12. Mai 2023
Spaniens Arbeitsministerin Yolanda Díaz ist mit ihrem Einsatz für die Interessen der Beschäftigten zur beliebtesten Politikerin des Landes avanciert. Mit ihrer Wahlplattform Sumar will sie ihre Popularität nutzen, um die spanische Linke wiederzubeleben.
Yolanda Díaz bei der Bekanntgabe ihrer Kandidatur in Madrid, 02. April 2023.
IMAGO / NurPhotoIch will die erste weibliche Ministerpräsidentin dieses Landes werden«, erklärte Yolanda Díaz am 2. April, als sie ihre Kandidatur für das neue Linksbündnis Sumar bekanntgab. Seitdem sie im April 2021 das Amt als stellvertretende Ministerpräsidentin Spaniens von Podemos-Gründer Pablo Iglesias übernommen hat, ist Díaz in Umfragen immer wieder als beliebteste Politikerin des Landes genannt worden – und sie übertraf dabei regelmäßig Regierungschef Pedro Sánchez von der sozialdemokratischen PSOE.
Díaz ist Arbeitsrechtsanwältin aus Galizien und Mitglied der Kommunistischen Partei Spaniens (PCE). Bevor sie im Januar 2020 ihr Amt als Ministerin antrat, war sie auf nationaler Ebene nicht sonderlich bekannt, erlangte jedoch schnell eine gewisse Prominenz, als sie das COVID-Hilfsprogramm des spanischen Staates mitaushandelte, das die Löhne von 3,5 Millionen Arbeiterinnen und Arbeitern sicherte. Seitdem hat ihr Arbeitsministerium einige der wichtigsten Maßnahmen der Regierungskoalition aus PSOE und Unidas Podemos vorangetrieben, beispielsweise die progressive Reform des spanischen Arbeitsrechts im Jahr 2022.
Umfragen deuten nun darauf hin, dass eine neu organisierte und geeinte Linke unter ihrer Führung bei den Parlamentswahlen im Dezember dieses Jahres bedeutende Zugewinne verzeichnen könnte. Sumar wird aktuell ein Stimmenanteil zwischen 15 und 16,5 Prozent prognostiziert (im Vergleich zu den 13 Prozent des Bündnisses Unidas Podemos und den 2,3 Prozent des ehemaligen Verbündeten Màs País im letzten Wahljahr 2019). Damit würde das Bündnis 35 bis 45 Abgeordnete ins Parlament entsenden.
Sollte die Linke nach ihrer vierjährigen Amtszeit als Juniorpartner der sozialdemokratischen PSOE tatsächlich gestärkt aus der Wahl hervorgehen, wäre dies eine beeindruckende Leistung – nicht zuletzt, weil sie nach dem Rücktritt von Iglesias im Jahr 2021 geschwächt wirkte. Ob es zu diesem Erfolg kommt, steht allerdings noch in den Sternen, denn es gibt interne Spannungen: die Beziehungen zwischen Díaz und der Podemos-Führung haben sich im vergangenen Jahr verschlechtert, da Díaz mehr Handlungsfreiheit gegenüber der Partei fordert.
Bei der Bekanntgabe von Díaz’ Kandidatur waren dementsprechend keine Vertreter von Podemos anwesend. Die Parteivorsitzende Ione Belarra hatte zuvor betont, sie werde nur kommen, wenn es eine klare Vereinbarung zwischen Sumar und Podemos über linke Vorwahlen und die entsprechende innerlinke Verteilung der Finanzmittel gebe. Nach dieser öffentlich zur Schau gestellten Uneinigkeit sind beide Seiten in den Medien zum Angriff übergegangen; die Spannungen haben sich weiter verschärft.
Im Gespräch mit JACOBIN betont der PCE-Vorsitzende und Abgeordnete der Izquierda Unida, Enrique Santiago, dass die Linke letztendlich »dazu verpflichtet und dazu verdammt« ist, zusammenzuarbeiten. Aus Sicht seiner Partei stelle Sumar eine Chance für eine breitere Reorganisation und Erneuerung der spanischen Linken im Vorfeld der Parlamentswahlen im Dezember dar. Santiago meint, die Linke könne das Kräfteverhältnis in der spanischen Politik unter der Führung von Díaz grundlegend verändern – wenn es ihr gelingt, die internen Differenzen beizulegen.
