15. Juli 2021
Die Identität vieler Menschen ist eng mit ihrer Arbeit verbunden. Alles nur kapitalistische Ideologie? Ganz im Gegenteil, sagen Ruth Dukes und Wolfgang Streeck: Dieser Stolz bildet die Grundlage für den Widerstand der Arbeitenden gegen die Macht der Bosse.
Die Verrichtung der Arbeit ist oftmals eine Quelle von Stolz und Selbstwert, selbst im Kapitalismus.
In einem kürzlich erschienenen Aufsatz diskutieren Ruth Dukes und Wolfgang Streeck das mittlerweile recht obskure Konzept der industriellen Bürgerrechte (industrial citizenship) und den sich verändernden Status der Arbeit im frühen 21. Jahrhundert. Viele Linke erachten die Sorge um den sozialen Status, der mit dem Arbeitsplatz einhergeht, im Vergleich zur Ausbeutung, die am Arbeitsplatz stattfindet, als zweitrangig. Diese Haltung ist nachvollziehbar, wenn man bedenkt, dass der Verweis auf den sozialen Status der Arbeit oft der Rechtfertigung von Unterdrückung diente.
John-Baptiste Oduor hat für JACOBIN mit Dukes und Streeck über die politische Notwendigkeit gesprochen, den Status von Arbeit und Arbeitern dennoch von links zu verteidigen. Dukes und Streeck diskutieren über mehrere Themen, die für die gesellschaftliche Linke aktuell zentral sind, darunter das Erbe der linken Opposition gegen die Sozialdemokratie und Ansätze, wie die niedrig entlohnte und angeblich statusfreie Gig-Economy in die Schranken gewiesen werden kann.
Dukes und Streeck forschen derzeit zu den sozialen und rechtlichen Normen der Arbeit. Die hier diskutierten Ideen gehen aus diesem gemeinsamen Forschungsprojekt hervor. Als Teil dieses Projekts erscheint in Kürze ein Buch mit dem Titel Democracy at Work: Contract, Status, and Post-Industrial Justice im Polity Verlag.
In Ihrem jüngsten Artikel »From Industrial Citizenship to Private Ordering« befassen Sie sich mit den Veränderungen des rechtlichen und sozialen Status lohnabhängiger Beschäftigter. Insbesondere unterscheiden Sie zwischen Status und Vertrag, die sie als zwei verschiedene Arten der Regulierung der Rechte und Pflichten der Arbeitenden definieren. Worin unterscheiden sich Status und Vertrag und wie haben sie sich aus der Geschichte des europäischen Arbeitsrechts heraus entwickelt?
WS: Die Begriffe »Status« und »Vertrag« werden seit langem verwendet, um verschiedene Arten von sozialen Beziehungen voneinander abzugrenzen. In Wirtschaft und Gesellschaft definierte Max Weber Statusbeziehungen als solche, in denen den Parteien aufgrund ihrer Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Kategorie – Vater, Ehefrau, Herr, Knecht – vom Gesetz Rechte und Pflichten zugeschrieben werden. Eine vertragliche Beziehung hingegen wird »frei nach der freien Wahl der Parteien geschlossen«. Im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert beobachteten Soziologen – oder glaubten zu beobachten –, dass statusbasierte Beziehungen allmählich in vertragliche Beziehungen umgewandelt wurden.
Nach dem berühmten Diktum von Henry Maine war diese Tendenz – »eine Bewegung vom Status zum Vertrag« – das Erkennungsmerkmal »fortschrittlicher Gesellschaften«. Bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts, als die Gewerkschaften stark waren und die Arbeitsbedingungen in erster Linie durch Tarifverhandlungen geregelt wurden, hätte man aber auch argumentieren können, dass die Arbeitsbeziehungen in den fortschrittlichsten Gesellschaften nun eher Statusbeziehungen glichen – auch wenn sich diese von den Statusbeziehungen von einst zwischen Herr und Knecht unterschieden.
Im Zeitalter der industriellen Bürgerrechte wurde der Status der Arbeitenden nicht nur durch das Gesetz als solches definiert, sondern auch durch kollektiv vereinbarte Regeln und das Recht, an der Aushandlung dieser Regeln teilzunehmen. Wie andere Arten von Status war auch der des industriellen Bürgers nicht nur von den beteiligten Parteien bestimmt, sondern war gesellschaftlicher, also öffentlicher Natur. Er war nicht bloß sozial, wie bei Herr und Knecht, sondern politisch: entwickelt im demokratischen Klassenkonflikt zur Regulierung der sozialen Beziehungen zwischen Kapital und Arbeit.
