22. Dezember 2020
Niemand will beim Weihnachtsessen von besserwisserischen Linken belästigt werden. Wenn Du mit deiner Familie politisch diskutierst, dann tu es richtig. Eine kleine Anleitung.
Der Filmklassiker: Schöne Bescherung (1989).
Dieses Jahr war für alle anstrengend. Immer noch bangen im Zuge der Corona-Krise viele um Jobs und Sicherheiten. In so einer Situation will niemand auch noch während des Weihnachtsessens von politischen Besserwissern belästigt werden. Um Familie und Freunde mit guten Argumenten zu erreichen, dürfen Linke deshalb nicht als bloße Aktivistinnen auftreten, denen es darum geht, ihre Meinung gegen andere durchzukämpfen. Wir müssen uns wie erfolgreiche Organizerinnen verhalten.
Aktivistinnen und Aktivisten richten sich mit ihrer Ansprache oft an die Eingeweihten. Es geht darum, andere zu belehren oder die schon Überzeugten zum Handeln aufzurufen. Wer sich dem nicht fügt, erscheint als Gegnerin, die sich einfach weigert zu sehen, was falsch läuft. Für Organizerinnen und Organizer ist dagegen nicht entscheidend, Recht zu behalten, sondern zu gewinnen. Dafür braucht es einen größeren Plan. Im Zentrum des Organizings steht die Auseinandersetzung mit der großen Mehrheit der »Unentschlossenen« – Menschen, die noch nicht auf unserer Seite sind, die eine Zeitschrift wie diese gar nicht erst zu Gesicht bekommen und deine Social-Media-Feeds nicht verfolgen.
Der erste Schritt zum Organizing betrifft also die Einstellung: Wir müssen uns von dem Wunsch verabschieden, Recht zu haben, in unserer ganz persönlichen Meinung gehört zu werden oder die Auseinandersetzung zu gewinnen, auch wenn sich währenddessen die meisten am Tisch klammheimlich ausklinken, um Weihnachtsmärchen zu schauen oder einen Verdauungsschlaf zu halten.
Organizing beginnt damit, sich auf eine Reihe von Prinzipien und Methoden festzulegen und sie immer wieder aufs Neue zu erproben. Man redet weniger, man fragt mehr. Organizer planen die Gesprächsstrategie im Voraus und reflektieren hinterher über den Erfolg. Diese konzentriert sich beispielsweise eher darauf, einzelne Familienmitglieder, deren Wahlentscheidung schon festzustehen scheint, in ihrer Wahlentscheidung zu bewegen, anstatt mit langatmigen Tiraden Vergnügen dabei zu empfinden, die Hoheit über den weihnachtlichen Stammtisch zu behalten.
Die Verbindung zwischen einem guten, aber harten Gespräch beim Gewerkschaftsorganizing und diesem Weihnachten besteht nun darin, auf Gesprächsthemen aus der BILD-Zeitung oder der Tagesschau gar nicht erst einzugehen. Gewerkschaftsorganizer konzentrieren sich bei einem schwierigen Gespräch auf zwei Dinge: die eigene Wortwahl und die Struktur des Gesprächs, also die Abfolge der Schritte. Diese beiden Punkte sind wichtig. Ein strukturiertes, organisierendes Gespräch setzt voraus, dass Du geübt hast, Deine Wortwahl von einer exklusiven zu einer inklusiven hin zu verlagern. Du solltest also so sprechen, dass die Person, die Du politisch engagieren willst, dazu angehalten ist, sich aktiv am Gespräch zu beteiligen.
Ein Beispiel: Vielleicht kommt Deine 21-jährige Cousine Nina über die Feiertage zu Besuch (natürlich unter Einhaltung der Corona-Auflagen) und denkt, dass Annalena Baerbock oder Markus Söder sonntags bei Anne Will ein paar gute Punkte gemacht haben. Beginne damit, ihr zuzuhören, herauszuhören in welchen Punkten sie sich bei Baerbock wiedergefunden hat, und knüpfe daran an, anstatt mit ihr zu debattieren. Du wirst viel mehr Erfolg haben, wenn Du leise bist, als wenn Du laut bist.
Freu Dich, Nina zu sehen! Und meine es auch wirklich so. Die Organizer nennen das »Showtime«. Frag sie, wie es ihr geht; frag, was sie gerade so macht und merk Dir für’s weitere Gespräch, was in ihrem Leben gerade vorgeht. Mach Nina gegenüber deutlich, dass Du gerne mehr über ihre Gedanken zur Politik erfahren willst.
