26. April 2023
Die Protestpartei Bauern-Bürger-Bewegung hat letzten Monat bei den niederländischen Provinzwahlen überraschend gewonnen. Sie inszeniert sich als Stimme der Abgehängten vom Land. Doch hinter der Partei steckt eine Marketingagentur mit engen Verbindungen zur Agrarlobby.
BBB-Vorsitzende Caroline van der Plas am Tag nach dem Wahlsieg, 16. März 2023.
IMAGO / ANPBei den niederländischen Provinzwahlen im vergangenen März hat die rechtspopulistische Bauern-Bürger-Bewegung (BBB) die Politik im Sturm erobert. Die Partei errang 15 von 75 Sitzen und ist damit nun stärkste Kraft im Senat. Der Durchbruch war zu erwarten, ist aber dennoch ein schwerer Schlag für die liberal-konservative Koalitionsregierung von Premierminister Mark Rutte.
Die Partei wurde 2019 nach einer Reihe von Bauernprotesten in den Niederlanden gegründet. Der unmittelbare Anlass war ein Urteil des Obersten Gerichtshofs der Niederlande. Es veranlasste die Regierung dazu, EU-Normen durchzusetzen, die eine Reduktion der Stickstoffemissionen in Naturschutzgebieten vorsieht. Das Urteil war die Folge jahrelanger Kampagnen von Umwelt-NGOs, die unzählige Klagen gegen die Regierung wegen ihrer Vernachlässigung ökologischer Belange eingereicht hatten.
Da bei Bauarbeiten Stickstoff freigesetzt wird, wurden Baugenehmigungen zunächst ausgesetzt – ein großes Problem angesichts der anhaltenden Wohnungskrise im Land. Hinzu kommt, dass der Agrarsektor für die höchsten Stickstoff-Emissionen verantwortlich ist. Obwohl die Niederlande ein kleines Land sind, sind sie weltweit der zweitgrößte Exporteur von Agrarprodukten, die vor allem in benachbarten EU-Ländern wie Deutschland verkauft werden. Die intensive Viehhaltung, die unter anderem eine Versauerung der Böden zur Folge hat, sorgt sogar dafür, dass die die höchsten Stickstoffemissionen in Europa auf die Niederlande zurückgehen. Um die Emissionen zu reduzieren, muss der Viehbestand halbiert werden.
Das Urteil des Obersten Gerichtshofs führte ab Oktober 2019 zu einer Welle von Protesten. Landwirte fuhren mit Traktoren nach Den Haag, blockierten Autobahnen und Supermarkt-Verteilzentren und schüchterten Politikerinnen und Politiker ein. Die Proteste wurden bald zu einer causa célèbre der konservativen Bewegung weltweit und schafften es sogar bis in die Sendung des Fox-News-Moderators Tucker Carlson.
Im März dieses Jahres, kurz vor den Wahlen, fand in der politischen Hauptstadt der Niederlande eine weitere Kundgebung der Landwirte statt, die durch Restriktionen der Stadtverwaltung stark eingeschränkt wurde (von den angekündigten 100.000 Demonstranten durfte nur ein Viertel teilnehmen). Am selben Tag blockierte Extinction Rebellion eine Hauptverkehrsstraße, um den Anmarsch der Landwirten aufzuhalten.
Obwohl die BBB aus dieser Bauernrevolte hervorgegangen ist, wurde sie in Wirklichkeit von einer Marketingagentur gegründet. Die von der Agrarjournalistin Caroline van der Plas geführte Partei behauptet, sich für die vernachlässigten ländlichen Gebiete und die »einfachen Bürger« einzusetzen. Ihre Ziele sind eine Umkehr in der Umweltpolitik der niederländischen Regierung und gleichzeitig mehr Naturschutz. Doch ironischerweise verteidigt die Partei trotz ihres scheinbaren Engagements für den Schutz des ländlichen Raums tatsächlich das Recht großer multinationaler Unternehmen, eben diesen Raum zu verschmutzen.
