24. Dezember 2021
Für viele Beschäftigte ist die Weihnachtszeit die härteste Phase des Jahres. Damit die Feiertage wirklich erholsam werden, brauchen wir bessere Arbeitsbedingungen – und zwar für alle.
Im Paketdienst ist jetzt die Hochsaison, in der die meisten Umsätze gemacht werden.
Wer einen Bürojob hat, kennt das Spiel: Das Jahresende rückt näher, man wünscht sich einen entspannten Jahresausklang, freut sich vielleicht auf gemütliche Tage im Resturlaub. Die Zeit um den Jahreswechsel herum ist für viele allerdings alles andere als festlich, sondern vor allen Dingen belastend – und zwar nicht wegen anstrengender Familienmitglieder oder zehrender Gespräche unterm Weihnachtsbaum. Wer sich jetzt schon längst in die Ferien verabschiedet hat und die Kollegen erst im neuen Jahr wiedersieht, arbeitet vermutlich nicht in der Paketzustellung oder im Verkauf. Denn da ist der Stress gerade am höchsten.
Statt zum Jahresende hin mal einen Gang runterzuschalten, verdichtet sich in diesen Berufen das Arbeitspensum enorm. So ist das etwa in den Versandzentren großer Online-Händler, die in der Weihnachtszeit dickes Geschäft machen, allen voran Marktführer Amazon. Allein in Deutschland hat der Konzern für das Weihnachtsgeschäft 10.000 zusätzliche Mitarbeitende in seinen Logistikzentren eingestellt – nur vorübergehend für die Saison versteht sich. Von dem Boom im Online-Handel haben die Beschäftigten nichts, für sie erhöht sich lediglich der Arbeitsdruck.
Rocco Bräuniger, Amazon-Chef in Deutschland, gab erst kürzlich bekannt, dass sich der Konzern weiterhin weigern wird, einen rechtsverbindlichen Tarifvertrag abzuschließen. Der ist dringend notwendig, um den Beschäftigten einen branchenüblichen Lohn und würdige Arbeitsbedingungen zu sichern. Überraschend ist diese Totalverweigerung nicht, der Konzern ist schließlich für seinen gewerkschaftsfeindlichen Kurs berüchtigt. Als Ver.di vor Jahren um die Weihnachtszeit Warnstreiks ankündigte, höhnte Bräunigers Vorgänger nur: »Mal ehrlich: Wenn Glatteis ist, juckt uns das weit mehr, als wenn Ver.di zum Arbeitskampf aufruft.« Auch in diesem Jahr rief die Gewerkschaft am vierten Advent zu Warnstreiks in sieben Amazon-Versandzentren auf, um »das Weihnachtsgeschäft empfindlich zu stören« und dem Konzern Zugeständnisse abzuringen. Denn ohne Arbeiter läuft das Geschäft nicht.
Lohndumping und Tarifflucht gehören allerdings nicht nur bei Amazon zur Unternehmenskultur, sondern sind auch im Einzelhandel sehr verbreitet. Auch hier werden um Weihnachten herum gewöhnlich die meisten Profite gemacht. Der Arbeitgeberverband des Einzelhandels HDE rechnet damit, dass in diesem Jahr Umsätze von 111,7 Milliarden Euro erzielt werden – und das nur zur Weihnachtszeit.
3,1 Millionen Menschen arbeiten in Deutschland in der Branche, Tendenz steigend. Gleichzeitig ist die Tarifbindung in dem Sektor in den letzten Jahren erheblich zurückgegangen. Arbeiteten im Jahr 2010 noch 50 Prozent der Beschäftigten tarifgebunden, sind es heute nur noch 28 Prozent – Tarifschutz wird zur Abweichung von der Norm. Daran profitieren die Unternehmen immens. Denn nicht tarifgebundene Firmen zahlen ihren Beschäftigten für dieselbe Arbeit bis zu einem Drittel weniger Lohn als ihre tarifgebundene Konkurrenz.