RD: In unserem Artikel und dem in Kürze erscheinenden Buch Democracy at Work: Contract, Status, and Post-Industrial Justice argumentieren wir, dass Arbeitsbeziehungen in kapitalistischen Gesellschaften notwendigerweise sowohl Elemente von Vertragsbeziehungen als auch Statusbeziehungen aufweisen. Lohnarbeitsbeziehungen sind stets vertraglich. Für beide Parteien gilt die formale Vertragsfreiheit, wenn sie eine solche Beziehung eingehen. Aber es ist unmöglich, Arbeitsbeziehungen ausschließlich vertraglich zu regulieren: Elemente von Status – Regeln, die unabhängig vom Willen der Vertragsparteien Geltung beanspruchen – sind immer vorhanden und müssen es sein, wenn die Arbeit so ausgeführt und bezahlt werden soll, wie die Parteien es sich vorstellen.
Wer das abstreitet, wie zum Beispiel Plattformen wie Uber, die behaupten, rein vertragliche Arbeitsmärkte ohne Suchfriktionen und mit nur minimalen Transaktionskosten – also Verträge ohne Status – zu schaffen, dessen Argumentation basiert auf einem untersozialisierten, monadischen Modell sozialen Handelns, das keine Grundlage in der Realität des sozialen Lebens hat (Émile Durkheim). Damit ignoriert man Karl Polanyis Einsicht, dass die »fiktive Ware« Arbeit letztlich zerstört wird, wenn keinerlei Schutz vor den Launen des Marktes besteht.
»Aus heutiger Sicht war die Verringerung der Einkommens- und Vermögensungleichheiten zwischen den Ärmsten und den Reichsten in unseren Gesellschaften der sichtbarste Erfolg der industriellen Bürgerrechte.«
Wie Polanyis Gegenbewegung kann Status eine Vielzahl von Formen annehmen, die aus der Perspektive von Arbeitnehmern, Arbeitgebern und der Gesellschaft insgesamt mehr oder weniger wünschenswert sind: Leibeigenschaft, Industriebürgerschaft, Zugehörigkeit zu einem bestimmten Beruf. Uns beschäftigt die Frage, wie Status und Vertrag zu verschiedenen Zeitpunkten unterschiedlich konfiguriert und verstanden wurden. Dabei wollen wir vor allem die sich verändernde Rolle des Rechts und anderer öffentlicher Institutionen bei der Gestaltung von Arbeitsbeziehungen sowohl direkt als auch indirekt verstehen, immer in dem Bewusstsein, dass selbst scheinbar »private« Vertragsabschlüsse in einem Kontext stattfinden, der auf vielfältige Weise durch das Recht und den Staat sowie die Gesellschaft strukturiert ist.
Während des 20. Jahrhunderts begannen einige Analystinnen und Analysten, das Konzept der Industriebürgerschaft zu verwenden, um zu verstehen, weshalb man glaubte, Arbeitsrechte durch Tarifverhandlungen und andere korporatistische Vereinbarungen institutionalisieren zu können. Die Industriebürgerschaft war ihrer Ansicht nach ein Versuch, Arbeit und Status auf fortschrittliche Weise miteinander zu verbinden. Könnten Sie etwas über die Errungenschaften dieses Versuchs sagen?
RD: Industrielle Bürgerrechte beinhalteten die Anerkennung des Arbeiters als Träger von dem Arbeitsvertrag vorausgehenden Rechten und die Anerkennung der Industrie und der Wirtschaft als Sphären des öffentlichen Interesses und demokratischer Entscheidungsbeteiligung. Im Gegensatz zur strengen Hierarchie des Meister- und Dienermodells bedeutete Status hier Egalitarismus und Anspruch auf Respekt, auch für den Arbeitnehmer. Politische Argumente zugunsten industrieller Bürgerrechte oder industrieller Demokratie beruhten tendenziell auf einer funktionalistischen Logik, die Arbeitnehmerrechte und Tarifverhandlungen als eine Art Preis begriff, den das Kapital für Produktivität und soziale und wirtschaftliche Stabilität zahlen musste.
