27. April 2022
Der reichste Mann der Welt hat Twitter gekauft. Damit hat er gezeigt, warum wir die digitale Infrastruktur nicht dem Kapital überlassen dürfen.
Elon Musk in der Gigafactory in Grünheide, 22. März 2022.
Am 4. April gab Elon Musk bekannt, dass er 9,2 Prozent des Nachrichtendienstes Twitter besitzt. Diese Meldung löste eine fast einmonatige Auseinandersetzung aus, im Zuge derer Musk fast einen Sitz im Vorstand eingenommen hätte. Schließlich änderte er seinen Kurs und kündigte am 14. April an, den Konzern vollständig übernehmen zu wollen.
Anfänglich regte sich Skepsis gegenüber Musks Übernahmeplan. In seinem Angebotsschreiben erklärte er, es sei ein guter Deal und sein letztes Angebot – sollte der Vorstand es nicht annehmen, würde er in Erwägung ziehen, seinen Anteil wieder zu verkaufen und das Unternehmen zu verlassen. Da die Finanzierung der Übernahme noch nicht gesichert war, zweifelten die übrigen Anleger an seiner Ernsthaftigkeit. Doch in den folgenden Tagen stellte Musk ein Portfolio aus Krediten und Eigenkapital zusammen, um zu beweisen, dass er das Geschäft finanzieren konnte. Am 25. April nahm der Vorstand sein 44-Milliarden-Dollar-Angebot schließlich an.
Twitter wird also ein privates Unternehmen bleiben. Ganz egal welche Position Musk nun selbst einnimmt, er wird einen immensen Einfluss auf die Zukunft einer Plattform ausüben können, die in vielen Ländern der Welt im Mittelpunkt des öffentlichen Diskurses steht. Doch welche Änderungen er tatsächlich vornimmt und ob die Nutzerinnen und Nutzer Musks Twitter wirklich verlassen werden, bleibt abzuwarten.
Im Vorfeld seines Kaufs der Social-Media-Plattform hat sich Musk als Verfechter der freien Meinungsäußerung positioniert. Jeder, der den Bezug zur Realität noch nicht verloren hat, weiß, dass das nicht stimmt: In der Vergangenheit brachte Musk seine Kritiker zum Schweigen und ergriff sogar Vergeltungsmaßnahmen gegen seine Mitarbeitenden. Das bedeutet aber nicht, dass er wesentliche Auswirkungen darauf haben wird, wie die Moderatoren auf Twitter arbeiten.
In einer Erklärung nach Abschluss der Vereinbarung schrieb Musk, dass »die freie Meinungsäußerung die Grundlage einer funktionierenden Demokratie ist, und Twitter der digitale Marktplatz, auf dem wichtige Themen für die Zukunft der Menschheit debattiert werden«. Da ist etwas Wahres dran, auch wenn die Vorstellung, dass Twitter einen vernünftigen Dialog und nicht Shitposting fördert, etwas weit hergeholt ist.
Musks Verständnis von freier Meinungsäußerung stammt von den rechten Kommentatoren, mit denen er sich immer öfter zusammenschließt, um den Sozialen Medien vorzuwerfen, sie würden konservative Stimmen mundtot machen. Sie haben in den letzten Jahren eine Reihe alternativer sozialer Netzwerke wie Parler und Gab gegründet, die vorgeben, die »freie Meinungsäußerung« zu respektieren. Tatsächlich geht es ihnen aber vor allem darum, dass die Leute alle möglichen niederträchtigen Dinge frei heraus sagen dürfen. Dabei gibt es sehr gute Gründe dafür, auf Plattformen gegen Belästigung und Hatespeech vorzugehen.
Fairerweise muss man sagen, dass einige von Musks Äußerungen darauf hindeuten, dass er nicht jede etablierte Regel über Bord werfen wird. In einem TED-Interview beteuerte er, dass er Beiträge eher nicht löschen und begrenzte Sperrzeiten einem Verbot vorziehen würde. Es würde weiterhin menschliche Moderatoren geben und die Gesetze verschiedener Länder möchte er ebenso respektieren. Er sagte auch, dass er »die Spam-Bots besiegen oder bei dem Versuch sterben« würde. Weiterhin sprach er davon, den Zugang zur Verifizierung durch blaue Haken zu erweitern, die Algorithmen des Unternehmens transparent zu machen und an einer Reihe anderer Funktionen zu basteln.
Wahrscheinlich wird er feststellen, dass es nicht so einfach ist, eine große Plattform wie Twitter umzugestalten, indem man seinen Untergebenen einfach sagt, was sie tun sollen. Alles, was er versucht, wird auch unbeabsichtigte Folgen haben. Das gilt insbesondere für die Moderation von Inhalten, was zu Unmut unter den Twitter-Mitarbeitenden führen könnte. Musk hat die Angewohnheit, sich als Experte für Dinge auszugeben, von denen er in Wirklichkeit keine Ahnung hat, und Leute zu feuern, die ihm Dinge sagen, die er nicht hören will.