Gerade die Beschäftigten in den Supermärkten, die noch als »Heldinnen und Helden der Corona-Krise« beklatscht wurden, sind dieser Tage nicht nur einer hohen Arbeitsbelastung, sondern auch weiterhin einem erhöhten Infektionsrisiko ausgesetzt. Besserer Arbeitsschutz, höhere Bezahlung, mehr Pausen zur Erholung waren als Anerkennung für ihre systemrelevante Arbeit nicht drin. In Niedersachsen kürzte Edeka einigen Mitarbeitenden sogar das Weihnachtsgeld, weil sie im Sommer für bessere Löhne in den Streik getreten waren.
Von den Beschäftigten im Verkauf wird gefordert, sich laufend flexibel an die wandelnden Corona-Beschränkungen anzupassen: Wenn jetzt vor den Weihnachtsfeiertagen ein 2G-Nachweis notwendig wird, um in der Innenstadt noch die letzten Geschenke zu besorgen, werden vielerorts Verkäuferinnen und Verkäufer zum Kontrollpersonal umfunktioniert. Den Frust derjenigen, denen es nicht einleuchtet, weshalb sie beim Betreten einer Buchhandlung einen Impfnachweis vorzeigen müssen, nicht aber beim Betreten eines Supermarkts, kriegen sie direkt ab. Immer wieder kommt es zu Konflikten bei der Einlasskontrolle, Mitarbeitende werden beschimpft und bedroht.
Wer seine Besorgungen lieber online erledigt, ist damit nicht allein: Der Anteil des Online-Handels am Weihnachtsgeschäft steigt seit Jahren stetig. Das macht sich auch bei denen bemerkbar, die dafür sorgen, dass die vielen Pakete ihr Ziel erreichen. Für Paketbotinnen und Paketboten ist die Belastung in der vermeintlich beschaulichen Weihnachtszeit überdurchschnittlich hoch. Bereits im letzten Jahr verzeichneten Versand-Konzerne wie DHL und Hermes Rekordumsätze, erwirtschaftet haben den die Botinnen und Boten, die von Paketen überflutet wurden. Die Arbeitstage sind lang, der Zeitdruck immens – auch in diesem Jahr. Der Branchenverband der Paketdienstleister prognostiziert, dass allein im November und Dezember 790 Millionen Sendungen zugestellt werden.
Dass in der Logistik Subunternehmen sehr verbreitet sind, ist mittlerweile weit bekannt, die Paketdienstleister bilden da keine Ausnahme: Hermes lagert um die 70 Prozent der Paketzustellung an Subunternehmen aus, die Konkurrenz von DPD und GLS schickt gar keine eigenen Paketboten mehr in den Einsatz, sondern lässt ausschließlich über Subunternehmen anheuern. Die Einhaltung des Mindestlohns und der Obergrenzen für Arbeitszeiten wird so immer wieder umgangen. Vor der Privatisierung wurden Zustellerinnen und Zusteller bei der Deutschen Post noch verbeamtet. Heute grassieren unter den Paketdienstleistern schlechte Löhne und unwürdige Bedingungen.
Wie entspannt sich der Jahresausklang also gestaltet, ist eben auch eine soziale Frage. Die angekündigten Streiks der Beschäftigten bei Amazon zeigen, dass die Weihnachtszeit auch eine Zeit der Arbeitskämpfe ist. Gerade jetzt ist die Verhandlungsmacht der Beschäftigten, die dafür sorgen, dass bei der Bescherung für alles gesorgt ist – in den Geschäften, in den Versandzentren, bei den Paketzustellern – besonders hoch. Seit Oktober wurde auch an vielen anderen Orten der Einzelhandel bestreikt, etwa bei Ikea in Nordrhein-Westfalen und Niedersachsen, bei Rewe und H&M in Bayern oder Kaufland, Primark und Thalia in Berlin und Brandenburg. Denn der Streik bietet immer noch die beste Möglichkeit, um zu erkämpfen, dass das Jahresende eine Zeit der Ruhe und Entspannung wird – und zwar für alle.
Astrid Zimmermann ist Managing Editor bei JACOBIN.