10. Januar 2023
Viele der größten deutschen Unternehmerdynastien haben sich während der Nazi-Zeit immens bereichert. Warum sie von der Entnazifizierung verschont blieben und stattdessen noch reicher wurden, erklärt David de Jong im JACOBIN-Interview.
Ferdinand Porsche präsentiert Adolf Hitler an dessen 50. Geburtstag ein neues Automodell.
IMAGO / United Archives InternationalIm Jahr 2019 veröffentlichte die Boulevardzeitung Bild schockierende Enthüllungen über eines der mächtigsten Unternehmen Deutschlands. Bild deckte auf, dass Albert Reimann – Gründer eines Familienunternehmens, dessen Investmentfirma JAB Holding Mehrheitsbeteiligungen an Marken von Dr. Pepper bis Jacobs Douwe Egberts hält – ein überzeugter Nazi war, der während des Zweiten Weltkriegs Zwangsarbeiter in seinem Unternehmen sexuell missbrauchte, folterte und demütigte. Das Vermögen der Familie Reimann wird auf 33 Milliarden Euro geschätzt. Die Familie beschloss, sich ihrer dunklen Vergangenheit zu stellen, und spendete Millionen von Euro an gemeinnützige Organisationen, die sich für religiöse und nationale Minderheiten einsetzen und Familien der Kriegsgefangenen aufsuchen, die für die Firma des Großvaters arbeiten mussten.
»Man wollte den Kapitalismus nicht vor Gericht stellen.«
Dies war nur einer der jüngsten Fälle, die zeigen, wie Nazi-Magnaten ihre dunkle Vergangenheit im Westdeutschland der Nachkriegszeit vertuschen konnten. Der Journalist David de Jong hat in den Archiven gegraben, um mehr über diese Geschichten herauszufinden. In seinem neuen Buch Braunes Erbe erzählt er die Geschichte von Männern, die zur Wirtschafts- und Finanzelite des Dritten Reichs gehörten und sich Firmen, Banken und andere Vermögenswerte in ehemals jüdischem Besitz einverleibten sowie Zwangsarbeiter in Konzentrationslagern während des Zweiten Weltkriegs ausbeuten und so ihr Vermögen machten.
Unternehmen wie Siemens, Volkswagen, BMW, Daimler-Benz, Dr. Oetker, Porsche, Krupp, IG Farben und viele andere kooperierten mit der SS, die in der Nähe der Fabriken und Bergwerke dieser Privatunternehmen »Satelliten-Konzentrationslager« errichtete, in denen Zwangsarbeiter unter entsetzlichsten Bedingungen schufteten. Nach 1945 wurden zwar Gerichtsverfahren gegen NS-Geschäftsleute eingeleitet, aber fast keiner wurde bestraft.
Industrielle wie Günther Quandt, Friedrich Flick und Ferdinand Porsche durften ihr Vermögen sogar behalten und ihre Geschäfte wie gewohnt weiterführen. Während des »Wirtschaftswunders« in den 1950er Jahren machten sie ein noch größeres Vermögen. Ihre Familienunternehmen gehören nach wie vor zu den mächtigsten in Deutschland. Einige von ihnen haben sogar weiterhin rechtsextreme politische Parteien unterstützt.
Doch wie entwickelte sich die Beziehung zwischen Adolf Hitler und der Wirtschafts- und Finanzelite in der Zwischenkriegszeit? Und warum wurden NS-Unternehmer nach dem Krieg freigelassen, obwohl sie für das Regime von zentraler Bedeutung gewesen waren? Ondřej Bělíček hat für JACOBIN mit David de Jong über das Schicksal der Nazi-Milliardäre gesprochen.
Dein Buch beginnt mit dem Moment, als Hermann Göring und Adolf Hitler Industrielle zu einem Treffen einluden und sie baten, riesige Summen an die NSDAP zu spenden. Manchmal wird gesagt, dass Hitler diese Geschäftsleute für seine eigenen Zwecke benutzte, aber in einem anderen Sinne war er genau die Figur, nach der sie sich sehnten. Wie würdest Du die Beziehung zwischen der deutschen Finanz- und Industrieelite und der NSDAP beschreiben?