Die Vereinbarkeit von Tarifverhandlungen mit der keynesianischen Verantwortung der Regierung, für Vollbeschäftigung zu sorgen, erwies sich jedoch als schwierig. Denn die Vollbeschäftigung ermächtigte die Gewerkschaften dazu, in Tarifverhandlungen und am Arbeitsplatz Erfolge zu erzielen, die die kapitalistischen Arbeitgeber nicht zuzugestehen bereit waren. Dadurch wurde der grundlegende Verteilungskonflikt, der einer kapitalistischen politischen Ökonomie innewohnt, offengelegt. Das führte letztlich zur neoliberalen Revolution und zur Reprivatisierung der Arbeitsbeziehungen, nicht zuletzt, weil Staaten und Regierungen vor allem unter dem Druck der »Globalisierung« überzeugt waren, dem kapitalistischen Revisionismus nachgeben zu müssen.
Wir glauben, es ist höchste Zeit, die öffentliche Dimension wiederherzustellen. Die Regierungen werden aufs Neue lernen müssen, wie sie das Kapital dazu bringen, wieder industrielle Bürgerrechte in neuer Form zu dulden.
Aus heutiger Sicht war die Verringerung der Einkommens- und Vermögensungleichheiten zwischen den Ärmsten und den Reichsten in unseren Gesellschaften der sichtbarste Erfolg der industriellen Bürgerrechte. In Anbetracht der viel größeren Ungleichheiten von heute, des geschwächten Zustands unserer Gewerkschaften, der Gelegenheitsarbeit, der »Prekarisierung« von Arbeitsverhältnissen und des Wiederauflebens des viktorianischen Phänomens der Erwerbsarmut ist klar, dass die große Herausforderung unserer Zeit darin besteht, Regierungen und die Politik wieder dazu zu befähigen, das Kapital durch politische Maßnahmen zu zähmen. Eine Reorganisation der »zweiten Regierungsebene«, also der Arbeitsbeziehungen in der Sphäre der Produktion, muss unweigerlich Teil dieses Projektes sein.
Von links wurde das Konzept der Industriebürgerschaft unter anderem deswegen kritisiert, weil es letztlich auf das reibungslose Funktionieren des Kapitalismus abzielt. Das, was Sie als das »feudale Erbe von Herr und Knecht« bezeichnet haben, ist mit jeder politisierten Vorstellung vom Status des Arbeiters verbunden und die Industriebürgerschaft vermochte es nicht, dieses Verhältnis zu überwinden. Als die Versuche der Institutionalisierung des Klassenkonfliktes der Nachkriegszeit scheiterten, wurde dies daher von vielen Linken sehr begrüßt. Was hat diese Art von linker Kritik an der industriellen Staatsbürgerschaft bewirkt?
RD: In dem Artikel beziehen wir uns auf die Arbeit von Alan Fox in den 1970er Jahren. Er identifizierte einen grundlegenden Klassenkonflikt, der selbst mit den ausgefeiltesten institutionellen Arrangements unvermeidbar ist. Für Fox, der seine Forschung in einer Ära scheinbar stabiler industrieller Demokratie und industrieller Bürgerrechte betrieb, blieben Elemente der Statushierarchie von Herr und Knecht in den Arbeitsbeziehungen bestehen. Dies, so Fox, setzte eine »Spirale des Vertrauensverlustes« zwischen den Käufern und Verkäufern von Arbeitskraft in Gang. Die einzige wirksame Abhilfe sei der revolutionäre Umsturz des Kapitalismus. Das Problem dabei ist natürlich, dass es dazu nicht kam. Die industriellen Bürgerrechte wurden durch die neoliberale Revolution gestürzt und nicht durch das revolutionäre Proletariat.
Auch aus Perspektive der Arbeiter wurde die Version der industriellen Bürgerrechte, wie sie in der Ära des Hochindustrialismus existierte, für unzulänglich befunden – das erklärt in Teilen auch, warum sie nicht energischer verteidigt wurde. Eine wichtige Kritik, die mit unterschiedlichen Schwerpunkten und zu unterschiedlichen Zwecken von rechts und links geäußert wurde, zielt auf die Starrheit, die Enge und die Zwänge des Arbeitsregimes, welches sich in den 1960er und 70er Jahren entwickelte. Taylorismus und Fordismus beruhten auf der Bereitschaft der Arbeiter, oft extrem monotone Arbeit im Austausch für Arbeitsplatzsicherheit und das Versprechen einer »Karriere« oder zumindest eines Lohnanstiegs zu akzeptieren.
