03. Mai 2023
Rechtsradikale wie Martin Sellner, Björn Höcke oder Hans-Georg Maaßen schwärmen von Japan und seiner Kultur. Neu ist diese Japan-Faszination nicht – sie knüpft an die Ideologie der Nazis an.
Plakat zur Bewerbung des Dreimächtepakts, etwa 1941.
CC BY SA 3.0Der ehemalige Präsident des Verfassungsschutzes und jetzige Vorsitzende des CDU-Quertreibervereins Werte Union Hans-Georg Maaßen berichtet in einem Youtube-Interview von seinem Faible für Japan: »Sie haben damals von Deutschland gelernt und sind dann konsequent auf dem richtigen Weg geblieben.«
Nach dem Jura-Studium reiste Maaßen, den selbst Friedrich Merz für zu rechts für die CDU hält, nach Japan. Er arbeitete in Tokyo bei der Industrie- und Handelskammer und lernte dort seine japanische Ehefrau kennen. Maaßen will – wie auch viele andere Vertreter der Neuen Rechten – mit Japan-Mythen Politik machen.
Das mag auf den ersten Blick irritieren. Ist es nicht seltsam, dass die radikale Rechte, die eigentlich andere Kulturen abwertet, ein so weit von Deutschland entferntes Land wie Japan für sich entdeckt?
Diese Japanbegeisterung ist unter Rechten hingegen nichts Neues. Maaßen zieht in seiner Argumentation eine lange historische Linie bis in das 19. Jahrhundert. Vor der Öffnung gen Westen Mitte des 19. Jahrhunderts habe sich der feudale japanische Staat isoliert und deshalb eine einzigartige und einheitliche Kultur entwickeln können. Als Japan sich auf den Weg der Modernisierung gemacht habe, um nicht von Amerikanern oder Europäern kolonisiert zu werden, habe es viel vom Deutschen Kaiserreich gelernt. Die japanischen Menschen wurden, wie Maaßen betont, als »die Preußen Asiens« bezeichnet.
Damit hat Maaßen Recht, denn gerade im Bereich des Staatsrechts und der Philosophie galt Deutschland der japanischen Politik als Vorbild, von dem sie lernen wollte. Das imperialistische und kolonialistische Preußen symbolisiert für Maaßen und viele andere Rechte ein starkes Deutschland, zu dem sie am liebsten zurückkehren würden. Japan habe sich diese Lernfreude erhalten und sei als wirtschaftliche Großmacht bis heute auf dem richtigen Weg geblieben.
Maaßen bemüht, wie auch die AfD, die Rede von der Normalität. Japan sei nämlich ein erfreulich »normales« Land, in dem es eine verlässliche Infrastruktur, ein konsequentes Rechtssystem gebe und Pünktlichkeit die Regel sei. Die Zeit ab Mitte der 1930er und bis Mitte der 40er Jahre klammert Maaßen in seiner Geschichtsbetrachtung völlig aus. Damals brachte Japan als autoritärer Staat mit expandierendem Kolonialreich (die sogenannte »Großostasiatische Wohlstandssphäre«) zusammen mit dem faschistischen Italien und Nazi-Deutschland enormes Leid über die Welt. Vor allem Ost- und Südostasiatinnen und -asiaten wurden Opfer des japanischen Imperialismus. Japan ging etwa brutal in seiner Kolonie Korea vor und rief in der Mandschurei den Marionettenstaat Mandschukuo aus. Außerdem beging das japanische Militär Massaker in chinesischen Städten und Dörfern wie Nanjing und zwang Frauen zur Prostitution.
Maaßen zeichnet ein Bild der historischen Kontinuität. In Japan würden »Demut und Tradition« noch etwas gelten und die Ahnen verehrt werden. Außerdem werde auf »Homogenität« geachtet. Fremde Einflüsse, die nicht zur Nation passten, würde die japanische Politik einfach aussondern. Als Beispiel führt Maaßen hier die Vertreibung christlicher Missionare an. Die hätten lediglich den Einmarsch des Westens vorbereiten wollen. Die Geschichte und die Verankerung des Christentums in Japan wischt er damit einfach weg, weil sie nicht in seinen Mythos der Homogenität Japans passt.
