18. Februar 2022
Die hohe Inflation besorgt viele Menschen. Die renommierte Ökonomin Isabella Weber hat als Gegenmittel »strategische Preiskontrollen« vorgeschlagen – und damit empörte Gegenreaktionen ausgelöst. Dabei waren solche Maßnahmen schon oft erfolgreich.
Neben den Lebensmittelpreisen sind auch die Preise für Haushaltsenergie angestiegen.
Es gibt wirtschaftspolitische Begriffe, die besonders drastische Reaktionen hervorrufen, zum Beispiel »Enteignung«: Für Braunkohleabbau und Autobahnbau sind sie stille Routine. Wenn aber – wie jüngst in Berlin – ein Volksentscheid gezielte Enteignungen vorschlägt, um überhöhte Mieten zu stoppen, wird die Diskussion schnell irrational und Gegner führen DDR-Vergleiche ins Feld. Nicht die Praxis scheint hier das Problem zu sein, sondern die öffentliche Befürwortung. Eine aktuelle internationale Kontroverse zeigt, dass der Begriff »Preiskontrollen« ähnliche Reflexe auslöst.
Darf die Politik Preise aktiv beeinflussen? Und was hieße das konkret?
DDR oder Venezuela sind oft die ersten Assoziationen. Es geht aber auch ganz anders: Im Dezember 2020 waren mitten in der zweiten Coronawelle Antigen-Schnelltests Mangelware. Das Gesundheitsministerium schrieb daraufhin per Verordnung die Handelsmargen für Großhändler auf 40 Cent pro Stück vor. Routine im Gesundheitswesen. Ohne diese Maßnahme hätten – bei gleichen Produktionskosten – drastisch erhöhte Profitraten auf dem Weg zum Endabnehmer gedroht und damit erhebliche Preissteigerungen.
Solch eine unerwünschte Entwicklung ist nun in viel größerem Umfang eingetreten: Durch Corona sind Lieferketten eingebrochen, wodurch sich das Angebot bei gleichbleibender oder sogar erhöhter Nachfrage vermindert. Diese Situation wird – völlig marktkonform – zur Profitmaximierung ausgenutzt, empfindliche Preissteigerungen sind die Folge. Die Inflation, die wir gerade erleben, ist also zum Teil profitgetrieben. So lautet kurzgefasst die Analyse von Isabella Weber im Guardian. Temporäre Preiskontrollen könnten in dieser Lage einzelne Inflationstreiber ausbremsen, wodurch sich die Zeit, bis die Lieferketten wieder funktionieren, überbrücken ließe.
Anstatt auf diesen differenzierten und sachlich begründeten Vorschlag mit Argumenten zu reagieren, hagelte es international Polemiken. Der weltbekannte Ökonom Paul Krugman etwa vergriff sich auf Twitter so heftig im Ton, dass er sich anschließend bei Weber und seinen 4,6 Millionen Followern entschuldigen musste.
Die Süddeutsche Zeitung wiederum titelte – sachlich ziemlich deplatziert – »Nixon von links« und machte aus der renommierten und international gefragten, promovierten Volkswirtschaftlerin kurzerhand eine »Außenseiterin«, deren Expertise sich »eigentlich« nur auf Chinas Wirtschaft beschränke.
Wie ist diese Gereiztheit zu erklären?
Das Stichwort »Preiskontrollen« ruft einen starken Abwehrreflex hervor, wie der Wirtschaftshistoriker Adam Tooze offen zugab: Er zeigte sich zwar aufgeschlossen gegenüber konkreten Maßnahmen, lehnte den Begriff »Preiskontrollen« aber als »provokativ« ab.
Das ist vielsagend: Mit dem Begriff »Preiskontrollen« wird – von einer Frau – ein zentraler Pfeiler der Wirtschaftswissenschaft in Frage gestellt, nämlich der Glauben, dass nur der Marktmechanismus Probleme lösen kann. Doch diese Doktrin ist – auch wenn »progressive« Ökonomen sie äußern – eben nicht »die Wahrheit«, sondern nur eine bittere Konsequenz unserer Epoche. Ihr Name lautet Neoliberalismus.
