10. Februar 2021
Die Nigerianerin Ngozi Okonjo-Iweala wird die erste Präsidentin der Welthandelsorganisation. Aber eine afrikanische Frau an der Spitze bedeutet nichts, solange die WTO ihre Politik gegen Bäuerinnen und Arbeiter fortsetzt.
Ngozi Okonjo-Iweala mit Wolfgang Schäuble beim Jahrestreffen der Weltbank und des IWF, 11. Oktober 2014.
Ngozi Okonjo-Iweala, die ehemalige Finanz- und Außenministerin von Nigeria, wird aller Voraussicht nach die nächste Präsidentin der Welthandelsorganisation (WTO) werden. Im Jahr 2012 war Okonjo-Iweala bereits eine Kandidatin im Rennen um den Vorsitz der Weltbank, bevor der damalige US-Präsident Barack Obama den Amerikaner Jim Yong Kim für den Posten erwählte. Damals wie heute wurde in den Medien betont, wie bedeutsam die Ernennung einer Schwarzen Frau aus Afrika zur Präsidentin einer großen internationalen Finanzinstitution sei – was sich hier abzeichnen würde, sei nichts weniger als »ein entscheidender Moment für Afrika, das lange Zeit unter dem Stiefel ausländischer Mächte und Finanzinstitutionen gestanden hat«.
Eine Politik der Repräsentation um der Repräsentation willen ist jedoch nicht im Sinne der panafrikanischen Linken: Wenn sie darauf hinausläuft, dass eine Schwarze Frau aus Afrika die gleiche neoliberale Politik vertritt, die die wirtschaftliche Entwicklung des Kontinents in den letzten Jahrzehnten behindert hat, dann ist diese Form der Repräsentation sogar kontraproduktiv.
Die WTO, der Internationale Währungsfonds (IWF) und die Weltbank bilden gemeinsam jene »Unheilige Dreifaltigkeit« internationaler Institutionen, die den globalen Handel und das Finanzsystem zum Vorteil großer multinationaler Konzerne und ihrer Shareholder und zum Nachteil der Ökosysteme und der Arbeiterinnen und Arbeiter auf der ganzen Welt regeln. Die WTO wurde 1995 auf dem Höhepunkt des neoliberalen Siegestaumels der Nachkriegszeit gegründet. Sie ersetzte das eher lockere Allgemeine Zoll- und Handelsabkommen (GATT) durch eine permanente Organisation, die Länder, die versuchten ihren Außenhandel einzuschränken, leichter sanktionieren konnte. So räumte sie zum Beispiel ausländischen Investoren die Möglichkeit ein, Staaten im Rahmen undurchsichtiger Schiedsverfahren zu verklagen.
Das GATT hatte den Regierungen des Globalen Südens noch erlaubt, bescheidene Vorkehrungen zum Schutz ihrer jungen Industrien vorzunehmen und verschiedene Handelsbeschränkungen zur Förderung ihrer Entwicklung einzuführen. Doch Regierungen der USA und Europas versuchten, diese Bestimmungen zu schwächen und die Prinzipien des Freihandels auch auf den Dienstleistungssektor und das geistige Eigentum auszuweiten. Als Reaktion darauf blockierte ein globales Bündnis von Arbeiter- und Umweltgruppen 1999 öffentlichkeitswirksam die Jahrestagung der Organisation in Seattle.
Die jüngsten Verhandlungen zum Welthandel wurden zwar als eine »Entwicklungsrunde« angepriesen, da sie sich angeblich auf die Bedürfnisse der ärmsten Länder konzentrierten, gerieten jedoch ins Stocken, weil die Regierungen des Globalen Südens – angeführt von Indien und China – eine weitere Öffnung ihrer Märkte für nordamerikanisches, westeuropäisches und japanisches Kapital verweigerten. Außerdem forderten sie, dass die Regierungen des Globalen Nordens durch den Abbau von Handelsschranken – insbesondere den massiven Subventionen für die heimische Agrarindustrie – ihre Märkte für Agrarexporte aus dem Süden öffnen sollten.
