21. Februar 2023
Steuern runter für Reiche, Steuern rauf für Arme – das forderte ein aktuelles Papier der FDP, das wieder offline genommen wurde. Auf einmal will es keiner gewesen sein.
Gerade einmal 5 Tage traute sich die FDP, ihr wahres Gesicht zu zeigen.
IMAGO / BildgehegeDie FDP ist wirklich kaputt, politisch wie organisatorisch. Das zeigt das Hin und Her über ein »Positionspapier der Freien Demokraten im Deutschen Bundestag«, das sie am 16. Februar veröffentlichte. Das Papier enthält brisante Forderungen, etwa »höhere indirekte Steuern, weniger Ausnahmen vom normalen Mehrwertsteuersatz und einen Abbau fragwürdiger Steuerermäßigungen«.
Über das Papier mit dem Titel: »Wirtschaftliche Freiheit anstatt Subventionen – unsere Antwort auf den Inflation Reduction Act (IRA)« berichtete das Handelsblatt noch am gleichen Tag – hinter einer Paywall. Eine größere Öffentlichkeit erfuhr davon erst durch meinen Artikel vom Folgetag, in dem ich analysiere, dass dies potenziell fette Steuererhöhungen für die Ärmsten bedeutet. Auf Twitter wurde die Nachricht tausendfach weiterverbreitet.
Die Debatte drehte sich. Was war wohl mit diesen nebulösen Worten gemeint? Der FDP-Finanzpolitiker Max Mordhorst leakte einen Teil der Diskussion. Die FDP erwägte demnach auch, den ermäßigten Satz der Mehrwertsteuer zu streichen. Das wäre ein Sozialskandal sondergleichen, denn die Lebensmittelpreise sind im letzten Jahr bereits um rund 20 Prozent gestiegen. Ein Aufschlag von 7 auf 19 Prozent Mehrwertsteuer hätte eine weitere massive Preissteigerung zur Folge.
Zu diesem Zeitpunkt war das Papier nicht mehr auf der FDP-Webseite zu finden. Wie konnte das sein? Die Einen gingen von einem technischen Fehler aus. So politisch laienhaft kann die FDP doch nicht unterwegs sein – dachte auch ich zuerst. Die Anderen vermuteten direkt die politische Hardliner-Wende der FDP. Sie sollten Recht behalten.
Doch das Papier war noch immer im Cache abrufbar. Ein Hoch auf die Digitalkompetenz der FDP. Es wurde daraufhin auf Twitter nach allen Regeln der Kunst auseinandergenommen. Dabei zeigten sich die rohen Klasseninteressen einiger FDPler. Erhöhungen der Mehrwertsteuer treffen die Ärmsten nämlich immer am härtesten, da sie den Großteil ihres Einkommens direkt wieder ausgeben müssen, angefangen bei Lebensmitteln. Dieses Vorhaben, gepaart mit den von der FDP geforderten Steuersenkungen für Unternehmen, ist hemmungslos, dreist und wäre als Klientelpolitik für Reiche schwer zu übertreffen.
Genauso bemerkenswert wie dieser Vorstoß der FDP: Die Medien in der Hauptstadt interessierte das nicht. Die Hauptstadtpresse druckt doch sonst immer gern eins zu eins die Entlastungsversprechen der FDP (für Reiche) ab. Ein Schelm, wer Böses dabei denkt, dass sie zu diesen Belastungsversprechen (für Arme) schwieg.
Plötzlich war da ein merkwürdiger Schwebezustand, denn auch die FDP-Führung schwieg zu dem nicht mehr aufrufbaren Positionspapier. Galt es noch? Wurde es widerrufen?
Am Sonntag, dem 19. Februar, rief ich in der FDP-Pressestelle an und fragte, ob es noch aktuell sei. Das Papier war noch aktuell, wurde mir versichert, es sei sogar vom Fraktionsvorstand beschlossen. Das ist brisant.
Doch am Tag darauf, Montag, dem 20. Februar, erklärte der FDP-Finanzpolitiker Christoph Meyer, dass das Papier tatsächlich widerrufen worden sei. So sagte er gegenüber der Welt: »Wir haben es zurückgezogen, da es sich lediglich um einen unabgestimmten Entwurf handelte.« Eine abstruse Ausrede. Immerhin titelte es schon »Positionspapier der Freien Demokraten im Deutschen Bundestag«.
Klar ist, dass der Druck vieler kritischer Stimmen übers Wochenende zu dieser Kehrtwende beigetragen hat. So war am Montag auch die inhaltliche Linie auf einmal eine andere: »Wir wollen keineswegs den Mehrwertsteuersatz auf Grundnahrungsmittel erhöhen«, ließ sich Meyer zitieren.
Natürlich hat sich diese Position nicht einfach in Luft ausgelöst, insgeheim wird sie zumindest bei einigen Freidemokraten natürlich fortbestehen. In der neuen Version des Papiers möchte man jene Stelle nun präzisieren. Laut Informationen der Welt ist »aus der Fraktion aber auch schon zu hören, dass man vielleicht am besten den ganzen Satz mit den ›höheren indirekten Steuern‹ wieder streicht«. Damit wären die Steuererhöhungen für die Armen vom Tisch – aber auch das zugrundeliegende Anliegen, für das man die Steuermehreinnahmen aufwenden wollte, nämlich den Abbau des Mittelstandsbauchs. Was bleibt, ist dass die FDP-Fraktion fordert, die Unternehmenssteuern zu senken, wovon vor allem Reiche profitieren.
Vielleicht sollte sich die FDP-Bundestagsfraktion nach diesem internen Chaos selbst mal ein paar Leute von McKinsey & Company ins Haus holen. Denn offenbar ist die Fraktionsspitze so inkompetent, dass sie ein Papier mit nicht abgestimmten Positionen veröffentlicht. Weil die FDP-Spitze ein bisschen Gegenwind bekam, ist sie nun eingeknickt. Gerade einmal fünf Tage traute sie sich, ihr wahres Gesicht zu zeigen.
Lukas Scholle ist Volkswirt, Wissenschaftlicher Mitarbeiter für Finanzpolitik im Deutschen Bundestag und Kolumnist bei JACOBIN.