Die Fragen, die man stellen muss, um zu verstehen, was für einen Beschäftigten oder eine Cousine am wichtigsten ist, sind letztlich dieselben – man muss sie nur anders ausdrücken. In einer Gewerkschaftskampagne wollen wir wissen: »Wenn Du morgen bei der Arbeit drei Dinge ändern könntest, welche wären das?« Beachte: Wir fragen nicht: »Wie läuft es in Deiner Abteilung?«, was sehr unspezifisch ist und die Kollegin womöglich in lange Gespräche über den Idioten, der in der Küche ein Chaos hinterlässt, und den Flegel, der ständig sexistische Witze erzählt, hineinziehen könnte. Wir stellen spezifische Fragen, um direkt auf den Punkt zu kommen: zu ihren Arbeitsbedingungen.
Um an Deine Cousine Nina heranzukommen, könntest Du fragen, was ihr wichtig ist: »Wenn Du einen Zauberstab hättest und drei Dinge in Deutschland [oder in ihrer Stadt oder an ihrer Uni] ändern könntest, was würdest Du ändern?«
Der Rest Eures Gesprächs muss sich auf ihre Antworten auf diese Frage gründen. Deshalb sollte man in jedem ernsthaften Gespräch im zweiten Schritt Themen herauszukitzeln. Dieser Schritt ist zentral – Du kannst ihn nicht überspringen, Du kannst ihn nicht beschönigen, Du kannst nicht später darauf zurückkommen, und Du kannst definitiv nicht für Nina entscheiden, was ihr wichtig zu sein hat: Zwing’ ihr nicht Deine Themen oder die Themen, über die Du andere Menschen in ihrem Alter reden hörst, auf. Sie ist ihre eigene Person.
Wenn sie vage oder spöttisch wird und zum Beispiel sagt: »Ich hätte gern eine Million Euro auf meinem Konto«, dann kannst Du freundlich aber bestimmt weiterbohren: »Ich auch! Könnte aber schwierig werden. Welche drei Dinge würdest Du auf dem Weg dahin noch ändern?«
An diesem Punkt musst Du dem Drang widerstehen, sarkastisch zu reagieren. Das ist Dein aktivistischer Impuls, aber nicht der einer richtigen Organizerin. Sicher, Du hättest viel Spaß dabei und könntest sagen: »Ich auch! Lass uns eine Bank ausrauben« oder »Lasst uns Jeff Bezos bitten, einen Bruchteil des Profits zu spenden, der ihm an nur einem Tag zufließt. Immerhin wächst sein Einkommen um 13 Millionen Dollar pro Stunde!« Sag nichts dergleichen. Bleib hartnäckig.
Wenn Du Nina erst einmal dazu gebracht hast, Dir mitzuteilen, was sie auf dem Herzen hat – die Klimakatastrophe, dass ihr Studijob Covid zum Opfer gefallen ist, ihre Miete oder der Auszug bei den Eltern – kannst Du mit dem nächsten Teil beginnen: der Agitation.
Wenn sie während der Krise wieder bei ihren Eltern eingezogen ist, könntest Du fragen: »Warum, glaubst Du, hatte die Generation Deiner Eltern nicht die gleichen Probleme auf dem Wohnungsmarkt?« oder »Wer trifft die Entscheidungen, die Deine Miete so stark in die Höhe treiben? Warum, glaubst Du, tun sie das?« Du willst Nina also dazu bringen, darüber nachzudenken, wer daran schuld ist, dass sie wieder zu Hause bei den Eltern ist und sich so viele junge Menschen ein Leben allein nicht leisten können.
Du weißt, dass Du auf dem richtigen Pfad bist, wenn sie anfängt, Dinge zu sagen wie: »Airbnb hat jede Menge günstiger Wohnungen zu Touri-Wohnungen gemacht«, oder: »Mein Studijobgehalt ist erbärmlich, der Chef dagegen hat massig Geld«, oder: »Ich weiß nicht, wie ich den Studienkredit zurückzahlen soll«.
Sobald ein Arbeiter – oder in diesem Fall Deine Cousine – anfängt, sich zu fragen, wer das Problem verursacht und was man dagegen tun kann, gehe zum nächsten Schritt über.
