06. Dezember 2021
Lebensmittel sind keine Ware wie jede andere. Sie sind ein Grundbedürfnis. Tonnenweise Verschwendung und miese Löhne in der Lebensmittelproduktion zeigen, dass der Markt versagt. Öffentliche Supermärkte könnten das ändern.
Supermärkte bestimmen, was wir produzieren und was wir konsumieren. Diese Macht gehört unter demokratische Kontrolle.
Supermärkte sind ein unverzichtbarer Bestandteil des modernen Lebens. Die meisten von uns kaufen dort mehrmals in der Woche ein – Lebens- und Reinigungsmittel, Toilettenartikel, medizinische Grundversorgung und alles, was wir für den Haushalt brauchen. Supermärkte stehen im Mittelpunkt unseres Lebensmittelsystems. Die Produkte, die sie anbieten, wirken sich auf die Gesundheit und das Wohlbefinden der gesamten Bevölkerung aus. Ihr tatsächlicher Einfluss beruht jedoch auf ihrer Marktmacht.
Supermarktketten sind die größten Einkäufer. Ihre Entscheidungen wirken sich deshalb auf die gesamte Wirtschaft aus. Von der Frage, was landwirtschaftliche Betriebe anbauen, bis hin zur logistischen Planung von Transportunternehmen: Supermärkte bestimmen unser Lebensmittelsystem. Und dieses System funktioniert nicht. Um es zu reparieren, müssen wir die Supermärkte dem privaten Besitz entziehen.
Die Corona-Pandemie hat einmal mehr gezeigt, dass kapitalistische Lebensmittelsysteme irrational sind und den Bedürfnissen der Menschen nicht gerecht werden. Die marktgesteuerte, gewinnorientierte Landwirtschaft macht Pandemien nahezu unvermeidlich. Schon lange vor Ausbruch von Covid-19 war offensichtlich, dass das kapitalistische Lebensmittelsystem katastrophal ist. Jedes Jahr werden allein in Australien 7,3 Millionen Tonnen Lebensmittel weggeworfen. Die konservativsten Schätzungen gehen davon aus, dass zugleich über 1 Million Australierinnen und Australier von Ernährungsunsicherheit betroffen sind. Das ist absurd – und beweist erneut, dass Ernährung eine Klassenfrage ist.
Die kapitalistische Landwirtschaft zerstört den Ackerboden in alarmierendem Ausmaß und macht Lebensmittel weniger nahrhaft. Außerdem baut dieses Lebensmittelsystem auf die Arbeitskraft von Beschäftigten, die zu den am stärksten ausgebeuteten Arbeitskräften unserer Gesellschaft zählen. Hinzu kommt die Frage der globalen Erwärmung. Nicht nur werden veränderte Wetterverhältnisse einschränken, welche Art der Lebensmittel wann und wo produziert werden kann. Das Lebensmittelsystem selbst ist auch für ein Drittel der weltweiten Kohlenstoffemissionen verantwortlich.
Lebensmittel sind nicht einfach nur eine Ware, sie sind unverzichtbar und eine wertvolle, knappe Ressource. Um der beschriebenen Irrationalität ein Ende zu setzen, müssen wir die Lebensmittelproduktion und -verteilung in öffentliches Eigentum überführen und unter öffentliche Kontrolle bringen.
Es wird nicht einfach sein, dieses Ziel zu erreichen. Man kann ein so komplexes System wie unser Lebensmittelsystem nicht einfach auf einen Schlag in die öffentliche Hand überführen. Die Vergesellschaftung von Supermärkten wäre dagegen relativ einfach zu bewerkstelligen. Genau hier sollten wir ansetzen.
Der öffentliche Diskurs über Lebensmittel sieht vor allem einzelne Konsumentinnen und Konsumenten in der Verantwortung. So schön lokale Wochenmärkte auch sein mögen: Menschen davon zu überzeugen, dort ihre Einkäufe zu erledigen, wird als Strategie nicht ausreichen – vor allem wenn die Löhne sinken und die Arbeitszeiten immer länger werden. Staatliche Regulierungen können die schlimmsten Auswüchse des Marktes zurückdrängen, aber die Probleme in unserem Lebensmittelsystem erfordern mehr als das.