Ob Japan wirklich so ist, wie Maaßen es in seinem Idealbild zeichnet, scheint ihm gleichgültig zu sein. Für ihn ist das Land nichts weiter als eine Kontrastfolie zu seiner eigenen Nation, die in seinen Augen in einem besorgniserregenden Zustand sei. Selbstverständlich sind für diese Verfallserscheinungen neben Merkel auch die »woken« Linken verantwortlich. Diese würden die Traditionen zerstören, Menschen »entwurzeln«, Deutschland »enthomogenisieren« und das System Familie »zersetzen«.
Während in Japan Erziehung noch dazu diene, Moral und Anpassung in der Gesellschaft zu fördern, sei die junge Generation hierzulande ungebildet und aufmüpfig, wie Maaßen an Fridays For Future festmacht. Eine Gefahr für Japan kann für Maaßen nur vom dekadenten liberalen Westen ausgehen, etwa wenn es dessen Einwanderungspolitik übernehmen und sich damit Probleme wie die Integration von Ausländern und Kriminalität ins Land holen würde. In Wirklichkeit ist Japan eine überalterte Gesellschaft, die dringend Lohnarbeiterinnen und Lohnarbeiter in bestimmten Bereichen benötigt. Deshalb hat die japanische Politik auch schon zum Teil ihre strikten Einwanderungsgesetze gelockert. Davon will Maaßen aber nichts wissen.
In Maaßens vielleicht zukünftiger Partei, der AfD, wird derweil schon einmal für eine Zuwanderungspolitik nach angeblich japanischem Zuschnitt getrommelt. Mit Verweis auf die japanische Migrationspolitik schürt die AfD die Angst vor Überfremdung und lebt ihren Chauvinismus aus. Anfangs hatte sie zunächst eine stramm neoliberale Einwanderungspolitik nach kanadischem Vorbild gefordert. Inzwischen ist auch der Faschist Björn Höcke zu einem Verfechter der »Japanisierung« der Einwanderungspolitik avanciert.
Die Forderung hat Eingang in das letzte Bundestagswahlprogramm der AfD gefunden und Jan Moldenhauer, Abgeordneter im sächsischen Landtag, hat dazu eine ganze Broschüre für das neurechte Institut für Staatspolitik geschrieben. Die Vergleichbarkeit von Deutschland und Japan ist für Moldenhauer unübersehbar, denn beide Nationen seien »organisch gewachsene und relativ homogene Schicksalsgemeinschaften«, wie er in einem Vortrag für das Institut für Staatspolitik betont. Die Bewahrung der kulturellen Identität einer Nation erachtet er als oberste Priorität, Einwanderung solle daher nur aus Gründen der reinen wirtschaftlichen Nützlichkeit gefördert werden.
Dass die japanische Wirtschaft nach dem Boom in den 1970 und 80er Jahren auch aufgrund der restriktiven Einwanderungspolitik in eine lange Rezession fiel, wird von ihm nicht thematisiert. Er fordert analog zu Japan Remigrationsprogramme, die ausgewanderte Deutsche wieder ins Land locken sollen, und die Schaffung von »Fertilitätsanreizen«. Drei Kinder zu haben, soll ihm zufolge in Deutschland als staatliches Ziel definiert werden. Für schwere körperliche Arbeit sollen, wie in Japan, »kulturnahe Gastarbeiter« ohne Aussicht auf Bleibe und ohne ihre Familien ins Land geholt werden.
Auch in anderen rechten Zusammenhängen ist Japanbegeisterung nichts Ungewöhnliches. Sie zeigt sich unter anderem auch an der Faszination für den japanischen Autor Mishima Yukio (1925–1970). Dieser schrieb Romane wie Das Geständnis einer Maske, die noch heute zum Kanon der japanischen Literatur gehören. Mishima empfand Scham vor seiner Homosexualität und litt an seiner in Jugendjahren schwachen körperlichen Verfassung. Diese kompensierte er später durch einen Körperkult und heroische Posen.
Die Niederlage Japans im Zweiten Weltkrieg und der Verlust altjapanischer Werte machten Mishima schwer zu schaffen. Deshalb gründete er eine rechtsterroristische Miliz, mit der er 1970 einen Putschversuch im militärischen Hauptquartier Japans durchführte. Er versuchte den japanischen Kaiser (Tennō) wieder in die politische Stellung zu bringen, die er vor der japanischen Kriegsniederlage innehatte. Nachdem der Putsch fehlschlug, beging Mishima Seppuku, eine rituelle japanische Form des Selbstmords durch Bauchaufschlitzen.
