06. März 2023
Benito Mussolini hat der modernen Sparpolitik den Weg bereitet und die Arbeiterbewegung unterdrückt. Liberale Ökonomen im In- und Ausland bewunderten ihn dafür.
Benito Mussolini im Kreise seiner Minister.
IMAGO / UIGWenn wir über Konzepte wie »Totalitarismus« und »Korporatismus« sprechen, wird oft angenommen, der Faschismus stünde weit fernab der liberalen Marktgesellschaft, die ihm vorausging, und in der wir heute leben. Wenn wir uns jedoch die Wirtschaftspolitik des italienischen Faschismus, insbesondere in den 1920er Jahren, genauer ansehen, stellen wir fest, dass einige Verknüpfungen, die für das vergangene sowie gegenwärtige Jahrhundert typisch sind, bereits in den ersten Jahren der Herrschaft Benito Mussolinis angewandt wurden.
Ein Beispiel dafür ist die Verbindung von Austerität und Technokratie. Mit »Technokratie« meine ich, dass bestimmte politische Maßnahmen, die heute sehr üblich sind (wie Kürzungen der Sozialausgaben, regressive Besteuerung, monetäre Deflation, Privatisierungen und Lohndrückerei), von Wirtschaftsexpertinnen und Wirtschaftsexperten beschlossen werden, die Regierungen beraten oder sogar selbst direkt regieren. In Italien ließ sich das in jüngster Zeit in gleich mehreren Fällen beobachten.
Wie ich in meinem Buch The Capital Order: How Economists Invented Austerity and Paved the Way to Fascism (Die Ordnung des Kapitals: Wie Ökonomen die Austerität erfanden und dem Faschismus den Weg ebneten) argumentiere, war Mussolini einer der prägendsten Vorreiter der Austerität in ihrer modernen Form. Das lag größtenteils daran, dass er sich mit einflussreichen Ökonomen seiner Zeit umgab, die das entstehende Paradigma der »reinen Ökonomie« vertraten, das auch heute noch die Grundlage der neoklassischen Wirtschaftswissenschaften bildet.
Nachdem der Marsch auf Rom der italienischen Faschisten im Oktober 1922 etwas über einen Monat zurücklag, leiteten die Parlamentsabstimmungen der Nationalen Faschistischen Partei, der Liberalen Partei und der Volkspartei (eine katholische Partei und Vorläuferin der Christdemokratie, die auch Populari genannt wurde) eine »Periode vollumfänglicher Macht« ein. Damit übertrugen sie Mussolinis Finanzminister, dem Ökonomen Alberto de Stefani, und seinen Mitarbeitern und technischen Beratern, insbesondere Maffeo Pantaleoni und Umberto Ricci (der im Gegensatz zu den beiden Erstgenannten ein Liberaler war), nie dagewesene Befugnisse.
Mussolini bot diesen Wirtschaftsexperten die Chance ihres Lebens: Die sollten die Gesellschaft nach dem Ideal ihrer Modelle formen. Auf den Seiten des Economist wurde die autoritäre Wende von Luigi Einaudi – der als Verfechter des liberalen Antifaschismus gefeiert und 1948 der erste Präsident der demokratischen Nachkriegsrepublik Italiens wurde – mit Enthusiasmus begrüßt. »Niemals hat ein Parlament die Exekutive mit einer derart absoluten Macht ausgestattet ... Der Verzicht des Parlaments auf alle seine Befugnisse für einen so langen Zeitraum wurde von der Öffentlichkeit mit allgemeinem Jubel aufgenommen. Die Italienerinnen und Italiener hatten genug von Schwätzern und einer schwachen Exekutive«, schrieb er am 2. Dezember 1922. Am 28. Oktober, dem Vorabend des Marsches auf Rom, hatte er verkündet: »Italien braucht einen Mann an der Spitze, der im Stande ist, alle Forderungen nach neuen Ausgaben mit Nein zu beantworten.«
Die Hoffnungen von Einaudi und seinen Kollegen sollten sich erfüllen. Mussolinis Regime implementierte weitreichende Reformen, die fiskalische, monetäre und industrielle Austerität propagierten. Zusammengenommen entfalteten diesen Reformen eine Wirkung, die der Arbeiterklassen harte Arbeit und Aufopferungsbereitschaft abverlangte und die Wiederherstellung der kapitalistischen Ordnung gewährleistete. Diese Ordnung war in den vorangegangenen Biennio rosso (zwei rote Jahre) durch zahlreiche Volksaufstände und ausgeklügelte Experimente postkapitalistischer wirtschaftlicher Organisation weitgehend infrage gestellt worden.