Auch wenn die BBB eine Neuerscheinung auf der politischen Landkarte ist, geht sie aus einem längeren gesellschaftlichen Transformationsprozess hervor. In den 1990er Jahren konsolidierte sich der Neoliberalismus in den Niederlanden und die Idee des keynesianischen Wohlfahrtsstaates wurde endgültig aufgegeben. Seit 2010 ist die Volkspartei für Freiheit und Demokratie (VVD) die stärkste Partei und deren Ministerpräsident Mark Rutte der bisher am längsten amtierende Premierminister. Als Verfechterin neoliberaler Reformen zeichnet sich die VVD durch einen von oben nach unten gerichteten, stark technokratischen Politikansatz aus. Rutte bezeichnet das Land, das er führt, regelmäßig als die »niederländische Aktiengesellschaft«.
Die Niederlande, die einst für ihre fortschrittliche Sozial- und Kulturpolitik bekannt waren, sind in den letzten zehn Jahren noch weiter nach rechts gerückt. Rechtspopulistische Kräfte wie die islamfeindliche Freiheitspartei (PVV) von Geert Wilders und das elitäre Forum für Demokratie (FvD) von Thierry Baudet haben es geschafft, das gesamte politische Spektrum in diese Richtung zu ziehen. In diesem Zusammenhang hat der massive Sieg der BBB die Rechte neu gemischt. Während sich die PVV und die FvD hauptsächlich auf klassische rechtsextreme Themen wie Migration, Europa und Kulturkampf konzentrierten, scheint die Bauernpartei ein breiteres Spektrum von Anliegen der »normalen Bürger« anzusprechen.
Die Parteivorsitzende van der Plas verkörpert das niederländische Selbstbild der »Normalität«: konservativ, unscheinbar und vor allem vernünftig. Neben Wilders, mit seinen Visionen eines eschatologischen Kampfes gegen den Islam, oder Baudet, dessen Beliebtheit bei den Wählerinnen und Wählern aufgrund seiner autokratischen Parteiführung und offenen Verbreitung von Verschwörungstheorien (die vom »Großen Reset« bis zur Weltherrschaft bösartiger »Reptilien« reichen) stark gesunken ist, ist van der Plas damit klar im Vorteil. Dieses Image ermöglichte der Partei, Wählerinnen und Wähler aus dem gesamten politischen Spektrum anzuziehen: nicht nur von den Rechtsradikalen, sondern auch von der VVD, den Christdemokraten (CDA) und der Sozialistischen Partei (SP). Auf ihrer Kandidatenliste auch ehemalige Mitglieder der VVD und der CDA vertreten.
Seitdem die Partei im Jahr 2021 mit einem Sitz ins Parlament eingezogen ist, hat sich die BBB in kulturellen Fragen wie Migration auf die Seite der Rechten geschlagen und in sozialen Fragen wie Gesundheits- und Jugendpolitik auf die Seite der Linken. Auch wenn sie sich selbst als »sozial-rechts« bezeichnet, sollte man sich über die geradezu reaktionären Elemente ihres Programms keine Illusionen machen. Bis vor kurzem plädierte sie zum Beispiel für eine Telefon-Hotline an Schulen, um Lehrkräfte melden zu können, die »Ideologie im Unterricht verbreiten«. Und obwohl die Partei den Klimawandel nicht leugnet, bedient sie sich konsequent einer Rhetorik, die die Idee einer ökologischen Krise infrage stellt. In einer Parlamentsdebatte erzählte van der Plas etwa, dass eine seltene Moosart in einem Nationalpark gesichtet worden sei, und schlussfolgerte daraufhin: »Die Natur kollabiert nicht«.
