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15. Oktober 2025

Trumps Wette wird nicht aufgehen

Donald Trump will mit seiner Zollpolitik den amerikanischen Kapitalismus revitalisieren. Doch auch ein »Napoleon des Protektionismus« kann nicht gegen die grundlegende Krise des Systems ankommen, meint der marxistische Ökonom Michael Roberts.

Ein riesiges Porträt von Donald Trump hängt an der Fassade des US-Arbeitsministeriums in Washington, DC, 30. August 2025.

Ein riesiges Porträt von Donald Trump hängt an der Fassade des US-Arbeitsministeriums in Washington, DC, 30. August 2025.

IMAGO / UPI Photo

Versucht man, die heutige Weltlage zu beschreiben, wird es immer schwieriger, Superlativen zu vermeiden. Der von Donald Trump entfesselte Wirtschaftskrieg, die zunehmende Selbstsicherheit Chinas, das sich nicht mehr alles gefallen lässt, und der anhaltende Krieg in der Ukraine haben zu einer systemischen Unsicherheit geführt, wie man sie seit der Zwischenkriegszeit, wenn nicht sogar noch länger, nicht mehr gesehen hat. Die Angst vor einer weiteren großen Krise oder sogar einem weiteren großen Krieg ist verständlicherweise weit verbreitet – vielleicht nirgendwo mehr als in Europa, der Region, die durch den neuen Kalten Krieg am meisten zu verlieren hat.

Wie viel von dieser Unruhe ist einem unberechenbaren amerikanischen Präsidenten anzulasten, und wie viel ist das Ergebnis tiefergehender struktureller Veränderungen? Deutet das Aufkommen von Mächten, die mit den USA konkurrieren können, auf die Möglichkeit einer gerechteren Weltordnung hin, oder wird einfach nur eine Hegemonialmacht durch eine andere ersetzt? Und vor allem: Was bedeutet das alles für das Leben und die politischen Aussichten der arbeitenden Bevölkerung? Arman Spéth sprach für Jacobin mit dem marxistischen Ökonomen Michael Roberts, Autor der Bücher The Great Recession: A Marxist View und The Long Depression, um seine Meinung zur zunehmend fragmentierten Weltwirtschaft einzuholen.

Die geopolitischen Verwerfungen, die wir derzeit beobachten, sind nicht denkbar ohne Donald Trumps zweite Amtszeit. Seit seiner Rückkehr ins Weiße Haus haben sich sowohl die Innen- als auch die Außenpolitik der USA unbestreitbar verändert, was angesichts der Rolle des Landes als globale Hegemonialmacht zwangsläufig Auswirkungen auf den Rest der Welt hat. Wenn man einen Schritt zurücktritt und das alltägliche Chaos der amerikanischen Politik mit etwas Abstand betrachtet: Erkennst Du in Trumps Wirtschaftspolitik etwas, das einer konsistenten Strategie nahekommt? Gibt es eine »Methode im Wahnsinn« und wenn ja, worin besteht sie genau?

Zuerst einmal ist Donald Trump eine zutiefst dysfunktionale Person, deren Selbstüberhöhung, extreme Hybris und Mangel an menschlicher Empathie für jede vernünftige Person offensichtlich sind. Seine öffentlichen Äußerungen und seine ständigen politischen Richtungswechsel – ob bei Zöllen, internationalen Konflikten oder bei kulturellen und sozialen Fragen – belegen das eindrücklich. Doch in diesem Wahnsinn steckt eine Methode. Trumps Strategie zielt darauf ab, die industrielle Basis der USA wiederherzustellen, das Handelsdefizit bei Gütern zu verringern und die globale Hegemonie der Vereinigten Staaten, insbesondere gegenüber China, wieder zu behaupten.

Trump und seine MAGA-Anhänger sind überzeugt, dass die USA ihrer wirtschaftlichen Stärke und ihres hegemonialen Status beraubt worden seien, weil andere große Volkswirtschaften ihnen die industrielle Basis »gestohlen« und dann zahlreiche Hindernisse errichtet hätten, die es amerikanischen Konzernen (vor allem den Unternehmen aus dem verarbeitenden Gewerbe) erschwerten, die Oberhand zu behalten. Für Trump manifestiert sich dies im Handelsdefizit, das die USA gegenüber dem Rest der Welt aufweisen.

