03. März 2023
Klimabewegung und Beschäftigte im ÖPNV streiken heute in vielen Städten gemeinsam. Denn der Kampf um höhere Löhne, bessere Arbeitsbedingungen und den Ausbau des Nahverkehrs lässt sich nur zusammen gewinnen.
Im heutigen Klimastreik schließen sich Klimabewegung und Gewerkschaften zusammen.
Die Mobilitätswende ist eine der entscheidenden Stellschrauben für sozial gerechten Klimaschutz. Doch während in anderen Sektoren die Emissionen sinken, steigen sie im Verkehrssektor weiter. Statt Investitionen in eine klimagerechte Verkehrswende zu tätigen, hofiert die Regierung weiter die Autoindustrie – und investiert im großen Stil in den Autobahnausbau.
Bereits 2020 machten Beschäftigte im ÖPNV und Klimabewegung im Rahmen der Tarifauseinandersetzung im Nahverkehr gemeinsame Sache: In dreißig Städten kooperierten Fridays- und Students-for-Future-Ortsgruppen mit den Streikenden vor Ort. Im Rahmen der bevorstehenden Tarifrunde im öffentlichen Dienst knüpfen Klimabewegung und ÖPNV-Beschäftigte an diese ersten Anfänge eines sozial-ökologischen Bündnisses an.
Gemeinsam wollen sie unter dem Motto #WirFahrenZusammen die Auseinandersetzungen um bessere Bezahlung und gute Arbeitsbedingungen im ÖPNV politisieren und dringend notwendige Investitionen für den ÖPNV erkämpfen. In über vierzig Städten bundesweit finden heute deshalb gemeinsame Streiks von Fridays for Future und ÖPNV-Beschäftigten statt. Im Interview sprechen der Klimaaktivist George Rainov und die Busfahrerin Momo K. darüber, was sie sich von der Allianz erhoffen.
Momo, unter welchen Bedingungen arbeitest Du?
Als Busfahrerin ist man Ansprechpartnerin für die ganze Stadt. Wir tragen eine hohe Verantwortung für unsere Fahrgäste, dessen sind wir uns sehr bewusst. Doch der Job ist vereinzelnd und hart: Wir sind 24 Stunden, sieben Tage die Woche, rund um die Uhr im Einsatz. Wir stehen teilweise mitten in der Nacht auf oder haben in den frühen Morgenstunden Feierabend. Das heißt, dass das soziale Leben nach hinten verlagert wird oder auch ganz wegfällt. Wenn man Feierabend hat, dann wird man an einer Haltestelle ausgespuckt und muss alleine sehen, wie man zurechtkommt und zwölf Stunden später wieder am Einsatzort sein, der oft wiederum ganz woanders ist. Wenn der Bus zu spät kommt, sind wir diejenigen, die die schlechte Laune der Fahrgäste abbekommen. Unsere Dienste sind lang, und als Busfahrerinnen müssen wir ständig hochkonzentriert sein, damit kein Unfall passiert. Für all das werden wir nur knapp über dem Mindestlohn bezahlt. Unsere An- und Heimfahrt zahlen wir selbst.
Wie ist derzeit die Stimmung bei Euch im Betrieb? Zu den Arbeitsbedingungen kommen ja derzeit auch noch steigende Preise hinzu.
Ja, es ist nicht einfach. Derzeit sieht man das Leben an sich vorbeiziehen. Ich weiß manchmal nicht mehr, wie ich meine Kinder noch satt kriegen soll. Viele im Betrieb sind dementsprechend frustriert, vor allem diejenigen Kolleginnen und Kollegen, die schon seit Jahren im ÖPNV arbeiten und miterleben, wie die Arbeitsbedingungen immer schlechter werden. Aktuell müssen wir uns von der Politik und unseren Arbeitgebern anhören, wir seien bereits angemessen bezahlt. Das macht uns wütend.
Gerade deshalb streikt Ihr gerade für höhere Löhne. Ihr habt in Leipzig Streiks hingelegt, bei denen nicht eine Bahn und nicht ein Bus ausgerückt ist. Was hat sich im Rahmen Eurer derzeitigen Tarifauseinandersetzung im Betrieb getan?