Obwohl eine europäische Richtlinie über Stickstoffemissionen bereits 1991 erlassen wurde, haben die niederländische Regierung und die mächtige Agrarlobby lange versucht, das Problem zu leugnen. Die technokratische Art und Weise, in der die Regierung ihre Pläne zur Durchsetzung der Vorschriften vorstellte, erklärt, weshalb die Bauernproteste 2019 so heftig ausfielen. Die BBB konnte sich dabei als Anti-Establishment-Partei und Sprachrohr der Revolte präsentieren.
Das Image als Partei der Basis trügt jedoch da die Bewegung enge Beziehungen zur Agrarlobby unterhält. Die Social-Media-Plattform, aus der die Partei hervorging, wurde von van der Plas und der ReMarkAble communications BV gegründet, einer Marketingagentur, zu deren Kunden Lebensmittelkonzerne wie Vion, SAC und Bayer zählen. Noch vielsagender ist, dass die Agentur auch die gesamte Wahlkampagne der BBB finanziert hat. Einige ihrer Mitarbeitenden bekleiden sogar prominente Posten in der Partei.
Einige Kommentatoren argumentieren, dass der Wahlsieg der BBB eine Rückkehr des niederländischen Agrarpopulismus darstellt und verweisen auf die niederländische Bauernpartei, die Mitte der 1960er Jahre mit ihrem Protest gegen die Einmischung der Regierung in die Landwirtschaft Erfolg hatte. Gleichzeitig handelt es sich um eine Form des ländlichen Populismus, die für europäische Länder mit einem historisch großen Agrarsektor typisch ist. Programmatisch weist sie Ähnlichkeiten zu den skandinavischen ländlichen Zentrumsparteien, wie etwa in Norwegen oder Finnland, auf.
In seinem Buch The Country and the City (»Das Land und die Stadt«) erörtert der marxistische Kulturtheoretiker Raymond Williams, wie die Unterscheidung zwischen Stadt und Land seit der Antike in der Literatur eingesetzt wurden. Mit dem Aufkommen des Kapitalismus hat sich eine ideologische Sichtweise herausgebildet, der zufolge das »unschuldige« Land von der »korrupten« Stadt ausgebeutet wird. Diese Sichtweise ist nicht nur deshalb ideologisch, weil die Eigentumsverhältnisse auf dem Land zur Ausbeutung von Mensch und Natur führen, sondern auch, weil die Stadt die Interessen der ländlichen Eliten vertritt. Belletristik, die über Stadt und Land geschrieben wird, diene oft dazu, so Williams, »oberflächliche Vergleiche zu fördern und echte zu verhindern«.
Das Gleiche gilt für die Selbsterzählung der BBB. In ihrem Wahlprogramm
spricht sie nostalgisch über die bedrohte »einzigartige Landschaft« der Niederländische, deren Hüter die Landwirte und Gärtnerinnen seien. Gleichzeitig beklagt sie das Verschwinden »uralter ländlicher Traditionen« und verspricht, den »gesunden Menschenverstand« und ein »gesundes Landleben« wiederzubeleben. So bedient sich die Partei den Mythos eines authentischen und idyllischen ländlichen Raums, der sich tapfer gegen die technokratischen Eingriffe aus Den Haag wehrt.
Seit der Mechanisierung der Nachkriegsära ist die Zahl der Beschäftigten in der niederländischen Landwirtschaft stetig gesunken. Im Jahr 2019 waren etwa 0,6 Prozent aller Arbeitskräfte in diesem Sektor beschäftigt. Jeder fünfte Millionär ist Landwirt und die Landwirtschaft wird stark subventioniert. Anders als der Protest-Slogan »No Farmers, no food« suggeriert, werden sich die vorgeschlagenen Maßnahmen nicht so sehr auf die lokale Lebensmittelversorgung auswirken, sondern vor allem auf die Agrarexporte (die nur einen kleinen Teil des niederländischen BIP ausmachen, im Jahr 2020 waren es etwa 1,4 Prozent). Es sind also nicht unbedingt die Kleinbauern, sondern die großen multinationalen Konzerne, die am meisten von der Wende zu einer ökologischeren, sozial nachhaltigeren Landwirtschaft zu verlieren haben.
