23. September 2022
Remeike Forbes ist der neue Herausgeber der US-Ausgabe von JACOBIN. Im Interview spricht er über die Lage der sozialistischen Bewegung in den USA und die Geschichte einer kleinen linken Zeitschrift, die noch Großes vorhat.
Gibt seit April die US-Ausgabe von JACOBIN heraus: Remeike Forbes.
JACOBIN hat sich in den USA als Leitmedium der sozialistischen Linken etabliert. Nach elf Jahren übergab Herausgeber und Gründer Bhaskar Sunkara seinen Posten an Remeike Forbes, den bisherigen Chefdesigner. Mit der Ausgabe »Build Back Never«, die im Juni erschien, gab sich das Magazin ein neues Design. Alexander Brentler sprach mit Remeike Forbes über die bescheidenen Anfänge des Magazins, seinen unerwarteten Erfolg, seine Rolle beim Aufbau einer anschlussfähigen, explizit sozialistischen Bewegung und die Zukunftsaussichten der US-Linken.
Du bist jetzt seit einigen Monaten Herausgeber der US-Ausgabe von JACOBIN, nachdem Du seit der Gründung 2011 über zehn Jahre Chefdesigner warst. Wie war es bisher?
Für Außenstehende wirkt das vielleicht wie ein großer Wechsel, aber eigentlich hat sich meine Rolle nicht drastisch verändert. Ich habe mit der Redaktion immer sehr eng zusammengearbeitet und die Print-Ausgabe auch inhaltlich mitgestaltet. In der letzten Zeit war ich ohnehin stärker beteiligt, weil wir bei den Textformen etwas kreativer geworden sind.
An unserem Magazin arbeiten mehrere Designerinnen, und ich bin immer noch dafür verantwortlich, ihre Arbeit zu koordinieren. Die letzten beiden Ausgaben habe ich auch noch selbst mitgestaltet, aber diese Arbeit werde ich in den nächsten Jahren wahrscheinlich ganz abgeben.
Kannst Du uns ein bisschen darüber erzählen, wie das Redesign entstanden ist? Schlägt das Magazin einen neuen Ton an? Ist Eure politische Rolle jetzt eine andere?
Ich wollte das Design aus verschiedenen Gründen anpassen. Einerseits aus praktischen Erwägungen: Meiner Meinung nach war unser Schrifttyp nicht sehr einprägsam und eignete sich für verschiedene Anwendungsfälle nicht besonders gut. Ich wollte den Wiedererkennungswert unseres Designs erhöhen. Ich habe auch festgestellt, dass diese Art von geometrischen, freundlichen Schriftarten in den letzten Jahren Teil der Designsprache von typischen Start-Up-Brands für Millennials geworden ist.
Ihr wart Pioniere auf diesem Gebiet.
Na ja, ich weiß nicht. Aber wenn man in New York U-Bahn fährt, sieht man jede Menge freundlicher, geometrischer Schrifttypen in bunten Farben. Nach und nach ist mir das einfach auf die Nerven gegangen.
Ihr verkauft keine Konsumbelohnung für gestresste junge Gutverdiener.
Ja. Bei JACOBIN hatten wir von Anfang an einen sehr polemischen, sarkastischen Stil und Humor. In unserem Design hat sich das aber nicht wirklich widergespiegelt. Ich wollte also, dass wir uns einen etwas schlagkräftigeren visuellen Ausdruck verleihen. JACOBIN ist immer noch ein sehr kleines Magazin, aber man könnte sagen, dass wir eine der wenigen linken Mainstream-Publikationen in den USA sind. Mir war es wichtig, dass wir als Magazin unverwechselbar bleiben und dass unsere kämpferische Haltung unmittelbar erkennbar ist.
Hat sich die politische Rolle von JACOBIN über die Jahre verändert?
Wir haben das Magazin ein Jahr vor Beginn der Occupy-Wall-Street-Bewegung gegründet. Die US-Linke befand sich damals auf der Talsohle. Sie war sehr viel fragmentierter als heute und aufgespalten in zahlreiche kleine sozialistische Grüppchen und Sekten.