Mit rationaler Wirtschaftsplanung könnte man diese Probleme jedoch lösen. Tatsächlich wird unser Lebensmittelsystem bereits sorgfältig geplant, nämlich von Supermarktketten. Aber sie tun das, um Gewinne zu maximieren, und nicht im Interesse des Gemeinwohls und der langfristigen Nachhaltigkeit.
Die Supermärkte nutzen ihren Einfluss auf unsere Ernährung, um gewinnbringende, nährstoffarme Lebensmittel zu verkaufen. Ihre Marktmacht stellt hohe Anforderungen an die Lieferketten, was zur Ausbeutung der Arbeitenden beiträgt. Wie alle anderen wichtigen Dienstleistungen gehört jedoch auch der Supermarkt in die öffentliche Hand.
Befürworter des Kapitalismus behaupten gerne, der Supermarkt sei eine wunderbare kapitalistische Erfindung. Tatsächlich ist der Supermarkt seit dem Kalten Krieg ein bedeutendes Symbol der kapitalistischen Propaganda. Jahrzehntelang wurde in der öffentlichen Wahrnehmung der Sozialismus mit Bildern von grauen, freudlosen Geschäften und leeren Regalen verbunden.
Dieses Bild hat sich hartnäckig gehalten. Als in der Pandemie aufgrund von Hamsterkäufen die Supermarktregale geleert worden waren, gingen diese Bilder um die Welt – als böte die Situation einen Vorgeschmack auf den Sozialismus. Der Gedanke, dass diese Fotos aus Supermärkten stammen, die in einer kapitalistischen Wirtschaft agieren, schien vielen gar nicht in den Sinn gekommen zu sein.
Diese Propaganda hat die weit verbreitete Vorstellung genährt, dass Supermärkte in öffentlicher Hand zwangsläufig zu mangelnder Auswahl oder Lebensmittelknappheit führen müssen. Die kapitalistische Realität der Supermärkte selbst widerlegt jedoch die Vorstellung, dass bürokratische Planung und zentralisierte Kontrolle immer zu solchen Problemen führen.
Denn Supermärkte reagieren nicht spontan auf die Signale eines pulsierenden freien Marktes. Sie sind hochgradig geplante ökonomische Systeme. Entscheidungen werden Monate oder Jahre im Voraus getroffen, um zuverlässige Lieferketten zu garantieren, die saisonale Nachfrage zu decken und die Regale zu füllen.
Darüber hinaus sind Supermärkte alles andere als ein vielfältiger Wirtschaftszweig – sie neigen zur Konsolidierung. So halten beispielsweise in Australien zwei Supermarktketten über 65 Prozent des Marktanteils – ein Muster, das sich überall auf der Welt beobachten lässt. Das Geschäftsmodell der Supermärkte beruht auf Expansion. Man könnte sie mit Fug und Recht als natürliche Monopole bezeichnen.
Der moderne Supermarkt ist das Ergebnis groß angelegter Logistiktechnik und industrieller Lebensmittelproduktion. Nichts von alledem ist per se kapitalistisch, obwohl die Ungleichheit und Ausbeutung, die das Lebensmittelsystem derzeit prägen, es sicherlich sind.
Supermärkte nutzen komplexe Datensätze und Algorithmen, die Angebot und Nachfrage vorhersagen. Diese Mechanismen funktionieren immer gleich gut, unabhängig davon, ob diejenigen, die sie steuern, im öffentlichen Dienst oder bei Privatunternehmen beschäftigt sind.
Leigh Phillips und Michal Rozworsk argumentieren in ihrem Buch The People’s Republic of Walmart: »Die Planwirtschaft mit Millionen von Produkten und Dienstleistungen, unendlich vielen Variablen in den Lieferketten sowie vielen nicht preisbezogenen Informationen ist nicht nur machbar, sondern funktioniert auch unglaublich gut.«
Supermärkte sind ein Beweis dafür, dass eine groß angelegte Wirtschaftsplanung gelingen kann. Aber damit sie richtig funktioniert, müssen wir diese Infrastruktur demokratisch kontrollierbar machen und sie auf die Steigerung des Gemeinwohls ausrichten statt auf die Maximierung der Shareholder-Gewinne.