Ferner trifft es zu, dass die damalige Fassung der industriellen Bürgerrechte auf der Grundlage eines männlichen Alleinverdienermodells entwickelt wurde. Während sie Männer in eine stabile Vollzeitbeschäftigung lenkte, ging sie davon aus, dass Frauen Teilzeitarbeit benötigten und mit schlechter bezahlter Arbeit auskämen: Taschengeld. Die Gewerkschaften entschieden sich zeitweise für den Schutz und die Förderung der Interessen ihres (weißen, männlichen) Mitgliederstamms gegenüber den Interessen anderer (weiblicher, rassifizierter und migrantischer) Arbeitnehmer. Sozialer Schutz, der auf dem »Familienlohn« und auf androzentrischen Auffassungen von »Arbeit« und »Leistung« beruhte, diente weniger dem Schutz »der Gesellschaft« an sich, sondern dem Schutz männlicher Vorherrschaft, wie Nancy Fraser argumentiert hat.
Wenn die Rechte und der Schutz, die das Arbeitsrecht, die Sozialfürsorge und die Gewerkschaften bieten, auf diese Weise verstanden werden, können sogar Arbeiter eine Vorliebe für Vertragsfreiheit entwickeln – nicht als Selbstzweck oder als Weg zur totalen wirtschaftlichen Liberalisierung, sondern eher als Mittel zur Emanzipation, im weitesten Sinne.
Sie beobachten, dass der Übergang zu einem vorgeblich statusfreien Vertrag dazu diente, die Regulierung von Arbeitsverträgen zu entpolitisieren. Ist dies nur ein Produkt der aktuellen Schwäche der organisierten Arbeiterschaft oder gibt es dafür weitere Gründe?
WS: Es gibt noch andere Aspekte. Nicht nur die Schwäche der organisierten Arbeiterschaft spielte dabei eine Rolle, sondern auch die Politik der Staaten und Regierungen unter dem Einfluss der zunehmenden Stärke des Kapitals. Bis heute haben wir das, was wir Globalisierung nennen, nicht wirklich verstanden. Diese ist nicht nur ein Prozess weltweiter wirtschaftlicher und sozialer Integration. Sie ist und war auch dadurch geprägt, dass das Kapital neue Strategien entwickelte, um der demokratischen Macht der organisierten Arbeiterschaft zu entgehen und Gesellschaften, Staaten und Politik zu erpressen.
Diese Erpressung brachte schließlich den »Dritten Weg« hervor: Um sich beim Kapital lieb Kind zu machen, trieb die staatliche Politik die Reprivatisierung der politischen Ökonomie voran. Die Regierungen verabschiedeten sich von ihrer Verantwortung, die Bürgerinnen und Bürger vor den Unsicherheiten eines nun globalen Marktes zu schützen. Stattdessen setzten sie ihre Gesellschaften dem internationalen Wettbewerb aus, um den kapitalistischen Volkswirtschaften neuen Schwung zu verleihen. Die neue Kontraktualisierung der Arbeit – der zweite »Fortschritt« von Status zu Kontrakt – ist in ihrem Kern eine Privatisierung.
Das bedeutet, dass man es den Arbeitenden selbst überlässt, für sich zu sorgen, vielleicht mit ein wenig Umschulungsbeihilfe von ihren ehemaligen sozialdemokratischen Beschützern – immer im Sinne der kapitalistischen Wettbewerbsfähigkeit. Die Aushöhlung der industriellen Demokratie und der Tarifverhandlungen ist die Konsequenz dieser Politik, was wiederum zu einer weiteren Schwächung der organisierten Arbeiterschaft führte.
Viele Linke ziehen es vor, Arbeit vor allem als Ort der Ausbeutung zu betrachten. Was ist Ihrer Meinung nach falsch daran, auf eine Diskussion über den normativen Wert der Arbeit zu verzichten? Ist dies damit vereinbar, Lohnarbeit als inhärent ausbeuterisch zu betrachten, wie es Marxistinnen und Marxisten oft tun?
WS: Karl Marx’ historischer Materialismus basierte auf der Idee, dass sich der Mensch durch Arbeit selbst produziert, wofür er den griechischen Begriff »Praxis« verwendete. Praxis bedeutet Produktion, nicht nur von Dingen und Ideen, sondern auch des Menschen als soziales Wesen, das sich mit und aus der Arbeit entwickelt. Der Kapitalismus, wie auch andere ausbeuterische Regime, die ihm vorausgingen, verunstaltet und verzerrt diese Praxis, weil er die Arbeit in eine Ware verwandelt, sie kommerzialisiert und unter einen Marktwert subsumiert.
