08. Dezember 2021
Volksentscheide über Enteignungen sind kein neues Phänomen, wie ein weitgehend vergessenes Beispiel aus dem Jahr 1926 zeigt: Über 14 Millionen Menschen stimmten damals für eine Enteignung der Fürstenreichtümer.
Wahlplakat für das Volksbegehren zur Fürstenenteignung, 1926.
Für manche war es ein »Entscheidungskampf zwischen dem demokratischen Deutschland und den wieder sich aufrichtenden Mächten der Vergangenheit«. Für andere ging es um den »Bestand von Haus und Hof, von Nation und Reich«. Unbestritten ist aber: Der von der Kommunistischen Partei (KPD) initiierte Volksentscheid zur Fürstenenteignung von 1926 gehört zu den großen politischen Kontroversen der Weimarer Republik.
Für die Weimarer Republik kann die symbolische Bedeutung des Hochadels kaum überschätzt werden. Nationalkonservativen und teils auch Liberalen galt der Hochadel als Repräsentant einer vermeintlich glorreichen Vergangenheit – der»guten alten Zeit«. Dem gegenüber stand eine instabile Weimarer Republik und der zumindest relativ gewachsene Einfluss der Linken. Eine Auseinandersetzung um die ehemaligen Dynastien war damit immer zugleich ein Kampf um die staatliche und gesellschaftliche Ordnung insgesamt. Die erheblichen Vermögenswerte waren zudem selbst ein politischer Faktor und konnten in der Hand der abgesetzten Fürsten einer Stärkung der republikfeindlichen Kräfte von rechts zugutekommen. Mit Justiz und Verwaltung waren auch unmittelbar staatliche Strukturen in den Konflikt involviert, die oft keineswegs neutral, sondern im Sinne der alten Ordnung agierten.
»Auch der bis heute andauernde Streit um das Vermögen der Hohenzollern geht auf den Volksentscheid zurück.«
Erst vor diesem Hintergrund wird die Schärfe der Auseinandersetzung um den Volksentscheid zur Fürstenenteignung verständlich. Und sie legt zugleich die Probleme der neuen Republik offen, die auch Mitte der 1920er Jahre noch immer mit den Folgen der halbherzigen Revolution von 1918 bis 1920 belastet war.
Die Geschichte des Volksentscheids war 1926 mitnichten zu Ende und hatte etwa zur Folge, dass das Grundgesetz auf einem repräsentativen Verfassungsmodell, in dem kaum direktdemokratische Elemente enthalten sind, begründet wurde. Aber auch der bis heute andauernde Streit um das Vermögen der Hohenzollern geht auf den Volksentscheid zurück. Das ehemalige preußische und deutsche Herrscherhaus verhandelt mit den Ländern Berlin und Brandenburg sowie dem Bund über Entschädigungen für frühere Enteignungen. Zugleich laufen Gerichtsprozesse zu dieser Frage. Dabei geht es unter anderem um erhebliche Vermögenswerte wie Landbesitz, Kunstschätze und Nutzungsrechte an Schlössern. Diese Werte waren in den 1940er Jahren enteignet worden.
Auf das Thema wird noch zurückzukommen sein, denn aktuell hat sich daraus eine kontroverse Debatte entwickelt, die nicht nur Politikerinnen, Journalisten und Juristinnen, sondern auch Historiker beschäftigt. Und schließlich sollten wir dieses Kapitel der Volksabstimmung nicht vergessen, wenn wir heute wieder über Enteignungen sprechen.
Die Vermögen der deutschen Fürstenhäuser hatten bereits eine lange, komplizierte Geschichte hinter sich, als die Revolution 1918 den Monarchen ihre politische Vorrangstellung entzog. Jahrhundertelang verfügte der Adel über umfangreiche Ländereien, Schlösser und Kunstschätze. Im Jahr 1913 belief sich allein das Vermögen der Hohenzollern auf mehrere Hundert Millionen Mark. Neben ihnen regierten im Kaiserreich ab 1871 noch 21 weitere Könige, Großherzöge, Herzöge und Fürsten. Das Deutsche Reich war ein föderaler Fürstenbund und in jeder dieser Herrschaften verfügten die jeweiligen Fürsten über eigene Besitztümer.
