13. September 2023
Teile der Klimabewegung sehen Beschäftigte in fossilintensiven Industrien als Gegner statt als potenzielle Verbündete. Das ist ein schwerer Fehler. Denn wir können bei der Transformation nicht auf sie verzichten.
Verdi demonstriert bereits zusammen mit Fridays for Future. Die Arbeiterinnen und Arbeiter in fossilintensiveren Industrien werden schwieriger für die Transformation zu gewinnen sein. Dennoch lohnt die Arbeit an gemeinsamen Konzepten.
IMAGO / Funke Foto ServicesKürzlich ließ eine Umfrage die Klimabewegung in Deutschland aufmerken: Ihr zufolge sind die Zustimmungswerte für Klimaaktivismus in den letzten zwei Jahren dramatisch eingebrochen, nur noch halb so viele Menschen unterstützen die Aktionen – 34 statt 68 Prozent. Sicherlich hat die rechte Hetze gegen die Letzte Generation ihren Teil dazu beigetragen. Als alleinige Erklärung reicht das aber nicht hin. Die Klimabewegung muss sich die Frage gefallen lassen, ob sie in der Lage ist, für eine Transformation unserer Wirtschaftsweise zu werben, die den Menschen auch erstrebenswert erscheint.
Für Aufsehen sorgten einige Wochen zuvor auch Aussagen einer Degrowth-Wissenschaftlerin. Andrea Vetter, Co-Autorin von The Future is Degrowth, argumentierte, dass weiße und gewerkschaftlich organisierte Arbeiterinnen und Arbeiter des Globalen Nordens wahrscheinlich keine wichtige Rolle in der Transformation spielen werden. Nämlich würde deren »imperiale Lebensweise« direkt von der Ausbeutung von Menschen im Globalen Süden profitieren. Folglich hätten sie kein Interesse daran, eine Transformation zu gestalten, die ihre Lebensweise gefährden würde.
Das Konzept der imperialen Lebensweise geht auf die Politikwissenschaftler Markus Wissen und Ulrich Brand zurück und beschreibt die angebliche Einbettung von Lohnabhängigen in wirtschaftlich hoch entwickelten kapitalistischen Gesellschaften in ein klassenübergreifendes Produktions- und Konsummuster. Dieses Muster sei das Ergebnis einer Geschichte ungleicher Entwicklung des Kapitalismus. Die Entwicklung der kapitalistischen Industriestaaten im Globalen Norden habe der Nicht-Entwicklung des Globalen Südens bedurft.
Die sozialen und ökologischen Kosten dieser ungleichen Entwicklung seien in den Süden verlagert worden und der Bevölkerung des Globalen Nordens größtenteils erspart geblieben. Allerdings, so betonen die Autoren, hätten sich die Arbeiterinnen und Arbeiter des Globalen Nordens diese Lebensweise nicht bewusst ausgesucht, zumal sie selbst sozial beherrscht würden. Damit wären sie auch nicht direkt für die ungerechten Konsequenzen ihrer Lebensweise im Globalen Süden verantwortlich. Trotzdem würden sie diese globale Herrschaftsordnung reproduzieren und von ihr profitieren.
Vetter und Gleichgesinnte gehen also davon aus, dass die Klimakrise nur dadurch bewältigt werden kann, dass sich die Lebensbedingungen von Lohnabhängigen im Globalen Norden verschlechtern. Folglich ergäbe es keinen Sinn, sie als Bündnispartner für dieses Projekt zu gewinnen. Diese Sicht ist auch in weiten Teilen der deutschen Klimabewegung und Linken verbreitet. Unter dem demokratischen Gesichtspunkt ist diese Form von Klimapolitik aber genau deshalb zum Scheitern verurteilt, da sie nicht fähig wäre, breite Mehrheiten zum Beispiel für ein Wahlprogramm zu mobilisieren. Nur die Wenigsten würden einem Programm des »Weniger ist mehr« ihre Stimme geben.
»Die Transformation der Produktion darf nicht auf Kosten der Lohnabhängigen gehen, wie es ab und zu in Degrowth-Debatten anklingt und wie es die Arbeit der Ampel-Regierung andeutet.«
Auch geht diese Sichtweise am Kernproblem der Klimakrise vorbei, nämlich der Produktion. Da die Klimakrise hauptsächlich durch die Ausstöße der fossilabhängigen industriellen Produktion (inklusive Energiegewinnung und damit verbundenen Aktivitäten wie dem Transport) getrieben wird, müsste eine Strategiedebatte in Ländern wie Deutschland darauf zielen, wie wir Industrien möglichst schnell dekarbonisieren. Zusätzlich müsste sie auch die Frage beinhalten, wie wir Technologien und Infrastrukturen für zukünftige emissionsfreie Produktion entwickeln.