Zu den Reformen, die jegliche Bestrebungen für einen sozialen Wandel erfolgreich zum Schweigen brachten, zählen drastische Kürzungen der Sozialausgaben, die Entlassung von Beamtinnen und Beamten (allein im Jahr 1923 über 65.000) und die Erhöhung der Verbrauchssteuern (damals die Mehrwertsteuer, die regressiv war, weil sie hauptsächlich von den Armen geleistet wurde). Daneben wurde auch die progressive Erbschaftssteuer abgeschafft, die mit einer Erhöhung der Zinssätze einherging (ab 1925 von 3 auf 7 Prozent), und eine Privatisierungswelle losgetreten, die von Wissenschaftlern wie dem Ökonomen Germà Bel als die erste groß angelegte Privatisierung einer kapitalistischen Wirtschaft bezeichnet wurde.
Darüber hinaus führte der faschistische Staat in der Gesetzgebung die Zwangsarbeit ein, was die Löhne abstürzen ließ und zu einem Verbot der Gewerkschaften führte. Mit der Einführung der Arbeitercharta von 1927, die sämtlichen Klassenkonflikten den Weg versperrte, war die endgültige Niederlage der Bestrebungen der Arbeitenden besiegelt. Diese Charta schrieb den Geist des Korporatismus fest. Dessen Ziel war, wie Mussolini selbst betonte, der Schutz des Privateigentums und »die Wiedervereinigung des schädlichen Dualismus von Kapital und Arbeit innerhalb des souveränen Staates«. Diese seien »nicht länger notwendigerweise als Gegensätze zu betrachten, sondern als Elemente, die ein gemeinsames Ziel anvisieren könnten und sollten, nämlich das oberste Interesse der Produktion.«
Finanzminister de Stefani bejubelte die Charta als »institutionelle Revolution«. Der liberale Wirtschaftswissenschaftler Einaudi rechtfertigte die »korporatistische« Festlegung der Löhne mit der Behauptung, es gäbe keine andere Möglichkeit, um die optimalen Ergebnisse des marktwirtschaftlichen Wettbewerbs gemäß dem neoklassischen Modell nachzuahmen. Die Heuchelei ist offensichtlich: Dieselben Ökonomen, die den freien Markt so vehement gegen den Staat verteidigten, hatten keine Probleme mit repressiven staatlichen Eingriffen in den Arbeitsmarkt. Während der gesamten Zwischenkriegszeit sanken die Reallöhne in Italien ununterbrochen – ein einzigartiger Trend in den Industrieländern.
Zur gleichen Zeit sorgte die steigende Ausbeutung für wachsende Profitraten. Die Londoner Times kommentierte den Erfolg der faschistischen Sparpolitik folgendermaßen: »Die Entwicklungen der letzten beiden Jahre haben dazu geführt, dass das Kapital einen größeren Anteil der Profite abschöpft. Diese Entfesselung des Unternehmertums war sicherlich auch für das gesamte Land von Vorteil war.« Mit diesem typischen Narrativ wird die Spar-Doktrin auch heute noch propagiert und akzeptabel gemacht: Die Zustimmung der breiten Bevölkerung zu Sparmaßnahmen beruht auf einer Rhetorik des Gemeinwohls.
Kurz gesagt: Zu einer Zeit, als die meisten italienischen Bürgerinnen und Bürger spürbare soziale Veränderungen einforderten, war der schnelle Aufstieg der Austerität auf den Faschismus angewiesen – sie benötigte eine starke politische Führung, die von oben durchregiert und ihren nationalistischen Willen ungestraft durchsetzen konnte. Der Faschismus wiederum brauchte die Austerität, um seine Herrschaft zu konsolidieren. Und tatsächlich war die Austerität ausschlaggebend dafür, dass das internationale und inländische liberale Establishment Mussolinis Regierung selbst nach Einführung der Leggi fascistissime [wörtlich: die faschistischsten Gesetze] von 1925–26, mit denen Mussolini als offizieller Diktator des Landes eingesetzt wurde, unterstützte.
