27. November 2025
Die AfD ist keine NSDAP. Das heißt aber nicht, dass von ihr keine Gefahr ausgeht. Für die strategische Perspektive der Linken ist es unerlässlich, dass sie die Bedrohung richtig einschätzt und gegenüber Union, SPD und Grünen standhaft bleibt.

Alice Weidel gratuliert Friedrich Merz zur Kanzlerwahl.
Der Aufstieg der AfD zu einer starken und in der Gesellschaft zunehmend verankerten rechten Partei hat das politische Feld in der Bundesrepublik grundlegend verändert und die politische Tagesordnung weit nach rechts verschoben. Rechtsradikale und gewaltbereite Kräfte werden in fast allen westlichen Ländern gestärkt.
Mario Candeias von der Rosa-Luxemburg-Stiftung bringt die Zeitdiagnose so auf den Punkt: »Das grün-kapitalistische Modernisierungsprojekt als dominante Antwort auf die Krisen wird durch Austeritätspolitik blockiert. Autoritär-populistische Kampagnen verschieben das politische Kräfteverhältnis nach rechts. […] Eine fortschrittliche Alternative zur Ampel-Politik ist aber kaum erkennbar. Die sogenannte Brandmauer erodiert, im rechts-konservativen Lager finden entsprechende Vorbereitungen und Umgruppierungen statt. An welchem Punkt gesellschaftlicher Entwicklung stehen wir? Droht eine dauerhafte politische Krise, eine autoritäre Transformation oder gar eine Dynamik der Faschisierung?«
»Nichts eint so sehr wie ein gemeinsamer Feind – und der Faschismus ist zweifelsohne der Todfeind der Linken.«
Nichts eint so sehr wie ein gemeinsamer Feind – und der Faschismus ist zweifelsohne der Todfeind der Linken. Angesichts der Gefahr durch die AfD ist Antifaschismus weit über Aktivistenkreise hinaus zu einer zentralen Identität geworden und die gesamte linke Agenda von Sozial- über Wirtschafts- bis Außenpolitik wird folgerichtig mit dem Adjektiv »antifaschistisch« versehen. Auch die Forderung, eine »Regierung des sozialen Antifaschismus« zu bilden, wird formuliert.
Damit ist eine gemeinsame Klammer entstanden, die vereinigen und mobilisieren kann. Das gute Ergebnis der Partei Die Linke bei den Bundestagswahlen im Februar 2025 zeugt davon. Die Verbindung von klarem sozialem Profil, nicht zuletzt in der Frage von Mieten, und scharfer Abgrenzung gegen alle Versuche, die rechte Tagesordnung zu übernehmen und sich der AfD anzunähern, trugen zum Erfolg bei. Für einen dauerhaften Erfolg linker Kräfte reicht aber eine allgemeine Klammer nicht aus. Das gilt auch für die Partei Die Linke.
Um ihren momentanen Erfolg nachhaltig auszubauen, muss sie klären, wie sie die Bedrohung durch den Aufstieg rechter Kräfte einschätzt. Denn nur dann kann sie sowohl Strategien entwickeln, die die Neue Rechte zurückdrängt, als auch eine Alternative zu der Politik, die die AfD überhaupt erst hervorgebracht hat.
Kommt der Faschismus?
Derzeit lassen sich in der Linken drei prominente Ansätze erkennen, wie die Bedrohung durch die AfD eingeschätzt wird. Der erste sieht eine Regierungsbeteiligung der AfD als einen Unterschied ums Ganze. Symbolisch ist dafür in Deutschland das Jahr 1933. Friedrich Merz steht in dieser Sicht für den Reichskanzler von 1932, Franz von Papen, Alice Weidel für Adolf Hitler. Zu erwarten sei ein Systembruch, behaupten etwa Thomas Nord und Jan Schlemermeyer vom Netzwerk Progressive Linke: »Es ist ein Freifahrtschein für enthemmte Brutalität. Die Autokraten wollen die Konkursmasse der Freiheit unter sich aufteilen.« Wenn dem so ist, wird ein Bündnis unter Führung von CDU/CSU, an dem sich die Linkspartei beteiligt, der zu zahlende Preis, diese Entwicklung zu stoppen. Das Bekenntnis zum westlichen Bündnis gehört dazu.
»Die liberale kapitalistische Konkurrenzgesellschaft ist ihrem Wesen nach darauf angelegt, sich global auf alle Menschen und Länder auszubreiten, heftige Spaltungsprozesse zu erzeugen sowie Hierarchien in der Weltgesellschaft und zwischen ihren Klassen zu bilden.«
Aber nicht alle halten ein solches Bündnis für sinnvoll. Es gibt auch Positionen, nach denen SPD und Grüne gemeinsam mit der Partei Die Linke einen »progressiven Block« bilden, dem »ein konservativ-reaktionärer Block aus CDU/CSU, AfD, BSW und FDP gegenüber« steht. So formuliert es etwa Alex Demirović in der Zeitschrift Luxemburg. Wäre dem so, müsste es das vornehmliche strategische Ziel sein, diesen vorhandenen »progressiven Block« an die Regierung zu bringen, um einen Richtungswechsel der Politik einzuleiten.