Die Dekarbonisierung eines von der Industrie abhängigen Landes geht direkt mit einem tiefgreifenden Wandel der Arbeitswelt einher. Arbeitsplätze und Berufe fallen weg, andere entstehen, und diejenigen, die bestehen bleiben, verändern sich infolge des Klimawandels stark. Die Transformation der Produktion darf nicht auf Kosten der Lohnabhängigen gehen, wie es ab und zu in Degrowth-Debatten anklingt und wie es die Arbeit der Ampel-Regierung andeutet. Um das zu verhindern, müssen Gewerkschaften in der Debatte Vorrang haben.
In den Augen von Vetter und Gleichgesinnten reproduziert eine solche Argumentation ein eurozentrisches Verständnis der Klimakrise. Menschen im Globalen Süden leiden viel mehr unter den Konsequenzen des Klimawandels, obwohl sie ihn viel weniger zu verschulden haben. Indigene Bevölkerungen hätten dadurch ein besonderes Interesse, den Klimawandel zu bekämpfen. Wenn wir aber anerkennen, dass die fossilabhängige Produktion die Achillesferse des Klimawandels ist, dann ist es problematisch, zu behaupten, die Unterdrückten im Globalen Süden (noch dazu klassenübergreifend) könnten allein die Klimafrage lösen. Sie sind auf Verbündete im Globalen Norden angewiesen – und dafür eignen sich die Beschäftigten und ihre Organisationen am besten. Schließlich sind sie auch die Expertinnen und Experten in ihren Sektoren und wissen, wie am besten eine faire sozial-ökologische Transformation zu gestalten wäre.
Auf der anderen Seite können auch neue Technologien und eine saubere Produktion allein das Problem nicht lösen. Es braucht eine Abkehr von profitorientierter zu bedarfsorientierter Wirtschaft und eine Gesellschaftsform, die die unterschiedlichen Unterdrückungsformen angeht, die sich im Zusammenhang des Klimawandels verschärfen. Auch internationale Verhältnisse ungleichen Austauschs müssten abgebaut werden.
In ökonomischen Kreisen wird zurzeit darüber diskutiert, welche Rolle der Staat in der Energiewende einnehmen soll. Die Ökonomin Daniela Gabor sieht in den neuen grünen industriepolitischen Maßnahmen der EU und dem Inflation Reduction Act (IRA) in den USA eine Fortsetzung eines marktgetriebenen Finanzialisierungsmodells. Dabei nimmt der Staat Risiken auf sich, um privates Kapital für die Finanzierung von grüner Infrastruktur anzuziehen. Die Konsequenzen des sogenannten Derisking-Paradigmas sind unter anderem, dass der Staat disziplinierende Maßnahmen gegenüber dem privaten Kapital unterlässt und wichtige Infrastruktur in die Hände von Vermögensverwaltern fällt.
Somit überlässt der Staat dem privaten Finanzkapital, wie schnell die Dekarbonisierung vonstattengehen soll, da die Investitionsentscheidungen durch die Suche nach kurzfristiger Renditemaximierung angeleitet werden. So erbrachten bis Mai 2023 68 Milliarden Dollar aus dem IRA überproportionale Investitionen in der Entwicklung von Batterien (74 Prozent) und E-Autos (14 Prozent), dafür aber nur 10 Prozent in erneuerbare Energien. Auch in Deutschland wächst dank des EEGs die Finanzierung von Windenergie durch Akteure aus dem Finanzsektor seit etwa den 2000ern. Und auch in Projektplanung, Bau und Betrieb anderer erneuerbaren Anlagen ist der Anteil an institutionellen Investoren (das heißt Banken, Fondsgesellschaften, Versicherungen, und so weiter) gestiegen. Zumindest bis 2018 erbrachten die Anlagen solcher Investoren einen höheren Gigawatt-Anteil als die erneuerbaren Anlagen der üblichen Energieversorger.
»Mehrmals wurde mir mitgeteilt, dass Aktivistinnen und Aktivisten Beschäftigte angefeindet und mit der Frage konfrontiert hätten, ob sie sich nicht schämen würden, für RWE zu arbeiten.«
Die aktuelle Energiewende schafft neue Arbeitsplätze in diesen stark liberalisierten Märkten und baut gleichzeitig Jobs in den Sektoren ab, die traditionell hohe gewerkschaftliche Organisationsgrade mit starker Mitbestimmung aufweisen. Zudem geschieht dies in Regionen, wo die negativen Konsequenzen vergangener Strukturwandelprozesse den Menschen noch in Erinnerung sind – man denke an den Ausstieg aus der Braunkohle im Osten oder im rheinischen Revier nahe dem Ruhrpott.