In neurechten Magazinen wie Sezession wird Mishimas Aufstand gegen die liberalen westlichen Werte gefeiert. Aus der Perspektive der Neuen Rechten hat sich Mishima gegen die Entfremdung des japanischen Volkscharakters und vor allem gegen die zunehmende westliche Dekadenz gestemmt. Sein Selbstmord sei als Zeichen des Protests nur konsequent gewesen. Auch sein Männlichkeits- und Soldatenkult in Kombination mit seinem Nationalismus wird bewundert. Das Einzige, was ihnen an Mishima sauer aufstößt, ist seine Homosexualität, die in ihren Augen gegen die Natur verstößt. Dies ändert aber nichts daran, dass neurechte Verlage und Modelabel Merchandise von Mishima wie Tassen oder T-Shirts verkaufen und der Posterboy der Identitären, Martin Sellner, ihn in seinen Twitter-Postings verehrt.
In einem anderen Artikel der Sezession wird die japanische Teekultur bewundert. In Deutschland kenne man so etwas wie die meditative Teezeremonie nicht und überhaupt sei die deutsche Kultur im Zerfall begriffen. Da kann Japan als Gegenbeispiel für eine verfeinerte und ästhetisch anspruchsvolle Kultur herhalten.
Es gab schon einmal eine Phase, in der sich deutsche Rechte überwiegend positiv auf Japan bezogen haben. Obwohl Hitler in Mein Kampf wegen seines Rassenwahns den japanischen Menschen und ihrer Kultur nicht viel abgewinnen konnte, wandelte sich die Darstellung des Landes innerhalb der nationalsozialistischen Japanforschung- und Publizistik schon gegen Ende der 1930er Jahre in Folge der Bündnispolitik zwischen Nazi-Deutschland und Japan.
In dieser Zeit übernahm das japanische Militär immer mehr die Kontrolle über die Politik und Japan verstärkte seine Kolonialpolitik. 1936 unterzeichnete es mit Deutschland und anderen faschistischen Staaten den propagandistischen Anti-Kominternpakt, der sich hauptsächlich gegen die Sowjetunion und ihre Verbündeten richtete. Kurz darauf fiel Japan in China ein. 1940 wurde dann der Dreimächtepakt zwischen Deutschland, Japan und Italien unterzeichnet. Spätestens zu Beginn des Dreimächtepakts überwogen positive Japanbilder.
Wie der Historiker Joachim Bieber in seinem Buch SS und Samurai zeigt, gab es einige Anstrengungen, die den Nazis genehme Japanforschung an den Universitäten staatlich zu fördern. Die meisten von ihnen konnten aber zum Glück nicht mehr realisiert werden. Dennoch produzierten einige Intellektuelle eifrig Mythen über Japan, indem sie Analogien zwischen deutscher und japanischer Kultur zogen.
Der damals bekannte Pädagoge Eduard Spranger wurde 1936 von den Nazis für ein Jahr nach Japan geschickt. Er lobte das Land, das er gemäß der japanischen Propaganda als Familiengemeinschaft idealisierte. Die Individuen seien unwichtig, was zähle sei die Familie und der Kaiser als oberster Familienvater. Spranger legitimierte den japanischen Kolonialismus, denn Deutschland und Japan betrachtete er gleichermaßen als »Völker ohne Raum«. Als herausragende Kulturmacht hätten beide Nationen das Recht, andere Völker zu kolonisieren, um sie zu »veredeln«. Damit trivialisiert Spranger die maßlosen Verbrechen, die in deutschen und japanischen Kolonien begangen worden sind.
Der Zen-Buddhismus wurde von Nazi-Intellektuellen wie Eugen Herrigel oder Karlfried Graf Dürckheim als Mystik im Sinne Meister Eckhardts eingeordnet. Zen- Meditationstechniken sollten das Aufgehen des Individuums in der Volksgemeinschaft ermöglichen und den Kampfgeist der Soldaten fördern. Immer wieder wurden die Samurai verklärt. Ihre Tätigkeit als Verwalter und Gelehrte findet kaum Erwähnung, während nur ihre Opferbereitschaft und ihr Heldenmut betont werden.