In den vergangenen dreieinhalb Jahren hat es die erste linke Regierungskoalition seit dem Bürgerkrieg 1936–39 gegeben. An der Regierung sind zwei Mitglieder der Kommunistischen Partei beteiligt, Yolanda Díaz und Verbraucherschutzminister Alberto Garzón. Was die positiven Aspekte angeht, so hat Unidas Podemos eine Reihe wichtiger Erfolge in Bezug auf Arbeitsrechte, die Erhöhung des Mindestlohns und der staatlichen Renten sowie die Umsetzung historischer feministischer Gesetzgebung erreicht. Gleichzeitig mussten die Kommunisten aber auch diverse reaktionäre Maßnahmen von wichtigen, von der PSOE kontrollierten Staatsministerien schlucken, beispielsweise in den Bereichen Immigration und Verteidigung sowie die Anerkennung des marokkanischen Besatzungsregimes in Spaniens ehemaliger Kolonie Westsahara. Wie bewertest Du die Bilanz der Linken in der Regierung?
2019 haben wir eine große Debatte darüber geführt, ob wir als Juniorpartner in die Regierungskoalition eintreten sollen. In allen Gruppen, die das Bündnis Unidas Podemos bilden, gab es unterschiedliche Positionen zu dieser Frage. Innerhalb von Podemos selbst gab es eine große, wenn auch nicht einstimmige Mehrheit dafür. In der Izqueirda Unida und der kommunistischen Linken gab es hingegen eine Mehrheit für die Zusammenarbeit mit der PSOE im Parlament, aber nicht für eine offizielle Regierungsbeteiligung. Und innerhalb von Catalunya en Comú waren genauso viele dafür wie dagegen. Inzwischen bereut aber selbst innerhalb der Kommunistischen Partei niemand mehr, in die Regierungskoalition eingetreten zu sein.
Wir sind stolz auf unsere Leistung. Vor allem, wenn man bedenkt, dass wir in Zeiten einer globalen Pandemie und später des Krieges in der Ukraine regieren mussten – ein permanenter Ausnahmezustand. Wir haben eine Reihe von Sozialmaßnahmen umgesetzt, die unsere Reaktion auf die aktuellen Krisen deutlich von der nach dem Finanzcrash 2008 unterscheiden. Damals wurden Milliarden von Euro an die Banken überwiesen. Im Gegensatz dazu hat die Regierungskoalition während der Pandemie die Löhne von 3,5 Millionen Arbeiterinnen und Arbeitern durch die Kurzarbeitsregelung gesichert und diverse neue Sozialprogramme sowie neue Rechte für Arbeiterinnen und Arbeiter und für Frauen eingeführt.
Die aktuelle spanische Regierung hat außerdem dazu beigetragen, dass sich der Konsens innerhalb der Europäischen Union – wenn auch in bescheidenem Maße – von einer strikten Austeritätspolitik wegbewegt hat und ein gewisser Spielraum eröffnet wurde, in dem neoliberale Dogmen in Frage gestellt werden können. So wurde zum Beispiel die spanische Arbeitsrechtsreform 2022, die kurzfristige prekäre Arbeitsverträge unterbindet und neue gewerkschaftliche Schutzmaßnahmen vorsieht, von der EU nicht mit einem Veto belegt. Und nachdem die Europäische Kommission uns wiederholt mitgeteilt hatte, dass wir nicht in die Energiemärkte eingreifen dürfen, musste sie schließlich die sogenannte iberische Ausnahme akzeptieren [mit der Spanien und Portugal eine teilweise Deckelung der Stromkosten beschlossen haben].
Für uns sind das sozialdemokratische und keynesianische Politikmaßnahmen, von denen viele in erster Linie darauf abzielen, die Wirtschaft anzukurbeln. Sie sind teils recht weit entfernt von der Politik, für die wir ideologisch stehen. Wir streben eine Gesellschaft an, in der die Produktionsmittel vergesellschaftet sind und die frei von Ausbeutung organisiert ist. Gleichzeitig sind wir uns des bestehenden Machtverhältnisses bewusst, in dem wir uns bewegen.
So haben wir uns mit der begrenzten Macht, die wir haben, darauf konzentriert, die Einkommen der arbeitenden Menschen zu schützen und ihre Rechte zu stärken. Man muss im Hinterkopf behalten, dass wir 2019 nur 10 Prozent der Abgeordneten im Parlament stellten. Bei den Koalitionsverhandlungen mussten wir die roten Linien der PSOE akzeptieren und konnten keine Posten in den vier Ministerien für Außenpolitik, Verteidigung, Inneres und Finanzen beanspruchen. Die ersten drei dieser Bereiche sind allerdings unsere größten Kritikpunkte an der Regierungspolitik.