»Ich glaube, viele Menschen haben sich damals nach politischen Alternativen umgesehen und sind so auf der Linken gelandet.«
Auch die politischen Vorstellungen der Linken waren damals sehr viel inkohärenter. Damals gab es so eine Art antikapitalistische Linke, die aus den Protesten gegen die Konferenz der Welthandelsorganisation in Seattle von 1999 hervorgegangen ist und die im Wesentlichen aus Aktivistinnen bestand, die sich bei verschiedenen Kampagnen und Community-Organisationen engagiert haben. Ich weiß noch, dass Bhaskar damals in Dissent einen Beitrag veröffentlicht hat, in dem er den Begriff Anarcho-Liberalismus für den damals auf der Linken vorherrschenden Politikstil geprägt hat. Ich denke, dass er mit dieser Beschreibung richtig lag. Große Teile der Linken haben sich damals einer Sprache und Organisationspraxis bedient, die an den Anarchismus angelehnt oder von ihm inspiriert war. Aber ihre inhaltlichen Positionen unterschieden sich kaum von dem, was ganz normale liberale Demokraten auch forderten.
JACOBIN war damals in einer besonderen Position, weil wir eine der wenigen linken Publikationen waren, die von vielen Occupy-Aktivisten gelesen wurde, die aber einen gewissen Abstand zur Bewegung aufrechterhielt. Wir haben Occupy allgemein unterstützt, aber gleichzeitig haben wir versucht, nach vorne zu schauen und Kritik zu üben, wo sie angebracht war. JACOBIN war auch damals noch sehr klein. Doch wir haben diese Zeit auch deshalb überlebt, weil wir manchen Leuten, die Occupy gerade hinter sich hatten, eine alternative Perspektive eröffnen konnten. Einige von ihnen sind JACOBIN dann treu geblieben und zu unserer ersten Kernleserschaft geworden. Ende 2014, drei Jahre nach Occupy, hatten wir dann 5.000 Abonnentinnen und Abonennten.
Darauf folgte dann eine Zeit, in der sich die US-amerikanische Linke stark mit Geschehnissen im Ausland beschäftigt hat. Als Syriza 2015 an die Macht kam, fiel uns die interessante Rolle zu, Interviews mit einer ganzen Reihe von Politikerinnen und Aktivisten aus dem Umfeld der Partei zu veröffentlichen. Ein signifikanter Teil der US-Berichterstattung über die neue linke Regierung in Griechenland kam damals von uns.
Im selben Jahr, ebenfalls 2015, wurde Jeremy Corbyn zum Labour-Vorsitzenden gewählt. JACOBIN hat damals davon profitiert, dass wir bereits zahlreiche Kontakte zu linken Kräften in anderen Teilen der Welt geknüpft hatten. Wir wurden zu einer Informationsquelle für das US-amerikanische Publikum über die Entwicklungen der Linken im Ausland. Aber natürlich hat nichts so viel verändert wie die erste Präsidentschaftskampagne von Bernie Sanders 2016. Sie brachte uns unseren ersten echten Wachstumsschub.
Welche Rolle nahm JACOBIN bei der Bernie-Kampagne ein?
Ich glaube, es war zu großen Teilen Zufall, dass wir von der ersten Bernie-Kampagne so stark profitiert haben. Jedenfalls erschien es mir damals so. Wir haben natürlich eine ganze Menge Beiträge zu Bernie veröffentlicht. Die Ausgabe, die im Frühjahr 2016 auf dem Höhepunkt seines Erfolgs, kurz nach seinen frühen Siegen bei den Vorwahlen, erschienen ist, »Up from Liberalism« [»Jenseits des Liberalismus«], war eine historische Bilanz und Kritik des Third Way, dem politischen Projekt von Bill Clinton oder Tony Blair. Die Politik von Corbyn und Sanders haben wir als mögliche Alternativen dazu in Kontrast gesetzt. Ich glaube, das war auch das erste Mal, dass wir uns wirklich ernsthaft in die Tagespolitik eingemischt haben. Viele unserer Ausgaben davor hatten einen eher historischen Schwerpunkt, mit wenig direkten Bezügen zum aktuellen politischen Geschehen.
Bernies zweite Kandidatur von 2020 war ein weiterer Höhepunkt für die US-amerikanische Linke, aber auch sie endete in einer Niederlage, die mit dem Beginn der Pandemie zusammenfiel.