Das ist es, was die marxistische philosophische Tradition als »Entfremdung« bezeichnet: Der Mensch begegnet dem Produkt seiner Praxis, einschließlich sich selbst und seiner Gesellschaft, als etwas, das ihm fremd ist und von jemand anderem kontrolliert wird. In den Fabriken von Manchester und später im Taylorismus führte dies zu der Annahme, dass das proletarische Klassenbewusstsein eine tiefe emotionale Ablehnung der Art von Arbeit, zu der das Kapital den Arbeiter zwingt, implizieren muss. Eine Möglichkeit, dies zu tun, bestand darin, eine rein instrumentelle Einstellung zur Lohnarbeit zu haben.
»Selbst im Kapitalismus ist Arbeit nur in den seltensten Fällen völlig frei von Praxis. Die meiste Arbeit geht mit einem gewissen Gefühl von Stolz und Leistung einher, mit einer gewissen intrinsischen Befriedigung.«
In der Tat betrachteten die Gewerkschaften dies oft als Voraussetzung für eine erfolgreiche Konfrontation mit dem Arbeitgeber über den Preis der Arbeit: Die einzige Befriedigung, die ich aus der Arbeit ziehen kann, ist der Lohn. Arbeitszufriedenheit im Kapitalismus ist rein extrinsisch, nie intrinsisch; meine einzige Beziehung zu meiner Arbeit ist, das ich sie hasse; und wenn das nicht der Fall ist, dann ist es die Aufgabe der sozialistischen Bewusstseinsbildung, mich dazu zu bringen, sie zu hassen, damit ich meinen Einsatz minimiere und nur so viel zu arbeite, wie ich bezahlt bekomme. Denn das verbessert meine Verhandlungsposition im Kampf um höhere Löhne.
Diese Haltung stammt aus einer Zeit, in der Industriearbeit als völlig unqualifiziert und die Arbeiter als völlig austauschbar angesehen wurden. Die tayloristische Arbeitsplanung war zutiefst menschenverachtend. Man könnte sagen: Sie betrachtete die Arbeiter als leblose Automaten, die von Grund auf unfähig zu so etwas wie Praxis waren. Irgendwie wurde diese Sichtweise vom radikalen Sozialismus in einer Art Notwehr verinnerlicht, um sich gegen Arbeitgeber zu wehren, die versuchten, das Verhältnis zwischen Lohn und Arbeit zu ihrem Vorteil zu verändern. Um mehr Arbeit für weniger Geld aus den Arbeiterinnen und Arbeitern herauszuholen, bot man ihnen billige Möglichkeiten intrinsischer, das heißt unbezahlter, Belohnung.
Unser Punkt ist, dass dieser Ansatz zum Scheitern verurteilt war. Selbst im Kapitalismus ist Arbeit nur in den seltensten Fällen völlig frei von Praxis. Die meiste Arbeit geht mit einem gewissen Gefühl von Stolz und Leistung einher, mit einer gewissen intrinsischen Befriedigung und dem Wunsch, sich selbst zu beweisen, indem man etwas richtig macht und die Arbeit gut erledigt. Auch kommerzialisierte Arbeit bleibt zumindest in einem gewissen Restmaß immer noch Praxis. In der Tat ist die Ausübung einer bezahlten Arbeit für einige, vor allem heute, die primäre oder sogar einzige Möglichkeit persönlichen Wachstums und sozialer Integration – also einen respektierten Platz in der Gesellschaft zu finden.
»Die Verbundenheit des Arbeitenden mit der eigenen Arbeit wird oft von Menschen in privilegierten sozialen Verhältnissen übersehen oder sogar lächerlich gemacht. Offenbar können sie sich nicht vorstellen, wie viel Geschick, Entscheidungs- und Improvisationsfähigkeit nötig ist, um etwa als Maurer, LKW-Fahrer oder Pflegekraft zu arbeiten.«
Marx, so kann man sagen, beendete seine Soziologie mit seiner Darstellung der Heranreifung der modernen Arbeiterklasse als eine der beiden Hauptklassen des kapitalistischen politisch-ökonomischen Systems im Kapitel über die ursprüngliche Akkumulation, in Band Eins von Das Kapital. Er konnte und wollte nicht vorhersehen, dass Handwerk und das handwerkliche Ethos nicht verschwinden, sondern in viele proletarische Berufe eindringen würden. So entstanden beispielsweise berufszentrierte Gemeinschaften als Zentren nicht nur kollektiver Identifikation und Selbstachtung, sondern auch gewerkschaftlicher Organisierung und linker Politik. In der Tat war die Unzufriedenheit mit der Arbeit im Kapitalismus häufig nicht oder nicht nur Resultat schlechter Entlohnung, sondern auch unzulänglicher Möglichkeiten, sie besser zu verrichten, mehr und nicht weniger von sich selbst in die Arbeit zu stecken.