Donald Trump verweist häufig auf US-Präsident William McKinley, wenn er seine Zölle ankündigt. 1890 schlug McKinley, damals Abgeordneter im Repräsentantenhaus, eine Reihe von Zollmaßnahmen zum Schutz der amerikanischen Industrie vor, die später vom Kongress verabschiedet wurden. Doch diese Maßnahmen erwiesen sich als Fehlschlag: Sie konnten die schwere Wirtschaftskrise, die 1893 begann und bis 1897 andauerte, nicht verhindern. 1896 wurde McKinley Präsident und setzte ein neues Zollgesetz durch, den sogenannten Dingley Tariff Act von 1897. Da dies in eine wirtschaftliche Boomphase fiel, behauptete McKinley, die Zölle würden helfen, die Wirtschaft anzukurbeln.

»Obwohl Trump mit der neoliberalen Politik der ›Globalisierung‹ und des Freihandels gebrochen hat, um auf Kosten des Rests der Welt ›America great again‹ zu machen, bleibt er im Inneren der Logik des Neoliberalismus verpflichtet.«

Er wurde als »Napoleon des Protektionismus« bezeichnet und verknüpfte seine Zollpolitik mit der militärischen Besetzung von Puerto Rico, Kuba und den Philippinen, um den amerikanischen »Einflussbereich« zu erweitern – etwas, das Trump heute mit seinen Bemerkungen über Kanada, Grönland oder Gaza sinngemäss wieder aufgreift. Früh in seiner zweiten Amtszeit wurde McKinley von einem Anarchisten ermordet, der über das Leid der Landarbeiter während der Rezession von 1893 bis 1897 empört war und McKinley dafür verantwortlich machte.

Nun haben wir einen weiteren »Napoleon des Protektionismus« in Donald Trump, der behauptet, seine Zölle würden den amerikanischen Herstellern helfen. Trumps Ziel ist klar: Er will die industrielle Basis der Vereinigten Staaten wiederherstellen. Ein großer Teil der US-Importe aus Ländern wie China, Vietnam, Europa, Kanada oder Mexiko stammt von US-Unternehmen, die dort produzieren und die Waren zu geringeren Kosten in die Vereinigten Staaten zurückverkaufen, als dies bei einer Produktion im Inland der Fall wäre.

In den letzten vierzig Jahren der »Globalisierung« haben multinationale Konzerne aus den USA, Europa und Japan ihre Produktion in den Globalen Süden verlagert, um von niedrigen Löhnen, fehlenden Gewerkschaften und Regulierungen sowie vom Zugang zu moderner Technologie zu profitieren. Diese asiatischen Länder industrialisierten infolgedessen ihre Volkswirtschaften massiv und gewannen Marktanteile in Produktion und Export, während die USA sich zunehmend auf Marketing, Finanzwesen und Dienstleistungen verlagerten.

Spielt das eine Rolle? Trump und sein Umfeld glauben das entschieden. Ihr übergeordnetes strategisches Ziel besteht darin, China zu schwächen, zu strangulieren und schließlich einen »Regimewechsel« herbeizuführen – während zugleich die hegemoniale Kontrolle über Lateinamerika und den Pazifikraum ausgebaut werden soll. Folglich müsse die industrielle Produktion in die USA zurückverlagert werden. Biden wollte dieses Ziel mittels einer »Industriepolitik« erreichen, die Technologieunternehmen und industrielle Infrastrukturen subventionierte; das führte jedoch zu einem massiven Anstieg der Staatsausgaben und in der Folge zu Rekorddefiziten im Haushalt.

Trump hält das für den falschen Weg: Er ist überzeugt, dass sich das Ziel besser durch Zollerhöhungen erreichen lässt, die amerikanische Unternehmen zwingen sollen, ihre Produktion heimzuholen und ausländische Unternehmen dazu bewegen sollen, in den Vereinigten Staaten zu investieren. Er glaubt, dass er alleine durch Zollerhöhungen die Produktion ankurbeln, mehr für Rüstung ausgeben und die Steuern für Unternehmen senken kann, während er gleichzeitig die Sozialausgaben kürzt und so den Staatshaushalt sowie den Dollar stabil hält.

Wie groß sind die Chancen, dass seine Wette aufgeht?

Diese Wette wird kein gutes Ende nehmen. In den 1930er Jahren führte der Versuch der USA, ihre industrielle Basis durch die Smoot-Hawley-Zölle zu »schützen«, lediglich zu einem weiteren Einbruch der Produktion, während die Große Depression Nordamerika, Europa und Japan erfasste. Die Großindustrie und ihre Ökonomen verurteilten die Smoot-Hawley-Massnahmen vehement und kämpften energisch gegen sie. Henry Ford etwa versuchte, den damaligen Präsidenten Herbert Hoover dazu zu bewegen, das Gesetz zu blockieren, und bezeichnete es als »wirtschaftliche Dummheit«.