Das war die Ausgangslage, als am 9. November 1918 der Kaiser gestürzt wurde und Philipp Scheidemann und Karl Liebknecht gleich zwei Mal die Republik ausriefen. Einen Tag später bildete sich eine neue, republikanische Regierung aus den beiden linken Parteien, der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands (SPD) und der Unabhängigen Sozialdemokratischen Partei Deutschlands (USPD). Die Revolutionäre ordneten sofort an, weite Teile des Vermögens zu beschlagnahmen.
Um die Frage, ob das Vermögen nur vorübergehend zu beschlagnahmen und später zwischen Staat und Dynastien aufzuteilen sei, oder ob es entschädigungslos enteignet werden sollte, entzündete sich in der Revolutionszeit eine hitzige Debatte. Während die SPD-Politiker eher zur ersten Lösung tendierten, sprachen sich ihre radikaleren Kollegen von der USPD für die zweite Variante aus. Letztere argumentierten, eine rein politische Revolution ohne Veränderung der wirtschaftlichen Strukturen würde ihr Ziel verfehlen.
Die im August 1919 in Kraft getretene republikanische Verfassung garantierte jedoch das Recht am Eigentum und stellte hohe Hürden für Enteignungen auf. Damit war die Chance verpasst, die Freiräume der Revolutionszeit für eine klare Lösung der Vermögensfrage zu nutzen.
»Das Volksbegehren forderte eine entschädigungslose Enteignung des gesamten Vermögens aller ehemals regierenden Fürsten zum Wohl der Allgemeinheit.«
Fürsten und Republik starteten mehrere Versuche, sich einvernehmlich zu einigen. Diese »Lösungen« sahen aber immer noch vor, große Teile der Besitztümer dem Hochadel zu belassen. Zusätzlich belastet wurden die jahrelangen Auseinandersetzungen durch eine ganze Lawine an Prozessen, die die Fürstenfamilien gegen den Staat führten. Davon hatten einige die höheren Instanzen erreicht, und diese hatten zugunsten der Fürsten entschieden. An der Justiz zeigte sich, dass die Voraussetzungen für eine republikanische Ordnung noch nicht gegeben waren, denn die Richter stammten aus einer Zeit, in der sie den Dynastien verpflichtet gewesen waren.
Der ungünstige Verlauf der Gerichtsprozesse lieferte im November 1925 den Anlass für zwei parlamentarische Initiativen. Sowohl die liberale Deutsche Demokratische Partei (DDP) als auch die KPD brachten nun Gesetzentwürfe in den Reichstag ein. Der Vorschlag der DDP zielte darauf ab, den Ländern die Möglichkeit einzuräumen, die Vermögensauseinandersetzung unter Ausschluss des Rechtswegs per Gesetz zu regeln. Im Reichstag betonte der Sprecher der DDP, es gehe schließlich um eine politische Frage, und deshalb sei zu verhindern, dass »hier die Weltgeschichte nachträglich von Gerichten gemacht oder korrigiert« werde.
Die Kommunisten dagegen forderten in ihrem Entwurf eine entschädigungslose Enteignung. Das zentrale Argument der KPD lautete, man könne nicht Millionenwerte den ehemaligen Fürsten überlassen, während man gleichzeitig die Opfer des von ihnen begonnenen Ersten Weltkrieges allein lasse.
Die KPD unternahm außerdem einen breit angelegten Versuch, einen Volksentscheid herbeizuführen. Zu diesem Zweck publizierte sie einen offenen Brief an die Gewerkschaftsverbände und die SPD, indem sie die Bildung eines Bündnisses anbot. Außerdem führte sie eine Massenkundgebung in Berlin durch, bei der mehrere Zehntausend Menschen für eine entschädigungslose Enteignung demonstrierten. Um eine breitere Mobilisierung zu ermöglichen, bildete sich kurz darauf ein Ausschuss aus verschiedenen zivilgesellschaftlichen Gruppen, der einen Gesetzentwurf ausarbeitete. Auf lokaler Ebene gründeten sich daraufhin weitere Ausschüsse.