Die Mythen über bürokratische und ineffiziente öffentliche Dienste mögen in der Populärkultur allgegenwärtig sein. Die australische Bevölkerung hat diese Botschaft offensichtlich trotzdem nicht überzeugt. Drei Jahrzehnte nachdem der ehemalige Premierminister Paul Keating ein umfangreiches Privatisierungsprogramm in Australien gestartet hat, ist dieser Kurs immer noch unbeliebt.
Die überwältigende Mehrheit der Australierinnen und Australier glaubt, dass Privatisierungen nur dem Unternehmenssektor zugute kommen. Sie wissen, dass der Ausverkauf öffentlicher Industrien und Dienstleistungen zu höheren Preisen und schlechteren Ergebnissen führt. Sie sind der Auffassung, dass lebenswichtige Dienstleistungen in öffentliche Hand gehören. Und welche Dienstleistung ist in einer modernen Wirtschaft essenzieller als ein Supermarkt?
Staatliche Supermärkte könnten mehr leisten, als lediglich die Probleme zu lösen, die durch ein irrationales kapitalistisches Lebensmittelsystem entstehen. Sie könnten auch im Zentrum von Projekten stehen, die das Leben der arbeitenden Klasse verbessern.
Ernährung ist ein Menschenrecht, keine Ware. Supermärkte in öffentliche Hand zu überführen, ist ein notwendiger Schritt zur Dekommodifizierung von Nahrungsmitteln und zur schrittweisen Bereitstellung lebenswichtiger Güter. Beispielsweise könnte jeder Haushalt mit einem Grundbedarf an Lebensmitteln versorgt werden.
Eine gerechte Verteilung von Toilettenpapier an alle Haushalte hätte uns in den letzten Monaten viel Leid ersparen können. Wir könnten ein kostenloses Schulessen anbieten, um sicherzustellen, dass kein Kind hungern muss, und kostenlose Mahlzeiten, damit auch keine Erwachsene hungern muss. Verstaatlichte Supermärkte könnten auch die lokale Lebensmittelproduktion und andere verarbeitende Industrien wieder stärken, etwa indem sie ihre Kaufkraft einsetzen, um lokale, gewerkschaftlich organisierte Industrien fördern.
Die Beschäftigten in den Supermärkten leisten eine wichtige Arbeit. Sie verdienen etwas Besseres als ständigen Druck auf ihre Löhne, Arbeitsbedingungen und Arbeitszeiten. Während der Pandemie können Berufstätige der Mittelschicht sicher von zu Hause aus arbeiten. Supermarktangestellte dagegen kommen mit Tausenden, teils aggressiven Fremden in Kontakt. Öffentliche Supermärkte könnten in jeder Gemeinde gute, sinnvolle Arbeitsplätze schaffen und den Beschäftigten die würdevolle und gut bezahlte Arbeit bieten, die sie verdienen.
Der kapitalistische Markt wird die Krise, die auf unser Ernährungssystem zukommt, nicht lösen. Die Entscheidung, wie wir auf einem sich erhitzenden Planeten alle Menschen ernähren können, sollte nicht privaten Akteuren überlassen werden. Wir brauchen eine rationale Planung, um der arbeitenden Klasse qualitativ hochwertige Lebensmittel verfügbar zu machen.
Der Markt lässt uns im Stich. Wir produzieren Überschüsse, während die Arbeitenden hungern müssen. Die Beseitigung der Ungerechtigkeiten in unserem Lebensmittelsystem sollte für Sozialistinnen und Sozialisten hohe Priorität haben. Denn ein Supermarkt, der im Interesse der Arbeitenden und der Allgemeinheit geführt wird, könnte unsere Lebensqualität verbessern, unsere Ernährungssicherheit stärken und die lokale Industrie wiederbeleben.
James Clark ist Organizer und lebt im Gebiet des Wurundjeri. In den vergangenen fünf Jahren war er in der globalen Klimabewegung aktiv.
James Clark ist ein Organizer und Kommunikator, der im Gebiet des Wurundjeri lebt. In den vergangenen fünf Jahren war er in der globalen Klimabewegung aktiv.