05. August 2025
Ein erfolgreiches AfD-Verbot würde die politische Rechte ohne Zweifel organisatorisch schwächen. Doch der Preis ist hoch. Denn die Folgewirkungen könnten auch die Linke blockieren.
Das Potenzial für eine Partei wie die AfD verschwindet auch mit ihrem Verbot nicht (Symbolbild).
Seit Gründung der AfD diskutieren Linke über den richtigen Umgang mit der ersten Partei, die sich erfolgreich rechts der Union etablieren konnte. Ob breite oder sehr enge Bündnisse gegen rechts, Blockaden, Diskussion, Nicht-Diskussion, Badehosenklau oder ostdeutsche Identitätspolitik – keiner dieser Ansätze konnte der Partei nachhaltig schaden. Im Gegenteil: Aktuelle Umfragen sehen sie bei 23 bis 25 Prozent. Seit dem bisherigen Rekordergebnis bei der Bundestagswahl hat die Partei nochmal kräftig zugelegt.
Vor diesem Hintergrund erscheint es naheliegend, eine andere Strategie zu wählen. Seit etwa zwei Jahren wird in linken wie liberalen Kreisen ein mögliches Verbotsverfahren gegen die AfD diskutiert. Die SPD hat auf ihrem letzten Parteitag nun auch beschlossen, ein solches Verfahren vorzubereiten. Und spätestens wenn die AfD auch gerichtsfest als »gesichert rechtsextremistisch« gilt, also die entsprechende Hochstufung des Verfassungsschutzes offiziell wird, dürfte die Forderung eines Verbotsverfahren deutlichen Rückenwind bekommen.
Dafür gibt es gute Gründe: Die Partei hat sich seit ihrer Gründung stark nach rechts entwickelt. Akteuren wie Björn Höcke in Thüringen, Hans-Christoph Berndt in Brandenburg oder Matthias Helferich aus Dortmund geht es ebenso wie parteinahen Vordenkern wie Götz Kubitschek oder Benedikt Kaiser um weit mehr geht als um eine etwas rechtere, neoliberale Variante des Establishments. Sie streben einen grundlegend anderen Staat und eine andere Gesellschaft an: autoritär, ungleich, mitunter durchzogen von völkisch-nationalistischen Fantasien weitgehender ethnokultureller Homogenität. Nicht zuletzt die historische Erfahrung mit der NS-Herrschaft lässt viele denken: lieber frühzeitig alle verfügbaren Mittel nutzen, bevor es zu spät ist.
Die Diskussion, ob ein Verbotsverfahren aus linker Perspektive eine sinnvolle Forderung ist, läuft auf Hochtouren. Und um es vorwegzunehmen: Ein klares »Ja« scheint ebenso wenig aussprechbar wie ein klares »Nein«.
Zunächst stellt sich die Frage, ob die AfD tatsächlich eine Partei ist, die verboten werden würde. Für viele Linke ist diese Frage längst beantwortet: Für sie ist die AfD seit Jahren im Kern eine Partei Björn Höckes, dominiert von Rechtsradikalen oder gar Neonazis. Eine solche Beschreibung ignoriert jedoch die inneren Widersprüche der Partei. Zwar hat sich die AfD zweifellos radikalisiert und gilt im Vergleich zu anderen europäischen Rechtsparteien als besonders extrem, doch gibt es trotz dessen weiterhin Akteure, die die Partei in der Tradition des nationalkonservativen Flügels der alten Union sehen.
Eine Anpassung an die rechte Mitte wird in der AfD zwar mitunter abschätzig als »Melonisierung« beschrieben, dennoch zeigen sich etwa bei zentralen Streitpunkten zwischen dem faschistischen Strang und dem parlamentsorientierten Flügel in den vergangenen Monaten gewisse Annäherungen an die Mitte: Russlandfreundliche Stimmen sind leiser geworden, während westlich orientierte Kräfte und jene, die ein starkes Europa betonen, an Einfluss gewinnen. Auch deutet sich etwa bei Leuten wie dem Bundestagsabgeordneten Maximilian Krah eine Distanzierung vom offenen völkischen Denken an. Diese Entwicklung sowie die damit zusammenhängenden Grundsatzdiskussionen in Partei und Vorfeld sind auf die Debatten um ein mögliches AfD-Verbot sowie die drohende offizielle Verfassungsschutz-Einstufung als »gesichert rechtsextremistisch« zurückzuführen.
Einerseits könnte man daraus den Schluss ziehen, dass allein die Debatte bereits Früchte trägt und die Partei verunsichert. Andererseits muss man bedenken, dass auch die jüngsten Anpassungsversuche eines Krahs oder der Parteispitze in die Beurteilung des Bundesverfassungsgerichts einfließen würden, das über ein Verbot zu entscheiden hätte. Je lauter Stimmen wie Krah sind, desto stärker könnte das Gericht das Argument gegen ein Verbot gewichten, dass die Partei nicht in ihrer Gesamtheit einer völkisch-nationalistischen Agenda folgt.