Der Economist, der etwa am 4. November 1922 offene Sympathien für Mussolinis Ziel zeigte, eine »drastische Kürzung der öffentlichen Ausgaben« im Namen der »himmelschreienden Notwendigkeit einer vernünftigen Finanzpolitik in Europa« durchzusetzen, jubelte im März 1924: »Signor Mussolini hat die Ordnung wiederhergestellt und die zentralen Störfaktoren beseitigt«. Insbesondere »erreichten die Löhne ihre Obergrenze, die Streiks vervielfachten sich«. Genau das wurde als Störfaktor wahrgenommen und »keine Regierung war stark genug, um dagegen vorzugehen«. Die Times, die den Faschismus als »Anti-Abfall«-Regierung bezeichnete, lobte ihn im Juni 1914 als Antidot gegen die Ambitionen einer »bolschewistischen Bauernschaft« in »Novara, Montara und Alessandria« und »die brutale Dummheit dieser Leute«, die von »Experimenten sogenannter kollektiven Verwaltung« verführt würden.
Die britische Botschaft und die internationale liberale Presse jubelten Mussolinis Triumphen weiterhin zu. Dem Duce war es gelungen, die politische und die wirtschaftliche Ordnung miteinander zu vereinen – der Inbegriff der Austerität. Ende 1923 versicherter der britische Botschafter in Italien seinen Landsleuten, dass »das ausländische Kapital die nicht ungerechtfertigte Zurückhaltung der vergangenen Jahre abgelegt hat und mit neugewonnener Zuversicht nach Italien zurückkehrt«, wie aus Archivdokumenten hervorgeht. Immer wieder stellte der Diplomat die Unfähigkeit der parlamentarischen Demokratie Italiens nach dem Ersten Weltkrieg – die als instabil und korrupt galt – der effizienten Wirtschaftsführung von Minister de Stefani gegenüber:
»Vor achtzehn Monaten wäre jeder geschulte Beobachter der nationalen Lage zu dem Schluss gekommen, dass Italien ein Land auf dem Abstieg ist … Jetzt wird allgemein anerkannt, dass sich das Blatt gewendet hat … die Staatsfinanzen haben sich auf bemerkenswerte Weise stabilisiert … die Zahl der Streikenden [ist] um 90 Prozent und die Anzahl verlorener Arbeitstage um über 97 Prozent zurückgegangen. Die nationalen Ersparnisse sind im Vergleich zum Vorjahr um 4.000 [Millionen Lira] gestiegen; zum ersten Mal übersteigen sie sogar das Niveau der Vorkriegszeit um fast 2.000 Millionen Lira.«
Dennoch fiel die Botschaft eindeutig aus: Angesichts der Erfolge der Austerität verflüchtigte sich jede Sorge um die politischen Missstände des Faschismus. Nachdem der Gouverneur der Bank of England und führende Verfechter des Liberalismus Montagu Norman sein Misstrauen gegenüber einem faschistischen Staat ausgedrückt hatte, in dem »alles, was der Andersartigkeit im Wege steht«, bereits »eliminiert« wurde und »jegliche Opposition verschwunden« war, fügte er hinzu: »Dieser Zustand ist der Lage angemessen und kann Italien momentan die am besten geeignete Verwaltung bieten.«
In ähnlichem Tenor erklärte Winston Churchill, damals Chef des britischen Finanzministeriums: »Verschiedene Nationen tun dieselben Dinge auf verschiedene Weise [. .. ] Wäre ich Italiener gewesen, wäre ich sicher von Anfang bis Ende in eurem siegreichen Kampf gegen … den Leninismus an eurer Seite gewesen.«
In privat und öffentlich geäußersten Kommentaren wiesen sowohl Norman als auch Churchill darauf hin, dass illiberale Lösungen, die in ihrem eigenen Land undenkbar waren, für ein »anderes«, weniger demokratisches Volk wie das italienische gerade richtig sein könnten – diese doppelzüngige Argumentation mag heutigen Leserinnen und Lesern durchaus bekannt vorkommen.
