22. Mai 2024
Um Klimakrise und ökologische Transformation zu stemmen, brauchen Länder des globalen Südens große Investitionen. IWF und Weltbank zeigen einmal mehr, dass sie dazu nicht in der Lage sind.
Kristalina Georgieva, Geschäftsführerin der Weltbank-Institute IBRD und IDA, während den IMF Spring Meetings in Washington DC.
Achtzig Jahre alt wird das Bretton-Woods-System dieses Jahr, das nach dem Zweiten Weltkrieg den Goldstandard abschaffte und die Vorherrschaft des US-Dollars einläutete – und im selben Zug den Internationalen Währungsfonds (IWF) und die Weltbank errichtete. Im April hielten diese Schwesterorganisationen ihre Frühjahrstagungen ab. Technokratinnen und Technokraten der Regierungsapparate und internationalen Institutionen, CEOs, Akademiker, und Meinungsführerinnen aller Art versammelten sich in Washington DC, um darüber zu verhandeln, wie Länder des Globalen Südens an dringend benötigte Finanzierungen kommen und wer die Spendentöpfe wieder füllen soll.
Das Problem: Das Geld ist knapp, die Staatsschulden hoch und die Krisen häufen sich.
Der jährliche Investitionsbedarf der ärmeren Länder, um die Entwicklungsziele der Vereinten Nationen erreichen zu können, wird gemeinhin auf mehr als 4 Billionen US-Dollar beziffert. Die Krise der Finanzierungsfrage zeigt sich daran, dass im Verlauf des letzten Jahrzehnts die weltweiten Finanztransfers aus dem Globalen Norden in den Süden massiv eingebrochen sind. Tatsächlich übersteigen seit 2023 die Rückzahlung von Schulden an öffentliche und private Kreditgebende die externen Zuflüsse an alle Regierungen des Globalen Südens, einschließlich neuer Kredite und öffentlicher Entwicklungshilfen.
Dabei ist klar: Länder des Globalen Südens brauchen massive Auslandsinvestitionen ohne politische Bedingungen und Auflagen sowie einen Erlass ihrer Schulden. Und das nicht nur um die eigene Armut abzuschaffen. Auch die Infrastrukturentwicklung, die für langfristige Wirtschaftsentwicklung und die Klimatransformation unerlässlich ist, hinkt hinterher. Die Frühjahrstagung von IWF und Weltbank hat gezeigt, dass beide Organisationen keine Lösungen für diese Probleme haben.
Die Weltbank hat das prinzipielle Mandat, Investitionen und Finanzierungen zur Infrastrukturentwicklung und Armutsbekämpfung für sogenannte Entwicklungsländer zu mobilisieren. Dazu ist sie auf Spenden aus finanzstarken Ländern angewiesen, also vor allem aus den USA, der EU, insbesondere Deutschland und seit einigen Jahren auch aus China.
Gleichzeitig ist die Schuldenlast der Länder mittleren und unteren Einkommens gegenüber reicheren Staaten nach wie vor höher als in jedem Jahr vor der Pandemie. Mittlerweile zahlen die meisten dieser Länder mehr für die Zinszahlungen der meist in Dollar notierten Schulden allein, als dass sie neue Darlehen erhalten.
Dabei bleiben sie gänzlich abhängig vom Kurs fremder, depolitisierter Zentralbanken, die erst durch ihre Niedrigzinspolitik die massenhafte Kreditaufnahme ermöglichten, aber die Rückzahlung jetzt durch ihre Erhöhung der Leitzinsen verteuern. Das Finanzkapital verfrachtet sich in die westlichen Zirkulationssphären zurück.
»Der internationale Finanzmarkt hat prinzipiell nur bedingt ein strukturelles Interesse daran, jene Entwicklungsaufgaben zu übernehmen, die historisch vom Staat übernommen wurden.«
In Zeiten der sogenannten Polykrise, der westlichen Finanzierung mehrerer Armeen und steigender Zinsen in den USA, der EU und Japan ziehen viele Investitionsgesellschaften ihre Anlagen aus Entwicklungsländern ab. Spender priorisieren derzeit die Ukraine und andere einzelne Konfliktherde sowie Ausgaben für Geflüchtete im eigenen Land. Dieses Geld fehlt dann bei den Weltbankfonds. Auch nach den Frühjahrstagungen stehen die Zeichen nicht auf Trendumkehr.
Der Weltbank-Chef Banga fand auf diese Herausforderung nur eine bescheidene Antwort. Neben Versprechungen, die institutionelle Reform voranzutreiben und mit Bilanzierungstricks die Kreditvergabekapazität zu erhöhen, setzen große Entwicklungsinstitutionen, und auch die EU, vor allem auf die Mobilisierung von privaten Investitionen.