»Die wehrhafte Demokratie, die im Kampf gegen die AfD mobilisiert wird, ist extremismustheoretisch fundiert. Sie richtet sich formal gegen ›alle Extremisten‹, nicht nur gegen Rechte.«
Doch selbst ohne diese politische Annäherung an die Mitte ist fraglich, ob es stichhaltige Belege für eine Verfassungsfeindlichkeit gäbe. Programmatisch unterscheidet sich die AfD etwa in migrationspolitischen, sozialpolitischen oder wirtschaftlichen Fragen kaum substanziell von Positionen am rechten Rand von Union oder FDP. Unter Juristinnen und Juristen ist umstritten, wie ein Verfahren ausgehen würde. Befürworter eines Verbotsverfahrens müssen sich fragen, was wäre, wenn die AfD das Verbotsverfahren überstehen würde?
Sie wäre dann offiziell als verfassungskonform bestätigt, was einem politischen Freispruch gleichkäme und gravierende Folgen hätte. In der Union gibt es in einzelnen, zumeist ostdeutschen Landesverbänden seit Jahren Stimmen, die auf eine Zusammenarbeit mit der AfD drängen oder zumindest eine Normalisierung im Umgang mit der Partei fordern. Die Trennungslinien verlaufen weniger entlang inhaltlicher als formaler Differenzen. Solange die AfD als verfassungsfeindlich gilt, ist eine Kooperation mit der »staatstragenden« Union kaum denkbar. Ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts zugunsten der AfD könnte das schlagartig ändern. Eine Zusammenarbeit wäre dann nur noch eine Frage der Zeit. Die parlamentarische Normalisierung der AfD würde quasi über Nacht eintreten.
Doch selbst bei einem erfolgreichen Verbotsverfahren stellt sich die Frage nach der Nachhaltigkeit im Kampf gegen gesellschaftlich verankerten Rechtsradikalismus. Die AfD bedient eine Nachfrage, die schon vor ihrer Gründung bestand. Je nach Studie gehen Sozial-, Politik- und Erziehungswissenschaften seit Jahrzehnten davon aus, dass etwa ein Fünftel bis ein Viertel der Bevölkerung mehr oder weniger gefestigte rechtsradikale Einstellungen teilt.
Das stärkste Argument für ein Verbot ist, dass es den Formierungsprozess des organisierten Rechtsradikalismus empfindlich stören würde. Nach Jahren der internen Kämpfe und mühsamen Netzwerkbildung müsste ein neues Projekt aufgebaut werden – mit dem Risiko, erneut verboten zu werden.
Allerdings zeigen historische Beispiele, dass Parteiverbote selten dauerhaft wirken. Zwölf Jahre nach dem Verbot der Sozialistischen Reichspartei (SRP), der eindeutigen Nachfolgerpartei der NSDAP, gründete sich die NPD, ebenfalls zwölf Jahre nach dem KPD-Verbot die DKP. Heute würde eine Neuformierung aufgrund effizienterer Kommunikationswege sicherlich schneller gehen.
Ein Verbot würde den Prozess zwar zurückwerfen, aber vermutlich nicht aufhalten. In Bremen zeigte sich 2023, wie schnell eine Verlagerung funktionieren kann: Weil die AfD nicht antreten durfte, erreichten die Bürger in Wut fast 10 Prozent. Auch Bündnis Deutschland, WerteUnion oder Wir Bürger stehen bereit, um das frei werdende Potenzial aufzufangen.
Hinzu kommt: Ein erfolgreiches Verbotsverfahren wäre der tiefgreifendste Eingriff der sogenannten wehrhaften Demokratie in ihrer Geschichte. Aus guten Gründen haben Linke in der Geschichte der Bundesrepublik die mit der demonstrierten Wehrhaftigkeit einhergehenden Repressionen wie Verbote, geheimdienstliche Beschattungen und Einschüchterungen scharf kritisiert, auch weil im Kalten Krieg Neonazis wie Kommunisten als »Verfassungsfeinde« allzu oft eine Stufe gestellt wurden. Die grundsätzliche Kritik an Begriffen wie der wehrhaften Demokratie, dem Verfassungsfeind oder auch am Verfassungsschutz ist in den letzten Jahren sehr viel leiser geworden.
Das ist zu einem Zeitpunkt der Fall, in dem das viel beschworene scharfe Schwert des Parteiverbots eine Partei treffen könnte, die im Vergleich zur SRP und KPD in den 1950er Jahren eine viel größere Wählerbasis hat. Zu beachten ist auch, dass mehr Menschen gegen ein Verbot sind als dafür. Eine Mehrheit der Bevölkerung lehnt ein Verbot ab: Laut einer aktuellen Allensbach-Umfrage sind 52 Prozent gegen ein Verbot, nur 27 Prozent dafür. Würde die AfD verboten, ist zu befürchten, dass die Demokratie am Tag danach eine andere wäre: Das Damoklesschwert des Parteiverbots hinge über allen, die sich nicht eindeutig zum Bestehenden bekennen. Auch linke Kräfte, die den Kapitalismus überwinden wollen, könnten verstärkt ins Visier geraten. Die Frage, wie viel Systemkritik noch erlaubt ist, würde die politische Praxis stärker bestimmen als heute – sowohl für Rechte als auch für Linke.