Die Verbundenheit des Arbeitenden mit der eigenen Arbeit wird oft von Menschen in privilegierten sozialen Verhältnissen übersehen oder sogar lächerlich gemacht. Offenbar können sie sich nicht vorstellen, wie viel Geschick und Entscheidungs- und Improvisationsfähigkeit nötig ist, um etwa als Maurer, LKW-Fahrer oder Pflegekraft zu arbeiten, ungeachtet aller Dequalifizierungspolitik der Arbeitgeber.
RD: Sozialistische Theorien des Arbeitsprozesses treffen aber auch einen wahren Kern: Viele Menschen arbeiten viel härter, als es ihr Vertrag verlangt; sie arbeiten »über ihre Pflicht hinaus«, weil sie nicht als schlampig gelten und stolz auf ihre Arbeit sein wollen. Arbeitgeber wissen das. Industrielle Demokratie könnte sie daran hindern, daraus Kapital zu schlagen und ihre Arbeiterinnen und Arbeiter niedriger zu entlohnen, als es ihnen möglich wäre, wenn sie sich Mühe gäben und so hart arbeiteten wie ihre Beschäftigten. Ziel progressiver Politik kann es trotzdem nicht sein, auf eine vollständige Entfremdung der Arbeiterinnen und Arbeiter hinzuarbeiten.
Dies auch deshalb, weil es oft der Wunsch ist, die Arbeit gut machen zu dürfen, die Beschäftigte dazu bringt, sich dem Management zu widersetzen. Das ist insbesondere bei persönlichen Dienstleistungen der Fall, wo Kundinnen und Kunden involviert sind. Die Arbeit Leistenden schämen sich, schlechte Arbeit abzuliefern, weil sie mit ihrer täglichen Arbeit Menschen helfen wollen.
In der heutigen, kapitalistisch organisierten Gesellschaft bietet der Arbeitsplatz für die meisten Menschen die einzige Möglichkeit, soziale Anerkennung zu erfahren und das Selbstwertgefühl zu stärken. Diese Möglichkeit gegen den Missbrauch durch die Käufer der Arbeitskraft zu verteidigen, ist etwas, das in einer von Marx informierten politischen Perspektive als zentrales politisches Ziel gelten sollte.
Die Kritik am Versuch, zu einer reformierten Version des gesellschaftlichen Kompromisses der Nachkriegszeit zurückzukehren, verweist unter anderem darauf, dass dieses Arrangement an Instabilität, Arbeitermilitanz und einem Rückgang der Profite zusammenbrach, und nicht nur wegen des politischen Niedergangs der organisierten Arbeiterschaft. Wenn dies der Fall ist, wie können wir dann die Vorteile der industriellen Staatsbürgerschaft im Kontext eines globalen Rückgangs der Rentabilitätsraten retten?
WS: Eine »Rückkehr« zu einer »reformierten Version« kann es nicht geben. Eine »reformierte Version« kann nur vor uns liegen, nicht hinter uns. Die Wiederherstellung einer öffentlichen Dimension bei der Vergabe und Regulierung von Arbeit braucht ein neues Verständnis des Kontextes, in dem Arbeit heute geleistet wird. Das gilt vor allem hinsichtlich der Internationalisierung, Globalisierung und Finanzialisierung sowie auch der neuen Formen produktiven Kapitals. Sie muss Teil eines allgemeinen Programms des gesellschaftlichen Wiederaufbaus sein, der nach den Verheerungen des Neoliberalismus dringend notwendig ist.
