05. September 2022
Millionen spielen Kriegsspiele. Das Militär weiß das zu schätzen. Dabei müssten Shooter keine Propaganda sein.
Am 8. Juli 2020, während sich Millionen von Menschen vor der Monotonie des Corona-Lockdowns in Videospiele flüchteten, streamte das E-Sport-Team des US-Militärs Call of Duty: Warzone auf Twitch. Ein Aktivist aus Washington D.C. loggte sich in den Chat des Livestreams ein und fragte: »what’s your favorite u.s. w4r cr1me?«. Dazu postete er einen Link zu einem Wikipedia-Artikel über die Kriegsverbrechen der USA. Er wurde sofort aus dem Chat gekickt.
Der Vorfall schaffte es in den USA landesweit in die Medien. Die demokratische Kongressabgeordnete Alexandria Ocasio-Cortez brachte sogar einen Gesetzentwurf ein, der es dem Militär verbieten sollte, die Streamingplattform Twitch zur Rekrutierung zu nutzen. Auch wenn dieser eher symbolische Vorstoß scheiterte, so rückte er doch die jahrzehntelange Zusammenarbeit zwischen der US-Armee und der Gaming-Industrie ins Licht der Öffentlichkeit.
Hollywood hängt seine engen Beziehungen zum US-Militär gern an die große Glocke. Die Spielehersteller hingegen schweigen lieber über ihre Kollaborationen mit der größten Kriegsmaschine der Welt. So werden Game-Designerinnen etwa von Militärs bei der Entwicklung des Plots und der Level beraten. Insbesondere im Genre der Taktik-Shooter sollen die Spiele »authentisch« wirken. Das Militär wiederum verwendet diese Spiele zur Rekrutierung und als Propaganda. Manchmal ist das offensichtlich, meistens allerdings nicht – etwa wenn Militärs die Handlung eines Blockbuster-Spiels wie Call of Duty mitgestalten.
Erfolgreiche Ego-Shooter wie Call of Duty, die in der Öffentlichkeit inzwischen als Inbegriff von Gaming im Allgemeinen gelten, fahren extrem hohe Profite ein. Der Umsatz von Call of Duty beläuft sich auf über 27 Milliarden US-Dollar, die Spiele der Tom-Clancy-Serie wurden schätzungsweise 76 Millionen Mal verkauft. Diese Games idealisieren in der Regel den Typus des einsamen Soldaten, der mit dem Sturmgewehr die Probleme der Welt löst. Selbst die zweifelhaftesten militärischen Handlungen erscheinen in bestem Licht. Diese Dauerwerbung für die Militärmacht der USA wird von Hunderten Millionen von Menschen weltweit konsumiert.
Die Grundlagen dieser Gaming-Industrie hat das US-Militär mitgeschaffen – von der Einrichtung von Forschungszentren bis hin zum Erstellen der ersten Trainings- und Kampfeinsatz-Simulationen in den 1980ern. Inzwischen beteiligt sich das Militär aktiv am Design von Videospielen. Der Umsatz der Branche wächst schon seit einem Jahrzehnt stetig, machte 2020 aber nochmals einen Sprung um 23 Prozent im Vergleich zum Vorjahr und wird 2022 voraussichtlich die Marke von 222 Milliarden US-Dollar knacken. Games werden also immer beliebter – und das Militär will sichergehen, dass es dabei möglichst positiv dargestellt wird.
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Brian J. Sullivan ist Anwalt für Wohnungswesen und Gewerkschaftsaktivist. Er lebt in New York.
Laura Bartkowiak ist Datenanalystin und lebt in New York.