Besonders perfide zeigt sich das an dem Aufsatz »Das Ethos der Samurai« aus dem Jahre 1944, den der Philosoph Herrigel in einem Feldpostbrief an seine Philosophiestudenten schrieb, die an die Ostfront eingezogen worden waren. Ihm zufolge seien alle Samurai einem Krieger-Codex (Bushidō) gefolgt, der sie zur Opferbereitschaft und Treue verpflichtet hatte. Heute ist es klar, dass ein einheitlicher Samurai-Codex nie existiert hat. Er wurde nachträglich erfunden, um den japanischen Nationalismus zu stärken.
Doch eine historische Beschreibung der Samurai will Herrigel auch nicht liefern. Hinter Formulierungen wie, dass »Treuebruch und Verrat« bei den Samurai zur »Ausrottung« seiner Familie führte, wird seine Kriegspropaganda ersichtlich. Den Soldaten sollte Angst gemacht werden, damit sie trotz der hoffnungslosen Lage für Hitler ihr Leben aufs Spiel setzen.
Herrigel, dem nach dem Krieg aufgrund seiner Nazi-Vergangenheit die Lehrerlaubnis entzogen wurde, publizierte im Jahre 1950 mit Zen in der Kunst des Bogenschießens einen Bestseller, der weltweit in viele Sprachen übersetzt wurde. Trotz seiner verqueren Darstellung von Zen und Anklängen an die Nazi-Ideologie, gilt das Buch auch heute bei manchen Menschen als ein Standardwerk der westlichen Zen-Literatur.
Die Japan-Mythen, die in der heutigen Neuen Rechten kursieren, knüpfen also in Teilen an Nazi-Ideologie an. Sie sprechen nicht mehr so häufig vom »Volk«, sondern haben den Begriff durch eine als homogen gedachte Kultur ersetzt. Die Neuen Rechten picken sich einzelne Aspekte eines vielfältigen Landes heraus und überhöhen sie. Im Kern geht es ihnen nicht darum, Japan differenziert zu betrachten, sondern nur um die angebliche Rettung ihrer eigenen Kultur. Dafür bringen sie Japan als ein idealisiertes Gegenstück zum dekadenten Westen in Stellung.
Die Neue Rechte imaginiert Japan – wie vor ihnen schon die Nazis – als homogene Gemeinschaft, obwohl das der Realität damals wie heute zuwiderläuft. Schlüssel zu einer Art Volksgemeinschaft soll eine restriktive Einwanderungspolitik sein, die Fremde und Hilfsbedürftige ausschließt. Die Rechte bringt und brachte ihre kriegerischen und autoritären Fantasien in Form eines idealisierten Samurai-Mythos zum Ausdruck.
Der rechtsradikale Blick auf Japan korrespondiert zum Teil mit dem Blick der japanischen Bevölkerung auf sich selbst. Autoren wie der Psychiater Doi Takeo und Hamaguchi Eshun betonten die Einzigartigkeit und Gemeinschaftlichkeit der japanischen Kultur und nahmen so Einfluss auf das japanische Selbstbild. Die japanische Rechte mitsamt der LDP (Liberaldemokratische Partei), die Japan seit 1955 nur mit kurzen Unterbrechungen regiert, fördert die Mythen der absoluten Besonderheit und Homogenität der japanischen Nation. Japan übt aber nicht nur unter Rechten weltweit schon seit Jahrzehnten eine starke kulturelle Anziehungskraft aus. Das ist zu begrüßen, solange die Erzählungen über das Land nicht so einseitig und verzerrend sind, wie die Darstellungen der Rechtsradikalen.
In Japan existiert, wie in anderen Nationen auch, nicht nur eine Kultur: Die Kultur der indigenen Ainu im Norden Japans unterscheidet sich stark von der denen der anderen Japanerinnen und der Einwohner von Okinawa im Süden Japans. Auch in Japan kämpfen Lohnarbeiter für ihre Rechte. Die kommunistische Partei (KPJ) existiert schon seit 1922 und ist eine wichtige Stimme der Opposition. Die autoritäre und isolationistische Politik der Rechten in Japan und Deutschland überdeckt die Interessenskonflikte und die Überalterung der Gesellschaft nur.
Benjamin Schiffl ist Soziologe und Autor des Buches Nation zwischen Orient und Okzident. Der Blick deutschsprachiger Intellektueller auf Japan (1915–1961).