Ich arbeite seit fünfeinhalb Jahren bei den Leipziger Verkehrsbetrieben (LVB). Seit drei Jahren bin ich Gewerkschaftsmitglied. Richtig aktiv war ich aber nie – erst in den letzten Monaten habe ich so richtig verstanden, dass Gewerkschaft vor allem wir selbst sind und wir an unseren Arbeitsbedingungen nur gemeinsam etwas verändern können. Dieses Verständnis versuche ich auch bei meinen Kolleginnen und Kollegen zu fördern. In den letzten Monaten hat sich viel bewegt. Ich bin ganz erstaunt, dass so viele von uns auf einmal mit auf der Straße stehen und solidarisch miteinander sind, aber auch darüber, dass wir so viel Unterstützung aus der Gesellschaft und vor allem der Klimabewegung erfahren.
George, unter dem Motto »Wir fahren zusammen« kämpft Ihr seit einigen Monaten als Klimabewegung Seite an Seite mit den ÖPNV-Beschäftigten. Wie ist die Zusammenarbeit in Leipzig zustande gekommen und wie hat sie sich seither entwickelt?
2020 wurden Klimaaktivistinnen und LVB-Beschäftigte im Rahmen der Tarifkampagne im Nahverkehr bereits gemeinsam aktiv. Ein Ergebnis der damaligen Allianz war die Gründung einer Betriebsgruppe bei der LVB. Diese Gruppe ist von einer Handvoll Kolleginnen und Kollegen auf mehrere Dutzend angewachsen. Zu diesen Kolleginnen und Kollegen bestanden in Leipzig also Kontakte, mit denen wir an die Zusammenarbeit aus dem Jahr 2020 anknüpfen konnten.
Der erneute Auftakt der Vernetzung war die Betriebsversammlung der LVB im Dezember vergangenen Jahres. Dort sind wir auf die Kolleginnen und Kollegen zugegangen und haben das Gespräch gesucht. Das ist auf große Resonanz gestoßen. Wir haben dann Unterstützungserklärungen im Postkartenformat von Leipzigerinnen und Leipzigern gesammelt, die sich hinter die Forderung der LVB-Beschäftigten nach einem Inflationsausgleich stellen.
Im Februar haben wir über 1.000 dieser Unterstützungserklärungen an die Stadtregierung und den Bürgermeister übergeben. Bei den ersten Streiks der Beschäftigten im Februar haben wir an den Streikposten in der Frühschicht um 3 Uhr Unterstützung geleistet. Und am 03. März, beim globalen Klimastreik, folgt ein erster Höhepunkt unserer Zusammenarbeit: Wir streiken gemeinsam mit den ÖPNV-Beschäftigten.
Momo, Du bist ja sehr aktiv im Bündnis. Wie sieht es bei Deinen Kolleginnen und Kollegen aus?
Ich persönlich mache diesen Job auch, weil ich dadurch einen sinnvollen Beitrag zur Verkehrswende leisten kann. Aber das geht natürlich längst nicht allen so. Der kleinste gemeinsame Nenner unter meinen Kollegen ist, dass wir mehr Anerkennung für unseren Beruf erhalten wollen. Und das soll sich auch endlich in der Bezahlung ausdrücken. Wenn man das ins Zentrum stellt, dann finden es viele gut, dass wir so viel Unterstützung aus der Klimabewegung und aus der Stadtgesellschaft erhalten.
Wie hast Du die Präsenz der Klimaaktivistinnen und -aktivisten an den Streiktagen erlebt?
Vor zwei Wochen war ein Champions-League-Spiel in Leipzig. Am gleichen Tag haben wir gestreikt. Das hatte es natürlich in sich, die Anspannung war sehr hoch. Unter den aktiven Kolleginnen und Kollegen war klar: Unser Ziel ist es, dass kein einziger Bus und keine Bahn an diesem Tag fährt. Deshalb war es auch so entscheidend, dass die Streikposten alle bis spät in die Nacht besetzt waren. Das haben wir geschafft, auch wenn es sehr anstrengend war.