Eine dritte Position geht davon aus, dass in der Bundesrepublik gegenwärtig zwei politische Pole um die Vorherrschaft ringen – der eines deutlich geschwächten »progressiven Neoliberalismus« und der der Neuen Rechten, wobei es innerhalb von CDU/CSU Differenzen gibt, inwieweit progressive Positionen endgültig aufgegeben werden und es sinnvoll ist, sich mit der AfD zu verbünden. Aus dieser Sicht besteht die strategische Hauptaufgabe der Linkspartei darin, für die Bildung eines dritten Pols, eines »Pols der Hoffnung«, wie es im Parteiprogramm heißt, zu wirken.
Es ginge darum, diesen Pol so stark zu machen, dass ausgehend von einer eigenen Machtposition die Bedingungen für einen wirklich »progressiven Block« entstehen können, die neoliberale Politik beendet und die Neue Rechte zurückgedrängt wird. Ein starker eigener Pol wäre die Grundbedingung für die Verschiebung der Kräfteverhältnisse nach links. Dabei ist es wichtig, gleichzeitig gegen die AfD und den neoliberalen Block zu kämpfen, aber auch zu berücksichtigen, dass sie unterschiedlich zu liberalen Institutionen stehen.
Illiberalismus ist nicht Faschismus
Die Frage, welche der drei Strategien die richtige ist, hängt nicht zuletzt davon ab, welche Antwort auf die These der Faschisierung gegeben wird. Oft werden alle Einschränkungen liberaler Regeln, jedes Schüren von rassistischen oder sexistischen Positionen, jedwede Betonung von Ungleichartigkeit als faschistisch bezeichnet. Meines Erachtens ist es dagegen geboten, die Freisetzung von Elementen illiberaler Herrschaft und Barbarei einerseits und das faschistische Projekt andererseits deutlich voneinander zu unterscheiden.
»Man kann die AfD nicht bekämpfen, ohne gleichzeitig neoliberale und militarisierte Politik zu bekämpfen.«
Die liberale kapitalistische Konkurrenzgesellschaft ist ihrem Wesen nach darauf angelegt, sich global auf alle Menschen und Länder auszubreiten, heftige Spaltungsprozesse zu erzeugen sowie Hierarchien in der Weltgesellschaft und zwischen ihren Klassen zu bilden. Wie Friedrich Engels in Großbritannien in den 1840er Jahren studieren konnte: »Konkurrenz der Arbeiter gegeneinander ist aber die schlimmste Seite der jetzigen Verhältnisse für den Arbeiter, die schärfste Waffe gegen das Proletariat in den Händen der Bourgeoisie.« Der kapitalistische Liberalismus erzeugt den Illiberalismus gerade unter den Beherrschten, während es sich die Eliten in Schutzräumen wohlfeiler Diskurse über Menschenrechte und regelbasierte Ordnung einrichten, in denen sie die realen Bedingungen dieser Werte – einen starken Sozialstaat und eine gerechte globale Ordnung – ausblenden. Werte, die sie mit ihrer Politik permanent untergraben.
Hannah Arendt hat in ihrer Studie Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft vor allem mit Blick auf Großbritannien und seine Kolonialpolitik deutlich gemacht, dass das liberale Projekt des 19. Jahrhunderts Elemente von totaler Herrschaft und Barbarei hervorbrachte. Aber erst der Faschismus hat diese Elemente zu einem System gefügt, in dem Unterdrückung und Vernichtung zum Selbstzweck wurden. Diese Unterscheidung sollte nicht aufgegeben werden.
Es ist deshalb sinnvoll, mit Nikos Poulantzas liberale Staaten, Staaten eines autoritären Liberalismus, Staaten des autoritären Etatismus und faschistische Staaten voneinander zu unterscheiden, auch wenn es natürlich viele Übergänge in die eine oder andere Richtung gibt. Rechte politische Bewegungen und konservative wie liberale Parteien können viele Gemeinsamkeiten haben, trotzdem muss gefragt werden, welches der genannten Staatsprojekte sie realisieren wollen und wie sich die Linke zu der jeweiligen konkreten Herausforderung stellen sollte.