Ich würde zustimmen, dass die meisten der Männer, über die ich schreibe, in gewisser Weise reine Opportunisten waren. Diese Familien waren bereits sehr reich, bevor Hitler 1933 an die Macht kam, mit Ausnahme der Familie Porsche-Piëch, die den Grundstein für ihren Reichtum im Dritten Reich legte. Es handelte sich um führende Unternehmerfamilien des Deutschen Kaiserreichs, der Weimarer Republik, des Dritten Reichs, Westdeutschlands, aber auch des wiedervereinten Deutschlands der Gegenwart. Diese Geschäftsleute strebten nach Gewinnmaximierung, und sie waren in jedem politischen System erfolgreich. Ich würde sogar behaupten, dass sie auch in einem kommunistischen System irgendwie an die Spitze gelangt wären. Ihr Hauptziel war es, ihren Profit zu maximieren und ihre Geschäftsimperien und ihr Vermögen zu vergrößern, unabhängig vom politischen System.
Diese Männer begannen, sich für Hitler und die NSDAP zu interessieren, nachdem Hitler im September 1930 seinen ersten Wahlerfolg in Deutschland erzielt hatte. Es war die Zeit, als die Weltwirtschaftskrise Deutschland mit einer Welle der Unzufriedenheit und Arbeitslosigkeit überrollte. Die gesamte Wirtschaft stand auf dem Spiel und das öffnete Hitler zum ersten Mal die Tür zur deutschen Geschäftswelt, die bis dahin meist konservative Persönlichkeiten des Establishments unterstützt hatte. Es öffnete ihnen die Tür zu Gesprächen, aber sie begannen nicht wirklich, Hitler zu unterstützen – bis er am 30. Januar 1933 an die Macht kam. Bei dem von Dir erwähnten Treffen versprach er ihnen etwas, was er zunächst auch einlöste, nämlich wirtschaftliche und politische Stabilität und die Wiederaufrüstung Deutschlands, wovon sie sehr profitierten.
Sie verdienten Milliarden von Reichsmark, die ihnen aus ihren Stahl-, Maschinen- und Automobilunternehmen zuflossen, die auf die Produktion von Waffen und Kriegsmaterial umgerüstet wurden.
Hitler gab ihnen im Gegenzug für ihre Loyalität die Möglichkeit, mehr Geld zu verdienen und alles zu kontrollieren, was sie wollten.
Er versprach ihnen mehr Geld, aber auch, ihre Interessen zu schützen, denn es war eine sehr instabile Zeit. Sicher, es ging darum, mehr Geld zu verdienen, aber das war schon immer ihr Ziel gewesen. Jetzt ging es auch darum, ihre Unternehmen wiederzubeleben und die deutsche Wirtschaft wieder auf den Stand vor dem Ersten Weltkrieg und vor Weimar zu bringen.
In Deinem Buch verfolgst Du die Geschichte einiger Hauptakteure unter den Finanziers, Industriellen und Waffenherstellern des Dritten Reichs, die die NS-Rassenpolitik ausnutzten und ein riesiges Vermögen machten. Könntest Du die wichtigsten Praktiken beschreiben, die diese Leute anwandten, um sich selbst zu den reichsten und mächtigsten Menschen in Nazi-Deutschland zu machen?
Es gab drei Möglichkeiten, vom Nazi-System zu profitieren. Ich habe bereits die Waffenproduktion erwähnt. Die war zwar durch den Versailler Vertrag verboten, aber nicht kriminell. Aber ab 1935, mit der Einführung der Nürnberger Gesetze, sieht man, wie sich die Maßstäbe verschieben, die mit der Entrechtung und Enteignung jüdischer Geschäftsinhaber und Familien in die Kriminalität übergehen.
»Die Entnazifizierung Deutschlands ist ein Mythos. Sie hat nie stattgefunden.«
Anfänglich hatte es den Anschein von Legalität, dass jüdische Unternehmer gezwungen wurden, ihre Unternehmen weit unter dem Marktwert an die Männer zu übertragen, über die ich schreibe. Oder aber diese Familien wollten ihre Unternehmen verkaufen, weil sie aus Nazi-Deutschland fliehen wollten. Aber dann, im Laufe der 1930er Jahre, sieht man, dass sich das Ganze zu einem regelrechten Diebstahl und Raub und zur Beschlagnahmung von Vermögenswerten in jüdischem Besitz ausweitet.
Dieselbe Praxis wurde in den von Deutschland besetzten Gebieten in ganz Europa angewandt, mit Geschäftsinhabern, die ausgeraubt wurden, nur weil die Deutschen ihr Land besetzt hatten. Der dritte Weg war die massenhafte Ausbeutung von Zwangs- und Sklavenarbeitern. Nach dem deutschen Überfall auf die Sowjetunion 1941 begann die Massendeportation von Zwangs- und Sklavenarbeitern aus ganz Europa in deutsche Fabriken und Bergwerke. Schätzungsweise 12 bis 20 Millionen Menschen wurden zur Arbeit nach Deutschland deportiert und etwa 2,5 Millionen Menschen starben aufgrund der inhumanen Arbeitsbedingungen in Fabriken, Bergwerken und Arbeitslagern.