Versuche sie zu überzeugen, indem Du ihre Themen mehrmals beständig wiederholst – kein Scherz – damit sie weiß, dass Du ihr tatsächlich zuhörst und nicht nur wieder über den Marxismus redest, wie sie es von Dir erwartet. »Also, Nina, ich kann das nachvollziehen. Man findet wirklich keine Wohnung, Du hast den Studi-Job verloren und der Planet brennt.« (Vorausgesetzt sie hat diese Themen genannt – verweise nur auf das, was sie gesagt hat.)
So könnte Dein Gesprächsskript aussehen:
»Nina, damit Du Dir eine eigene Wohnung leisten und saubere Luft atmen kannst, muss sich im Jahr 2021 einiges tun – es muss sich wirklich viel ändern. Und der Schlüssel zu den Veränderungen, die nötig sind, damit Du Dir eine eigene Wohnung oder ein tolles WG-Zimmer leisten kannst, liegt darin, dass Du und ich und viele andere Menschen uns zusammenschließen und Organisationen aufbauen, die die Veränderungen erzwingen können, die wir zum Beispiel zu Wahlen – und viel wichtiger noch nach der Wahl – brauchen!
Weißt Du, was die Leute meiner Generation oft gemacht haben, als sie z.B. Obama gewählt haben, und dann darauf gehofft haben, dass sie die Veränderungen umsetzen würden, die sie versprochen hatten? Alle haben sich danach fatalerweise zurückgelehnt und darauf vertraut, dass er die Krisen schon meistern würde. Das war ein Fehler. Denn damit Du und alle, die Du kennst, es sich leisten können, von zu Hause auszuziehen, müssen wir ein Netzwerk von Leuten aufbauen, die bereit sind, einiges zu verändern. Bislang haben wir uns zu sehr auf die Wahlen konzentriert und uns wieder entspannt, sobald die vorbei waren und das Ergebnis nicht ganz so katastrophal war. Aber um einen wirklichen Wandel herbeizuführen, und damit Du auf eigenen Beinen stehen kannst, müssen wir alle anders handeln.«
Ich habe ihr Anliegen also dreimal in einer Handvoll Sätze neu formuliert. Alles, was Du von da an sagst, musst Du mit dem verknüpfen, was Dir die Person, mit der Du sprichst, genannt hat. Mach Dir keine Sorgen, Du kannst es nicht übertreiben.
Bei einer gewerkschaftlichen Kampagne würdest Du jetzt einem sehr konkreten Plan-to-win folgen, um sie zu überzeugen: »Also, Nina, um eine Lohnerhöhung zu erzwingen, die hoch genug ist, um Deine Miete zu bezahlen, solltest Du mit Deinen Kolleginnen als erstes eine Art Gruppe bilden, in der die angesehensten Kollegen aus jedem Bereich vertreten sind. Denn das sind diejenigen, die die anderen dazu ermutigen können, sich auch dann aufs Ziel zu konzentrieren, wenn die Chefs anfangen, allen Angst einzujagen.«
In diesem allgemeineren Fall unterm Weihnachtsbaum sagst Du etwas wie: »Also, Nina, wollen wir uns mal anschauen, welche Initiativen es in Deiner Stadt gibt. Verstehen sie, dass die Veränderungen, die nötig wären, damit Du Dir die Miete alleine leisten kannst, den Aufbau einer größeren Bewegung erfordert, die auch nach der Wahl weiter mobilisiert?«
Auch hier ist zu beachten, dass ich nicht gesagt habe, welche Partei oder Initiative ihre Forderungen vertritt – und das solltest Du auch nicht. Du bringst Deiner Cousine ja nicht das Denken bei. Menschen zu sagen, was sie denken sollen, funktioniert nicht. Menschen zum kritischen Denken zu ermutigen, damit sie zu der Einsicht gelangen, dass eine funktionierende Demokratie ihr eigenes Handeln erfordert – das kann funktionieren.
Frag Nina: »Ich weiß, dass es verdammt schwer ist, alle Nachrichten aus der Politik zu verfolgen oder zu wissen, welche Initiativen sich um das Thema bemühen. Aber hast Du bisher auf diejenigen geachtet, die über Wohnungspolitik und Löhne sprechen?« Verbinde starke, fundierte Aussagen von Gruppen, Gewerkschaften oder auch Parteien mit Ninas Bedürfnis, bei ihren Eltern auszuziehen.