Ähnliche Worte sind heute aus den Reihen der Wirtschaft und des Finanzsektors zu hören, etwa vom Wall Street Journal, das Trumps Zölle »den dümmsten Handelskrieg der Geschichte« nannte. Zwar wurde die Weltwirtschaftskrise der 1930er Jahre nicht durch diesen protektionistischen Handelskrieg ausgelöst, den die USA 1930 provozierten; doch die Zölle verschärften die globale Kontraktion, da die Devise nun lautete: »Jedes Land für sich selbst.« Zwischen 1929 und 1934 schrumpfte der Welthandel um etwa 66 Prozent, weil Staaten weltweit mit Gegenmaßnahmen reagierten.

»Die großen kapitalistischen Volkswirtschaften haben seit der Finanzkrise von 2008 und der darauf folgenden Großen Rezession ein deutlich geringeres Wachstum verzeichnet.«

Obwohl Trump mit der neoliberalen Politik der »Globalisierung« und des Freihandels gebrochen hat, um auf Kosten des Rests der Welt »America great again« zu machen, bleibt er im Inneren der Logik des Neoliberalismus verpflichtet. Die Steuern für Großunternehmen und Reiche sollen gesenkt, gleichzeitig aber die Staatsschulden reduziert und die öffentlichen Ausgaben gekürzt werden (mit Ausnahme der Rüstungsausgaben, versteht sich). Das Haushaltsdefizit der USA wird in diesem Jahr fast 2 Billionen Dollar betragen, wobei mehr als die Hälfte davon auf Zinszahlungen entfällt – nahezu so viel, wie die USA für ihr Militär aufwenden. Die gesamte ausstehende Staatsverschuldung liegt inzwischen bei über 30 Billionen Dollar, also rund 100 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Der Schuldenanteil am BIP wird bald den Höchststand aus dem Zweiten Weltkrieg überschreiten. Das Congressional Budget Office schätzt, dass die US-Staatsverschuldung bis 2034 über 50 Billionen Dollar erreichen wird, das heißt 122,4 Prozent des BIP. Die Zinszahlungen allein werden dann voraussichtlich 1,7 Billionen Dollar pro Jahr betragen.

Um dieses Szenario zu vermeiden, plant Trump, so viel wie möglich vom Staat zu »privatisieren«. »Wir empfehlen Ihnen, sich so bald wie möglich eine Stelle in der Privatwirtschaft zu suchen«, erklärte das Office of Personnel Management seiner Administration. In Trumps Vorstellung ist der öffentliche Sektor unproduktiv – im Gegensatz zum Finanzsektor, versteht sich. »Der Weg zu größerem amerikanischem Wohlstand besteht darin, die Menschen zu ermutigen, von weniger produktiven Arbeitsplätzen im öffentlichen Dienst in produktivere Jobs im Privatsektor zu wechseln«. Diese »großartigen Jobs« wurden allerdings nicht näher bezeichnet. Hinzu kommt, dass solche angeblich höherproduktiven Stellen gar nicht entstehen können, wenn das Wirtschaftswachstum im Zuge des Handelskriegs stagniert oder schrumpft.

Aber warum legt Trump so großen Wert auf die Wiederbelebung des Industriesektors und die Verringerung des Handelsdefizits bei Gütern? Wie soll dies seiner Auffassung nach den amerikanischen Kapitalismus stärken und warum treibt er diese Politik weiter voran, obwohl sie den Interessen des Großteils der amerikanischen Bourgeoisie direkt zuwiderläuft?

Trumps erklärte Politik, die US-Industrie wiederherzustellen, beruht auf der Vorstellung, dass der Schutz der heimischen Produktion vor ausländischer Konkurrenz den amerikanischen Kapitalismus revitalisieren werde. Ironischerweise erzielen die Vereinigten Staaten jedoch einen beträchtlichen Handelsüberschuss im Dienstleistungssektor – etwa in Bereichen wie Finanzwesen, Medien, Unternehmensberatung und Softwareentwicklung. Das Defizit bei Industrieprodukten wird teilweise durch die Dienstleistungsexporte ausgeglichen.

Die Erhebung von Zöllen auf Güterimporte untergräbt das Wachstumspotenzial der US-amerikanischen Fertigungsindustrie wie auch der Dienstleistungsbranche zusätzlich, da dadurch die Kosten für Komponenten, die in die Endproduktion einfliessen, steigen. Dies führt entweder zu höheren Preisen, wenn diese Kosten weitergegeben werden oder zu geringerer Profitabilität, wenn dies nicht geschieht – oder zu beidem.

