17. Juni 2025
Der Sozialist Zohran Mamdani könnte der nächste Bürgermeister von New York werden. Seine Kampagne, die die Sorgen arbeitender Menschen anspricht und Establishment-Demokraten in Bedrängnis bringt, sollte ein Vorbild für die Linke sein, findet Jacobin-Gründer Bhaskar Sunkara.
Zohran Mamdani bei einer Pressekonferenz am 3. Juni 2025.
Vor etwas mehr als einem Jahr habe ich in New York City ein Treffen zwischen einem Kongressabgeordneten und diversen lokalen Aktivistinnen und Aktivisten aus dem linken Spektrum organisiert. Unter den Anwesenden war auch der New Yorker Stadtratsabgeordnete Zohran Mamdani.
Mamdani war nicht die prominenteste Person im Raum und auch bei weitem nicht der dienstälteste Mandatsträger. Doch es war sofort klar, dass er nicht nur ein weiterer aufrichtiger und eifriger Progressiver in einem Raum voller aufrichtiger und eifriger Progressiver war. Er hatte etwas Besonderes an sich – etwas, das schwer zu beschreiben ist, ohne in einen Wahlwerbungsduktus zu verfallen: Charisma; eine flüssige und natürliche Sprachgewandtheit; die Fähigkeit, die Themen rüberzubringen, die ihn bewegen. Es war offensichtlich, dass Mamdani kein gewöhnlicher Organizer war, der es jetzt mal in der Politik versuchen wollte. Er wirkte wie ein geborener Politiker – im allerbesten Sinne.
Nun führt Mamdani einen lebhaften Wahlkampf für das Amt des Bürgermeisters von New York City. Dieser Wahlkampf entwickelt sich zu einem Musterbeispiel dafür, was die US-amerikanische Linke insgesamt anstreben sollte. Allerdings zeigt er auch einige der Gefahren und Probleme auf, denen wir uns bei unseren Bemühungen um den Aufbau einer Massenbasis für unsere Politik gegenübersehen.
»Mamdani hat seine Kandidatur für das Bürgermeisteramt auf das absolut wichtigste Thema für die Arbeiterklasse in New York ausgerichtet: die Lebenshaltungskosten.«
Mamdanis Wahlkampf ist so erfrischend wie sein Stil insgesamt. Er hat seine Kandidatur für das Bürgermeisteramt auf das absolut wichtigste Thema für die Arbeiterklasse in New York ausgerichtet: die Lebenshaltungskosten. Er redet nicht nur vage von Gerechtigkeit, sondern setzt sich konkret für Mietentlastungen, Gerechtigkeit im Wohnungswesen, den Ausbau des öffentlichen Nahverkehrs und die Anhebung des Mindestlohns ein. Das Wichtigste dabei: Er macht das, ohne sich bei den etablierten politischen Machern der Stadt oder den vielen institutionellen Spendern anzubiedern.
Mamdani bietet eine andere, kämpferischere Art von Politik, als die New Yorker von ihrem großen linksliberalen Netzwerk gewohnt sind. Dieses Netzwerk hatte zuletzt eine NGO-Vertreterin und die Gründerin einer Privatschule als Kandidatinnen für die Wahl 2021 aufgestellt. Mamdanis Erfahrung als Organizer, sein Migrationshintergrund und seine fast schon theatralische Präsenz (er war früher übrigens Rapper) machen ihn zu einem einzigartig überzeugenden Kandidaten. Doch man sollte seinen Appeal nicht nur mit guten Vibes und bloßer Ausstrahlung in Online-Videos erklären. Dahinter steckt mehr, und zwar etwas Seltenes: politische Kompetenz und Fähigkeit.
Genauso wie soziale Bewegungen sich nicht von selbst aufbauen, verkaufen sich politische Programme nicht von selbst. Wir brauchen mehr demokratische Sozialistinnen und Sozialisten, die das können, was Mamdani kann: komplexe Ideen verständlich vermitteln, mit normalen Menschen in Kontakt treten und dabei nicht einschleimend wirken, sowie eine Vision präsentieren, die realistisch statt utopisch erscheint. Diese Fähigkeit ist zwar nicht alles, aber sie ist wichtig – und sie sollte Einfluss darauf haben, wie und welche zukünftigen linken Kandidatinnen und Kandidaten wir auswählen, aufbauen und unterstützen.