Je konkreter Du den Plan zum Gewinnen, der mit ihrem Anliegen verbunden ist, skizzierst, desto besser bist Du auf den entscheidenden nächsten Schritt vorbereitet: die Entscheidungsfrage.
Du musst Deine »Entscheidungsfrage« deutlich machen. Stelle Deine Cousine vor die Wahl, auf Grundlage ihrer Themen.
»Also, Nina, ich hätte es gehasst, wieder bei meinen Eltern einziehen zu müssen, obwohl ich sie liebe. Aber die Dinge ändern sich in dieser Krise [oder in der Stadt, am Arbeitsplatz] nur, wenn Du und ich aktiv werden, um sie zu ändern. Andernfalls werden große Unternehmen weiterhin nur ihre Gewinne im Auge haben und die Mieten in die Höhe treiben und die Löhne drücken. Hast Du vom Mietendeckel bei uns in Berlin gehört, wo die Mieten für fünf Jahre eingefroren werden?
Tausende von Initiativen und Engagierten in Berlin hatten genug von den immer weiter steigenden Mieten, sie haben jahrelang gekämpft – und sie haben gewonnen. Wir wissen also, dass es funktionieren kann, selbst gegen große Widerstände. Bist Du bereit, Dich einer Initiative anzuschließen, die sich dafür einsetzt, dass sich Menschen wie Du wieder die Miete selbst leisten kannst? Bist Du bereit, jene zu unterstützen, die das Thema auf die politische Tagesordnung setzen wollen?«
Jetzt solltest Du aufhören zu reden. Wirklich. (Sollten neugierige Verwandte versuchen sich ins Gespräch einzuschalten, setzt Euch von ihnen weg.) In einem gewerkschaftlichen Organizing-Gespräch nennen wir das die lange, unangenehme Stille. Du forderst jemanden ernsthaft auf, etwas anderes zu tun als sie geplant hatte oder etwas zu tun, das sie sonst nie in Erwägung gezogen hätte. Gib ihr also Zeit, darüber nachzudenken. Was auch immer Du tust, fang nicht sofort an zu reden, auch wenn Du die Stille nicht ertragen kannst.
Wenn sie weitere Fragen stellt, umso besser. Antworte ihr, und verliere nicht die Nerven, sollte sie sich für eine aus Deiner Sicht falsche Partei, Initiative oder Person entscheiden. Denn dann wirst Du sie erst recht nicht überzeugen. Beantworte ihre Fragen und komme später auf ihr Anliegen zurück. Wenn sie unschlüssig ist, formuliere die Entscheidung, auf die es ankommt, sorgfältig und respektvoll: »Weißt Du, Du und alle, die Du kennst, stehen vor einer Entscheidung. Du kannst weiterhin zu Hause wohnen oder Du kannst Dich dafür entscheiden, Dich mit mir gemeinsam der Kampagne XYZ anzuschließen, die sich dafür einsetzt, dass Du eine bessere Zukunft haben wirst – und die eine reale Chance hat, die damit verbundenen Forderungen auch durchzusetzen. Du kannst die Entscheidung treffen, entweder nie genug Kohle zu haben, um auszuziehen, oder für Veränderungen kämpfen, damit Du ausziehen kannst.«
Sobald sie sich verpflichtet, gehe zum fünften Schritt über.
In einer Gewerkschaftskampagne verlassen wir nie ein Gespräch, ohne von der Verpflichtung der Arbeiterin zur Vorbereitung auf den kommenden Angriff des Chefs überzugehen. In einer gewerkschaftlichen Kampagne würden wir so etwas fragen wie: »Also, Nina, wenn Dein Vorgesetzter Deinen Namen auf der Petition sieht, in der das automatische Abschalten der Dienstrechner ab 19:00 Uhr gefordert wird, was glaubst Du, wird er dann sagen oder unternehmen?«
Für Weihnachten solltest Du das natürlich entsprechend anpassen, etwa so: »Also, Nina, was denkst Du, was Dein Vater sagen wird, wenn er später am Abend noch ein paar Biere trinkt und Du erwähnst, dass Du ehrenamtlich für eine Kampagne arbeitest, die dafür kämpft, dass die Mieten runter gehen und Du ausziehen kannst?«
Im Grunde bereitet man die Leute auf die Opposition vor, bevor Gegner oder Kritikerinnen selbst zuschlagen. Dadurch bereitet man sie schon einmal darauf vor, dass die bestehenden Machtstrukturen immer dann zurückschlagen, wenn man beginnt, für die wirkliche Kontrolle über das eigene Leben zu kämpfen.