Der schockierendste Teil dieser Geschichte ist die Ausbeutung der Häftlinge aus den Konzentrationslagern als Zwangsarbeiter für die Privatunternehmen. In welchem Umfang setzten diese Privatunternehmen Zwangsarbeit ein – und wie sahen die Arbeitsbedingungen aus?
Deutsche Unternehmen beschafften sich diese Arbeitskräfte auf dreierlei Wegen. Es gab Zwangsarbeiter, die vor allem aus Osteuropa stammten, die millionenfach über die Deutsche Arbeitsfront deportiert und viel schlechter bezahlt wurden als deutsche Arbeiter und in Arbeitslagern gefangen gehalten wurden. Dann gab es die Kriegsgefangenen. Sie wurden nicht bezahlt. Drittens gab es die KZ-Arbeit. Das war eine Zusammenarbeit der SS mit großen Firmen wie BMW, Daimler, Volkswagen, IG Farben, Siemens, Krupp, Dr. Oetker und Firmen, die von Günther Quandt und Friedrich Flick kontrolliert wurden. Diese Menschen waren Sklaven und das Ziel war es, sie durch Arbeit zu vernichten.
Diese Unternehmen mieteten Häftlinge von der SS für 4 Reichsmark pro Tag für ungelernte Arbeit und 6 Reichsmark pro Tag für gelernte Arbeit. Die SS errichtete auf dem Gelände der Fabriken sogenannte Außenkonzentrationslager. Diese Lager wurden von der SS bewacht und die Gefangenen erhielten kaum medizinische Betreuung und Nahrung. Die Häftlinge wurden für die kleinsten Vergehen hingerichtet, erhängt oder erschossen und an ihren Arbeitsplätzen misshandelt. Sie hatten keine Schutzkleidung, sodass sie die Maschinen mit bloßen Händen bedienten. Es herrschten die schrecklichsten Arbeitsbedingungen, die man sich vorstellen kann.
Nach dem Krieg wurden Prozesse gegen die Finanz- und Industrieelite der Nazis vorbereitet, und es schien, als würde der Gerechtigkeit Genüge getan werden. Doch bald stellte sich heraus, dass fast keiner der Hauptschuldigen zu einer Gefängnisstrafe verurteilt wurde. Kannst Du beschreiben, wie die Prozesse ursprünglich angelegt waren und was den Ausgang dieser Prozesse bestimmte?
Es ist wichtig, zwischen zwei Dingen zu unterscheiden. Erstens gab es die Nürnberger Prozesse. Der erste und wichtigste Nürnberger Prozess war ein großer Erfolg und konzentrierte sich auf die wichtigsten politischen und militärischen Protagonisten des Nazi-Regimes. Und es gab den Plan, Prozesse gegen Industrielle zu führen, die dem ersten Hauptprozess ähnlich sein sollten. Doch die Amerikaner befürchteten, dass die Sowjets daraus einen antikapitalistischen Schauprozess machen würden. Gleichzeitig waren die Briten und Franzosen wirtschaftlich so geschwächt, dass sie kein Geld in ein weiteres großes Tribunal stecken wollten. Die Amerikaner entschieden sich für einen Alleingang und veranstalteten elf Prozesse in Nürnberg.
»Die Finanzelite Nazideutschlands durfte ihr gesamtes Vermögen behalten.«
Drei dieser Prozesse wurden gegen Industrielle geführt. Sie betrafen Friedrich Flick und seine Manager, Alfred Krupp und seine Manager sowie den gesamten Vorstand der IG Farben. Diese Prozesse waren sehr gut vorbereitet, und es wurde Recht gesprochen. Allerdings verstanden die amerikanischen Richter den Großteil des dichten, aus dem Deutschen übersetzten Beweismaterials nicht wirklich. Die Amerikaner beschränkten die Zahl der Prozesse gegen Industrielle, weil sie den Kapitalismus nicht vor Gericht stellen wollten. Zu dieser Zeit begann der Kalte Krieg und die Amerikaner trafen die politische Entscheidung, Westdeutschland als einen demokratisch lebensfähigen und wirtschaftlich starken Staat wieder aufzubauen, der als Puffer gegen die Sowjetunion und das Vordringen des Kommunismus dienen sollte.