In diesen Ministerien haben wir die geringsten Veränderungen erlebt. Darin spiegeln sich auch tiefgreifende Probleme mit dem demokratischen Charakter des Staates wider. Frei gewählte Regierungen sind aufgrund der festgezurrten staatlichen Strukturen nicht in der Lage, wirkliche politische Veränderungen umzusetzen. Spanien ist mit seiner fünfhundertjährigen Geschichte einer der ältesten Staaten in der EU und hat in den 1970er Jahren einen ganz besonderen Übergang zur Demokratie erlebt. Das hat dazu geführt, dass sich sehr mächtige institutionelle und administrative Apparate, die jenseits der demokratischen Kontrolle agieren, reproduzieren und absichern können.
Es ist offensichtlich, dass die PSOE nicht den Mut hat, solchen undemokratischen Strukturen Paroli zu bieten oder sie ernsthaft anzugreifen. Das hat sich in den vergangenen drei Jahren immer wieder gezeigt. Unter den westeuropäischen Staaten ist Spanien wahrscheinlich der NATO-freundlichste. Unser Mangel an strategischer Autonomie im Verteidigungsbereich war auch ausschlaggebend für den unklugen Schritt der PSOE im Umgang mit der Westsahara. Diese Situation hindert Spanien außerdem daran, sich innerhalb der Europäischen Union für einen anderen Ansatz in Bezug auf den Krieg in der Ukraine stark zu machen.
Wir müssen uns klar von dieser Politik distanzieren und gleichzeitig dafür sorgen, dass die PSOE ihren Verpflichtungen in anderen Bereichen nachkommt, in denen wir besser in der Lage sind, das Koalitionsprogramm durchzusetzen.
Die aktuellen Umfragen sagen ein knappes Rennen voraus, aber eine neue progressive Mehrheit nach den Wahlen im Dezember würde wahrscheinlich ein günstigeres Kräfteverhältnis für uns beinhalten – und wir wären in einer viel stärkeren Position, um zumindest gemeinsam besetzte Ministerteams in diesen vier wichtigen Ressorts auszuhandeln.
Yolanda Díaz ist jahrelanges PCE-Mitglied, hat aber kein offizielles Amt innerhalb der Parteiführung inne. Wie war ihr politischer Werdegang?
Yolanda ist mit der Arbeiterbewegung aufgewachsen. Ihr Vater war eine führende Persönlichkeit in der Gewerkschaft Comisiones Obreras (CCOO). Daher war sie schon früh in sozialen und politischen Bewegungen aktiv, bevor sie als Anwältin für Arbeitsrecht tätig wurde. Mit diesem Hintergrund hat sie nicht nur ein ausgeprägtes Gespür für die Identität der Arbeiterklasse, sondern verfügt auch über umfangreiche berufliche Erfahrungen in der Zusammenarbeit mit Gewerkschaften und weiß, welche fundamentale Rolle diese in der Gesellschaft spielen können.
Ihr langes Engagement in Arbeitskämpfen bedeutet auch, dass sie ihre Fähigkeiten als Verhandlungsführerin geschärft hat und vor allem in der Lage ist, in der Politik das Wesentliche vom Nebensächlichen zu unterscheiden. In der Regierung hat sie ihre Bemühungen auf materielle Fragen konzentriert, die das alltägliche Leben der Menschen betreffen. Mit einer solchen Agenda kann ein neuer mehrheitsfähiger Konsens in der gegenwärtigen Situation geschaffen werden.
Als Pablo Iglesias 2021 als stellvertretender Ministerpräsident zurücktrat, nachdem jahrelang schmutzige Tricks und intensiver Druck gegen ihn eingesetzt wurden, fiel die Führung der Linken nahezu selbstverständlich auf Yolanda. Sie war nicht nur die Person, die innerhalb von Unidas Podemos die meiste Unterstützung hinter sich versammeln konnte, sondern sie ist auch in der Lage, auf andere progressive Parteien zuzugehen, die in den letzten Jahren weggebrochen sind, sowie – was am wichtigsten ist – neue Wählerinnen und Wähler und insgesamt breitere Gesellschaftsschichten für unsere Arbeit zu gewinnen.