Selbst wenn liberale Beobachter ihre Bedenken äußersten, dann weniger aus Sorge um die Demokratie und vielmehr aus Sorge darum, was wohl geschehen würde, sobald Mussolini das Land nicht mehr führen würde. Im Juni 1928 erklärte Einaudi im Economist, er sei zum einen über eine Lücke der politischen Repräsentation besorgt, vor allem aber befürchtete er einen Zusammenbruch der kapitalistischen Ordnung. Er verweis dabei auf »sehr ernstzunehmende Fragen«, die die Engländer beschäftigten:
Die internationale Politik war von Mussolinis Sparkurs so angetan, dass sie das Regime mit finanziellen Ressourcen belohnten, um die politische und ökonomische Führung des Landes weiter zu festigen. Hervorzuheben ist dabei besonders die Begleichung der Kriegsschulden und die Stabilisierung der Lira, wie Gian Giacomo Migone in seinem Klassiker The United States and Fascist Italy (Die USA und das faschistische Italien) dargelegt hat.
Die ideologische und materielle Unterstützung, die das italienische und internationale liberale Establishment dem Mussolini-Regime gewährte, war kein Sonderfall. Die Mischung aus Autoritarismus, ökonomischer Expertise und Austerität, die der frühe liberista – also wirtschaftsliberale – Faschismus einführte, fand viele Nachahmer: angefangen bei den Chicago Boys, die unter der Diktatur Augusto Pinochets eingesetzt wurden, über die Berkeley Boys, die die Diktatur Suhartos in Indonesien (1967–1998) unterstützten bis hin zu den dramatischen Entwicklungen, die auf die Auflösung der UdSSR folgten und kürzlich wieder in den Fokus gerückt sind.
Im Fall der ehemaligen Sowjetunion erklärte die Regierung von Boris Jelzin den russischen Gesetzgebern den Krieg. Letztere hatten sich der IWF-gestützen Sparpolitik widersetzt, die Jelzin zur Stabilisierung der russischen Wirtschaft anvisierte. Jelzins Angriff auf die Demokratie erreichte ihren Höhepunkt, als der Präsident im Oktober 1993 Panzer, Hubschrauber und 5.000 Soldaten einsetzte, um das russische Parlament unter Beschuss zu nehmen. Dabei verloren 500 Menschen ihr Leben, viele weitere wurden verletzt. Sobald sich der Staub gelegt hatte, war Russland unter diktatorischer Kontrolle. Jelzin löste das »aufsässige« Parlament auf, setzt die Verfassung außer Kraft, ließ Zeitungen verbieten und seine Opposition ins Gefängnis werfen.
Ähnlich wie im Falle von Mussolinis Diktatur in den 1920ern rechtfertigte der Economist auch Jelzins autoritäres Vorgehen ohne Skrupel als einzige Möglichkeit, die die Ordnung des Kapitals sichern könne. Der berühmte Ökonom Larry Summers, der während der Amtszeit von Bill Clinton als Finanzminister tätig war, war fest überzeugt, dass in Russland »die drei ›-ierungen‹ – also Privatisierung, Stabilisierung und Liberalisierung – so schnell wie möglich abgeschlossen werden müssen. Die Dynamik der Reform aufrechtzuerhalten, ist eine entscheidende politische Herausforderung.«
Dieselben liberalen Ökonomen machen auch heute noch keine Zugeständnisse an ihre eigenen Landsleute. Wenn es darum geht, die Geldpolitik in den USA zu straffen, steht Larry Summers an vorderster Front. Um der Inflation entgegenzuwirken, verordnet er eine Dosis Arbeitslosigkeit. Mainstream-Ökonomen haben am Ende immer die gleiche Lösung vor Augen. Die Beschäftigten sollen den Großteil der Entbehrungen in harten Zeiten schultern – und zwar in Form von Lohnabbau, längeren Arbeitszeiten und Sozialkürzungen.
Clara Mattei ist Professorin für Wirtschaftswissenschaften und Direktorin des Center for Heterodox Economics an der University of Tulsa sowie Autorin des Buches Die Ordnung des Kapitals, das 2025 im Brumaire Verlag erscheint.