Die Widersprüche in Trumps Zoll- und Abschiebungspolitik wurden jüngst deutlich, als mehr als 500 koreanische Techniker festgenommen und aus den Vereinigten Staaten ausgewiesen wurden, die an einem Hyundai-Batterieprojekt im Bundesstaat Georgia arbeiteten. Trump will ausländische Unternehmen anlocken, um Arbeitsplätze in den USA zu schaffen, lässt zugleich aber die ausländischen Arbeitskräfte verhaften. Er behauptet zudem, die Einnahmen aus den Zollerhöhungen würden dazu beitragen, das Haushaltsdefizit und die Staatsverschuldung zu verringern; doch diese Zusatzeinnahmen sind verschwindend gering im Vergleich zu den Einnahmeverlusten, die durch seine grossen Steuersenkungen für Unternehmen und Superreiche – seine »big beautiful bill« – verursacht werden.

Trump hat seine Zollerhöhungen zuweilen wieder zurückgenommen oder abgeschwächt, wenn die Finanzmärkte negativ reagierten. Doch der Finanzsektor scheint zunehmend gelassen auf Trumps Maßnahmen zu reagieren. Vorerst wird er daher an seinem Kurs festhalten.

Wenn man über die Zollpolitik hinausblickt, zeigt sich ein breiterer Kontext globaler wirtschaftlicher Stagnation. Seit Beginn der globalen Finanzkrise im Jahr 2007 befindet sich der Weltkapitalismus in dem, was Du als »lange Depression« bezeichnest – gekennzeichnet durch niedrige Profitraten, stagnierendes Wachstum, wiederkehrende Krisen und schwache Erholungsphasen. Infolgedessen greifen die Regierungen westlicher Länder – insbesondere die der Vereinigten Staaten – zunehmend direkt in ökonomische Prozesse ein und schützen bestimmte Interessen. Gleichzeitig betonst Du, dass der Neoliberalismus in den USA nach wie vor sehr lebendig ist. Das steht im Widerspruch zu den Behauptungen mancher Experten, der Neoliberalismus sei tot. Hast Du Deine Einschätzung dazu geändert?

Die großen kapitalistischen Volkswirtschaften haben seit der Finanzkrise von 2008 und der darauf folgenden Großen Rezession ein deutlich geringeres Wachstum verzeichnet. Die US-Wirtschaft schnitt dabei noch am besten ab: Das reale BIP-Wachstum betrug in den vergangenen siebzehn Jahren im Durchschnitt nicht mehr als 2 Prozent jährlich, verglichen mit über 3 Prozent vor 2008. Die übrigen G7-Staaten entwickelten sich schlechter; ihr durchschnittliches reales Wachstum lag bestenfalls bei 1 Prozent pro Jahr. Deutschland, Frankreich und das Vereinigte Königreich stagnieren weitgehend, während Japan, Kanada und Italien sich nur geringfügig besser entwickelten.

Diese stagnierenden nationalen Wachstumsraten sind auf sinkende Investitionsquoten in die produktive Wirtschaft zurückzuführen, da die durchschnittliche Profitrate des Kapitals weltweit historische Tiefststände erreicht hat. Wie kann das der Fall sein, wenn doch die großen US-Konzerne in den Bereichen Technologie, Energie und Pharma enorme Gewinne erzielen? Diese Unternehmen bilden eine Ausnahme im Vergleich zu der überwältigenden Mehrheit der Unternehmen in den USA, Europa und Japan. Schätzungsweise 20 bis 30 Prozent der Firmen weltweit erzielen nicht genügend Gewinn, um ihre Schulden zu bedienen und müssen sich weiter verschulden, um zu überleben. Infolgedessen werden die Gewinne im 21. Jahrhundert zunehmend nicht mehr in Innovation und Technologie investiert, sondern in Immobilien und Finanzspekulation. Die Wall Street boomt, während die Main Street kämpft.

Die neoliberalen Politiken stützten sich auf die Hegemonie der Vereinigten Staaten. International betrachtet waren sie stets eine Tarnung für das, was früher als Washington Consensus bezeichnet wurde – also die Übereinkunft, dass die USA und ihre Juniorpartner in Europa sowie im asiatisch-pazifischen Raum die Regeln des Freihandels und der Kapitalströme im Interesse der Banken und multinationalen Konzerne des sogenannten Globalen Nordens festlegen. Trump hat all dies verändert. Heute verfolgt die US-Regierung einen Alleingang und zwar nicht nur auf Kosten der ärmeren Länder des Globalen Südens, sondern auch auf Kosten ihrer eigenen Juniorpartner innerhalb der US-geführten »Allianz«.