Kann man sagen, dass Yolanda Diaz’ große Beliebtheit, selbst bei Mitte-Links-Wählern, mit ihrem starken Profil als Ministerin und einer gewissen Mäßigung des Diskurses zusammenhängt? In dieser Hinsicht scheint Sumar eine ungewöhnliche linke Plattform zu sein, da sie aus der Regierung heraus aufgebaut wird – im Gegensatz zu Podemos, die bei den vorherigen Wahlen Ausdruck einer neuen Mobilisierungswelle im Rahmen der 15M-Bewegung war.
Bei Sumar als politischem Projekt geht es nicht darum, den politischen Diskurs zu mäßigen oder auf Prinzipien zu pfeifen. Es geht vielmehr darum, die Reichweite der Linken zu erweitern, um ein mehrheitsfähiges Projekt zu formen, das das politische Kräfteverhältnis in diesem Land wirklich verändern kann. Wir wollen nicht nur die Stimmen derjenigen gewinnen, die das derzeitige System explizit in Frage stellen, sondern auch die derjenigen, die von der neoliberalen Politik benachteiligt wurden oder jetzt erkennen, dass wir gut finanzierte öffentliche Dienstleistungen und einen starken Sozialstaat brauchen.
Auf der Kundgebung zur Bekanntgabe von Díaz’ Kandidatur Anfang des Monats waren Vertreterinnen und Vertreter von fünfzehn Parteien sowie die Vorsitzenden der Partei der Europäischen Linken (PEL) und der Europäischen Grünen anwesend. Der Weg zur Einigung dieses breiten politischen Spektrums führt über das politische Programm der Plattform. Bei Sumar geht es im Wesentlichen darum, ein Projekt für ein neues Land zu formulieren. Dafür werden zahlreiche Vorschläge von Parteien, Gewerkschaften und sozialen Bewegungen eingebracht. Und natürlich wird das Projekt auch unsere Erfahrungen im Regierungsamt widerspiegeln und darauf aufbauen.
Obwohl wir in der Regierung sind, ist Sumar aber kein Projekt, das »aus der Regierung heraus« entwickelt wird. Wir versuchen, auf der Popularität von Díaz aufzubauen, um neue Räume für die Beteiligung jenseits der bestehenden Parteistrukturen zu öffnen. In diesem Sinne ist Sumar ein Wahlbündnis linker Gruppierungen, das aber auch eine neue Massenmobilisierung schaffen will. In den heutigen, immer komplexer werdenden Gesellschaften haben Parteien an sich nur eine gewisse soziale Reichweite; aber neue politische Bündelungsprozesse erfordern den Aufbau neuer Partizipationsmechanismen jenseits von Parteistrukturen.
Wir reagieren damit auch auf einen Widerspruch. Für uns ist die soziale und gewerkschaftliche Mobilisierung ein strategischer Bestandteil unserer Politik und notwendig, um das Gleichgewicht der Kräfte zu unseren Gunsten zu verschieben. Dass die derzeitige Regierungskoalition soziale Fragen auf progressive Art und Weise angeht, hat aber auch zur Folge, dass die Mobilisierung zurückgeht. Anders als in Frankreich wird hier niemand wegen der Renten auf die Straße gehen – denn unsere jüngste Rentenreform schützt bestehende Rentenansprüche und wir haben dieses Jahr eine Erhöhung der gesetzlichen Renten um 8,5 Prozent beschlossen. Um diese Demobilisierung auszugleichen, muss sich Sumar als partizipative Bewegung etablieren, die die Menschen für einen neuen politischen Ansatz für das Land gewinnen kann.
Welche Rolle spielen Deiner Ansicht nach die Gewerkschaften dabei? Die beiden großen Gewerkschaften CCOO und UGT haben seit der Pandemie wieder eine zentrale Rolle in der spanischen Politik eingenommen. Sie sind wichtige Verbündete der Regierungskoalition und haben vor allem Díaz’ Gesetzesvorhaben nachdrücklich unterstützt. Viele prominente Gewerkschafterinnen und Gewerkschafter der CCOO scheinen auch eine aktive Rolle bei der Gründung und Etablierung von Sumar zu spielen. Aber wie Du schon sagtest, haben wir bisher keine Streikwellen wie in Frankreich oder Großbritannien erlebt – und das, obwohl die Löhne in der Privatwirtschaft stagnieren und die Reallöhne durch die Inflation faktisch niedriger werden.
