29. Juni 2024
In der Fördergeld-Affäre um FDP-Ministerin Stark-Watzinger offenbart der Liberalismus der Liberalen seinen autoritären Kern: Wer sich traut, die im Namen der Staatsräson erfolgten Polizeieinsätze an Hochschulen zu hinterfragen, soll zum Schweigen gebracht werden.
Bei der Regierungsbefragung blieb Stark-Watzinger Anworten schuldig, Berlin, 26. Juni 2024.
IMAGO / dts NachrichtenagenturDie Bildungsministerin Bettina Stark-Watzinger steht seit Wochen in der Kritik, und der Skandal um ihr Ministerium wird immer absurder. Daher wollen wir den Fall noch einmal von vorne aufrollen, denn er lehrt uns eine Menge über den Autoritarismus der angeblich freiheitsliebenden Liberalen: Nach der Räumung eines pro-palästinensischen Protestcamps an der FU Berlin hatten über 1.000 Uni-Dozentinnen und Uni-Dozenten einen offenen Brief unterzeichnet, in dem sie sich gegen Polizeigewalt und für einen Dialog mit den Studierenden aussprachen.
Stark-Watzinger reagierte darauf, wie man es als Bildungsministerin der FDP eben tut: Mit einem Interview in der BILD-Zeitung. Dort erklärte sie: »Dass es sich bei den Unterstützern um Lehrende handelt, ist eine neue Qualität.« Auch stellte sie in Frage, ob die Dozentinnen und Dozenten »auf dem Boden des Grundgesetzes stehen«.
Diese Aussage war für sich genommen schon grotesk – immerhin enthielt der offene Brief kein einziges Wort, das auf eine verfassungsfeindliche Gesinnung schließen lassen könnte. Im Gegenteil, die Dozentinnen und Dozenten beriefen sich ja gerade auf die Grundrechte, als sie schrieben: »Unabhängig davon, ob wir mit den konkreten Forderungen des Protestcamps einverstanden sind, stellen wir uns vor unsere Studierenden und verteidigen ihr Recht auf friedlichen Protest, das auch die Besetzung von Uni-Gelände einschließt. Die Versammlungs- und Meinungsfreiheit sind grundlegende demokratische Rechte, die auch und gerade an Universitäten zu schützen sind.«
Defensiver kann man ein Statement kaum formulieren: Hier wird nicht einmal Sympathie mit den Zielen der Besetzerinnen und Besetzern ausgedrückt, sondern einfach nur formuliert, dass es einen gewaltfreien Umgang mit diesen Protesten braucht. Diesen Forschenden Verfassungsfeindlichkeit oder gar Antisemitismus zu unterstellen, kommt einer gewaltigen Anklage gleich, kaum ein Vorwurf wiegt schwerer, insbesondere im öffentlichen Dienst.
Die BILD ließ es dabei natürlich nicht bewenden und übte sich mal wieder darin, Menschen öffentlich anzuprangern: Mehrere Forschende wurden unter der Überschrift »Die Universitäter« öffentlich diffamiert, ihre Fotos wurden abgebildet, ihre Namen ausgeschrieben, und ihnen wurde nachgesagt, »einen offenen Brief für Juden-Hass-Demos« unterschrieben zu haben. Ebendieser Artikel enthielt auch Zitate der Ministerin.
All das wäre schon genug für einen waschechten Skandal: Eine Bildungsministerin wird zur BILD-Ministerin und gibt die Forschenden des Landes zum Abschuss frei. Noch verrückter wurde das Ganze, als dann auch noch herauskam, dass im Bildungsministerium geprüft wurde, ob man politisch unliebsamen Forschenden die Fördermittel entziehen könnte. Um es klarzumachen: Das würde bedeuten, dass Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, die einen völlig harmlosen Brief unterschrieben haben, nicht mehr weiter forschen könnten.
Der autoritäre Liberalismus zeigt sich hier ganz offen: Wer es wagt, die rücksichtslose Durchsetzung der Staatsräson mit Polizeiknüppeln auch nur vorsichtig zu hinterfragen, soll in die Arbeits- und Perspektivlosigkeit gedrängt werden.
Nun steckt Stark-Watzinger tief in der Patsche: Ihre Behauptungen, sie hätte mit diesen Prüfvorgängen nichts am Hut, sind völlig unglaubwürdig. Immer wieder tauchen neue geleakte Mails auf, die die Ausreden der Ministerin immer alberner erscheinen lassen. Unter normalen Umständen würde nun ein Rücktritt folgen – aber eine normale Personalpolitik kann es unter einem Cum-Ex-Kanzler ohnehin nicht geben. Von daher bleibt abzuwarten, ob der Angriff auf die Wissenschaftsfreiheit größere personelle Konsequenzen hat als die Entlassung der Staatssekretärin Sabine Döring, die als mutmaßliches Bauernopfer die Verantwortung für die Fördermittelaffäre übernehmen musste und gegangen wurde.
So oder so hat dieser Skandal noch einmal klargemacht, dass die deutsche Wissenschaftscommunity von der Regierung nichts und wieder nichts zu erwarten hat: Nachdem das viel gescholtene Wissenschaftszeitvertragsgesetz so reformiert wurde, dass die existenzielle Unsicherheit, die vielen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern zu schaffen macht, nicht abgemildert wurde, stehen kritische Forschende nun auch noch im Fadenkreuz des Ministeriums und der Hetzpresse.
Ole Nymoen betreibt den Wirtschaftspodcast Wohlstand für Alle und ist Kolumnist bei JACOBIN.