»Die europäischen Eliten haben sich zunehmend auf die Vorstellung fixiert, Putins Russland stehe kurz davor, Europa zu überfallen und die ›Demokratie zu beenden‹. Ob sie das tatsächlich glauben, ist schwer zu sagen; ihre Antwort besteht jedenfalls darin, auf eine dauerhafte Präsenz des US-Militärs in Europa zu drängen.«

Der trumpistische Staat greift mittlerweile auch in die US-amerikanische Wirtschaft und Sozialstruktur ein. Der öffentliche Sektor und viele seiner Institutionen sind dezimiert worden. Trump strebt sogar an, die Kontrolle über die Federal Reserve zu übernehmen. Er regiert per Dekret, umgeht den Kongress und missachtet die Gerichte. Freihandel wurde durch Protektion ersetzt, Einwanderung durch Abschiebung. Und doch bleibt der Neoliberalismus unter Trump in Kraft, verstanden als Deregulierung von Umwelt- und Gesundheitsvorschriften, von Finanzrisiken sowie als Kürzung öffentlicher Ausgaben und Steuern für die Reichen.

Wenden wir uns den »Juniorpartnern« Amerikas zu. Die Europäische Union erlebt eine beispiellose Demütigung, indem sie faktisch einer vollständigen Unterordnung unter die Vereinigten Staaten zustimmt. Das ist ein Ausdruck klarer ökonomischer und politischer Schwäche. Zugleich versucht die EU, ihrem Niedergang entgegenzuwirken, indem sie Schlüsselindustrien durch protektionistische und staatlich gelenkte Initiativen wie den Chips Act oder den Green Deal stärkt. Siehst Du eine realistische Chance, dass Europa seine schwindende Bedeutung auf dem Weltmarkt aufhalten kann?

Die Staats- und Regierungschefs der wichtigsten EU-Länder haben sich selbst geschadet. Der globale Finanzcrash von 2008 führte zu einer enormen Schuldenlast der schwächeren EU-Länder. Um den Forderungen der Banken sowie der EU-Institutionen – der Europäischen Zentralbank (EZB) und der EU-Kommission – nachzukommen, legten sie ihren Bevölkerungen drakonische Sparprogramme auf. Die Wachstumsraten der Arbeitsproduktivität, der Investitionen und der Realeinkommen in den großen Volkswirtschaften sanken drastisch und die europäischen Kernländer (einschließlich des Vereinigten Königreichs) verloren den Anschluss an die neuesten technologischen Entwicklungen.

Dann kam der Krieg in der Ukraine. Die Politik der Sanktionen gegen Russland und die Einstellung russischer Öl- und Gasimporte trieben die Energiepreise auf Rekordhöhen. Das hat der deutschen und der europäischen Industrie den Boden unter den Füßen entzogen. Deutschland fiel binnen kurzer Zeit von der »industriellen Lokomotive Europas« in eine Phase der Stagnation und Rezession und das nun schon drei Jahre in Folge. Frankreich und Italien schnitten kaum besser ab und die britische Wirtschaft ist offenkundig am Boden, ohne Anzeichen einer Erholung.

Erschwerend kommt hinzu, dass sich die europäischen Eliten zunehmend auf die Vorstellung fixiert haben, Putins Russland stehe kurz davor, Europa zu überfallen und die »Demokratie zu beenden«. Ob sie das tatsächlich glauben, ist schwer zu sagen; ihre Antwort besteht jedenfalls darin, auf eine dauerhafte Präsenz des US-Militärs in Europa zu drängen. Zugleich verhängen die EU-Staaten auf Druck der Vereinigten Staaten Sanktionen und Zölle gegen chinesische Waren – ein weiteres Beispiel ihrer unterwürfigen Vasallenrolle gegenüber Washington.

Unterdessen steigen die öffentlichen Ausgaben in Europa rasant, vor allem aufgrund der stark ausgeweiteten Militärausgaben, deren Anteil am BIP sich bis zum Ende dieses Jahrzehnts mehr als verdoppeln dürfte. Dies geschieht auf Kosten produktiver Investitionen, von Klimaschutzmaßnahmen, öffentlichen Dienstleistungen und Sozialleistungen. Kein Wunder also, dass die reaktionären Kräfte mit ihrem rassistischen, einwanderungsfeindlichen, klimaskeptischen und »marktradikalen« Programm in fast allen europäischen Staaten rasch an Boden gewinnen. Angesichts dieses Umfelds und des Fehlens jeglicher politischen Kurskorrektur kann sich Europas relativer Niedergang nur weiter beschleunigen. Frankreichs de Gaulle, Deutschlands Kohl und selbst Grossbritanniens Thatcher dürften sich im Grabe umdrehen.

