07. Dezember 2025
Der EU-Afrika-Gipfel hat gezeigt: Europa beansprucht noch immer ein Vorrecht auf Afrika. Doch die entstehende multipolare Ordnung verbessert die Verhandlungsposition der afrikanischen Länder – und sie denken nicht daran, von Partnern wie China abzulassen.

Die Präsidentin der Europäischen Kommission, Ursula von der Leyen, beim 7. Gipfeltreffen der Afrikanischen Union und der Europäischen Union in Luanda, 24. November 2025.
Vergangene Woche, am 24. und 25. November, fand in Luanda, der Hauptstadt Angolas, der siebte EU-Afrika-Gipfel statt. Die Europäische Union sowie die Mitgliedstaaten der Afrikanischen Union trafen sich unter dem Motto »Förderung von Frieden und Wohlstand durch effektiven Multilateralismus«.
Die EU ist aktuell der größte Handelspartner Afrikas, sie macht 33 Prozent des afrikanischen Handels aus und will in Zukunft noch enger zusammenwachsen. Angolas Präsident João Lourenco, der aktuelle Vorsitzende der Afrikanischen Union, sagte in seiner Rede vor Ort: »Die Welt besteht nicht nur aus einem oder zwei Ländern – wir arbeiten mit allen zusammen, die offen für uns sind. Wir sind offen für die Welt.« Damit setzt er den Ton, wie Afrika sich in der neuen multipolaren Weltordnung positionieren möchte.
Das Gipfeltreffen fand am 50-jährigen Jubiläum der Unabhängigkeit Angolas statt. Der Präsident des europäischen Rates António Costa, der aus Portugal, der ehemaligen Kolonialmacht Angolas stammt, erwähnte in seiner Eröffnungsrede vor Ort die 500-jährige Kolonialgeschichte und räumte ein, dass deren Folgen nicht mit der Dekolonisierung endeten.
Das Verhältnis Afrikas zu Europa ist immer noch stark durch die Kolonialgeschichte geprägt. Während Deutschland in den vergangenen Jahren durch Gesten betont hat, näher an Afrika heranrücken zu wollen, war es historisch Frankreich, das in der EU den größten Einfluss auf Afrika hatte. Das liegt vor allem daran, dass sie eine größere Kolonialmacht war, deren direkter Einfluss sich immer noch hält. So können vierzehn ehemalige französische Kolonien in Afrika ihre eigene Währungspolitik immer noch nicht frei gestalten, sondern sind an den Euro (wie zuvor an den Franc) gebunden.
Frankreich ist allerdings nicht bereit, diese Rolle zu reflektieren. In Ouagadougou, der Hauptstadt Burkina Fasos, sagte Emmanuel Macron Ende 2017 zu Studierenden und dem damaligen Staatschef Roch Marc Kaboré, es sei dessen Aufgabe, das Stromnetz zu stabilisieren, schließlich sei Frankreich keine Kolonialmacht. Das ist nicht nur Geschichtsvergessen, sondern ignoriert die heutigen neokolonialen Beziehungen zwischen Afrika und Frankreich beziehungsweise der EU.
Daher überrascht es nicht, dass viele afrikanische Länder sich nach anderen Handelspartnern umschauen, mit denen auf Augenhöhe verhandelt werden kann. So ist China aus unterschiedlichen Gründen ein attraktiver Handelspartner für Afrika geworden. Nicht nur hat es keine Kolonialgeschichte auf dem afrikanischen Kontinent – es war sogar selbst einmal eine Kolonie und hat es doch geschafft, zur Supermacht aufzusteigen. Damit gilt China vielen afrikanischen Ländern als Vorbild. Es geht aber auch um handfeste Projekte.
Die Zusammenarbeit begann schon in den 1970er Jahren, als China selbst noch ein relativ armes Land war. China half, den Tanzania Zambia Railway (TAZARA) zu bauen und beteiligte sich damit an einer Infrastruktur, die die Binnenbeziehungen in Afrika stärkte. Im Gegensatz dazu dienten europäische Infrastrukturprojekte in der Vergangenheit in erster Linie dem Abtransport von Ressourcen aus Afrika für die europäische Produktion, wodurch eine Wirtschaft geschaffen wurde, die vor allem Abhängigkeit von europäischer Extraktion bedeutete.