»Inzwischen weiß man, dass das KPD-Verbot 1956 die Funktion hatte, das Verbot der SRP zu legitimieren.«
Doch es geht nicht nur um die abstrakte Drohung. Ein AfD-Verbot könnte symbolisch auch zu einer Intensivierung der Repression gegenüber der radikalen Linken genutzt werden. Forderungen nach einem Verbot der »Antifa« kommen nicht nur aus der AfD, sondern auch aus der Union. Zwar gibt es keine bundesweite Antifa-Organisation, wohl aber Symbole, lokale Gruppen und Netzwerke, die ein Bundesinnenminister verbieten könnte. Auch ein Verbot der Roten Hilfe wurde in der Vergangenheit diskutiert. Ebenso könnten sich die Spielräume für Strukturen wie die Interventionistische Linke drastisch verengen. Ein Blick in die Geschichte zeigt, dass ein solches Szenario nicht aus der Luft gegriffen ist: Inzwischen weiß man, dass das KPD-Verbot 1956 die Funktion hatte, das Verbot der SRP zu legitimieren.
Das liegt auch an der inneren Logik des sogenannten Staatsantifaschismus, die in der linken Debatte oft unterschätzt wird. Die wehrhafte Demokratie, die im Kampf gegen die AfD mobilisiert wird, ist extremismustheoretisch fundiert. Das zeigt sich bei Regelungen wie dem Verfassungstreue-Check für Staatsdiener oder neuen Regelungen für Beamte und beim Staat Angestellte wie in Rheinland-Pfalz. Sie richten sich formal gegen »alle Extremisten«, nicht nur gegen Rechte. So sind von den aktuellen Verschärfungen potenziell auch Linke betroffen. Prominente Berufsverbotsfälle wie der von der Lehramtsstudentin Lisa Poettinger in Bayern zeigen, dass dies keine theoretische Gefahr, sondern konkrete Realität ist.
Zwar verweisen manche auf das Urteil des Bundesverfassungsgerichts im zweiten NPD-Verbotsverfahren, das die freiheitliche demokratische Grundordnung (FDGO) auf drei Kernprinzipien beschränkte: Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und Menschenwürde. Viele Linke hätten damit wohl keine Probleme. Doch auch diese Begriffe sind dehnbar. Kann etwa Kapitalismuskritik oder die Propagierung einer sozialistischen Gesellschaft als Angriff auf eben diese Grundordnung gewertet werden?
Zudem bleibt unklar, wie Behörden die neuen FDGO-Kriterien anwenden. Auch nach dem NPD-Urteil wurden Linke überwacht, Berufsverbote ausgesprochen, Gruppen kriminalisiert. Ein AfD-Verbot könnte diesen Trend verstärken. Denn wer will sich als Regierung vorwerfen lassen, »auf dem linken Auge blind« zu sein?
Ob sich Linke für ein AfD-Verbotsverfahren einsetzen sollten, ist nicht leicht entschieden. Es bleibt eine Abwägung, vor allem aber geht es um grundlegende strategische Fragen: Steht die AfD kurz vor der Machtübernahme? Droht sie, die Demokratie durch eine Neuauflage einer Form des Ermächtigungsgesetzes auszuhebeln? Ist ein autoritärer Staatsumbau das Ziel und wenn ja, ist es realistisch?
Nicht zuletzt berührt die Diskussion um den richtigen Umgang mit der AfD die Frage nach dem richtigen Angriffspunkt: Sollte das Symptom fokussiert werden oder doch eher die sozialen, ökonomischen und politischen Ursachen, die den Aufstieg der AfD ermöglicht haben? Auch wenn wohl kaum jemand davon ausgeht, dass ein Verbot allein gegen rechts hilft, ist die Frage der Priorität zentral: Kämpft die Linke vor allem gegen das, was diese Gesellschaft hervorbringt – oder für eine Gesellschaft, die keine Rechte mehr hervorbringt?
Ein Parteiverbot mag Symptome unterdrücken, die Ursachen bleiben: Ist der Kapitalismus in der Krise, boomt die autoritäre Versuchung, sofern es kein Gegenangebot gibt. Der pragmatisch-technische Ansatz, die AfD zu verbieten, um sie zumindest um ein paar Jahre zurückzuwerfen, mag angesichts der Schwäche der Linken attraktiv erscheinen. Wer ihn verfolgt, muss aber auch die möglichen Nebenwirkungen mitdenken.
Sebastian Friedrich ist Autor und Journalist aus Hamburg.