7 Prozent gesunken. Die Löhne müssen also dringend steigen. Doch an entsprechenden Lohnforderungen und politischer Unterstützung mangelte es lange.
Mittlerweile hat sich die Lage verändert: Die Preise sind massiv gestiegen und die Gewerkschaften wollen Reallohnverluste vermeiden. Und dafür kämpfen sie mit beinahe vergessenem Elan. Sie fordern etwa einen Inflationsausgleich. Ob das realistisch ist, wird in Wirtschaftskreisen allerdings bezweifelt, da weder die Auslastung noch die Nachfrage nach Arbeit entsprechend hoch ist. Durch die Erzeugerpreise und insbesondere die Energiepreise sind auch für die Unternehmen die Kosten gestiegen, weshalb die Gefahr einer Lohn-Preis-Spirale in der Debatte wieder und wieder heraufbeschworen wird. Dass das bloß Ausflüchte sind, haben die jüngsten Abschlüsse in der Metallindustrie gezeigt, wo lediglich 4 Prozent ausgehandelt wurden – also weniger als ein Inflationsausgleich.
Das zeigt: Die Voraussetzungen für die Durchsetzung hoher Lohnforderungen sind gerade nicht gegeben. Das dürfte vor allem an der mangelnden Knappheit an Arbeitskräften liegen, die eine Grundlage für steigende Löhne bildet. Für den öffentlichen Sektor ist das aber nicht der ausschlaggebendste Faktor. Denn wie hoch staatliche Löhne ausfallen, ist vor allem eine politische Entscheidung.
Bei den Tarifverhandlungen im öffentlichen Dienst stehen sich zwar auch zwei Tarifparteien gegenüber, allerdings sind sie anders besetzt als bei klassischen Lohnauseinandersetzungen. Auf der einen Seite stehen die Gewerkschaften mit über 2,5 Millionen Beschäftigten unterschiedlichster Berufsfelder, Gehaltsklassen und Ausbildungsniveaus. Auf der anderen Seite steht allerdings kein privater Arbeitgeber, sondern der Staat mit Innenministerin Nancy Faeser von der SPD und die Vereinigung der kommunalen Arbeitgeberverbände, die den Großteil der 2,5 Millionen Angestellten des öffentlichen Dienstes beschäftigen.
Schon vor der ersten Verhandlungsrunde verwies Faeser auf die angespannte Haushaltslage. Infolgedessen endete die erste Verhandlungsrunde ergebnislos. Das ist beachtlich, denn hier verhandelt jene SPD, deren Wahlkampfmotto noch der Respekt war. Es ist klar: Der Staat in Form von SPD-Spitzenfunktionärinnen steht hier nicht hinter den Beschäftigten, er steht ihnen gegenüber. Dabei könnte der Staat genau an dieser Stelle das zukünftige Lohngefüge fundamental zugunsten der Beschäftigten verschieben.
Nochmal: Es geht um 2,5 Millionen Beschäftigte. Das sind knapp über 5 Prozent aller Beschäftigten. Wenn ihre Löhne deutlich steigen, hat das Strahlkraft in etliche andere Bereiche. Zuallererst würde die Nachfrage erheblich steigen. Denn es geht um rund 20 Milliarden Euro an höheren Löhnen für die Staatsbediensteten – und das jährlich. Wenn das die Wirtschaft angekurbelt, bereitet das wiederum eine wichtige Voraussetzung dafür, dass es auch im Privatsektor steigende Löhne geben kann. Aus dieser Auslastung folgt eine höhere Nachfrage nach Arbeitskraft, woraus bei ähnlichem Angebot höhere Preise für Arbeit durchsetzbar werden. Das ist praktisch die makroökonomische Grundlage für Lohnsteigerungen.