»Die Zunahme antiliberaler Tendenzen, verbunden mit der Verbreitung faschistischen Gedankenguts und der Verfestigung faschistoider Milieus, bedeutet nicht, dass die Bundesrepublik oder ein anderes Land der EU unmittelbar vor dem Übergang in eine faschistische Diktatur steht.«
Die neoliberale Politik, auch in ihrer nun fast vergangenen »progressiven« Gestalt, ist der Schoß, um Brecht zu paraphrasieren, aus dem das Monster der Neuen Rechten mit ihrem faschistoiden Flügel kroch. In seinen über ein Jahrzehnt laufenden Studien analysierte Wilhelm Heitmeyer die Desintegration des gesellschaftlichen Zusammenhalts und die Ausbreitung gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit sowie die Veränderung von Staatlichkeit hin zum Autoritarismus in Deutschland. Er stellte fest: Die Bedrohung kam nicht von Rechtsaußen, sondern von oben und breitete sich in der Mitte der Gesellschaft aus. Die AfD erntet, was andere gesät haben. Gleichzeitig geben sie dem, was sie vorgefunden haben, eine neue, offen rechtsautoritäre Gestalt.
Genau deshalb kann man die AfD nicht bekämpfen, ohne gleichzeitig die neoliberale und militarisierte Politik zu bekämpfen. Diese Strategie empfahl schon Rosa Luxemburg den Sozialistinnen und Sozialisten in Frankreich, als die Kirche zum Bollwerk monarchistischer Reaktion wurde und die bürgerlichen Kräfte mit Kirchenfeindlichkeit von ihrer Politik abzulenken versuchten, die ihrerseits die Republik schwächte. Der Sozialismus, so Luxemburg, »muss der Reaktion der antirepublikanischen Kirche und der Heuchelei des bürgerlichen Antiklerikalismus gleichzeitig die Stirn bieten«.
Ein Schritt nach dem anderen
Der Unterschied zwischen AfD und CDU/CSU liegt in dem Maß, in dem die beiden Parteien innerhalb des liberalen Staatstyps autoritäre Maßnahmen durchsetzen und Einschränkungen von individuellen und kollektiven Freiheitsrechten realisieren möchten. Das ist ein wesentlicher Unterschied, aber keiner ums Ganze. Ingar Solty hat Recht, wenn er eine nüchterne »Debatte über die Qualität des rechtsautoritären Nationalismus an der Macht« einklagt und bemerkt: »Eine Machtbeteiligung der AfD ist nicht das Ende vom Lied. Die AfD ist nicht die NSDAP. Trump, Meloni, Wilders, Kickl – sie sind schlimm, aber alle nicht Hitler.«
Und zugleich darf nicht aus dem Blick verloren werden, dass bei Aufrüstung und ideologischer Konfrontation sowohl die Grünen als auch die SPD der CDU/CSU keinesfalls nachstehen. Es ist der SPD-Minister für Kriegstüchtigkeit, Boris Pistorius, der buchstäblich an vorderster Front für die innere und äußere Militarisierung kämpft. Auch das Erbe von Ex-Außenministerin Annalena Baerbock wirkt nach. Es kann keinen Zweifel daran geben, dass eine solche Politik mit ihren antisozialen Folgen, der Verfestigung von Feindbildern und dem ständigen Anrufen des Ausnahmezustandes eine ganze Kaskade von Elementen der Barbarei erzeugt, die sich zu festen Blöcken verdichten. Im Namen der liberalen Ideale werden so ihre Feinde herangezüchtet.
»Die These von der ›Querfront‹ ist ein Herrschaftsinstrument. Am besten wendet man sich dagegen, wenn man sehr selbstbewusst die eigenen linken Positionen vertritt.«
Die Zunahme antiliberaler Tendenzen, verbunden mit der Verbreitung faschistischen Gedankenguts und der Verfestigung faschistoider Milieus, bedeutet nicht, dass die Bundesrepublik oder ein anderes Land der EU unmittelbar vor dem Übergang in eine faschistische Diktatur steht. Die herrschenden Eliten wollen die Dominanz der liberalen Ordnung keinesfalls aufgeben und sehen in der Ausweitung rechtsautoritärer Tendenzen die Bedingung, diese Dominanz zu wahren. Sie haben nicht vergessen, dass die deutsche Großbourgeoisie nicht in der Lage war, Hitler zu kontrollieren und er sie mit in den Abgrund riss. Gleichzeitig schwächt ihre Politik die liberalen Institutionen und stärkt die Neue Rechte.
Die AfD steht am rechten Rand des autoritären Neoliberalismus. Wenn Die Linke dazu beitragen will, diese Rechtsentwicklung zu stoppen, darf sie sich nicht in eine Situation bringen lassen, in der sie von CDU/CSU, SPD oder Grünen erpresst wird, eine Politik des Sozialabbaus, der Konservierung antisozialer und antiökologischer Strukturen, der Militarisierung und Konfrontation mitzutragen – nur um nicht mit der AfD zu stimmen, wenn diese sich aus ganz anderen Gründen gegen die herrschende Politik wendet. Dadurch würde sie genau jene Politik befördern, die die radikale Rechte stark macht, und zugleich jede Chance auf ein eigenen dritten Pol, auf ein solidarisches Mitte-unten-Bündnis zunichtemachen. Die These von der »Querfront« ist ein Herrschaftsinstrument. Am besten wendet man sich dagegen, wenn man sehr selbstbewusst die eigenen linken Positionen vertritt.