Selbst ein überzeugender linker Kandidat mit einer klaren Botschaft und viel Elan hat mit strukturellen Herausforderungen zu kämpfen. Wie aktuelle Wahlumfragen (siehe beispielsweise die jüngste Umfrage von Data for Progress) zeigen, liegt Mamdani unter den Demokraten-Wählern immer noch hinter dem Ex-Gouverneur des Bundesstaates New York, Andrew Cuomo – einem Mann, der unehrenhaft zurücktreten musste, dessen Amtszeit von Klientelpolitik, tödlichen Skandalen und einer Günstlingswirtschaft gegenüber Unternehmen geprägt war und dessen Wahlkampf im Wesentlichen auf seinem Bekanntheitsgrad basiert.
Laut der Umfrage von Data for Progress würde Mamdani in der letzten Runde der Präferenzwahl für die Wahlliste der Demokraten mit 49 Prozent hinter Cuomo (51 Prozent) landen. Im Zweikampf ist das ein knapper Rückstand. Ein genauerer Blick auf die Daten zeigt jedoch ein differenzierteres Bild, das der Linken für die Zukunft Anlass zur Sorge geben sollte.
»Mamdani hat eine Netto-Beliebtheit von +43, ist aber 28 Prozent der wahrscheinlichen Vorwahlwählern überhaupt nicht bekannt, während Cuomo eine Beliebtheit von -1 hat, aber den allermeisten ein Begriff ist.«
Bei der Wählerschaft mit Hochschulabschluss liegt Mamdani in der letzten Runde deutlich vor Cuomo (64 zu 36 Prozent). Ebenfalls stark schneidet er bei den Wählerinnen und Wählern unter 45 Jahren ab, wo er sogar 78 Prozent der Stimmen erhalten würde. Unter den weißen Wählern kommt er auf 61 Prozent, Cuomo auf 39. Es ist ein bekanntes Muster: Progressive Kandidaten dominieren in den jüngeren und besser ausgebildeten Wählergruppen.
Doch Mamdani steht in einigen der Bevölkerungsgruppen, die für unser Projekt, uns fest in der Arbeiterklasse zu verankern, besonders wichtig sind, schlechter da. Cuomo würde laut Umfragen 72 Prozent der Stimmen der afroamerikanischen Demokraten-Wähler und 55 Prozent der Latinos bekommen. Diese Zahlen dürften zum Teil auf seine Prominenz zurückzuführen sein: Cuomo ist seit Jahrzehnten eine bekannte Figur in der New Yorker Politik; viele Wählerinnen und Wähler verbinden seinen Namen (trotz Cuomos miserabler politischer Bilanz) immer noch mit Stabilität und Erfahrung. Mamdani hat eine Netto-Beliebtheit von +43, ist aber 28 Prozent der wahrscheinlichen Vorwahlwählern überhaupt nicht bekannt, während Cuomo eine Beliebtheit von -1 hat, aber den allermeisten ein Begriff ist.
Doch der Name, die Marke, allein ist nicht alles. Wenn unsere Bewegung wachsen will, dürfen wir uns nicht damit zufriedengeben, nur bei den wenigen politisch Engagierten beliebt zu sein. Wir müssen auch die von der Politik Entfremdeten, die Skeptiker überzeugen; diejenigen, die am meisten unter den Fehlern der neoliberalen Politik leiden, aber auch (noch) nicht davon überzeugt sind, dass wir eine ausreichend andere – oder auch komplett andere – Alternative anbieten, auf die man setzen kann.
Die Tatsache, dass es sich um eine parteiinterne Vorwahl mit geringer Wahlbeteiligung handelt, könnte für den populistischen Kandidaten von Vorteil sein: Die Wählergruppen, bei denen Mamdani am besten abschneidet (junge Menschen und Hochschulabsolventen), sind genau diejenigen, die bei einer solchen Vorwahl am ehesten zur Urne gehen. Dieser Vorteil könnte diesmal ausreichen, um Mamdani an die Spitze zu bringen. Aber wenn wir regieren und nicht nur Wahlkampf betreiben wollen, müssen wir eine engere Verbindung zu den Wählerinnen und Wählern aus der Arbeiterklasse aufbauen und sie dabei unterstützen, sich zu organisieren.