Besonders an der Basis von SPD und Gewerkschaften war die Enteignungsparole überaus populär, und so stellten sich die Sozialdemokraten hinter die Initiative. Sie betonten jedoch zugleich ihre Eigenständigkeit, weshalb sie dem Ausschuss nicht beitraten. Dennoch einigten sich die verschiedenen Akteure auf einen gemeinsamen Gesetzestext. Dies war eine wichtige Voraussetzung, um das Volksbegehren einzuleiten. Dieses forderte eine entschädigungslose Enteignung des gesamten Vermögens aller ehemals regierenden Fürsten zum Wohl der Allgemeinheit.
Trotz der gegenseitigen Aversionen zwischen Kommunisten und Sozialdemokraten kam es nun zu einer »Aktionseinheit auf Distanz«: Die einzelnen Organisationen beschritten getrennte Wege zum gemeinsamen Ziel der Fürstenenteignung. In den kommenden Wochen führte dann allein die SPD über 12.000 Versammlungen durch und verteilte 35 Millionen Flugblätter. Die KPD wiederum setzte erstmals systematisch auf Straßentheater und Agitpropgruppen. Neben den Organisationen plädierten zahlreiche Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens für die Enteignung, darunter Albert Einstein, Käthe Kollwitz und Heinrich Zille.
Um einen Volksentscheid herbeizuführen, sahen die Weimarer Reichsverfassung und das Gesetz über den Volksentscheid zunächst ein Volksbegehren vor. Nur wenn in dieser ersten Stufe 10 Prozent oder knapp 4 Millionen Wahlberechtigte ihre Unterstützung bekundeten und anschließend der Reichstag den zugrundeliegenden Gesetzentwurf ablehnte, würde es zu einem bindenden Volksentscheid kommen.
»Zahlreiche Wähler der bürgerlichen Parteien hatten sich zur Enteignung bekannt.«
Problematisch an dem Ablauf war, dass sich Unterstützer vorab in Listen eintragen mussten, was ihre Haltung öffentlich machte. Zahlreiche Verwaltungen sabotierten den Prozess bereits in diesem Stadium. Die offiziellen Unterlagen schickten manche von ihnen sogar mit drastischen Bemerkungen zurück. So hieß es in einem Fall, »[wir] verbitten uns in Zukunft ganz energisch solche Belästigungen«; in einem anderen erklärte der Absender, er habe die Liste »auch gleich zum Arschwischen benutzt«. Die Bürokratie war also keineswegs politisch neutral, sondern dem konservativen Spektrum zugeneigt. Da die Einzeichnung öffentlich erfolgte, übten insbesondere auf dem Land Gutsbesitzer massiven Druck aus, um ihre Beschäftigten mit Kündigungsdrohungen von einer Beteiligung abzuhalten.
Flankiert wurde diese Einflussnahme von einer massiven Kampagne der Enteignungsgegner. So schrieb die monarchistisch-konservative Deutschnationale Volkspartei (DNVP), das Vorhaben sei nur der Auftakt dafür, » Kirche, Landbesitz, Industrie, Banken und schließlich jedes und alles Privateigentum« zu enteignen. Aus Industriellenkreisen flossen erhebliche Summen in die Finanzierung der Gegenkampagne. Auch die Kirchen schlugen sich auf die Seite der Enteignungsgegner und argumentierten unter anderem mit Verweis auf das siebte Gebot (Verbot von Diebstahl).
Trotz des Gegenwinds war das Volksbegehren ein durchschlagender Erfolg. Über 12,5 Millionen Stimmen wurden dafür abgegeben. Das waren nicht nur drei Mal mehr als erforderlich, sondern auch etwa 2 Millionen Stimmen mehr, als SPD und KPD bei der letzten Reichstagswahl erhalten hatten. Mit anderen Worten: Zahlreiche Wähler der bürgerlichen Parteien hatten sich zur Enteignung bekannt.
Unterdessen waren die parlamentarischen Beratungen zum Entwurf der DDP weitergegangen. Im Grunde war das Schicksal dieser Gesetzesinitiative aber besiegelt, als Reichspräsident Paul von Hindenburg, ehemaliger Heerführer und überzeugter Monarchist, erklärte, aus seiner Sicht trage es verfassungsändernden Charakter. Auch die Reichsregierung vertrat diese Einschätzung. Das bedeutete praktisch, dass ihm zwei Drittel des Reichstags hätten zustimmen müssen.