Wir betrachten die beiden großen klassenorientierten Gewerkschaften als strategische Verbündete, die eine wesentliche Rolle dabei gespielt haben, die Sozial- und Arbeitspolitik der Regierung voranzubringen. Vor allem hätten wir von Unidas Podemos ohne ihre Unterstützung eine Reihe wichtiger Maßnahmen wie das Rider-Gesetz [gegen Scheinselbstständigkeit in der Gig-Economy] oder die Arbeitsrechtsreform nicht durchsetzen können.
Die Koalition hat auch mit den Gewerkschaften zusammengearbeitet, um einen Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst und historische Erhöhungen des Mindestlohns durchzusetzen sowie gleichzeitig Maßnahmen zur Inflationsbekämpfung zu ergreifen, die Spanien die niedrigsten Inflationsraten in der EU beschert haben. Zu diesen Maßnahmen gehören auch erhebliche Senkungen der Kosten für den öffentlichen Nahverkehr. Inzwischen sind klassische Pendlerzüge sogar kostenlos. Auf der anderen Seite ist auch klar, dass die Arbeitgeberverbände vor den anstehenden Wahlen politisch aktiver werden und Stellung bezogen haben. Sie stellen sich auf die Seite der Konservativen und Rechten, um einen landesweiten Tarifvertrag zu verhindern. Wir wissen jedoch, dass die Gewerkschaften verschiedene Tarifverträge auf regionaler Ebene abgeschlossen haben, die zumindest teilweise zu einer Aufwertung der Reallöhne geführt haben.
Wie gesagt, die sozialen Konflikte haben sich verringert, weil die Menschen wissen, dass diese Regierung sich für das Wohlergehen der gesellschaftlichen Mehrheit einsetzt. Ein weiteres Beispiel: erst kürzlich haben wir ein neues Wohnungsbaugesetz verabschiedet [das die Einführung von Mietpreisbremsen vorsieht sowie neue Schutzmaßnahmen vor Zwangsräumungen bietet].
Den Umfragen zufolge hätte die Linke mit einem gemeinsamen Sumar-Wahlkampf die Chance, aus ihrer Zeit als Juniorpartner der PSOE deutlich gestärkt hervorzugehen und möglicherweise fünfzehn bis zwanzig Sitze mehr zu gewinnen. Das wäre sehr wichtig, wenn der breitere progressive Block einen Sieg über die hoch mobilisierte Rechte erringen will. Ein solches Ergebnis wird aber durch interne Spannungen und einen Machtkampf zwischen Díaz und der Podemos-Führung gefährdet.
Du hast die fünfzehn Parteien und Gruppen erwähnt, die an der Bekanntgabe von Díaz’ Kandidatur teilgenommen haben (viele davon sind kleinere regionale Kräfte), aber die größte Partei der spanischen Linken, Podemos, hat nicht teilgenommen und sich bisher geweigert, in der Sumar-Plattform mitzuarbeiten. Was ist in den vergangenen anderthalb Jahren passiert, dass ein solcher Konflikt entstanden ist, der bei den Wahlen der Rechten entscheidend helfen könnte?
Spaniens Linke befindet sich in einer Übergangsphase. Bedeutet das, dass Podemos seine Vorherrschaft [in der Linken] verloren hat? Nicht unbedingt. Vielmehr befinden wir uns in einer Situation, in der die bestehenden politischen Organisationen einen Teil ihres Gewichts an neue Führungspersönlichkeiten aus den Gewerkschaften und anderen sozialen Bewegungen abgeben mussten. Wir bei der PCE sehen diese Reorganisation, diese Neuordnung nicht so, dass wir bei Null anfangen, sondern dass wir auf den bestehenden Unidas Podemos-Bündnissen aufbauen. Wir erwarten, dass alle, die Teil dieser Gruppierung waren und sind, enge Verbündete bleiben und Teil von Sumar werden.