Jobs in erneuerbaren Energien bedeuten mitunter schlechtere Arbeitsbedingungen als in den fossilabhängigen Sektoren, da sie oft einen geringeren Organisationsgrad aufweisen. Aus diesem Grund stehen Gewerkschaften in den USA diesen neuen Jobs in vielen Fällen misstrauisch gegenüber. Vor kurzem veröffentlichte die Gewerkschaft United Auto Worker (UAW) ein Video über die schlechten Arbeitsbedingungen und Löhne, die Arbeiterinnen und Arbeiter in der E-Automobil-Branche erleben. In der Tesla-Fabrik in Grünheide ist es ähnlich. Die Tarifbindung in reinen Windenergie-Unternehmen liegt in Deutschland bei nur 40 Prozent, unter dem bundesweiten Durchschnitt von 50 Prozent. Dieser Anteil könnte sich allerdings etwas erhöht haben, nachdem die Beschäftigten bei Vestas 123 Tage erfolgreich für ihren Tarifvertrag streikten. Das zeigt wiederum, welche immense Anstrengung nötig sein wird, um dem grünen Ordoliberalismus hierzulande entgegenzuwirken.
Gleichzeitig befinden sich bereits existierende Sektoren stark im Wandel. In der Automobilindustrie erwartet man nach unterschiedlichen Studien einen Verlust von zwischen 114.000 und 215.000 Arbeitsplätzen bis 2030. Im Braunkohlebergbau werden einer Studie von 2018 zufolge die meisten Beschäftigten regulär in den Ruhestand gehen können, sodass der Ausstieg hier ohne betriebsbedingte Kündigungen geschehen kann. Allerdings hängen von der Braunkohlewirtschaft direkt und indirekt etwa 77.000 Stellen ab, die es in Zukunft nicht mehr geben wird. Beim Strukturwandel dieser und anderer Industrien geht es nicht nur um Arbeitsplatzverlust, sondern auch um Umqualifizierung, neue Arbeitsorganisationen, den Aufbau neuer Arbeitsplätze, die Effekte auf Zulieferer und auf die lokale Wirtschaft, mögliche Verlagerung der Wertschöpfung ins Ausland und so weiter.
Im Rahmen meiner eigenen Forschung hatte ich in den letzten Monaten die Möglichkeit, mit Beschäftigten aus der Braunkohlewirtschaft in NRW über den Strukturwandel zu sprechen. Dabei äußerten sie nur wenig Angst vor einem Arbeitsplatzverlust. Dies lässt sich durch die Ergebnisse der Verhandlungen von IG BCE und Verdi in der sogenannten Kohlekomission erklären: Ältere Beschäftigte können mit dem Anpassungsgeld in Vorruhestand gehen, Jüngeren soll nicht betriebsbedingt gekündigt werden und sie bekommen die Möglichkeit, sich umzuqualifizieren.
Deutlich zu vernehmen ist allerdings die Angst vor einer Deindustrialisierung der Region. Den Regionen stehen etwa 40 Milliarden an Finanzhilfen zur Verfügung. Allerdings wird kritisiert, wofür diese Gelder ausgegeben werden. Ich hörte oft, dass vieles davon in Forschungszentren oder in den Bau von Turnhallen und sonstige Infrastrukturen fließe. Dies bildet aber keinen langfristigen Ersatz für die wegfallenden und gutbezahlten Industriearbeitsplätze.
Vor einigen Wochen besuchte ich eine Betriebsversammlung im rheinischen Revier, an der auch wichtige Aufsichtsratsmitglieder teilnahmen. Ein älterer Bergmann ergriff das Wort und fragte den Geschäftsführer von RWE, warum nur Versprechen zu hören, aber noch keine konkreten Zukunftsperspektiven für die Region vorhanden seien. In NRW herrscht das Gefühl, Bund und Länder agierten planlos im Angesicht der Transformation.