Bündnisse ja, aber nicht um jeden Preis
Der Kampf gegen die Faschisierung verlangt eine Dreifachstrategie. Erstens geht es um breite Bündnisse zur Verteidigung der liberalen Errungenschaften der Bundesrepublik und der EU. Dies schließt auch wesentliche Teile von CDU/CSU und FDP sowie BSW ein. Zweitens braucht es eine offene Absage an neoliberale und militaristische Politik und geopolitische Konfrontation. Deshalb kann es zum gegenwärtigen Zeitpunkt auf Bundesebene keine Koalitionen mit SPD und Grünen geben. Und auf der Grundlage dieser beiden Positionen sollte drittens eine eigene, dezidiert linke sozialistische Klassenpolitik im Zentrum stehen. Eine solche Politik ist die Basis. Nur von hier aus kann wirksam der Neuen Rechten und dem verfallenden neoliberalen Mainstream entgegengetreten werden.
»Während die AfD sich dem Establishment annähert – Aufrüstung, NATO, harte Marktreformen und neoliberale Politik unterstützt, muss die Linke zum wirklichen Gegenpol werden.«
Mit Ernst Bloch formuliert: Die Linkspartei darf nicht Mühle, sie muss Schach spielen – immer mehrere Spielzüge vorweg im Auge. Sie darf der AfD nicht die Oppositionsrolle überlassen. Während diese sich dem Establishment annähert – Aufrüstung, NATO, harte Marktreformen und neoliberale Politik unterstützt, muss die Linke zum wirklichen Gegenpol werden. Wer dabei von Fall zu Fall entscheidet, um »Schlimmeres« zu verhindern, driftet schnell selbst nach rechts und fällt am Ende um. Es geht darum, sich in Stellung zu bringen, wenn die gesellschaftlichen Konflikte offen ausbrechen und die Kräfteverhältnisse kippen, denn dieser Punkt wird kommen.
Entschließt sich die Linkspartei zum Schach, dann geht es erstens darum, glaubwürdig zu bleiben als Partei, die die gemeinsamen Interessen der Lohnarbeitenden wirklich ins Zentrum stellt, sei es in der Mietenfrage oder bei der Bezahlbarkeit von Energie, bei der Finanzierung der wirtschaftlichen Transformation und im Kampf gegen Aufrüstung und globale Konfrontation. Daran müssen sich auch Regierungsbeteiligungen auf Landesebene messen lassen. Die Unterordnung der Bundesrepublik unter die Politik der NATO ist Politik, die in den Krieg führt. Kein »Ja, aber«, sondern ein wirksames »Nein« ist gefordert.
»Ein sozialökologischer, friedensorientierter Richtungswechsel der Politik kann nur erzwungen werden, wenn dafür die machtpolitischen Voraussetzungen geschaffen wurden.«
Zweitens geht es um die Verankerung der Linkspartei vor Ort und auch in den Betrieben. Ihre Mitglieder müssen mehr noch als bisher zu Ansprechpartnerinnen und Ansprechpartnern für konkrete Probleme werden und sich bei dem Bestreben, zu ihrer Lösung beizutragen, entwickeln. Hier gehören Veränderung und Selbstveränderung zusammen.
Drittens geht es um die Parteireform selbst, um Stärkung der Handlungsfähigkeit, Förderung gerade auch von Personen aus der nichtakademischen lohnarbeitenden Klasse, wirksame Partizipation von Arbeitsgemeinschaften und thematischen Plattformen. Das Parteiensystem fördert systematisch Oligarchisierung der Politik und Entfremdung der Parlamentarier. Eine linke Partei muss dem bewusst entgegenwirken.
Ein sozialökologischer, friedensorientierter Richtungswechsel der Politik kann nur erzwungen werden, wenn dafür die machtpolitischen Voraussetzungen geschaffen wurden. Erst wenn dies erfolgreich geschafft ist, können weitere Schritte gegangen werden. Der Kampf für den Erhalt der liberalen Institutionen und der Kampf gegen neoliberale Politik gehören zusammen. Die gemeinsame Grundlage ist der Einsatz für eine solidarische, eine sozialistische Alternative.
Philosoph und Sozialwissenschaftler. Seine Forschungsschwerpunkten sind Theorie und Geschichte des Sozialismus und Kommunismus, sozialökologische Transformation und revolutionäre Realpolitik.