Ja, und um ehrlich zu sein: Wer weiß, wie sie andernfalls ausgegangen wäre. Man muss nüchtern feststellen, dass Bernie von Anfang an bestenfalls eine Außenseiterchance hatte. Aber eine Kampagne, die zum Großteil darauf basiert, dass eine riesige Armee von Freiwilligen Haustürwahlkampf macht, hatte es in der Pandemie natürlich sehr viel schwerer.
Ich glaube, der Titel der letzten Ausgabe, die wir vor dem Redesign veröffentlicht haben, fasst unsere Einschätzung des gegenwärtigen Zustands der US-Linken gut zusammen: Sie steckt im Fegefeuer. Ich glaube, es ist naheliegend, dies als durchweg negative Aussage aufzufassen, aber so haben wir das gar nicht unbedingt gemeint. Denn wir konstatieren auch, dass die Linke ihren Platz in der US-Politik gefunden hat und nicht mehr vollständig isoliert ist.
In den letzten Jahren wurden wichtige Siege errungen. Im ganzen Land wurden Sozialistinnen und Sozialisten in politische Ämter gewählt. Die allermeisten von ihnen wurden auch wiedergewählt. Wir befinden uns also nicht auf einem Rückzug auf breiter Front. Ich würde deshalb sagen, dass wir uns eher in einer Situation des Stillstands statt des Niedergangs oder der Niederlage befinden. Trotzdem wirft das natürlich die Frage auf, wie es jetzt weitergeht. Vielleicht haben wir die einfachen Kämpfe bereits gewonnen und was als nächstes kommt, wird wesentlich schwieriger.
Wie war die Trump-Ära für JACOBIN?
In vielerlei Hinsicht zielte die Ausrichtung des Magazins – unser politisches Programm, die Fragen, die wir versuchten, zu beantworten und die Debatten, in die wir uns eingebracht haben – von Anfang an eher darauf ab, den innerlinken Diskurs zu prägen. Viele unserer Polemiken richteten sich daher gegen Liberale. Insofern haben wir gegenüber der Rechten lange Zeit eigentlich keine klare, offensichtliche Position bezogen. Das lag auch daran, dass wir dieses Publikum ohnehin so gut wie nicht erreichen.
Ich vermute, dass nur wenige bei JACOBIN erwartet haben, dass Trump gewinnt, wie überall sonst auch.
Ja. Wir hätten damit nicht gerechnet. Ich glaube, die Ausgabe, die wir damals veröffentlicht haben, ging überwiegend von einem Sieg Clintons aus. Ich glaube, wenn überhaupt, hat sie sich nur am Rand mit Trump beschäftigt, aus der impliziten Annahme heraus, dass er verlieren würde. Was mich aber schockiert hat, war, dass sie trotzdem sehr schnell ausverkauft war, und das, obwohl wir uns darin mit der extremen Rechten gar nicht näher befasst haben. Wir haben nach der Wahl von Trump auch sehr viele neue Leserinnen hinzugewonnen.
Die Unzulänglichkeit von Clintons zentristischer Politik wurde über Nacht offensichtlich?
Genau. Ihre Politik war spektakulär gescheitert und dieser Umstand war nun nicht mehr bloß für diejenigen ersichtlich, die sie schon zuvor kritisiert hatten. Ich glaube, viele Menschen haben sich damals nach politischen Alternativen umgesehen und sind so auf der Linken gelandet.
Trumps Sieg hat diesbezüglich alles verändert. In der nachfolgenden Ausgabe haben wir uns dann intensiv mit der politischen Rechten und ihrer Geschichte befasst. Was wir allerdings von Anfang an vermieden haben, war, die Rechte zu pathologisieren, wozu viele Liberale neigen. Die meisten Liberalen unternehmen keine ernsthaften Versuche, die Argumente, aber auch die Geschichte der Rechten zu verstehen. Sie fassen ihren Konflikt mit den Konservativen im Wesentlichen als Kulturkampf auf.