Auch bei der jüngsten Frühjahrstagung der Weltbank wurde dieser Ansatz vorangetrieben. Dabei soll Privatkapital aus den Vorräten der globalen Investmentgesellschaften à la BlackRock oder Vanguard für die Armutsbekämpfung herangezogen werden, aber auch und vor allem für die Finanzierung einer klimafreundlichen Wirtschaftstransformation und Infrastrukturentwicklung.
Allein mit klassischen staatlichen Zuschüssen oder konzessionären Darlehen können oder wollen die Regierungen der reichen Länder den immensen Finanzbedarf nicht decken. Die Ära der westlichen Sparpolitik hat die internationalen Spendenfonds massiv vermindert. Denn mit ihnen sind keine Wählerstimmen und nur indirekte Wirtschaftsinteressen verknüpft.
Um dem Dilemma der Geldknappheit zu begegnen, bietet die Weltbank eine Reihe hochkomplexer Kreditfinanzierungen an, deren verzweifelte Kreativität sich proportional zur Geldknappheit in den Spendentöpfen entwickelt. Ein wesentlicher Teil lässt sich unter Garantien zusammenfassen. Diese Finanzinstrumente stellen letztlich Versicherungen dar, die die Verluste der Privatinvestierenden kompensieren, falls ihre Anlagen in Assets in Ländern des Globalen Südens keine Rendite erzielen sollten. Es geht hier also darum, das Anlagerisiko zu verringern und sie somit zu Investitionen in unterfinanzierte Bereiche zu ermutigen.
Durch Garantien und begleitende regulatorische Maßnahmen soll eine Hebelwirkung eintreten; jeder staatlich investierte Dollar, der zu Versicherung privater Investitionen dient und sie damit anlockt, soll eine Vervielfältigung des gesamten Investitionsvolumens bewirken.
Dieser Hebelansatz, auch bekannt unter Schlagwörtern wie »blended finance«, Mischfinanzierung, oder »de-risking«, geht auf die Addis Abeba Action Agenda aus dem Jahr 2015 zurück, wo die Finanzierungslücke zwischen den infrastrukturellen Bedürfnissen und der Geberbereitschaft erstmals thematisiert wurden. Bis 2030 wollten die Bretton-Woods-Institutionen und Geberländer das Finanzierungsvolumen »von Milliarden zu Billionen« steigern.
Auch heute noch ergehen sich Fans des Hebelansatzes bei der Schätzung des Faktors der Vervielfältigung in den tollsten Fantasien. Es hofft zwar niemand mehr auf die gewünschten Billionen, aber manche versprechen immer noch, dass sich das Investitionsvolumen um ein Siebenfaches multiplizieren könne.
»Trotz der besten Marketingbemühungen der neoliberalen Technokratie Washingtons oder Brüssels ist öffentliche Infrastruktur und Armutsbekämpfung schlicht keine profitable Anlageklasse.«
In der Realität ist man jedoch von solchen Resultaten weit, weit entfernt; das Scheitern der Bretton-Woods-Institutionen ist immens.
Jüngste Zahlen der Privatinvestitionen belegen das. Seit einem Hochstand 2017 hat sich das private Kreditvergabevolumen an den Globalen Süden bis 2022 wieder mehr als halbiert und liegt auf einem Jahresniveau von nur circa 123 Billionen US-Dollar – unvorstellbar weit entfernt vom milliardenschweren jährlichen Finanzierungsbedarf.
Auch deswegen fiel der Enthusiasmus zur Mobilisierung neuer Mittel auf der Frühjahrstagung erheblich gedämpfter aus als in der Vergangenheit. Es ist klar: Der internationale Finanzmarkt hat prinzipiell nur bedingt ein strukturelles Interesse daran, jene Entwicklungsaufgaben zu übernehmen, die historisch vom Staat übernommen wurden.
Trotz der besten Marketingbemühungen der neoliberalen Technokratie Washingtons oder Brüssels ist öffentliche Infrastruktur und Armutsbekämpfung schlicht keine profitable Anlageklasse. Gerade in Ländern der untersten Einkommensstufen sind oftmals kaum passende Märkte vorhanden, und es gibt dementsprechend keine Kreditnachfrage, in die Portfoliomanager investieren könnten.
Dort ist der Investitionsbedarf nach grundlegendster Infrastruktur und existenzieller Armutsbekämpfung aber am akutesten. Doch eine Entwicklungsstrategie, die sich vom Renditestreben lenken lässt, muss solche Länder vernachlässigen, egal wie niedrig das Anlagerisiko durch staatliche Absicherung ist. Der internationale Markt regelt das nicht.