Die Klimaaktivistinnen und -aktivisten kamen zu uns und haben teils ganz simple Dinge gefragt: Ob wir Kaffee brauchen oder ob wir noch Stühle haben wollen. Die haben uns unterstützt, wo sie konnten. Teilweise kamen Menschen mit dem Fahrrad vorbei, die eigentlich gar nichts mit unserem Streik zu tun haben, und haben uns ihre Unterstützung ausgedrückt. Das nehme ich seit unserer Vernetzung viel mehr wahr: Dass endlich mehr Menschen erkennen, wie wenig Anerkennung wir für unsere Arbeit erhalten und wie schlecht wir für unsere Jobs bezahlt werden. Das ist ein Teil der Zusammenarbeit, der mir auch sehr wichtig ist: Dass ein Umdenken bezüglich der gesellschaftliche Bedeutung unserer Arbeit stattfindet, in der Gesellschaft aber auch unter uns Beschäftigten! Trotzdem gibt es auch Stimmen, die sagen: Klimaschutz und Arbeitsbedingungen gleichzeitig verbessern? Beides geht nicht. Der Staat sei so hoch verschuldet, es gäbe schlicht kein Geld für beides.
Was entgegnest Du dann?
Natürlich geht beides nur zusammen. Und das wird nur gelingen, wenn niemand das Gefühl hat, auf der Strecke zu bleiben. Wenn sich keiner mehr leisten kann, einen Job im ÖPNV zu machen, dann wird es weiter bergab gehen. Ideal wäre doch das Gegenteil: Dass niemand mehr ein Auto braucht, dass die Innenstädte ohne Autoverkehr funktionieren und auch Menschen am Stadtrand oder auf dem Land angebunden sind. Aber das ist nicht gegeben. Die Investitionen in die Infrastruktur fehlen und die Arbeitsbedingungen und die schlechten Löhne sorgen für Personalmangel und Personalflucht. Gerade in den letzten Monaten sind viele Kolleginnen und Kollegen gegangen, weil die einfach mit dem geringen Gehalt nicht mehr klarkommen.
George, die Überzeugung, dass Klimaschutz und Arbeitsbedingungen Teil eines gemeinsamen Kampfes sind, ist ja auch nicht schon immer selbstverständlich in der Klimabewegung. Warum ist das für Euch so elementar?
Das 9-Euro-Ticket hat uns doch ganz deutlich zwei Dinge gezeigt. Erstens: Wenn der Nah- und Fernverkehr billiger wäre, dann würde er auch mehr genutzt werden. Zweitens: Werden diese Maßnahmen umgesetzt, ohne die Arbeitsbedingungen der Beschäftigten zu verbessern, dann sind sie es, die darunter leiden. Mit mehr Bussen und Bahnen allein oder günstigeren Ticketpreisen ist es eben nicht getan, wenn bis 2030 Zehntausende Fahrerinnen und Fahrer im Nahverkehr fehlen. Oder auch, wenn es dann heißt: Höhere Löhne gibt es nur, wenn die Ticketpreise steigen. Wir lassen uns nicht gegeneinander ausspielen. Es braucht dringend mehr und bezahlbaren ÖPNV. Das wird nur funktionieren, wenn sich die Löhne und Arbeitsbedingungen für die Beschäftigten verbessern und massive Investitionen in Infrastruktur und Ausbau des ÖPNV fließen.
Was versprecht Ihr Euch von Eurer Zusammenarbeit über ein gutes Tarifergebnis hinaus?
George: Die Klimabewegung hat es trotz Massenmobilisierungen und medienwirksamer Aktionen noch nicht ansatzweise geschafft, die notwendigen klimapolitischen Veränderungen herbeizuführen. Wenn wir spürbare Veränderungen erreichen wollen, müssen wir uns breiter aufstellen und Bündnisse suchen mit denen, die unsere Anliegen und Interessen teilen. Das können beispielsweise die Beschäftigten im ÖPNV sein, aber auch Kolleginnen und Kollegen aus anderen Branchen. Wenn es uns gelingt, die Gemeinsamkeiten in den Mittelpunkt zu rücken und nicht das, was uns trennt, können wir zusammen Gegenmacht aufbauen. Klar ist: Es wird nach dem 03. März weitergehen.
Momo: Die Frage ist doch: Wen wollen oder müssen wir erreichen, um unsere Ziele durchzusetzen? Wir werden unsere Forderungen nur durchsetzen, wenn möglichst viele Menschen gemeinsam dafür einstehen. Wir als Beschäftigte haben dabei konkret den Hebel des Streiks. Die vermeintliche Wahl zwischen Klimaschutz oder höheren Löhnen führt in eine Sackgasse. Aber um gemeinsame Sache zu machen, müssen wir uns immer wieder auf Gespräche einlassen und weiter vernetzen.