Nun ging es nur noch um den Gesetzentwurf der Kampagne. Auch in diesem Fall betonte die Reichsregierung – wieder in Übereinstimmung mit Hindenburg –, dass es sich um ein verfassungsänderndes Gesetz handle. Am 6. Mai 1926 wurde es im Reichstag abgelehnt – und der Weg war frei für den Volksentscheid. Aber die nächste Hürde war enorm hoch: Aufgrund des verfassungsändernden Charakters bedurfte es nun der Zustimmung von rund 20 Millionen Bürgern.
»In einzelnen Gemeinden wurden sogar Freibierfeste organisiert, um Wähler von der Stimmabgabe abzuhalten.«
Befürworter wie Gegner führten ihre Kampagnen mit großer Intensität, was eine enorme Polarisierung zur Folge hatte. Die zentralen Argumente hatten sich dabei seit Beginn der Auseinandersetzung nicht verändert. Die Sozialdemokraten betonten, dass sich der Volksentscheid zugunsten der Republik auswirken würde und kontrastierten die hohen Zahlungen an die Fürstenhäuser mit den kümmerlichen Einkommen der Rentner, Invaliden und Erwerbslosen. Die KPD spitzte den Konflikt noch weiter zu und erklärte: »Der Haß gegen die gekrönten Räuber ist der Klassenhaß gegen den Kapitalismus und sein Sklavensystem!«
Die antirepublikanische Rechte griff diese Punkte auf und appellierte unter entgegengesetzten Vorzeichen an die Ängste der Bürger vor weiterreichenden Maßnahmen. Wenig überraschend plädierten die Adelsverbände gegen die Enteignung und beriefen sich dabei, ebenso wie die katholische Kirche, auf ein christliches Sittengesetz. Aus dem protestantischen Spektrum verstiegen sich keineswegs alle Stimmen zu so drastischen Vergleichen wie der reaktionäre ehemalige Hofprediger Wilhelms II., Bruno Doehring. Ihm zufolge sei der Volksentscheid ein modernes Pendant zur Forderung der Volksmenge an Pontius Pilatus, Jesus zu kreuzigen. Die offiziellen evangelischen Landeskirchen stellten dennoch klar: Die Enteignung »widerspricht klaren und unzweideutigen Grundsätzen des Evangeliums.«
Wie schon im Fall des Volksbegehrens wurde die Abstimmung von Behinderungen der lokalen Behörden und Drohungen an die Landarbeiter begleitet. Die Ausgestaltung des Volksentscheids bei verfassungsändernden Gesetzen sah vor, dass ein Erfolg nicht nur einer Mehrheit der Abstimmenden bedurfte, sondern auch eines Quorums von 50 Prozent der Stimmberechtigten. Dadurch hatten Enthaltungen die gleiche Wirkung wie Nein-Stimmen.
Genau hier setzte die Strategie der Enteignungsgegner an, indem sie zum Boykott der Abstimmung aufriefen. Gerade auf dem Land und in kleinen Orten, wo die soziale Kontrolle besonders ausgeprägt war, bedeutete eine Teilnahme an der Abstimmung faktisch, dass man sich öffentlich als Befürworter bekannte. In einzelnen Gemeinden wurden sogar Freibierfeste organisiert, um Wähler von der Stimmabgabe abzuhalten.
Als die Wahlzettel nach dem 20. Juni 1926 ausgezählt waren, wurde klar: Der Volksentscheid war gescheitert. 15,6 Millionen Bürger hatten an der Abstimmung teilgenommen, davon hatten knapp 14,5 Millionen mit »Ja« gestimmt – oder, in den drastischen Worten des ehemaligen Kaisers aus dem niederländischen Exil: »Also gibt es 14 Millionen Schweinehunde in Deutschland.« Erforderlich wäre die Zustimmung von 19,9 Millionen Wählern gewesen.
Die Spaltung der Arbeiterbewegung in eine sozialdemokratische und eine kommunistische Richtung gehört zu den zentralen Belastungsfaktoren der Weimarer Republik. Sie erschwerte nicht nur in ihrer Geburtsstunde, der Revolution von 1918 bis 1920, einen konsequenten Neuanfang, sondern muss auch zu den Ursachen ihres Scheiterns im Jahr 1933 gezählt werden.