Der Niedergang der EU und ihre Unterordnung unter amerikanische Interessen lassen sich nicht losgelöst von den umfassenderen Verschiebungen der globalen Machtverhältnisse verstehen. Trump verfolgt nicht nur eine Zollpolitik, sondern verändert die grundlegenden Bedingungen, unter denen die Vereinigten Staaten ihre Rolle als globale Hegemonialmacht ausüben. Er versucht, sich der Lasten und Verpflichtungen hegemonialer Führerschaft zu entledigen und sie durch ein System unverhüllter Dominanz zu ersetzen. Dabei hat er jedoch einen bereits laufenden Prozess intensiviert: den relativen Niedergang der US-Hegemonie, deren wirtschaftliche Grundlagen seit einiger Zeit erodieren. Wird dies zu einer stabileren multipolaren Ordnung führen oder bewegen wir uns vielmehr auf eine chaotische Phase von Rivalitäten zwischen Großmächten zu?

Trump versteht sich selbst als »Dealmaker« par excellence. In seinem Denken sind festgelegte Regeln und Institutionen eher Hindernisse als Orientierungspunkte. Er ist überzeugt, dass er internationale Handelsabkommen im Interesse der USA durch direkte Verhandlungen mit den Staats- und Regierungschefs Europas, Japans usw. abschließen kann. Ebenso glaubt er, die Kriege in der Ukraine, im Nahen Osten, in Afrika und Südasien durch direkte Abmachungen, also durch ein Spiel von Anreizen und Drohungen, beenden zu können. Dies ist Trumps genereller Zugang zu sämtlichen politischen Fragen.

Hinter seinen Ausbrüchen steht jedoch eine rationale Einsicht: dass die Vereinigten Staaten ihre globale hegemoniale Rolle rasch verlieren. Historisch betrachtet signalisiert dies eine Verschiebung in der globalen Ordnung. Ja, wir leben heute tatsächlich in einer multipolaren Welt, wie es sie seit den 1930er Jahren nicht mehr gegeben hat. Nach 1945 entstand eine bipolare Weltordnung, in der der US-Imperialismus die Welt dominierte, jedoch einem ideologischen Gegenspieler, der Sowjetunion, gegenüberstand. Der US-Imperialismus gewann diesen »Kalten Krieg« schließlich mit dem Zusammenbruch der Sowjetunion und ihrer Satellitenstaaten in Europa. Von da an herrschte Pax Americana – allerdings ohne viel tatsächlichen Frieden, da die USA weiterhin Kriege, Invasionen und Interventionen führten, um die Welt in ihrem eigenen Interesse und dem ihrer »Komplizen« in Europa, im Nahen Osten, in Lateinamerika und in Ostasien zu »befrieden«.

»Der Liberalismus und die Idee schrittweiser Reformen, die einst die liberale Linke erfolgreich verkörperte, sind heute diskreditiert. An ihre Stelle ist eine breite Zustimmung zu einem kruden Nationalismus getreten.«

Doch nichts währt ewig und der US-amerikanische Kapitalismus befindet sich nun in einer Phase unumkehrbaren Niedergangs. Die US-Industrie und die US-amerikanischen Exporte verloren ihre Vormachtstellung auf den Weltmärkten, zunächst an Europa in den 1960er Jahren, dann an Japan in den 1970er Jahren, aber entscheidend an China im 21. Jahrhundert. Das bedeutet jedoch nicht, dass der relative Niedergang der US-Hegemonie überschätzt werden sollte. Die Vereinigten Staaten verfügen nach wie vor über den grössten und durchdringendsten Finanzsektor der Welt. Ihr Bestand an Auslandsvermögen übersteigt den jedes anderen Landes. Der US-Dollar bleibt die Leitwährung für Handel, Kapitalflüsse und nationale Devisenreserven. Und das US-Militär ist nach wie vor übermächtig – mit über 700 Stützpunkten weltweit und einem Budget, das größer ist als die gesamten Militärausgaben des Rests der Welt zusammengenommen. Die Komplizen der USA klammern sich verzweifelt an deren Schutzschirm, um die sogenannte »liberale Demokratie« zu bewahren, womit sie die Interessen ihrer kapitalistischen Eliten meinen.