»Der Handel zwischen Europa und Afrika besteht vor allem aus dem Export von afrikanischen Rohstoffen, die woanders weiterverarbeitet werden, und dem Import europäischer Fertigprodukte, die durch die billige Konkurrenz lokale Wirtschaften zerstören.«
2013 startete das Projekt Neue Seidenstraße, die sogenannte Belt and Road Initiative, bei der China mit über sechzig Ländern Infrastrukturprojekte begann. Als Antwort darauf startete 2020 die G7 Initiative Built Back Better World unter Führung der USA unter Joe Biden. Die EU startete 2021 mit ähnlicher Motivation die Initiative Global Gateway, die laut Ursula von der Leyen bis 2027 300 Milliarden Euro für Zuschüsse zu Infrastrukturprojekten in unterentwickelten Ländern zur Verfügung stellen will. Die ersten Projekte haben in Afrika bereits 150 Milliarden Euro investiert. Nun ist eine Ausweitung auf den Pazifik sowie Lateinamerika und die Karibik geplant. Von der Leyen sagte dazu mit Bezug auf China: »Das ist eine klare Alternative zu bestehenden Programmen«.
Innerhalb Afrikas stößt die angekündigte Initiative allerdings immer wieder auf Kritik: »In ihrer Konzeption wurde Global Gateway nicht in Absprache mit afrikanischen Akteuren entwickelt und hat afrikanische Prioritäten übersehen«, sagt Hermine Sam, Projekt-Koordinatorin des German Marshall Fund. Die EU werde häufig dafür kritisiert, »große Reden zu schwingen, aber wenig zu liefern – insbesondere im Vergleich zu China«. Einer gewissen Ironie entbehrt es deshalb nicht, dass der neue Flughafen Luandas, wo der Gipfel stattfand, von China finanziert wurde. Auf dem Gipfel sagte Friedrich Merz mit Blick auf die chinesische Konkurrenz: »Wir wollen nicht anderen den Kontinent überlassen.«
China steht in Europa immer wieder in der Kritik, Afrika in eine Schuldenfalle zu locken. Das spiegelt allerdings nicht die Haltung wider, die in Afrika vorherrscht. Eine Studie der FDP-nahen Friedrich-Naumann-Stiftung mit über 1.000 Entscheidungsträgerinnen und Entscheidungsträgern aus 24 afrikanischen Ländern bestätigt, dass die schnelle Umsetzung von Projekten und die Nicht-Einmischung in politische Angelegenheiten Afrikas durch China deutlich mehr geschätzt wird als die sogenannte Werteorientierung Europas, die eher als paternalistisch wahrgenommen wird.
Auch dass China Afrika in eine Schuldenfalle lockt, scheint wenig plausibel, da sich keine kohärente politische Strategie zur Vereinnahmung verschuldeter Länder beobachten lässt. Im Jahr 2020 entfielen nur 12 Prozent der externen Verschuldung afrikanischer Länder auf chinesische Investoren. Der größte Kreditgeber Afrikas ist immer noch der Westen.
Auch mit Blick auf die Folgen des Klimawandels, die in den Ländern Afrikas besonders zu spüren sind, gilt China als verlässlicher Partner für eine grüne Transformation. Europa möchte diesbezüglich nachziehen. Dazu sagte Friedrich Merz: »Dürren zerstören die Lebensgrundlagen. Das ist ein gefährlicher Mix. Und Menschen begeben sich auf gefährliche Routen auch über den Atlantik und das Mittelmeer.« Damit gab er eine Position wieder, die das Verhältnis Europas, insbesondere Deutschlands, zu Afrika gut charakterisiert: Afrikanische Migration gilt vor allem als Problem für Europa, das es zu kontrollieren und zu beheben gilt, im Idealfall schon bevor die Menschen in Europa ankommen.
In der Debatte um Fluchtmigration geht es jedoch selten um die von den europäischen Ländern verschuldeten Fluchtursachen. Wirtschaftliche Abhängigkeit und bewaffnete Konflikte stellen nämlich mitunter die wichtigsten Fluchtursachen dar. Auf afrikanischer Seite wurde betont, dass der Gipfel zu einer Zeit stattfindet, in der Krieg und Verschuldung wieder eine größere Rolle spielen.
Der Handel zwischen Europa und Afrika besteht vor allem aus dem Export von afrikanischen Rohstoffen, die woanders weiterverarbeitet werden, und dem Import europäischer Fertigprodukte, die durch die billige Konkurrenz lokale Wirtschaften zerstören. Das sind die wirtschaftlichen Ursachen dafür, dass Menschen nach Europa kommen, um hier zu arbeiten und ihre Familien zu versorgen. Um genau diese Migration zu verhindern, werden im Zweifel auch die reaktionärsten Kräfte gestärkt. Die EU ist zwar der wichtigste Partner in Sachen Sicherheitsinfrastruktur, doch die Probleme, die bekämpft werden, sind oft durch den Westen selbst geschaffen.