»In einer proletarischen Situation ist man immer dem Risiko ausgesetzt, dass der wirtschaftliche Wandel die Verknüpfung von Arbeit und Einkommen aufbricht.«
In erster Linie würde dies bedeuten, das Kapital wieder für die Gesellschaften in Verantwortung zu nehmen, in denen es sich vermehren will – die moderne Wirtschaft muss nicht nur in einem ökologischen, sondern auch in einem sozialen Sinne nachhaltig werden. Ob und inwieweit sie dabei kapitalistisch bleiben wird und bleiben kann, wird sich zeigen. Eine Arbeitsreform kann letztlich nur als Teil einer gesellschaftlichen Reform gelingen. Solange das Kapital für das, was es für die Gesellschaft tut und unterlässt, nicht zur Verantwortung gezogen werden kann, kann eine solche Reform nicht zustande kommen. Die Bedeutung von sozialer »Stabilität« und wirtschaftlicher »Rentabilität« wird sich in diesem Prozess ändern müssen. Das wissen wir bereits aus dem Kampf um das Klima.
Wir müssen andere (und uns selbst) daran erinnern, dass der Kampf um das, was vom heutigen Kapitalismus übrig bleiben kann, das umfassen muss, was wir die »Arbeitsverfassung« nennen. Der marktorientierte globale Kapitalismus in der Version von Walmart und Goldman Sachs ist nicht länger tragfähig. Die Reform der Arbeit ist eines der Felder, auf denen der schwindende soziale Nutzen des Kapitalismus angegangen werden muss. Letztlich würde dies einen internationalen Rahmen für das Wirtschaften verlangen, in dem Profitabilität zweitrangig gegenüber der sozialen Nachhaltigkeit wäre – eine Angelegenheit, die erst dann wirklich angegangen werden kann, wenn das Kapital seine Schuld gegenüber der menschlichen Gesellschaft und der Natur beglichen hat. Ob das dann noch Kapitalismus wäre, ist eine Frage, die die Kapitalisten beantworten müssen.
Muss die arbeitende Klasse immer noch der Dreh- und Angelpunkt einer erneuerten sozialdemokratischen oder sozialistischen Massenpolitik sein?
WS: Heutzutage gibt es keine scharf umrissene Definition der »arbeitenden Klasse«, und wir werden nicht einmal versuchen, eine vorzuschlagen. Wir halten uns an ein weit gefasstes, vorläufiges Konzept, das für unseren Zweck ausreicht, nämlich für die Entwicklung einer praktischen Idee für eine neue und aktualisierte Repolitisierung der Regulierung des Arbeitsmarkts. Dieses Konzept basiert auf dem, was wir die »proletarische Situation« nennen: Der Begriff beschreibt eine Stellung in der sozialen Struktur, die eine spezifische »proletarische Angst« hervorruft, die erstens eine spezifische Position auf dem Markt widerspiegelt, die einen dazu zwingt, immer jemanden zu finden, der die eigene Arbeitskraft kauft, und zweitens auf eine Position in der Hierarchie der Produktionsorganisation zurückgeht, in der man die Ungewissheit der Marktsituation nicht auf Untergebene abladen kann und die einen stattdessen der Gefahr aussetzt, dass andere ihre Ungewissheit auf einen selbst abladen.
In einer proletarischen Situation ist man immer dem Risiko ausgesetzt, dass der wirtschaftliche Wandel die Verknüpfung von Arbeit und Einkommen aufbricht, und dass man dadurch des eigenen Lebensunterhalts, des gewohnten Lebensstandards, der Fähigkeit, die eigenen Kinder so zu erziehen, dass sie zu vollwertigen Mitgliedern der Gemeinschaft heranwachsen können, des Respekts der anderen oder der Möglichkeit beraubt wird, die Art von Freunden zu finden, die man sich wünscht. Nach dieser Definition fallen auch Rentnerinnen und Rentner in die arbeitende Klasse, da sie von Löhnen leben, die unter proletarischen Bedingungen verdient und vom Sozialstaat für ihren Ruhestand zeitweilig für sie einbehalten wurden.
Für uns liegt die Grenze dort, wo Menschen – ob beschäftigt oder nicht – über genügend Vermögen verfügen, um außerhalb von Arbeitsmärkten und Arbeitshierarchien zu überleben; Menschen, die sich dafür entscheiden können, sich aus der Lohnarbeit zurückzuziehen, die ein gutes Leben ohne Job und ohne einen Sozialstaat führen können, erachten wir nicht als Teil der arbeitenden Klasse. Dabei sei noch einmal betont, dass wir die proletarische Erfahrung sowohl in Märkten als auch in Hierarchien verankern und dass wir sie nicht auf Lohnarbeiterinnen und Lohnarbeiter im engeren Sinne beschränken; jeder, der Gefahr läuft, sein Einkommen durch die kapitalistische »schöpferische Zerstörung« zu verlieren, ist als jemand eingeschlossen, der sozial regulierte Arbeitsmärkte und industrielle Demokratie am Arbeitsplatz, im Sinne eines aktiven Mitsprache- und Mitgestaltungsrechts, benötigt.