Die SPD war bedeutend größer als die KPD. Die Sozialdemokratie erhielt bis 1930 von allen Parteien durchgängig die meisten Stimmen und arbeitete eng mit den Gewerkschaften zusammen. Dadurch und aufgrund ihrer zentralen Rolle bei der Republikgründung war die SPD grundsätzlich die staatstragende Partei. Dennoch war sie häufiger auf der Oppositionsbank zu finden.
»Daher schwankte die SPD stets zwischen einer Regierungsbeteiligung und einer linken Oppositionshaltung. In diesem Zwiespalt befand sich die Partei auch während des Volksentscheids.«
Das weist bereits auf das klassische Dilemma der Sozialdemokratie hin: Einerseits war sie in den 1920er Jahren noch wesentlich eine Arbeiterpartei und ihre Anhänger drängten auf spürbare Verbesserungen insbesondere in der Sozialpolitik. Diesen »Markenkern«vertrat vor allem der linke Flügel. Andererseits empfanden viele Funktionäre eine staatspolitische Verantwortung und der rechte Flügel der Partei betonte, dass ohne eine Zusammenarbeit mit den bürgerlichen Parteien keine Reformen durchsetzbar seien. Daher schwankte die SPD stets zwischen einer Regierungsbeteiligung und einer linken Oppositionshaltung. In diesem Zwiespalt befand sich die Partei auch während des Volksentscheids, da ein Eintritt in die Reichsregierung eine reale Möglichkeit darstellte.
In einem Dilemma eigener Art steckte die KPD. Sie repräsentierte den radikalen Flügel der Arbeiterbewegung und war in der Kriegs- und Revolutionszeit als Abspaltung der Sozialdemokratie entstanden. Die scharfen und teils bewaffnet ausgetragenen Differenzen mit der SPD über den Burgfrieden im Weltkrieg und dann vor allem von 1918 bis 1923 hatten bei vielen Mitgliedern eine enorme Verbitterung hinterlassen. Hinzu kam, dass die Aussichten für eine revolutionäre Partei nach dem Ende der bewegten Anfangsphase alles andere als günstig waren. Sollte die KPD als ultralinke Kadertruppe bis zur erwarteten nächsten Revolutionswelle überwintern oder sich in Bündnissen mit anderen linken Gruppen durch Teilerfolge in der Gegenwart profilieren?
»Gerade die hohe Zustimmung beim Volksentscheid zeigt, dass die Linke mit einem attraktiven Programm durchaus in der Lage war, sich bürgerliche Wählergruppen zu erschließen.«
Was beide Parteien also einte, war die Frage, wie die politischen Grundsätze mit den Anforderungen der Tagespolitik in Übereinstimmung zu bringen waren. Das war ein wesentlicher Bestimmungsfaktor für ihr Agieren in der Frage des Volksentscheids. Zumindest zeigte die Einigung auf einen gemeinsamen Gesetzentwurf für den Volksentscheid, dass eine konstruktive Zusammenarbeit durchaus möglich war. Zwei Jahre später, nach ihrem Erfolg bei der Reichstagswahl 1928, trat die SPD dann in eine große Koalition ein und stellte dabei auch den Reichskanzler. Die KPD wiederum beendete ihre Politik der Einheitsfront und verfolgte einen ultralinken Kurs, der sie zunehmend isolierte.
Hätte es aber grundsätzlich die Möglichkeit einer linken Koalition gegeben? Faktisch verfügten die Parteien dieses Spektrums auch gemeinsam nie über eine parlamentarische Mehrheit im Reichstag. Eine solche rein mathematische Betrachtung lässt aber mögliche politische Dynamiken außer Betracht. Gerade die hohe, weit über ihre eigene Wählerklientel hinausreichende Zustimmung beim Volksentscheid zeigt, dass die Linke mit einem attraktiven Programm durchaus in der Lage war, sich bürgerliche Wählergruppen zu erschließen. Sogar von rechten Wählern hatte sie Stimmen erhalten.