»Beschäftigte in der Automobil- und Braunkohleindustrie hängen vor allem an den guten Arbeitsbedingungen, was Freizeit, Löhne, Mitsprache im Betrieb und Tarifbindung angeht, und weniger am konkreten Endprodukt ihrer Arbeit.«
Dieses Gefühl hat auch politische Konsequenzen. In einem meiner Interviews stellte sich heraus, dass mein Gegenüber mit dem Gedanken spielte, bei der nächsten Wahl erstmals für die AfD zu stimmen – vor allem aus Protest gegen die Sparpolitik der Regierung. Weiterhin äußerte die Person Angst vor Wohlstandsverlust im Land, Misstrauen gegenüber einer von oben herab durchgesetzten Klimaschutzpolitik und das Gefühl, als Bergarbeiter in der Gesellschaft und im Unternehmen nicht mehr erwünscht zu sein. Dies muss man im Kontext eines starken Berufsstolzes verstehen. Immer wieder wurde mir eine große Besorgnis und ein Verantwortungsgefühl für die Versorgungssicherheit Deutschlands mitgeteilt. Nach ihrem Selbstverständnis arbeiten diese Beschäftigten daran, durch niedrige Strompreise die Industriearbeitsplätze und den Wohlstand zu erhalten. Daher auch die latente Sorge, »so zu enden wie im Ruhrpott«.
Die Befragten legten auch eine erhöhte Klimaskepsis an den Tag. Mehrmals wurde mir mitgeteilt, dass es den »menschengemachten« Klimawandel nicht wirklich gäbe oder dass es ihn zwar gäbe, RWE aber nicht maßgeblich zu ihm beigetragen habe. Es ist viel zu den Hintergründen von Klimaskepsis geforscht worden. Klar ist, dass von der Fossilindustrie geförderte konservative Politikerinnen und Think-Tanks einen Anteil daran haben, solche Ansichten in der Bevölkerung zu verbreiten. Eine erhöhte Klimaskepsis unter Beschäftigten der fossilen Energiebranche im Vergleich zu anderen Berufen ist auch bekannt. Ein wissenschaftlicher Artikel, der klimaskeptische Tweets analysierte, fand, dass diese Diskurse eher an politischen als an anti-wissenschaftlichen Argumenten hingen. So bildet starkes Misstrauen gegenüber der Regierung ein zentrales Motiv der untersuchten Tweets. Viele der Beschäftigten, mit denen ich sprach, setzten Klimaschutz, wie er von der Ampel-Regierung durchgesetzt wird, mit einem Armutsrisiko gleich. Dies könnte teilweise ihre Klimaskepsis erklären.
Weiterhin stehen einige der Menschen, die ich interviewte, der Klimabewegung sehr kritisch gegenüber. Mehrmals wurde mir mitgeteilt, dass Aktivistinnen und Aktivisten Beschäftigte angefeindet und mit der Frage konfrontiert hätten, ob sie sich nicht schämen würden, für RWE zu arbeiten. Ein Betriebsrat fragte mich, warum man sich für einen Beruf schämen sollte, mit dem man die eigene Familie ernährt. Dank der historischen Kämpfe der Montangewerkschaften sind die Arbeitsplätze bei RWE stabil und gutbezahlt. Und die Beschäftigten sind sich darüber im Klaren, dass es in anderen Branchen nicht so ist.
Ein Mitarbeiter erzählte mir, dass es anfangs ehrliche Neugier bezüglich der Klimabewegung gegeben habe. Dies habe sich jedoch schnell geändert, nachdem Beschäftigte sich persönlich angegriffen gefühlt hatten. Doch es gibt auch Ausnahmen. Ein Interviewpartner, der in einem Tagebau arbeitet, zeigte Verständnis für die Aktivistinnen und Aktivisten, weil er sich selbst Sorgen um die Zukunft seiner kleinen Kinder mache. Trotzdem, meinte er, würden sie die Falschen anfeinden, denn eigentlich müssten die Proteste die Politik fokussieren.
Ich führte ähnliche Interviews auch mit Beschäftigten der Automobilindustrie. Obwohl ihre Situation eine andere ist, da hier nicht die komplette Branche verschwindet, besteht eine interessante Parallele zu den Beschäftigten im rheinischen Kohlerevier. Beschäftigte in beiden Branchen hängen vor allem an den guten Arbeitsbedingungen, was Freizeit, Löhne, Mitsprache im Betrieb und Tarifbindung angeht. Ein Festhalten an dem konkreten Endprodukt ihrer Arbeit (Verbrennermotoren und Braunkohle) war in vielen Interviews hingegen nicht ausschlaggebend.