Ist dies ein angemessenes Konzept, auf dem man eine sozialistische Massenpolitik aufbauen kann? Was es hervorhebt, ist ein Bedürfnis nach Schutz vor den Unwägbarkeiten der Arbeitsmärkte und dem Ausgesetztsein gegenüber einer hierarchischen Arbeitsorganisation. Es betont das Bedürfnis von Menschen und Regionen, die nicht über die nötigen Ressourcen verfügen – seien es nun materielle, soziale, was auch immer –, um sich vor den zerstörerischen Auswirkungen der sich schnell ändernden relativen Preise der Arbeit, die sie verkaufen müssen, zu schützen; es geht um die Bedürfnisse all derjenigen, die ständig auf das Unerwartete achten und jederzeit bereit sein müssen, sich anzupassen und zu verändern.
Diese Situation der Abhängigkeit vom Unbekannten – eben die proletarische Situation – hat zur Folge, dass sie auf politische Eingriffe in den Marktes angewiesen sind, auf politische Korrekturen der Logik des Marktes, eine Politik der sozialen Rechte, der sozialen Solidarität und des sozialen Schutzes. Eine erneuerte Sozialdemokratie könnte dies bieten, auch wenn sie in der jüngsten Vergangenheit oft genug daran gescheitert ist. Dort, wo die Sozialdemokratie ihre Aufgabe nicht erfüllt oder aufgrund von Umständen, die sie endgültig entmachtet haben, nicht mehr erfüllen kann, hat »revolutionäre« Politik – soziale Unruhen, massive Äußerungen sozialer Unzufriedenheit – ihren legitimen Platz.
Lassen Sie es uns so sagen: Wo der sozialdemokratische Reformismus – einschließlich einer fortschrittlichen Entwicklung des Arbeitsrechts, die der neuen Arbeitswelt entspricht – der proletarischen Situation nicht gerecht wird, müsste eine neue Art von Sozialdemokratie aus der politischen Mobilisierung der Betroffenen heraus entstehen. Wer aufgrund der Unbeständigkeit der Märkte, die mit der kapitalistischen »schöpferischen Zerstörung« einhergeht, um sein materielles und soziales Leben fürchten muss, ist faktisch Teil der arbeitenden Klasse und kann grundsätzlich in eine, wie Sie es ausdrücken, »erneuerte sozialdemokratische oder sozialistische Massenpolitik« hineinwachsen.
Ruth Dukes ist Professorin für Arbeitsrecht an der Universität Glasgow und leitende Forscherin des Forschungsprojekts Work on Demand: Contracting for Work in a Changing Economy. Sie ist Autorin von »The Labour Constitution: The Enduring Idea of Labour Law (Oxford University Press, 2014)«.
Wolfgang Streeck war von 1988 bis 1995 Professor für Soziologie und Arbeitsbeziehungen an der University of Wisconsin-Madison und danach bis 2014 Direktor am Max-Planck-Institut für Gesellschaftsforschung in Köln. Sein jüngstes Buch trägt den Titel »Zwischen Globalismus und Demokratie: Politische Ökonomie im ausgehenden Neoliberalismus« (Suhrkamp, 2021).
Ruth Dukes ist Professorin für Arbeitsrecht an der Universität Glasgow und leitende Forscherin des Forschungsprojekts Work on Demand: Contracting for Work in a Changing Economy. Sie ist Autorin von »The Labour Constitution: The Enduring Idea of Labour Law (Oxford University Press, 2014)«.
Wolfgang Streeck war von 1988 bis 1995 Professor für Soziologie und Arbeitsbeziehungen an der University of Wisconsin-Madison und danach bis 2014 Direktor am Max.Planck-Institut für Gesellschaftsforschung in Köln. Sein jüngstes Buch trägt den Titel »Zwischen Globalismus und Demokratie: Politische Ökonomie im ausgehenden Neoliberalismus« (Suhrkamp, 2021).