Wir sind dazu verpflichtet – und dazu verdammt – zusammenzuarbeiten und eine Einigung zu erzielen. Es gibt keine andere Option. Eine Podemos-Führungskraft sagte mir neulich, als wir über die Zusammenarbeit bei den Kommunal- und Regionalwahlen im Mai verhandelten: »Wir finden es nicht gut, dass ihr euch mit Splittergruppen zusammensetzt, die sich von uns abgespalten haben [wie Más País unter Íñigo Errejón].« Meine Antwort war: »Ihr seid doch selbst als Splittergruppe aus uns entstanden, und wir arbeiten trotzdem mit euch zusammen.« Wenn wir weit genug zurückgehen, sind wir sowieso alle Splittergruppen der Sozialistischen Internationale!
Das Problem ist also, dass wir uns in einer Übergangsphase befinden. Es ist das Gramsci’sche Dilemma: Die alte Welt liegt im Sterben, die neue ist noch nicht geboren. In dieser Situation befinden wir uns gerade, und deswegen gibt es interne Unruhen und Konflikte. Aber ich bin überzeugt, dass wir das Problem lösen werden und mit einem stärkeren Konzept aus dieser Situation hervorgehen können.
Ich könnte mir vorstellen, dass das Fehlen gemeinsamer Institutionen und Strukturen ein Problem darstellt. Aus diesem Grund will die relativ große Podemos auch Garantien, dass es »Primaries«, also Vorwahlen gibt. Glaubst Du, dass Podemos dem Sumar-Bündnis beitreten wird, wenn es Garantien gibt, dass sich diese relative Größe auch in proportionaler Repräsentation innerhalb des Bündnisses widerspiegelt?
Diese ganze Debatte um Vorwahlen als rote Linie für Podemos hat mich wirklich überrascht, denn wir alle sind für offene Vorwahlen. Wie sollen wir denn sonst überhaupt Wahllisten ausarbeiten, wenn so viele Gruppen beteiligt sind? Das eigentliche Problem ist, dass sich die eine Seite neun Monate vor der Wahl auf die Aufstellung der Wahllisten und die Sicherung ihres Status innerhalb der Plattform konzentrieren will, während die andere Seite den Schwerpunkt auf unser kollektives Projekt und die Vision legt, die wir der gesellschaftlichen Mehrheit bieten wollen.
Diese Spannungen gibt es in politischen Bewegungen immer, aber es ist interessant, dass die aktuelle Situation praktisch das Spiegelbild von dem ist, was 2015 passiert ist. Damals wollte die Izquierda Unida Garantien für ihren Status, während Podemos sich darauf konzentrierte, einen qualitativen Fortschritt zu erzielen und die spanische Polit-Welt umzukrempeln. Acht Jahre später ist Podemos nun stärker etabliert und in den Institutionen angekommen. Insofern ist Podemos’ Angst, ihren Stand und Einfluss etwas einzubüßen, wohl verständlich.
Ein weiterer Kritikpunkt von Podemos ist die mangelnde Bereitschaft von Yolanda Díaz, ihr politisches Kapital zu nutzen, um schon bei den anstehenden Kommunal- und Regionalwahlen im Mai auf gemeinsame Wahllisten zu setzen. Wäre es nicht möglich gewesen, für diese Wahlen Sumar oder ein vergleichbares Bündnis ins Rennen zu schicken, um zu verhindern, dass konkurrierende linke Listen sich gegenseitig Stimmen wegnehmen?
Spanien hat ein besonderes Staatsmodell, weil es sich hier um ein multinationales Gebiet handelt. Dies führt nahezu zwangsläufig zu weiteren Unterschieden und Spaltungen. Dies wurde in der Vergangenheit von der Rechten und der Oligarchie des Landes genutzt. Sie konnten von einem gespaltenen linken Block profitieren und gegen die Interessen der gesellschaftlichen Mehrheit agieren. Faktisch werden wir aber alle von der gleichen Oligarchie ausgebeutet – über alle nationalen und kulturellen Unterschiede hinweg. Unser einziger Weg zur Regierungsmacht besteht darin, Vereinbarungen zwischen einer Vielzahl linker Identitäten zu treffen und zusammenzuarbeiten.
Du würdest mir aber sicherlich zustimmen, dass gerade Kommunalwahlen nicht der beste Anlass sind, um ein solches Einigungsprojekt zu starten – einfach, weil man über so viele lokale Unterschiede hinweg arbeiten muss. Das Ziel einer gemeinsamen Bewegung lässt sich viel leichter bei den Wahlen auf gesamtstaatlicher Ebene erreichen.