In einer Gewerkschaftskampagne würdest Du Dich nun mit dem beschäftigen, was wir »Listenarbeit« nennen, d.h. Du würdest mit Nina alle Kolleginnen und Kollegen aus ihrem Arbeitsbereich aufschreiben und sie bitten, jeden Namen durchzugehen und Dir alles zu sagen, was sie über sie weiß. Dann würdest Du auf Grundlage ihrer Kontakte einen Plan erstellen, damit sie einen konkreten nächsten Schritt in der Kampagne macht, etwa eine Kollegin, zu der sie eine Beziehung hat, zu einem Treffen mit Dir einzuladen, oder zwei Arbeiterinnen, die sie kennt, dazu zu bringen, die Petition zu unterschreiben.
Über Weihnachten willst Du Dir das gleiche vornehmen, aber da Nina ihren Chef nicht dazu bringen will, die Abschaltung der Rechner im Homeoffice durchzusetzen, musst Du auch hier wieder den Plan variieren: »Wann fährst Du wieder zurück nach [wo auch immer sie wohnt, wenn sie nicht gerade bei Dir am Weihnachtstisch sitzt]?« Sollte sie nur zu diesem einen Essen da sein, musst Du auf der Stelle mit ihr einen Plan festlegen. Es könnte so etwas sein wie »Nina, ich freue mich so sehr darüber, dass Du Dich entschieden hast, dafür zu kämpfen, dass die Miete bezahlbar wird! Wann passt es Dir zwischen den Jahren noch einmal über Dein Engagement und die Initiativen in Deiner Stadt zu sprechen?«
Verlasse das Gespräch nicht ohne einen Plan. Tu es nicht. Tu es bloß nicht!
Du kannst dieses ganz grundlegende Gespräch in einer kleinen Gruppe beim Weihnachtsessen, bei Drinks oder draußen beim Spazierengehen führen – je nachdem, was bei Euch in der Familie Tradition hat und wie ihr es in diesem Jahr während der Pandemie löst. Wenn ich mit einer Gruppe von Cousinen und Cousins zusammen wäre, würde ich mit ihnen einfach ohne ihre Eltern eine Runde drehen (je nachdem wie deren Eltern politisch drauf sind). Diese sechsstufige Gesprächsführung ist entscheidend für eine erfolgreiche Organisierung. Und sie erfordert, dass man über weite Strecken die Klappe hält. Du kannst einfach kein effektiver Organizer sein, wenn Du nicht zuhörst und die Menschen dort abholst, wo sie stehen.
Zusammengefasst: Lass Dich nicht dazu verleiten, über die Feiertage aus Frust vor den bevorstehenden Diskussionen gar nicht über Politik zu reden – aber wenn Du es machst, mach es gut und habe einen Plan. Die meisten Menschen wollen sich zu Themen engagieren, die ihnen wichtig sind, aber nicht in eine hitzige Debatte verwickelt werden, in der sie sich unwohl und unsicher fühlen. Und niemand mag es, belehrt zu werden. Die Struktur eines grundlegenden, organisierenden Gesprächs ist eine, bei der die Leute dazu angeregt werden, sich eine Meinung zu bilden, bei der sie die meiste Zeit sprechen und die ihnen hilft, durch Widersprüche selbst ins Grübeln zu kommen. Es ist ein Gespräch, in dem Du sie dazu bringen kannst, ihr Eigeninteresse mit einem breiteren, kollektiven Interesse zu verbinden. Du wirst besser darin werden, die Fragen so zu stellen, dass sie ihren wohlverdienten Zynismus überwinden können. Und damit hilfst Du ihnen – und der arbeitenden Klasse – an diesem Weihnachten am meisten.
Der Text von Jane McAlevey erschien im Original auf Englisch und bezog sich auf Thanksgiving. Wir haben ihre Argumente auf ein deutsches Weihnachtsessen übertragen.
Ines Schwerdtner ist seit Oktober 2024 Bundesvorsitzende der Linkspartei. Von 2020 bis 2023 war sie Editor-in-Chief von JACOBIN und Host des Podcasts »Hyperpolitik«. Zusammen mit Lukas Scholle gab sie 2023 im Brumaire Verlag den Sammelband »Genug! Warum wir einen politischen Kurswechsel brauchen« heraus.