Ich verstehe diese politische Entscheidung. Doch als die Amerikaner, Briten und Franzosen Hunderttausende von mutmaßlichen Nazi-Kriegsverbrechern an westdeutsche Behörden für sogenannte Entnazifizierungsprozesse auslieferten, fanden zwischen 1945 und 1950 in Westdeutschland sehr fehlerhafte Gerichtsverfahren statt. Das ist meiner Meinung nach völlig falsch gelaufen. Es bedeutete im Grunde, dass Hunderttausende, wenn nicht gar Millionen von Deutschen für ihre Verbrechen freigesprochen wurden, weil auf deutscher Seite kein Interesse daran bestand, Menschen für Verbrechen zu verurteilen, die sie selbst begangen hatten, und für Sympathien, die sie ebenfalls hegten.
Die Entnazifizierung Deutschlands ist ein Mythos. Sie hat nie stattgefunden. Es gab eine Weitergabe von Geld und Macht von Nazi-Deutschland nach Westdeutschland und in gewissem Maße auch in Ostdeutschland, weil ehemalige SS-Offiziere zu hochrangigen Stasi- und Parteifunktionären wurden. Aber sie war in Westdeutschland viel durchdringender, wo es – in welchem Teil der Gesellschaft auch immer, ob in der Wirtschaft, der Justiz, der Medizin, der Wissenschaft oder den Medien – keine Entnazifizierung gab.
Es ist schockierend, dass die führenden Köpfe der Finanzelite Nazideutschlands ihre Geschäfte wie gewohnt weiterführen durften.
Ja, absolut. Sie durften ihr gesamtes Vermögen behalten. Außer natürlich ihr Vermögen im sowjetisch besetzten Ostdeutschland, wo die Behörden sie enteigneten und alles mitnahmen. Aber in Westdeutschland durften sie alles behalten.
Was die Prozesse angeht, fand ich es seltsam, dass sich die Ermittler nicht für die brutalen Praktiken der Industriellen interessierten, wie die Ausbeutung von Zwangsarbeitern und die Einrichtung von Nebenlagern in der Nähe ihrer Fabriken. Warum glaubst Du, war das so?
Es hatte damit zu tun, dass man den Kapitalismus nicht vor Gericht stellen wollte. Deshalb durften sie auch ihr gesamtes Vermögen behalten, weil die Wirtschaft in Westdeutschland florieren musste, wenn sie einen wirksamen Puffer gegen die Sowjetunion bilden und Westeuropa wiederbelebt werden sollte. Ich glaube, die Amerikaner waren besorgt, dass, wenn sie die Arbeitspraktiken untersuchten, es sich gegen sie wenden könnte und man ihnen Fragen stellen könnte wie: »OK, aber was macht ihr in euren Fabriken?« oder »Was ist mit der Ausbeutung von Afroamerikanern in eurem Land?«. Das wollten sie unter allen Umständen vermeiden.
Es wird oft gesagt, dass Deutschland sich seiner dunklen Vergangenheit gestellt hat. Die Studierendenbewegung der 1960er Jahre wird häufig als der Moment genannt, in dem die deutsche Gesellschaft begann, unangenehme Fragen zu stellen. Nach der Lektüre Deines Buches bin ich mir nicht so sicher, ob die deutsche Gesellschaft in dieser Hinsicht so erfolgreich war.
Du erwähnst, dass die erste große Gegenreaktion gegen die Familie eines der mächtigsten Industriellen im Dritten Reich, Friedrich Flick, Mitte der 1990er Jahre stattfand. Und erst in den letzten Jahren scheint es eine breitere Debatte über die Geschichte anderer bedeutender Nazis zu geben, die ihr Imperium während des Dritten Reichs aufgebaut und nach dem Krieg weitergeführt haben. Warum passiert das erst jetzt und nicht schon viel früher, zum Beispiel nach Ende des Kalten Krieges?
Es liegt daran, dass die deutsche Wirtschaft nie gezwungen wurde, irgendeine Art von moralischer Verantwortung für ihre Verbrechen während des Dritten Reiches zu übernehmen. Sicher, es gab finanzielle Entschädigungen, aber sie haben immer ausgehandelt, dass sie keine Schuld für die Verbrechen, die sie begangen haben, einräumen müssen. Sie haben Geld gezahlt, aber Geld zu zahlen ist etwas anderes, als sich zu bekennen und die Verantwortung für die Taten der Vergangenheit zu übernehmen. Das Fehlen von Verantwortlichkeit hat es diesen Unternehmerfamilien ermöglicht, die Geschichte bis heute unter den Teppich zu kehren.