»Wir möchten zu einer Publikation werden, die nicht nur von einem harten Kern an linken Aktivistinnen und Intellektuellen gelesen wird.«
Bei JACOBIN sind wir bemüht, zu verstehen, welche Anziehungskraft konservative und rechte Politik eigentlich auf Menschen ausübt. Und ich glaube, dass ist Teil unseres Projekts ist, Wege zu finden, wie man diesen Menschen tatsächliche Alternativen näher bringen und die Rechte auf diese Weise besiegen kann – anstelle sich in Kulturkämpfen aufzureiben.
Mein Eindruck ist, dass die Kritik an Clinton und dem Zentrismus des Third Way teilweise tatsächlich angekommen ist, und dass Joe Bidens Kandidatur und Präsidentschaft die seltsame Synthese darstellt, die daraus resultierte. Wie niedrig waren Deine Erwartungen an ihn, und hat er sie trotzdem nicht erfüllt?
Das sehe ich genauso: Es gab da diese bizarre Synthese. Ich glaube, generell waren wir im ersten Jahr seiner Präsidentschaft von seinem Kurs überrascht. Im Rückblick lag das zum Teil einfach auch an den besonderen Umständen dieses historischen Moments.
Ich glaube, dass Biden und die Demokraten nicht einfach so zur klassisch neoliberalen Politik von Clinton zurückkehren konnten. Die Gelegenheit dazu ist einfach verstrichen. Dafür gibt es verschiedene Gründe: Eigentlich spielt hier die ganze Geschichte der letzten zehn Jahre eine Rolle, aber vor allem die Pandemie, die hier offensichtlich der wichtigste Faktor war. Die US-amerikanische Gesellschaft überhaupt irgendwie über Wasser zu halten, erforderte, dass der Staat massiv in die Wirtschaft eingriff.
Über Biden und die Demokraten selbst sagt das wenig aus. Sie sind weiterhin eine dysfunktionale Partei ohne politisches Rückgrat. Das Gesetzgebungsverfahren zu Bidens Infrastrukturpaket hat das ziemlich deutlich gezeigt.
Am meisten schockiert hat der Rückzug aus Afghanistan unter Biden. Auf einmal prasselte die Kritik des gesamten zentristischen Medien-Establishments, das den Demokraten eigentlich nahe steht, auf ihn ein und die Linke fand sich in der bizarren Lage wieder, Biden gegenüber liberalen Demokraten verteidigen zu müssen. Doch der Militarismus ist zu großen Teilen zurückgekehrt, vor allem in Bezug auf die Ukraine.
Was bringt die Zukunft für JACOBIN und die US-amerikanische Linke? Was sind die wichtigsten Ziele für die nächsten Jahre?
Ich glaube, wir sollten uns darauf konzentrieren, das was wir bereits erreicht haben, stärker zu verankern. Das ist durchaus mit Herausforderungen verbunden, denn bei den Vorwahlen der Demokraten hat sich auch dieses Jahr wieder gezeigt, dass der zentristische Flügel der Partei bereit ist, mit allen Mitteln zurückzuschlagen. Wir müssen uns also weiterhin anstrengen, um Niederlagen abzuwenden.
Was das Magazin betrifft, sehe ich das eigentlich ähnlich. Unsere Aufgabe hat sich nicht wesentlich verändert. Wir möchten weiter daran arbeiten, eine größere Leserschaft zu erreichen und sichtbarer zu werden.
Irgendwas macht Ihr offensichtlich richtig.
Na ja, ich habe jetzt keinen Fünfjahresplan. Ich glaube letztlich wollen wir ein linkes Mainstream-Medium mit hoher Auflage werden. Als wir begonnen haben, schien das noch völlig illusorisch, aber jetzt wirkt dieses Fernziel erreichbar. Wir möchten zu einer Publikation werden, die für die ganze Gesellschaft relevant ist und nicht nur von einem harten Kern an linken Aktivistinnen und Intellektuellen gelesen wird – eine sozialistische Zeitschrift mit Massenpublikum. So etwas hat es in den USA wahrscheinlich seit der Wochenzeitung Appeal to Reason im frühen 20. Jahrhundert nicht mehr gegeben. Ob uns das jemals gelingt, ist allerdings eine offene Frage.
Remeike Forbes ist Art Director im US-amerikanischen Jacobin.