Die zukünftige Chefin der WTO wird sich also die Frage stellen müssen, auf wessen Seite sie steht. Wird Okonjo-Iweala der Agenda des Nordens lediglich ein afrikanisches Gesicht geben und weiterhin den Freihandel ausweiten und die Macht der großen multinationalen Konzerne stärken? Oder wird sie dafür kämpfen, die wirtschaftliche Entwicklung des Globalen Südens über die Ansprüche des internationalen Handels zu priorisieren? Zwar wird der Protektionismus der nigerianischen Regierung von Befürwortern der Afrikanischen Kontinentalen Freihandelszone (AfCFTA) gefürchtet – doch Okonjo-Iweala ist eine orthodoxe Ökonomin mit einer jahrzehntelangen Karriere bei der Weltbank. Ihre Kandidatur für den Vorsitz dieser Institution wurde seinerzeit von Zeitungen wie dem Economist und der Financial Times befürwortet – und die sind wohl kaum Verbündete der afrikanischen Arbeiterinnen und Bauern.
Okonjo-Iwealas Bilanz als Ministerin hat ihr den Zorn der nigerianischen Linken eingebracht. So bestand ihre erste große Amtshandlung als Finanzministerin im Jahr 2003 in einem Abkommen mit dem Pariser Club – einem Gremium westlicher und japanischer staatlicher Gläubiger – zur Umstrukturierung der nigerianischen Auslandsschulden. Sie handelte eine Reduzierung der Schulden Nigerias von etwa 35 Milliarden auf 17,4 Milliarden US-Dollar aus, einschließlich einer sofortigen Zahlung von 12,4 Milliarden Dollar.
Viele Linke in Nigeria argumentierten damals, dass die nigerianische Bevölkerung keinen Penny zurückzahlen solle, da diese Schulden von korrupten Militärdiktaturen aufgenommen worden waren und die Kreditgeber zu jeder Zeit wussten, dass die Mittel veruntreut werden würden. Anstatt diese unrechtmäßigen Schulden abzubezahlen, hätten die Milliarden in die Infrastruktur, das Bildungs- und das Gesundheitswesen investiert werden können.
In ihrer zweiten Amtszeit als Finanzministerin wurde Okonjo-Iweala zum Gesicht der zutiefst unpopulären Entscheidung, die Treibstoffsubventionen zum Januar 2021 zu streichen, was dazu führte, dass sich über Nacht die Transportkosten verdoppelten. In der Folge stiegen die Lebenshaltungskosten der Menschen enorm an. Für Millionen von Nigerianerinnen und Nigerianern waren die Treibstoffsubventionen, der einzige Nutzen, den sie vom riesigen Ölreichtum ihres Landes hatten, und sie vertrauten nicht darauf, dass ihre Regierung die eingesparten Gelder wie versprochen für soziale Ausgaben umwidmen würde. Dies löste einen landesweiten Streik sowie die Occupy-Nigeria-Proteste aus, denen sich auch Künstlerinnen und Schriftsteller wie Seun Kuti, Wole Soyinka und Chinua Achebe anschlossen.
In den Jahrzehnten seit dem formalen Ende des Kolonialismus haben viele Afrikanerinnen und Afrikaner (auf die harte Tour) lernen müssen, dass sie nicht viel davon haben, wenn ihre politische Führung so aussieht und so spricht wie sie selbst, aber weiterhin eine Politik zu Ungunsten der großen Mehrheit der Bevölkerung verfolgt. Die Wahl von Okonjo-Iweala – oder irgendjemand anderem – an die Spitze der WTO ist nur insofern von Bedeutung, als die neue Führung den Entwicklungsländern industriepolitische Freiräume eröffnet. Die Hoffnung ist, dass eine Person aus dem Globalen Süden mehr Verständnis für die Herausforderungen aufbringen würde, die das globale Handelssystem für dessen Volkswirtschaften mit sich bringt – was das angeht, weckt die Bilanz von Okonjo-Iweala jedoch keine besonders hohen Erwartungen.
Das »Gentlemen’s Agreement« zwischen den Regierungen der USA und Europas, wonach der Chef des IWF immer ein Europäer und der Chef der Weltbank immer ein Amerikaner sein sollte, ist absolut unhaltbar. Jedoch darf sich die panafrikanische Linke nicht mit mehr »Schwarzen Gesichtern in hohen Positionen« begnügen, sondern muss auf eine gerechtere Weltwirtschaft drängen.
Dieser Beitrag erschien im Original bei Africa Is a Country.