Wenn also gesagt wird, Deutschland habe es geschafft, seine Vergangenheit zu bewältigen, hältst Du das für einen Mythos?
Wenn man es auf der Makroebene betrachtet, dann ja, sie haben es ziemlich gut gemeistert. Wenn man die Mikroebene betrachtet, will niemand darüber sprechen. Niemand will wirklich darüber reden, was die Großeltern im Zweiten Weltkrieg getan haben. Diese Debatte in den 1960er Jahren war eher ein Generationenkonflikt. Menschen, die nach dem Krieg geboren wurden, wurden sehr kritisch gegenüber den Machtstrukturen, die immer noch existierten. Aus dieser Debatte heraus bildeten sich gewalttätige Bewegungen wie die Rote Armee Fraktion, aber sie forderten vor allem den Konservatismus und die fehlende historische Aufarbeitung in Deutschland heraus, die in der Geschäftswelt, die immer noch sehr konservativ war, nicht sehr ausgeprägt war. Diese Aufarbeitung fand erst in den 1990er oder 2000er Jahren statt. Und meiner Meinung nach ist sie noch lange nicht zufriedenstellend.
Wie fielen die Reaktionen auf die kürzlich in den Zeitungen erschienenen Erkenntnisse über die dunkle Nazi-Vergangenheit bestimmter Milliardärsunternehmen reagiert?
Das Problem in Deutschland ist, dass die Öffentlichkeit gegenüber Enthüllungen über die Nazi-Vergangenheit ein wenig desensibilisiert ist. Man merkt, dass die Menschen täglich mit solchen Enthüllungen überschwemmt werden. Sie haben sich daran gewöhnt und sind nicht mehr schockiert.
Einige der Familien ehemaliger Nazi-Industrieller haben aufgrund von medialem und gesellschaftlichem Druck öffentlich Verantwortung für die Vergangenheit übernommen. In Deinem Buch erwähnst Du insbesondere die Schadensbegrenzung des Familienunternehmens Reimann als Beispiel dafür, wie man mit den Erkenntnissen über die dunkle Vergangenheit eines Unternehmens umgehen kann. Warum glaubst Du, dass die Schritte, die sie gegangen sind, der beste Weg sind?
Weil sie transparent mit der Tatsache umgehen, dass ihr Vater und ihr Großvater überzeugte Nazis waren. Außerdem haben sie ihre Stiftung nach ihrem anderen Großvater umbenannt, der, wie sich herausstellte, im Holocaust ermordet wurde. Ich will damit sagen, dass es mehr von dieser historischen Transparenz und der Übernahme von Verantwortung für die Vergangenheit geben sollte.
Aber wenn man seine Stiftungen nach Herbert Quandt oder Friedrich Flick oder Ferdinand Porsche benennt, die überzeugte Nazis oder freiwillige SS-Offiziere waren, die in großem Stil Kriegsverbrechen begangen haben, dann kann man nicht ihre wirtschaftlichen Erfolge feiern und gleichzeitig ihre Nazi-Vergangenheit ausblenden.
Wie hat die Öffentlichkeit auf Dein Buch reagiert?
Seit dem Erscheinen des Buches hat es zwei wichtige Entwicklungen gegeben. Erstens wurde die BMW Foundation Herbert Quandt mit wütenden Briefen von Menschen überschwemmt, die Geld von dieser Stiftung erhalten hatten, sich aber belogen fühlten, weil ihnen Geld im Namen eines Nazi-Kriegsverbrechers gegeben wurde. Die Stiftung gab daraufhin eine Erklärung ab und versprach eine Änderung, aber BMW steckt zwischen dem konservativen Anteilseigner Stefan Quandt, der seinen Vater ehrt, und wütenden Stiftungsmitgliedern fest, die zwar nicht sehr mächtig sind, aber ihren Ärger sehr öffentlich zum Ausdruck brachten.
Zweitens verhandelt Porsche jetzt mit den Erben von Adolf Rosenberger, dem Mitbegründer des Unternehmens, der 1935 aus dem Konzern gedrängt und aus der Porsche-Firmengeschichte gelöscht wurde, weil er Jude war. Sie wollen also seinen Platz in der Porsche-Firmengeschichte wiederherstellen. Das liegt auch daran, dass im Moment so viele finanzielle Interessen auf dem Spiel stehen, da das Unternehmen an die Börse geht und mit 80 Milliarden Euro bewertet wird, was eine enorme Summe ist.
David de Jong ist Journalist und Autor von »Braunes Erbe«.