Ein Teil des Problems, die entfremdeten und enttäuschten Wähler zu erreichen, könnte ganz allgemein mit der Art der Kommunikation zusammenhängen. Allerdings ist Mamdanis Programm stark und ganz darauf ausgerichtet, materielle Bedürfnisse anzusprechen und unbeliebte Feindbilder beim Namen zu nennen.
Ein anderer Faktor ist Organizing und Mobilisierung. Die New Yorker Ortsgruppe der Democratic Socialists of America hat in einigen Stadtvierteln unglaubliche Fortschritte erzielt und Mamdanis Wahlkampf tatkräftig unterstützt. Doch unsere Fähigkeit, langfristig politische Macht aufzubauen, hängt von einer kontinuierlichen, ganzjährigen Arbeit in allen Stadtteilen ab – nicht nur von Hyperaktivität während des Wahlkampfs sowie digitaler Präsenz.
Und ja, ein Faktor ist natürlich auch der Kandidat selbst. Mamdani ist ein sozialistischer Politiker, der – ähnlich wie Bernie Sanders – die seltene Fähigkeit hat, Menschen zu begeistern und zu bewegen. Aber er ist erst 33 Jahre alt und hat keinerlei Erfahrung in politischen Spitzenpositionen. Viele Menschen aus der Arbeiterklasse, die am meisten unter schlechter Politik leiden, sind skeptisch – aus verständlichen Gründen.
Trotzdem ist Sanders’ politischer Werdegang in Vermont eine gute Parallele. Am Anfang musste er sich in einem Bundesstaat, der damals viel konservativer war als heute, zunächst eine Anhängerschaft schaffen. Er verbrachte Jahre damit, langsam und methodisch Vertrauen in den Arbeitergemeinden aufzubauen – von Burlington bis zu den ökonomisch schwachen Kleinstädten des sogenannten Northeast Kingdom.
»Mamdani muss sein unbestreitbares Charisma und sein klares politisches Programm auch in Gemeinschaften und Gegenden außerhalb der progressiven Hochburgen tragen und geduldig die Arbeiterklasse organisieren.«
Seine Botschaft fand gerade deshalb so viel Anklang, weil er sich unermüdlich auf die konkreten Probleme der einfachen Leute in Vermont konzentrierte: Jobs, Wohnraum, Gesundheitsversorgung und Löhne. Er baute eine Basis auf, die vielleicht nicht seine sozialistische Rhetorik oder seine ideologischen Überzeugungen teilte, ihm aber vertraute und sich in seiner Kritik an der Ungleichheit in den USA wiedererkennen konnte.
Mamdanis heutige Aufgabe ähnelt Sanders’ frühen Kämpfen: Er muss sein unbestreitbares Charisma und sein klares politisches Programm auch in Gemeinschaften und Gegenden außerhalb der progressiven Hochburgen tragen und geduldig die Arbeiterklasse organisieren. Denn deren Unterstützung wird letztlich für seine politische Zukunft – und die der sozialistischen Bewegung – entscheidend sein.
Mamdani hat gezeigt, dass es möglich ist, einen Wahlkampf zu führen, der gleichzeitig rebellisch und fachlich kompetent daherkommt. Aber egal, ob er die Vorwahlen gewinnt oder verliert, es werden wichtige Lehren zu ziehen sein. Wir bauen hier keinen Club auf. Wir bauen eine Bewegung auf. Und das bedeutet, dass wir herausfinden müssen, wie wir die gesamte Breite der Arbeiterklasse erreichen können.
Was auch immer bei den Vorwahlen am 24. Juni passiert: Wir sollten uns über diesen herausragenden Kandidaten freuen. Er hat eine große Zukunft vor sich. Doch um den demokratischen Sozialismus wieder aufleben zu lassen, muss noch mehr verstanden und getan werden.
Dieser Artikel wurde zuerst bei In These Times veröffentlicht.
Bhaskar Sunkara ist der Gründer von Jacobin, Präsident der Zeitschrift Nation und Autor des Buches The Socialist Manifesto: The Case for Radical Politics in an Era of Extreme Inequality.