All das bedeutet, dass sich die Zukunft von Twitter schwer voraussagen lässt. Einerseits könnte sich Twitter unter Musk zu einer ähnlich widerwärtigen Plattform wie Gab oder Parler entwickeln; oder aber Musk verändert kaum etwas und interessiert sich irgendwann für etwas anderes. Aber es stellt sich natürlich auch die grundsätzliche Frage, was die Übernahme über die Kontrolle des Kapitals über den digitalen Raum aussagt. Wie ist darauf zu reagieren und ist es überhaupt möglich, zu einer besseren Alternative zu wecheln?
Als Reaktion auf die Übernahme gab es einige Twitter-Nutzer, die behaupteten, sie würden die Plattform verlassen oder zumindest versuchen, sich vorzustellen, wie die Dinge besser sein könnten, als sie heute sind. Diejenigen, die sich von der Plattform abmeldeten, gingen zu Mastodon: einer dezentralen Alternative, die 2016 ins Leben gerufen wurde und jedes Mal neue Aufmerksamkeit erhält, wenn Linke wütend auf Twitter sind. Wirklich durchgesetzt hat sich Mastodon aber nie. Es ist unwahrscheinlich, dass sich das ändern wird, wenn Musk das Ruder übernimmt.
Wenn über Alternativen nachgedacht wird, zeigt sich in den Vorschlägen außerdem oft die Sehnsucht nach einer Rückkehr in die Vergangenheit, die als besser empfunden wurde: die Anfänge des Webs, also die Zeit, als viele Menschen Tumblr nutzten oder als das Bloggen beliebt war und die Dominanz der heutigen Plattformen noch bevorstand. Die Wiederbelebung der Blogosphäre mag verlockend erscheinen, doch die Ansätze, die zu einer idealisierten Phase in der Geschichte des Internets zurückkehren wollen, lassen außer Acht, wie sich die strukturellen Anreize des Webs verändert haben.
Seither hat das Internet einen weiteren Prozess der Konsolidierung und Kommerzialisierung durchlaufen, der es Kapitalisten ermöglicht, mehr Macht auszuüben und größere Gewinne aus unseren Online-Aktivitäten zu ziehen. Die Zentralisierung hat gleichzeitig die Nutzung des Internets erleichtert und uns gewisse Vorteile gebracht. Um eine Kurswende zu vollziehen oder die Dystopien eines kryptobasierten Web3 oder des Metaverse zu verhindern, müssten diese Anreize grundlegend geändert werden. Das wiederum würde eine politische Reaktion erfordern, die ihrerseits auf die zugrundeliegenden kapitalistischen Kräfte abzielt, die diese Entwicklungen antreiben.
In bestimmten Tech-Kreisen will man glauben, dass die Lösung struktureller Probleme einfach die richtige technologische Lösung erfordert, obwohl wir seit Jahrzehnten Beweise dafür haben, dass der Kapitalismus selbst die am besten gemeinten Innovationen für seine Zwecke vereinnahmen kann. Ernsthafte Vorschläge für eine alternative Plattforminfrastruktur müssen sich mit den sozialen, politischen und wirtschaftlichen Faktoren auseinandersetzen, die uns in diese Situation gebracht haben und die herausgefordert werden müssen, um eine gerechtere und demokratischere Alternative zu ermöglichen.
Mit der Übernahme von Twitter hat Musk bewiesen, dass er es aufgrund seines Reichtums weder nötig hat noch daran interessiert ist, ernsthaft über die Auswirkungen seiner Vorschläge nachzudenken. Stattdessen werden seine Pläne für eine Plattform mit Millionen von Nutzerinnen und Nutzern von seinen persönlichen Erfahrungen bestimmt. Er sieht Bots, also nimmt er sie als Problem wahr; er hört, wie Leute wie Joe Rogan sich über die Zensur in den Sozialen Medien beschweren, also versucht er, darauf zu reagieren. Aber er ist nicht mit den Belästigungen konfrontiert, die die politische Rechte (oder Musk selbst) auf Menschen loslassen – also steht das nicht auf seiner Prioritätenliste. Das ist eine weder praktische noch nachhaltige oder faire Art, um die Masseninfrastruktur zu verwalten, zu der Soziale Medien geworden sind.
Es ist unwahrscheinlich, dass es wegen Musk nun zu einem massenhaften Exodus von Twitter kommt – aus dem einfachen Grund, dass diese Art von Drama genau das ist, wofür die treuesten Nutzerinnen und Nutzer Twitter so sehr schätzen. Aber es ist möglich, dass sein Kauf ein wichtiger Meilenstein in der Geschichte des Unternehmens ist. Er könnte den Beginn seines Untergangs markieren und nicht nur aufzeigen, warum wir Alternativen brauchen, sondern auch, welche Bedingungen geschaffen werden müssen, damit sie den Erfolg haben können, den Mastodon nie hatte.
Paris Marx moderiert den Podcast »Tech Won't Save Us«. Er ist Autor des Buches »Road to Nowhere: What Silicon Valley Gets Wrong about the Future of Transportation«, das im Juli bei Verso Books erscheint.