Doch es gibt mittlerweile bedeutende widerspenstige Mächte, die sich den Regeln der USA entziehen. Einige von ihnen, etwa Russland, wollten ursprünglich Teil des Westens werden – Russland war sogar zeitweise Mitglied der sogenannten G8. Indien ist Teil des Quad-4, eines US-geführten Bündnisses, das Chinas Aufstieg in Asien eindämmen soll. Als das iranische Volk 1979 den korrupten und brutalen Schah stürzte, suchten selbst die Mullahs zunächst einen Kompromiss mit den USA und dem Westen.

Auch das Südafrika nach der Apartheid war trotz jahrzehntelanger Unterstützung der unterdrückerischen Apartheid-Regierungen durch die USA und ihre Verbündeten sehr daran interessiert, sich dem demokratischen Westen anzuschliessen. Doch sämtliche Staaten, die heute zur sogenannten BRICS-Gruppe zählen, wurden vom US-geführten Bündnissystem zurückgewiesen. Der sogenannte Washington-Konsens, die ideologische Plattform aufeinanderfolgender US-Regierungen, zielte stattdessen auf einen Regimewechsel in Russland, Iran und vor allem China ab. Damit war der Weg für eine multipolare Welt gewissermaßen vorgezeichnet.

Dennoch stellen die BRICS keine kohärente Alternative zur US-Dominanz dar. Die Vorstellung, eine multipolare Weltordnung könne die US-Hegemonie ablösen, ist daher verfrüht. Gewiss: Die Pax Americana, wie sie nach dem Zweiten Weltkrieg und erneut nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion in den 1990er Jahren bestand, existiert heute nicht mehr. Doch die sogenannte BRICS-Gruppe ist ein heterogener, lose organisierter Zusammenschluss regionaler Mächte, die vor allem in den bevölkerungsreichsten, aber oft auch ärmsten Regionen der Welt beheimatet sind und nur wenige gemeinsame Interessen aufweisen. Nicht die BRICS als solche stellen die eigentliche Herausforderung für die US-Vorherrschaft dar, sondern die aufstrebende ökonomische Macht Chinas – potenziell ein weit stärkerer und widerstandsfähigerer Gegner, als es die Sowjetunion je war.

Der Niedergang der US-Hegemonie wirft auch die Frage nach progressiven Alternativen auf. Drei Tendenzen stechen dabei hervor: Zum einen die Unterstützung des wirtschaftlichen Nationalismus – die Vorstellung, durch Abschottung der eigenen Ökonomie Arbeitsplätze und Löhne vor globaler Konkurrenz schützen zu können. Zum zweiten eine überraschend nostalgische Klage über das Ende des Freihandels – Ausdruck einer Angst vor dem erstarkenden Nationalismus. Und zum dritten die Orientierung an der Idee von Multipolarität und den BRICS – gesehen als progressive Alternative zum US-Imperialismus. Keine dieser drei strategischen Ausrichtungen scheint überzeugend. Wie könnte also eine linke Perspektive aussehen, die sich weder im Nationalismus, in der Freihandelsnostalgie noch in der Orientierung auf eine fragmentierte, kapitalistische Multipolarität verfängt?

Die von dir beschriebene »Linke« ist das, was ich als reformistische, liberale oder sozialdemokratische Linke bezeichnen würde. Diese Linke geht von der Prämisse aus, dass es keine Alternative zum kapitalistischen System gibt, weil jede Vorstellung von Sozialismus längst verblasst ist. Ihrer Auffassung nach besteht ihre Aufgabe darin, den Kapitalismus für die Mehrheit gerechter zu gestalten, ohne die Interessen des Kapitals wesentlich anzutasten – schließlich würde dies die Gans töten, die die goldenen Eier legt. Doch diese Linke hat an Einfluss verloren, weil die kapitalistische Gans längst zu wenige Eier legt und diese zunehmend nur noch der herrschenden Minderheit zugutekommen.

Die liberale Linke hat in der Zeit der »Great Moderation« seit den 1990er Jahren den Erfolg der Globalisierung und des Freihandels gepriesen. Doch der globale Finanzcrash, die darauffolgende Grosse Rezession, die lange Depression der 2010er Jahre, der pandemiebedingte Wirtschaftseinbruch von 2020 sowie die anschließende Inflationsspirale bei den Lebenshaltungskosten haben eines deutlich gemacht: Der Kapitalismus des 21. Jahrhunderts ist nicht in der Lage, die sozialen Bedürfnisse der Mehrheit der Menschen in den Vereinigten Staaten, in Europa und weltweit zu erfüllen.