Landarbeiterinnen sind unter der BBB-Wählerschaft in der Minderheit. Ein großer Teil der Wählerbasis lebt in abgelegenen Regionen und urbanen Zentren. Was sie eint, ist, ihre Ablehnung der Regierung. BBB-Wählerinner und -Wähler gehören in der Regel zur Arbeiterklasse und sind über fünfzig Jahre alt. Wie der niederländische Schriftsteller Menno Ter Braak einmal anmerkte, wird der Bauer oft als das »Andere« der Zivilisation imaginiert. Viele niederländische Wählerinnen und Wähler aus der Arbeiterklasse betrachten Bäuerinnen und Bauern als das Gegenteil der vegetarischen »Hafermilch-Elite«: die selbstzufriedene städtische Mittel- und Oberschicht.
Jenseits der geschickten Rhetorik der Bauernpartei gibt es zwei wichtige Faktoren, die zu ihrem Erfolg beigetragen haben. Die BBB profitiert davon, dass die niederländische Bundespolitik viele Randgebiete vernachlässigt hat. Einige Regionen sind aufgrund von Kapitalflucht und Bevölkerungsabwanderung seit Jahrzehnten im stetigen Niedergang. Mit ihrer neoliberalen Politik, die die städtischen Zentren – die Gewinnerinnen und Gewinner der Globalisierung – fördert, hat die niederländische Regierung es versäumt, in die Wirtschaft und die soziale Infrastruktur dieser vergessenen Regionen zu investieren. Das wiederum hat die Ungleichheit weiter verschärft. Der öffentliche Nahverkehr verschwindet, Schulen und Bibliotheken werden geschlossen. Ein weiterer wichtiger Faktor ist das weitreichende Versagen der Rutte-Regierung: Die Kindergeld-Affäre, die Wohnungskrise, die Gaskrise und der Umgang mit der COVID-19-Pandemie bildeten den Nährboden für den Unmut der Bevölkerung.
Die BBB verbindet einen populistischen Anreiz mit einer erfolgreichen Mythologisierung der Interessen der Kleinbauern und der großen Lebensmittelkonzerne. Damit hat sie die CDA, den traditionellen Vertreter des Agrarsektors, in eine Identitätskrise gestürzt. Ihr Aufstieg zeigt aber auch, dass der linke Flügel der niederländischen Politik – die Sozialdemokraten, die Grünen (GroenLinks) und die Sozialistische Partei – jahrelang strukturell versagt haben, wenn es um regionale Belange ging. Die Tatsache, dass die Sozialdemokraten und die Grünen trotz ihres jüngsten Bündnisses mehr oder weniger gleich groß geblieben sind, kann als Niederlage gelten.
Mit ihrem scheinbar gemäßigten Tonfall gelingt es der neuen Bauernpartei, sowohl von der extremen Rechten als auch von Rechtsliberalen und Rechtskonservativen Unterstützung abzuziehen. Ihr Sieg bei den niederländischen Provinzwahlen zeigt, was passieren kann, wenn eine technokratische Regierung nach jahrzehntelangem Leugnen und Zaudern versucht, den grünen Wandel überstürzt durchzusetzen.
Die jüngsten Proteste der Landwirte in ganz Europa – sei es in Frankreich, Deutschland oder Belgien – gründen auf einer ähnlichen Unzufriedenheit. In diesem Sinne könnten die Niederlande zu einem Labor für weitere Formen des europäischen Rechtspopulismus werden. Für die Linke lässt sich daraus eine wichtige Lehre ziehen: Wenn Klimamaßnahmen als technokratische Lösungen wahrgenommen werden, die die Mittel- und Oberschicht begünstigen, eröffnet das den Rechten eine Chance, um aus dem daraus entstehenden Frust politisch Kapital zu schlagen.
Helmer Stoel ist Redakteur bei Jacobin NL.