14. Dezember 2020
Der Wolf ist zurück und schürt Ängste. Doch wovor genau? Ein Besuch in Brandenburg.
Katrin Todt mit ihren Tieren. Wegen des Hochwassers sind die Tiere zwischenzeitlich auf eine neue Weide umgezogen. Die nächste Herausforderung für die Brandenburgische Landwirtschaft: die Schweinepest.
Als Mensch begegnet man ihnen eigentlich nie. Meistens sind es nur Spuren, die ihre Rückkehr belegen: Kot, Knochenstückchen, Bilder von Wildtierkameras. Seit 2007 sind die Wölfe offiziell zurück in Brandenburg, nachdem die Raubtiere in Deutschland Mitte des 19. Jahrhunderts ausgerottet waren und nur vorübergehend wieder auftauchten – in Wolfszeiten gewissermaßen, zum Beispiel während der Weltkriege. Hin und wieder aus Polen herüberwandernde Wölfe wurden auch in den Nachkriegsjahrzehnten umstandslos erschossen. Die Erlegung sei »von allgemeinem Interesse«, hieß es noch 1987 in einem DDR-Jagdmagazin.
Mit einer erstarkenden ökologischen Bewegung und einem neuen Status als geschützte Spezies sind die Wolfsabschüsse seit der Wende Vergangenheit. Nur in Ausnahmefällen und nach strenger Prüfung dürfen Wölfe getötet werden. Mittlerweile leben allein in Brandenburg über fünfzig Rudel. Der mythische Mondverschlinger der germanischen Sagen und gierige Reißer der Grimmschen Märchen hat nun also eine sehr reale Präsenz in der ostdeutschen Provinz. Darum kümmert sich das Brandenburger Wolfsmanagement. Es überwacht die neue Population, spricht mit Bevölkerung und Medien. Gemanagt werden dabei weniger die Wölfe, wie es die kurios businessmäßig klingende Bezeichnung vermuten lässt, als vielmehr soziale Konflikte. Denn die Stimmung beim Thema Wolf ist aufgeheizt.
In soliden Gummistiefeln stapft Katrin Todt über eine Weide im Lebuser Land und prüft die Stromspannung der Zäune. Sie ist eine von vier Wolfsmanagerinnen des Brandenburger Landesamts für Umwelt. Sie berät Tierhalterinnen und Landwirte bei der Vorbeugung von Wolfsübergriffen und kümmert sich um die Schadensbegrenzung, wenn Nutztiere den Wölfen zum Opfer fallen. Denn auch Tierrisse sind eine Spur, die den Menschen die Rückkehr der Wölfe bewusst macht. Im letzten Jahr wurden in Brandenburg 287 Schafe, 61 Kühe, 53 Stück Gehegewild und 10 Ziegen von Wölfen gerissen. Mit dieser Bilanz bringen die Neuankömmlinge einige Unruhe in das ländliche Ökosystem von Landwirtinnen und Jägern, Hobbytierhalterinnen und Dorfbewohnern, Weiden, Wiesen und Wäldern.
Sachsen, ein Jahr zuvor: Im Landeswahlkampf 2019 verteilt die AfD einen Flyer. Die darauf abgebildete Fotomontage zeigt einen Wolf, der mit offenem Maul durch ein Dorf läuft. Auf der Straße liegt ein Teddybär. Ein Kind ist nicht zu sehen. Wer kennt nicht das Märchen von Rotkäppchen und dem Wolf? Mit Kampagnen wie diesen schlachtet die AfD das Konfliktpotenzial der Wolfsthematik politisch aus. Als Einwanderer aus dem Osten bieten die Wölfe der Partei reichlich Gelegenheit zur populistischen Vereinnahmung. Die Angst vor dem »Spitzenpredator« lässt sich umso besser schüren, als dass tatsächliche Begegnungen zwischen Menschen und Wölfen nur äußerst selten vorkommen. Für Menschen tödliche Vorfälle gibt es überhaupt keine, und sie sind unwahrscheinlich. Das hält die AfD aber nicht davon ab, sich als Schutzmacht vor den bösen Wölfen zu geben und markig »Obergrenzen« für Wolfspopulationen oder erleichterte Abschussgenehmigungen für »Problemwölfe« zu fordern.
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Jorinde Schulz ist Mitglied im Vorstand der Linken Berlin und arbeitet bei Gemeingut in BürgerInnenhand, Träger des Bündnis Klinikrettung, zum Thema Privatisierung. Sie ist Mitherausgeberin des Sammelbands Generalverdacht. Wie mit dem Mythos Clankriminalität Politik gemacht wird (Edition Nautilus, 2023) und Autorin von Die Clubmaschine (Textem, 2018).