»Können die BRICS eine entscheidende Gegenkraft zum vom US-geführten Imperialismus und seinem zunehmend ambitionierten NATO-Bündnis bilden? Ich glaube nicht.«

Der Liberalismus und die Idee schrittweiser Reformen, die einst die liberale Linke erfolgreich verkörperte, sind heute diskreditiert. An ihre Stelle ist eine breite Zustimmung zu einem kruden Nationalismus getreten, der sich in konzernfeindlichen Haltungen und im einwanderungsfeindlichen Rassismus in den USA und Europa manifestiert (zum Beispiel hatten etwa 70 Prozent der in US-amerikanischen ICE-Internierungslagern festgehaltenen Personen keine strafrechtliche Verurteilung und unter den übrigen befanden sich viele, die lediglich wegen geringfügiger Delikte wie Verkehrsverstößen inhaftiert waren). Trump und seine MAGA-Anhänger, Farage im Vereinigten Königreich und ähnliche Bewegungen in anderen europäischen Ländern stehen für eine Rückkehr in die düsteren Jahre des Faschismus der 1930er Jahre, eine Entwicklung, die schließlich in einem verheerenden Weltkrieg mündete. Um dem entgegenzutreten, muss die wirkliche Linke von der Prämisse ausgehen, dass das kapitalistische System, das heute global dominiert, sich in einer unumkehrbaren Krise befindet.

Die Frage der Multipolarität scheint mir komplexer zu sein. Für manche bedeutet sie schlicht die Stärkung kapitalistischer Staaten des Globalen Südens. Für andere – und das ist die interessantere Perspektive – geht es darum, die westliche Dominanz zu brechen und mehr Handlungsspielraum für progressive Projekte zu schaffen, die andernfalls unter der Hegemonie der Vereinigten Staaten erstickt würden.

Können die BRICS eine entscheidende Gegenkraft zum vom US-geführten Imperialismus und seinem zunehmend ambitionierten NATO-Bündnis bilden? Ich glaube nicht. Ökonomisch gesehen stellen die BRICS – selbst in der erweiterten Form BRICS+, zu der auch Indonesien, Ägypten und möglicherweise Saudi-Arabien gehören – lediglich eine lose Gruppierung dar, in der China die dominierende Wirtschaftsmacht ist. Die übrigen Mitglieder sind vergleichsweise schwach oder stark von einem einzelnen Sektor abhängig, meist von Energie und Rohstoffen.

Die finanzielle Anziehungskraft der BRICS, einschließlich ihrer Neuen Entwicklungsbank, bleibt gering im Vergleich zu den Institutionen des westlichen Kapitals. Politisch verfolgen die Führungen der BRICS-Staaten sehr unterschiedliche Interessen und Ideologien. Russland ist eine klientelistische Autokratie; Iran wird von einer islamistischen religiösen Elite beherrscht; China, trotz seines enormen wirtschaftlichen Erfolgs, ist ein Einparteienstaat; Indien wird von einer ehemals faschistischen, hindu-nationalistischen Partei regiert, die jegliche Opposition unterdrückt. Diese Regierungen stehen weder für Internationalismus noch für Arbeiterdemokratie. Innerhalb dieser Länder gibt es, um Deine Formulierung aufzugreifen, keinen Handlungsspielraum. Erforderlich wäre vielmehr der Sturz dieser Regime durch Arbeiterbewegungen, um echte sozialistische Demokratien zu errichten, die in der Lage wären, internationalen Wandel voranzutreiben.

Das Entstehen einer multipolaren Weltordnung im 21. Jahrhundert ist eine Folge des relativen Niedergangs des US-Kapitalismus, insbesondere seit dem globalen Finanzcrash und der darauffolgenden Großen Rezession. Doch es ist eine gefährliche Illusion zu glauben, die widerständigen Mächte seien eine Kraft des Internationalismus, würden globale Ungleichheit und Armut verringern oder die Erderwärmung und die drohende ökologische Katastrophe aufhalten. Dafür braucht es eine Internationale sozialistischer Regierungen. Wenn in einer großen Volkswirtschaft eine sozialistische Regierung an die Macht käme, würde das anderen Ländern Raum eröffnen, sich dem Imperialismus zu widersetzen. Eine solche Regierung könnte mit Staaten außerhalb der US-Einflusszone zusammenarbeiten – etwa mit Venezuela oder Kuba, die heute nur über sehr begrenzte Handlungsmöglichkeiten verfügen. Vor allem aber könnte sie die Bewegung für demokratisch-sozialistische Regierungen weltweit inspirieren.

Michael Roberts arbeitet seit über dreißig Jahren als Ökonom in der Londoner City. Er ist Autor des Buches The Great Recession: A Marxist View und zuletzt von The Long Depression.