Etwas beliebter unter ausländischen Investorinnen und Investoren sind beispielsweise die Energie- und Bankensektoren. Diese schaffen aber nur sehr wenige neue Jobs für ärmere Bevölkerungsteile, geschweige denn soziale Absicherung. Eher fördert solch ein sektoral unausgeglichenes Wachstum die Vermögensungleichheit, die Abhängigkeit von internationalen Spekulanten, die Klientelpolitik und die geografisch ungleiche Entwicklung.
Allgemein verschärfen Garantien dort, wo sie trotz allem von Investierenden wahrgenommen werden, einen Trend der Finanzialisierung, der die Zügel der Macht und wirtschaftlichen Kontrolle aus den Händen der Ministerien an BlackRock, Vanguard, und Co. überträgt. Das Wohl der Volkswirtschaften wird dem Profitstreben der Investierenden anvertraut. Symptomatisch dafür: Bei der Weltbank selber ersinnt das eigens eingerichtete Gremium Private Sector Lab die Maßnahmen, mit denen man das Privatkapital umgarnt. Vom Weltbankchef Banga, selbst ehemals CEO von Mastercard, persönlich ins Leben gerufen, ist es primär mit CEOs und Bankerinnen besetzt.
Die Volkswirtschaftsprofessorin Daniela Gabor beschrieb bereits bei JACOBIN, wie ein neuer »Wall Street Consensus« im Entwicklungssektor Fuß gefasst hat, der dem Staat seine zentrale Rolle aberkennt und sie dem Finanzmarkt zuspricht. Zuletzt twitterte sie treffend: »Das Problem mit dem de-risking ist, dass es selbst in seiner ehrgeizigsten Form das Tempo und die Art der Dekarbonisierung an das Privatkapital auslagert.«
»Entwicklungszusammenarbeit ist für ›Partnerländer‹ oftmals nur ein anderes Wort für die Privatisierung ehemals öffentlicher Sektoren und die Schaffung von Absatzmärkten für europäische oder amerikanische Waren.«
Letztlich marginalisieren die Regierungen in ihrem Sparwahn ihre eigene Rolle in der Außenwirtschaft, und depolitisieren die Frage, wie die meisten Länder der Welt jemals die notwendigen Mittel für die Klimatransformation und Wirtschaftsentwicklung erhalten sollen. Gleichzeitig schimpft das europäische und US-amerikanische Diplomatiepersonal bei jeder Klimakonferenz heuchlerisch auf die unwilligen und schmutzigen Schwellenländer.
Dass dieser Umstand entlang neokolonialer Nord-Süd-Gefälle verläuft, ist selbstverständlich. So sind die zehn größten Investmentgesellschaften, die sich an staatlich abgesicherten Mischfinanzierungen beteiligen, ausschließlich in den Ländern des globalen Nordens ansässig: Großbritannien, USA, Frankreich, Schweiz, Deutschland und Japan.
Neben der scheiternden Strategie der Privatkapitalmobilisierung bleibt der Weltbank nur, mit den Regierungen um ein paar gespendete Dollar mehr zu ringen. In Zeiten des Krieges, der geopolitischen Polarisierung, und der Austerität wird dabei nicht viel rumkommen.
Auch als öffentliche Kredite und Löhne noch umfänglicher verfügbar waren und Investitionsgesellschaften noch eine weniger prominente Rolle spielten, war die Entwicklungsfinanzierung ein trojanisches Pferd.
Entwicklungszusammenarbeit ist für »Partnerländer« oftmals nur ein anderes Wort für die Privatisierung ehemals öffentlicher Sektoren und die Schaffung von Absatzmärkten für europäische oder amerikanische Waren. Gerade der IWF verlangt tiefgreifende Umgestaltungen der Bürokratien und Beschneidungen des staatlichen Handelsspielraums der »Partnerländer« im Gegenzug für Staatskredite.
Insbesondere in Deutschland, einem der größten Geberländer, müssen sich Linke gegen diese Logik stemmen. Zusätzlich zu einer umfassenden Systemkritik sollten Forderungen bei einem massiven Erlass der Staatsschulden beginnen. Auch innerhalb der derzeit geltenden Spielregeln des globalen Weltmarkts müssen Länder des Globalen Südens aus der Schuldenfalle befreit werden und Zugriff auf Investitionsmittel erhalten. Ohne geht es nicht. Dafür ist eine Repolitisierung der Rolle der Weltbank und des IWF bitter nötig – bis hin zur Frage, wofür man diese scheiternden Institutionen überhaupt noch braucht.
Simon Pompé arbeitet als Referent für Internationale Finanz- und Entwicklungspolitik beim Verein Weltwirtschaft, Ökonomie & Ökologie in Berlin. Er ist gewerkschaftlich und politisch in Berlin aktiv.