»Die neue multipolare Weltordnung bedeutet für die Länder Afrikas vor allem eine bessere Verhandlungsposition.«
So wurde der EU vorgeworfen, im Sudan beispielsweise die Milizen der Rapid Support Forces (RSF), die mit Unterstützung der Vereinigten Arabischen Emirate aktuell eine ethnische Säuberung im Sudan durchführen, zwecks Migrationsabwehr unterstützt zu haben. Der Sudan spielt in diesem Zusammenhang eine Schlüsselrolle, weil viele Menschen aus ihm migrieren, er aber auch ein Transitland ist, das viele Menschen auf dem Weg nach Europa durchqueren. Ebenfalls ein wichtiges Transitland ist Libyen, wo die EU die libysche Küstenwache unterstützt. Diese fängt Menschen aus dem Mittelmeer ab und bringt sie zurück auf den Kontinent, sodass sie nicht nach Europa weiterkommen. Die Lager der libyschen Küstenwache wurden von der Tagesschau bereits als Folterlager bezeichnet, in denen es zu Mord, Verschwindenlassen, Versklavung und Vergewaltigung komme. Doch Europa rüstet sie weiterhin aus.
In Mali waren Truppen der Vereinten Nationen und der EU stationiert, um dort die Sicherheitsbedrohung durch islamistische Milizen zu bekämpfen. Diese Bedrohung ist eine direkte Folge des NATO-Angriffs auf Libyen 2011, der die gesamte Region destabilisierte, indem er diese Milizen bewaffnet und ohne Anbindung zurückließ. Macron sagte über diesen Militäreinsatz kürzlich: »Manche haben vergessen, danke zu sagen. All die afrikanischen Regierungen hatten angesichts der öffentlichen Stimmung nicht den Mut, anzuerkennen, dass ihre Länder heute nicht souverän wären, wenn die französische Armee nicht in der Region aktiv gewesen wäre.« Die koloniale Haltung, die in vielen europäischen Ländern noch vorhanden ist, wird hier besonders deutlich.
In seiner Abschlussrede erwähnte Costa zwar die Menschenrechtsverletzungen, die gerade in Gaza, im Sudan, im Kongo und der Ukraine stattfinden, als Bedrohung für alle, doch dass es eine europäische Mitverantwortung für diese Krisen gibt, ließ er unerwähnt. So schloss die Europäische Union ein Abkommen mit Ruanda, das den Abbau von Rohstoffen wie Coltan oder Gold erleichtern soll – dabei ist dokumentiert, dass ein großer Teil genau dieser Rohstoffe aus dem Kongo entwendet wird. Es sind jedoch genau diese Rohstoffe, um die Europa mit China und anderen neuen Playern konkurriert.
Bereits während des Kalten Krieges geriet Afrika zwischen die Fronten zweier Großmächte. Obwohl ein großer Teil der Länder sich als blockfrei verstand, hatte die Konfrontation Auswirkungen auch auf Afrika. So führte die Annäherung der Sowjetunion an den Westen in den 1980er Jahren zu einem Rückzug aus Afrika und damit einer Abkehr von der Unterstützung afrikanischer Unabhängigkeit. Vor einer ähnlichen Situation sehen sich viele afrikanische Länder jetzt auch. Costa sprach von der Gefahr, die von dieser ausgeht und betonte, dass in einer multipolaren Welt multilaterale Beziehungen ein wichtiger Stabilisator seien. Afrika hat sich dabei in den letzten Jahren wieder tendenziell als geopolitisch und ökonomisch blockfrei positioniert und diversifiziert seine Handelspartner.
Das heißt: Man rückt an China heran und unterhält gleichzeitig Beziehungen zur EU, aber auch in die USA. Dabei werden auch neue Handelspartner relevant, wie zum Beispiel die Türkei. Versuche aus Europa, die Handelsbeziehungen zwischen China und afrikanischen Ländern zu untergraben, sind daher bisher nicht gefruchtet. Die neue multipolare Weltordnung bedeutet für die Länder Afrikas vor allem eine bessere Verhandlungsposition. Ob sie dieses Potenzial auch nutzen, um sich aus der Abhängigkeit von Rohstoffexporten zu befreien, bleibt noch offen.
Bafta Sarbo ist Editor bei Jacobin.