Das mag an einigen Orten wie Valencia, wo es starke regionale Dynamiken gibt, sicherlich stimmen. Aber beispielsweise in Madrid ist der einzige Grund für Más Madrid, im Alleingang gegen Izquierda Unida und Podemos anzutreten, die Durchsetzung der eigenen Interessen. Jenseits von gewissen Diskursen und taktischen Erwägungen gibt es keine nennenswerten Unterschiede zwischen diesen Parteien.
Absolut! In dieser Hinsicht bin ich sehr kritisch gegenüber Más Madrid. Man sollte nicht die ganze Verantwortung für die bestehenden Probleme auf Podemos abwälzen. Es gibt mehrere politische Gruppierungen, die nicht so handeln, wie sie sollten, wenn es darum geht, unser Volk vor einer potenziellen rechten Regierung mit Vox-Beteiligung zu schützen. Aber man kann sich seine Verbündeten nicht aussuchen. Man muss mit dem arbeiten, was es gibt.
In dieser Hinsicht hat die PCE im Laufe ihrer Geschichte immer Verantwortung übernommen, wenn ein Aufstieg der extremen Rechten drohte oder geschah. Während des franquistischen Aufstands gegen die Zweite Republik, als Spanien sich einer internationalen Aggression der faschistischen Mächte Europas gegenübersah, waren wir bereit, den Kampf für die Demokratie über den Kampf für den Sozialismus zu stellen. Denn angesichts der faschistischen Bedrohung wussten wir zu entscheiden, was in diesem Moment erst- und was zweitrangig war.
Wir führen dieses Gespräch am 14. April, dem 92. Jahrestag der Zweiten Republik. Was bedeutet es im Spanien von 2023, Republikaner zu sein?
Der Republikanismus ist für die Demokratie in Spanien unverzichtbar. Wie ich bereits sagte, sind die bestehenden staatlichen Strukturen in diesem Land sehr konservativ. Wir haben in den vergangenen vier Jahren gesehen, dass in Krisenmomenten, insbesondere während der Pandemie, staatliche Organe wie die Polizei und ihre Gewerkschaften sowie die Justiz und das Beamtentum die wahre Opposition gegen eine demokratisch gewählte Regierung bildeten.
Republikanismus bedeutet, einen anderen Staat zu schaffen. Er bedeutet eine demokratische Erneuerung Spaniens, bei der die Oligarchien, die das Land seit Jahrhunderten plagen, verschwinden. Er bedeutet einen Staat, in dem wir neue demokratische Institutionen schaffen, die viel offener für Transparenz und Gleichbehandlung aller Menschen sind. Andere europäische Länder haben es nach dem Zweiten Weltkrieg geschafft, einen solchen Umbruch oder Neuaufbau zu vollziehen. Wir hatten das Pech, einer der wenigen Staaten zu sein, die diese Möglichkeit nicht hatten – und das beschert uns heute große strukturelle Probleme und institutionelle Korruption.
Im Republikanismus geht es also um Modernisierung, Moral, Gleichheit und Gleichstellung sowie eine Vertiefung der Demokratie. Es geht auch darum, die Erinnerung wachzuhalten und dafür zu sorgen, dass der Antikommunismus der Rechten nicht die Rolle vergessen macht, die unzählige Kommunistinnen und Kommunisten im Kampf für die Demokratie gespielt haben.
Und genau jetzt droht eine Koalition aus Konservativen und der rechtsextremen Partei Vox, die schwere Rückschritte in Sachen Demokratie verursachen dürfte.
Ja. Man sollte im Hinterkopf behalten, dass Vox allein in dieser Legislaturperiode zwei Gesetze eingebracht hat, um [baskische und katalanische] Parteien zu verbieten, mit denen sie wegen derer Unabhängigkeitsbestrebungen nicht einverstanden waren. Das ist die Art von Bedrohung, mit der wir es hier zu tun haben. Dahinter steht ein ganzes Netzwerk aus wirtschaftlichen, medialen und religiösen Institutionen, die tief in der spanischen Gesellschaft verwurzelt sind und die diese rechtsextreme Agenda unterstützen. Der Kampf für die Demokratie in Spanien ist nicht nur ein historischer Kampf. Für eine Partei wie unsere, die in ihrer hundertjährigen Geschichte jahrzehntelang unter Repressionen leiden musste, ist diese Bedrohung kein Thema, das man auf die leichte Schulter nimmt.
Enrique Santiago ist Vorsitzender der Kommunistischen Partei Spaniens.