Mögliche Ansatzpunkte in den Jahren 1925/26 waren die Rationalisierungskrise und der Anstieg der Arbeitslosenzahlen. Auch andere innenpolitische Streitpunkte, etwa kursierende Putschpläne von rechts, boten der Linken Gelegenheit zur Profilierung. Hinzu kam die Behandlung der Inflationsgeschädigten aus dem Mittelstand, deren Abfindung weitaus schlechter war als die des Hochadels. Gerade die Frage der Fürstenabfindung hatte außerdem gezeigt, dass Verwaltung und Justiz umfassend demokratisiert werden mussten. Diese Punkte waren allesamt auch für erhebliche Teile des Bürgertums politisch anschlussfähig.
Einem derartigen, ebenso linken wie radikaldemokratischen Reformprogramm standen jedoch auch große Hindernisse im Weg. So hatte Reichspräsident Hindenburg deutlich gemacht, dass er nicht gewillt war, als über den Parteien stehende Instanz zu agieren. Vielmehr griff er mehrfach zugunsten der Fürsten in die Auseinandersetzungen ein. Die Zustimmung in der Frage der Enteignung bedeutete außerdem nicht automatisch eine dauerhafte Bindung dieser Stimmen an die Linke. Gerade der Mittelstand lief später wieder zu den Rechten und insbesondere den Nationalsozialisten über. Schließlich hatten auch die Gegner von rechts unter Beweis gestellt, dass sie eigene wirksame Kampagnen anstoßen konnten.
Unabdingbare Voraussetzung für ein tragfähiges linkes Bündnis wäre jedoch eine vertrauensvolle Zusammenarbeit gewesen – und genau dazu waren weder SPD noch KPD bereit. Potenzial für eine konsequente linke Reformpolitik gab es zwar, aber angesichts der verhärteten Fronten zwischen Sozialdemokraten und Kommunisten konnte sie nie realisiert werden. Insofern muss von einer verpassten Chance gesprochen werden – nicht nur für die politische Linke, sondern auch für die Weimarer Republik.
Mit dem Scheitern des Volksentscheids für die Fürstenenteignung war das Thema nicht abgeschlossen. Da beide parlamentarischen Initiativen erfolglos waren, landete das Problem nun abermals vor den Gerichten. Erneut begannen Verhandlungen mit den ehemaligen Dynastien. Letztlich sah der dann zwischen Staat und Hohenzollern abgeschlossene Vergleich nun deutlich günstiger aus als die älteren Kompromissentwürfe. Der Volksentscheid hatte offenbar indirekt die Verhandlungsposition des Staates gestärkt.
Im Nachgang kam es erneut zu Auseinandersetzungen. Denn nach 1945 wurden auf dem Gebiet der späteren DDR Großgrundbesitzer im Rahmen einer Bodenreform enteignet. Das traf auch die ehemaligen Fürstenfamilien, die nach der Wiedervereinigung 1989/90 Entschädigungen forderten. Das Ausgleichsleistungsgesetz von 1994 sah jedoch vor, dass keinen Anspruch auf Entschädigung hat, wer »dem nationalsozialistischen oder dem kommunistischen System in der sowjetisch besetzten Zone oder in der Deutschen Demokratischen Republik erheblichen Vorschub geleistet hat«.
»Kronprinz Wilhelm hatte sich in der Endphase der Republik häufig mit führenden Nationalsozialisten ausgetauscht und warb 1932 öffentlich für den Kandidaten Hitler.«
Als 2019 die lange vertraulich geführten Verhandlungen zwischen den Hohenzollern einerseits und den Ländern Brandenburg und Berlin sowie dem Bund andererseits bekannt wurden, entwickelte sich rasch eine breite öffentliche Debatte. Hauptstreitpunkt ist dabei entsprechend dem Ausgleichsleistungsgesetz die Frage, ob die Hohenzollern und insbesondere der ehemalige Kronprinz Wilhelm den Nationalsozialismus aktiv unterstützt haben.
Letzterer hatte sich in der Endphase der Republik häufig direkt mit führenden Nationalsozialisten ausgetauscht und warb 1932 öffentlich für den Kandidaten Hitler bei der Reichspräsidentenwahl. Noch im gleichen Jahr setzte er sich für die Aufhebung des Verbots der nationalsozialistischen SA ein. Am 21. März 1933 trat er im Zuge der Machtübertragung am sogenannten Tag von Potsdam effektvoll gemeinsam mit Hitler und Hindenburg auf – kurz vor Verabschiedung des berüchtigten »Ermächtigungsgesetzes«. Ebenfalls gut belegt ist seine klar antirepublikanische Haltung. So strebte er die Restauration der Monarchie und einen autoritären Umbau des Staates an und orientierte sich dabei am Modell des italienischen Faschismus.