Beschäftigte in der Braunkohleindustrie identifizieren sich zwar stärker mit ihrem Beruf, jedoch nicht so sehr, dass sie eine neue Tätigkeit (zum Beispiel in erneuerbaren Technologien) prinzipiell ablehnen würden. Auch den Beschäftigten aus der Automobilindustrie war es größtenteils egal, was sie produzierten. Hauptsache, die Arbeitsbedingungen verschlechtern sich nicht. Das deutet darauf hin, dass Industriebeschäftigte flexibel genug sind, ihre Tätigkeiten im Zusammenhang einer Transformation anzupassen.
Wie informieren diese kurzen Einblicke unser Engagement für die Transformation hin zu einer nachhaltigen und sozialen Wirtschaft? Erstens schrecken Ansätze, die Beschäftigte fossilintensiver Industrien für den Klimawandel mitverantwortlich machen, diese davon ab, sich für eine Transformation einzusetzen. Zweitens ist Beschäftigten und ihren Gewerkschaften daran gelegen, dass die Transformation sozialverträglich stattfindet – und zwar nicht nur in ihrem eigenen Interesse, sondern auch im Interesse der Allgemeinheit. Drittens schrecken Beschäftigte nicht so sehr davor zurück, ihre Tätigkeit wechseln zu müssen, als vielmehr vor den möglicherweise damit verbundenen sozialen Kosten.
Neue grüne Arbeitsplätze entstehen derzeit im Rahmen einer ordoliberalen Politik, die wichtige Entscheidungen über unsere Zukunft in die Hände von Vermögensverwaltern legt und damit den Stand der Gewerkschaften gefährdet. Wie ein Betriebsrat zu mir sagte: »Wir dürfen nicht in eine Zukunft geraten, in der Gewerkschaften keine Zukunft mehr haben.« Gewerkschaften sind keine perfekten Organisationen, denn sie sind auch Produkt der Widersprüche des Kapitalismus. Trotzdem sind sie extrem wichtig, um dem Klassenkampf von oben entgegenzuwirken. Sie haben trotz ihrer historisch vergleichsweise schwachen Lage in Deutschland immer noch gesellschaftliche Macht und politische Erfahrung, die für eine erfolgreiche sozial-ökologische Transformation ausschlaggebend sein wird.
»Beide Seiten – die Gewerkschaften wie die Klimabewegung – müssen über ihren eigenen Schatten springen.«
Gewerkschaften, in denen die Mehrheit der Mitglieder ihre Berufe oder Arbeitsplätze nicht verlieren werden, sind leichter als Bündnispartner einer Klimabewegung zu gewinnen. Das zeigte kürzlich das Bündnis zwischen Verdi und Fridays for Future bei der ÖPNV-Tarifrunde. Angesichts der großen Rückschläge für die Gewerkschaften in den letzten Jahrzehnten (sinkender Tarifbindung und Mitgliederzahlen) und der defensiven Position, die sie in der Folge eingenommen haben, werden vom Strukturwandel betroffene Industriegewerkschaften nicht von heute auf morgen Klimaverbündete werden.
Nur ein gemeinsames Programm von Klimabewegung und Gewerkschaften, das Abstiegsängsten entgegenwirkt und Vertrauen in eine allgemeine Verbesserung der materiellen Lebensverhältnisse aufbaut, wird das leisten können. Das setzt wiederum voraus, konkrete Konzepte zu entwickeln, wie die Energieerzeugung und andere Technologien in die öffentliche Hand übertragen werden können, und die bisherige Rolle des Staates zu hinterfragen, um der Sparpolitik ein Ende zu setzen. Starke Gewerkschaften könnten zudem wieder ihr traditionelles Projekt angehen, die Arbeitswelt zu demokratisieren. Mit einer weitreichenden Mitbestimmung könnten Arbeiterinnen und Arbeiter in Deutschland sich effektiv international und solidarisch gegen neue extraktivistische Ausbeutung im Globalen Süden einsetzen.
Um zu diesem Punkt zu kommen, müssen jedoch beide Seiten – die Gewerkschaften wie die Klimabewegung – über ihren eigenen Schatten springen. Die Gewerkschaften müssen über die engen Grenzen der Tarifpolitik hinaus als politische Akteure tätig werden. Und die Klimabewegung muss sich davon verabschieden, die Lebensweise und Arbeitsformen der Lohnabhängigen moralisch zu kritisieren und über die Lebensrealitäten Industriebeschäftigter hinwegzusehen.
Nicole Kleinheisterkamp-González ist Geographin und promoviert zum Thema Gewerkschaften und Transformation in der Automobilindustrie und im rheinischen Kohlerevier an der Syracuse University in USA.