Zeit, daran zu erinnern, dass es »natürliche Preise« überhaupt nicht gibt. Ob durch Steuern, Infrastruktur oder Eigentumsverhältnisse: Jede der Bedingungen, unter denen eine Ware produziert, gehandelt und verkauft wird, ist gesellschaftlich oder politisch bestimmt und damit veränderbar. Es ist unmöglich, Preise t nicht zu beeinflussen.
Auch Marktpreise sind daher keine »natürlichen Preise«, sondern eben einfach nur Marktpreise – und gerade in Krisenzeiten tendenziell brutal. Mehr als einmal hat es großen Nutzen gehabt, nicht blind auf diese freien Marktpreise zu vertrauen. Isabella Weber hat dies in einem international beachteten und preisgekrönten Buch nachgewiesen, und meine Forschungen zur westdeutschen Nachkriegsgeschichte kamen zu gleichem Ergebnis.
Der Begriff »Preiskontrolle« verweist auf die Geschichte der Dysfunktionalität von Marktmechanismen, was in Teilen auch erklärt, weshalb diese Debatte derart nervös geführt wird. Der wichtigste sachliche Einwand gegen Preiskontrollen ist indes die »Informationsfunktion« von Preisen, die mittelfristig eine effiziente Verteilung von Ressourcen gewährleisten soll. Das hilft in Krisensituationen zwar nicht viel, aber ich mache trotzdem einen Kompromissvorschlag: Wir kontrollieren nicht die Preise, sondern begrenzen die Profite. Das deutsche Heldenepos von der Entstehung der Sozialen Marktwirtschaft liefert dafür unerwartetes Anschauungsmaterial.
Nach dem Zweiten Weltkrieg herrschten in Westdeutschland strenge Preisvorgaben, Mangel und Rationierungen. Ludwig Erhard plante, diese Zustände mit einer »freien Marktwirtschaft« und einer umfassenden Preisfreigabe zu beenden. Unter Duldung der US-Besatzung gelang ihm dieser erste Schritt während der Währungsreform am 20. Juni 1948.
Doch Erhards Annahme, die Preise würden sich in der Folge »einpendeln«, erwies sich als falschs. Vielmehr löste der rasante Preisanstieg Verzweiflung aus, so dass wütende Proteste folgten. Lösung sollte unter anderem das »StEG-Programm« bringen: Ausrangierte Militärgüter wurden in riesigen Mengen für den zivilen Bedarf umgearbeitet und auf den Markt gebracht. Doch die Preise blieben hoch, und nur die Handelsprofite stiegen.
Die Situation änderte sich erst mit administrativen Vorgaben, die Erhards Überzeugungen konterkarierten: Am 6. September 1948 legte die Verwaltung niedrige »Letztverbraucherhöchstpreise« für die StEG-Waren behördlich fest und begrenzte die Handelsspanne auf 20 Prozent. Erst nach dieser Kombination aus Preiskontrollen und Profitbegrenzung fielen die Preise endlich – auch für die konkurrierenden »freien« Waren. Das erfolgreiche Programm wurde 1953 abgewickelt und Ludwig Erhard kurioserweise zum Symbol erfolgreicher Wirtschaftspolitik.
Nicht alle Wege der Preiskontrolle führen also nach Venezuela. Wer sich von »Preiskontrollen« jedoch weiterhin provoziert fühlt: Willkommen im Team Profitbegrenzung!
Uwe Fuhrmann ist Historiker und lebt in Berlin. Er forscht und schreibt zur Geschichte der Sozialen Markwirtschaft und der Gewerkschaften.
Uwe Fuhrmann ist Historiker und lebt in Berlin. Er forscht un schreibt zur Geschichte der Sozialen Markwirtschaft