Unter Historikerinnen und Historikern werden diese Fakten sehr verschieden bewertet. Eher konservative Wissenschaftler äußerten Zweifel sowohl an der realen politischen Bedeutung des Kronprinzen als auch an seiner Absicht, Hitler an die Macht zu bringen. Eher linke Fachleute verwiesen dagegen auf sein enormes symbolisches Gewicht und seine NS-freundlichen öffentlichen Auftritte.
Insgesamt kann festgehalten werden: Das Ziel des Kronprinzen war sicher nicht das » Dritte Reich«. Er nur einer von vielen Akteuren im Prozess der Machtübertragung. Aber durch sein persönliches Netzwerk und vor allem seine symbolische Rolle als ehemaliger Thronfolger kam ihm eine erhebliche politische Bedeutung zu. Diese setzte er wiederholt zugunsten der Nationalsozialisten ein, weshalb ihm sehr wohl ein Teil der Verantwortung für die verhängnisvolle weitere Entwicklung zuzusprechen ist.
»In der breiten Bevölkerung werden die Forderungen der Hohenzollern überwiegend zurückgewiesen.«
Der Geschichtswissenschaftler Stephan Malinowski nannte die aktuellen Ansprüche der Hohenzollern in einem Interview eine »sprachlos machende Maßlosigkeit«. Er sowie zahlreiche weitere Wissenschaftler und Journalisten wurden von der Hohenzollern-Familie juristisch unter Druck gesetzt, ihre Einschätzungen nicht öffentlich zu wiederholen. Der Historiker Martin Sabrow bezeichnete dieses Vorgehen als einen Angriff auf »die Freiheit der Wissenschaft«. Klaus Wiegrefe charakterisierte die Debatte im Spiegel zutreffend als den aktuell »bedeutendste[n] geschichtspolitische[n] Konflikt des Landes«.
Der konkrete Anlass ist heute ein anderer als zur Zeit der Weimarer Republik, doch manche Argumente sind erstaunlich unverändert. So wird auf der einen Seite die Unvereinbarkeit der dynastischen Ansprüche mit einer republikanischen Ordnung ins Feld geführt, auf der anderen der notwendige Schutz des Privateigentums.
In der breiten Bevölkerung werden, wie aktuelle Umfragen zeigen, die Forderungen der Hohenzollern überwiegend zurückgewiesen. Die Partei DIE LINKE startete im Vorfeld der Brandenburger Landtagswahl 2019 eine Volksinitiative mit dem Ziel, Entschädigungen zu verhindern. Ebenso plädierten auch Teile der Grünen dafür, keine Entschädigungen zu zahlen. Anhängige Gerichtsverfahren sind zurzeit ausgesetzt, parallel gehen die Verhandlungen um eine einvernehmliche Lösung weiter – deren Ausgang bleibt ungewiss.
Die Frage der Fürstenvermögen ist auch nach über 100 Jahren republikanischer Verfassungsordnung nicht abgeschlossen. Der lange Schatten der Monarchie liegt in gewisser Weise also immer noch über dem Land.
Axel Weipert ist promovierter Historiker. Er arbeitet vor allem zur Geschichte der Arbeiterbewegung und des Ersten Weltkriegs. Von ihm erschienen sind unter anderem »Das Rote Berlin. Eine Geschichte der Berliner Arbeiterbewegung 1830-1934« (2019) und »›Den Fürsten keinen Pfennig!‹ Der Volksentscheid zur Fürstenenteignung 1926« (2021).
Axel Weipert ist promovierter Historiker. Er arbeitet vor allem zur Geschichte der Arbeiterbewegung und des Ersten Weltkriegs. Von ihm erschienen sind unter anderem »Das Rote Berlin. Eine Geschichte der Berliner Arbeiterbewegung 1830-1934« (2019) und »›Den Fürsten keinen Pfennig!‹ Der Volksentscheid zur Fürstenenteignung 1926« (2021).