Außerdem setzen Tarifergebnisse den Maßstab für zukünftige Tarifverhandlungen. Einerseits werden sie kurzfristig als Orientierungspunkt bei direkt bevorstehenden Tarifauseinandersetzungen – zum Beispiel bei der Deutschen Post, dem Einzelhandel oder dem KFZ-Gewerbe – dienen. Andererseits steigt durch höhere Löhne im öffentlichen Sektor auch die Wettbewerbsfähigkeit des Staates in der Konkurrenz um Arbeitskräfte. Das hat gleich mehrere Folgen. Zum einen entzieht ein attraktiverer Staat der Privatwirtschaft Arbeitskräfte, was die Knappheit und somit den Preis für Arbeit in der Privatwirtschaft erhöht. Daneben kann der Staat durch eine höhere Handlungsfähigkeit auch die wirtschaftliche Auslastung erhöhen, indem zum Beispiel Planungsrückstände aufgeholt werden. Auch das erhöht die Auslastung der Wirtschaft und damit die Knappheit und den Preis für Arbeit.
Der Lohn im öffentlichen Dienst ist daher einer der wenigen mächtigen Instrumente, um die Lohnquote insgesamt nach oben zu ziehen. Dazu braucht es allerdings noch weitere staatliche Ausgaben, damit die Wirtschaft gut läuft. Gleichzeitig besteht aber immer die Gefahr, dass die Unternehmen die Preise erhöhen, um ihre Gewinnquote gleich zu halten. Um das zu verhindern, muss der Staat den Wettbewerb und die Preisbildung überwachen – mit dem Ziel, dass Firmen die Preise nicht erhöhen, sondern ihre Gewinne reduzieren.
Um das alles zu verhindern, argumentiert Chefverhandlerin Faeser mit Fiskalkonsveratismus: Den Kommunen, die rund drei Viertel der Lohnkosten tragen, fehle schlichtweg das Geld, um höhere Löhne zu zahlen. Das ist allerdings eine Nebelkerze, da die finanzielle Situation der Kommunen nicht in Stein gemeißelt ist. Die Ampel hat sogar bereits eine Verabredung zur Findung einer Altschuldenregelung der Kommunen im Koalitionsvertrag festgeschrieben. Bedeutet: Je höher die Löhne ausfallen, desto mehr Druck lastet auf Lindner, damit der Bund die Schulden übernimmt und Spielräume bei den Kommunen ausweitet. Entscheidend ist dabei, dass sich Lindner nicht mit seiner Forderung durchsetzen darf, auch auf kommunaler Ebene eine Schuldenbremse zu installieren.
Auch der Bund braucht dann neue finanzielle Spielräume, da diese aktuell durch Lindners Blockade bei Steuern und Schulden begrenzt sind. Wenn sich die SPD für politisch motivierte höhere Löhne im öffentlichen Dienst einsetzen würde, dann würde auch Lindner bei Steuern und Schulden stärker unter Druck gesetzt. Höhere Löhne im öffentlichen Dienst verlangen auch nach einer Debatte über Steuern und Schulden.
Um die höheren Löhne im öffentlichen Dienst durchzusetzen, braucht es eine Allianz aus Staat und Arbeit. Die SPD müsste sich daher gegen die FDP und nicht gegen die Beschäftigten stellen. Ein paar Zugeständnisse könnte es zwar auch geben, wenn der finanzielle Handlungspielraum gleich bliebe. Wenn die Schuldenbremse aber weiterhin besteht, werden diese Zugeständnisse durch die Schuldenbremse auf Kosten anderer Bereiche gehen – womöglich etwa dem Sozialbudget. Wichtig ist also, dass sich der finanzielle Handlungsspielraum vergrößert – über Steuern und Schulden. Erst dann entstehen die Spielräume, um erstens die Löhne anzuheben und zweitens die Wirtschaft in Schwung zu bringen. Und erst dann sind die Voraussetzungen dafür gegeben, dass es auch im Privatsektor bedeutende Lohnsteigerungen geben kann – die den Arbeiterinnen und Arbeitern die letzten Jahre vorenthalten wurden.
Lukas Scholle ist Volkswirt, Wissenschaftlicher Mitarbeiter für Finanzpolitik im Deutschen Bundestag und Kolumnist bei JACOBIN.