07. März 2023
Eine Partei, die nicht enteignen will, lässt sich nicht überreden. Es ist daher keine Überraschung, dass die Berliner SPD lieber mit der CDU koaliert, als eine Vergesellschaftungsregierung zu bilden.
Berlins noch amtierende Bürgermeisterin Franziska Giffey nutzt die Wahlschlappe für einen Ruck nach rechts, Berlin, 1. März 2023.
IMAGO / Funke Foto ServicesNun hat alle Spekulation über die Regierungsbildung in Berlin vorläufig ein Ende. Der Vorstand des Berliner Landesverbandes der SPD hat für die Aufnahme von Koalitionsgesprächen mit der CDU gestimmt und einer Fortführung der Rot-Grün-Roten-Koalition damit eine Absage erteilt. Der Vorstand folgt der Linie von Franziska Giffey, der Spitzenkandidatin der SPD und noch-regierenden Bürgermeisterin.
Schon bei der ursprünglichen Koalitionsbildung in dieser Legislatur war ein Rechts-Mitte-Bündnis mit CDU und FDP Giffeys Wunschkonstellation gewesen, die wie keine andere Kandidatin für den rechten Kurs der Sozialdemokratie steht: gegen die Umsetzung des Enteignungs-Volksentscheides, für Investitionsbündnisse mit dem Immobilienkapital und einen Ausbau des Sicherheitsstaates in Berlin.
Nur ein Aufbäumen der Partei-Linken rund um den bis 2021 amtierenden Bürgermeister Michael Müller sorgte dafür, dass das seit 2016 bestehende Bündnis aus SPD, Grünen und Linkspartei fortgesetzt wurde. Es ist nur folgerichtig, dass Giffey ihre Macht nutzt, um den von ihr ohnehin bevorzugten Rechtsrutsch in der Berliner SPD zusammen mit der CDU durchzusetzen. Die Berliner Jusos haben Widerstand gegen eine Große Koalition angekündigt und die Neuköllner und Steglitzer Bezirksverbände der SPD haben sich ebenfalls gegen eine GroKo ausgesprochen. Ob sie sich bei der bevorstehenden Urabstimmung allerdings gegen die Parteispitze durchsetzen können, ist ungewiss.
Im Zentrum der Wahrnehmung der politischen Linken der Hauptstadt steht die Frage nach der Vergesellschaftung der großen profitorientierten Wohnungsbauunternehmen. Franziska Giffey war von Anfang an eine Gegnerin des erfolgreichen Volksentscheides, der eine Vergesellschaftung dieser Immobilienkonzerne forderte, und hat zusammen mit dem nach der Regierungsbildung 2021 berufenen Senator für Stadtentwicklung und Wohnen, Andreas Geisel, Schritt für Schritt versucht, der Umsetzung Steine in den Weg zu legen. Kurz vor der Wiederholungswahl hat Giffey, die bei ihrer Master- und Doktorarbeit großflächig plagiiert hat, ihr Gewissen entdeckt – letzteres würde es ihr verbieten, sich für bezahlbaren Wohnraum durch die Vergesellschaftung von Wohnungskonzernen einzusetzen.
Zwar hatte der Landesparteitag der SPD im Juni 2022 die Partei darauf verpflichtet, den Volksentscheid umzusetzen, sollte die von der Regierungskoalition eigens eingesetzte Vergesellschaftungskommission zu einem – wie nun bereits absehbaren – positiven Ergebnis kommen. Die sozialdemokratisch Funktionärsspitze ließ sich jedoch nicht durch den Willen ihrer Genossinnen und Genossen an der Basis beirren.
Was Parteifunktionäre an der Landesspitze und in der Abgeordnetenhausfraktion von SPD und CDU also eint, ist ihre gemeinsame Ablehnung der Enteignungsforderung. Auch die CDU hat von Beginn an gegen den Volksentscheid agitiert. »Enteignungen schaden dem Wirtschaftsstandort Berlin. Das Thema muss vom Tisch!«, ließ der CDU-Spitzenkandidat und voraussichtliche Regierende Bürgermeister Kai Wegener bei einer Gesprächsrunde beim Lobbyverband Berlin-Brandenburgischer Wohnungsunternehmen BBU noch kurz vor der Wahl verlautbaren.
In der Empfehlung für den SPD-Vorstand zur Aufnahme von Koalitionsgesprächen mit der CDU heißt es wörtlich: »Dem Volksentscheid ›Deutsche Wohnen und Co. enteignen‹ wird im Fall eines entsprechenden Votums der Expertenkommission durch die Entwicklung eines Vergesellschaftungsrahmengesetzes und dem weiteren Ankauf von Wohnungsbeständen für die kommunale Hand Rechnung getragen.« Die Formulierung ist unkonkret und legt weder einen Beschluss eines solchen Gesetzes noch dessen Anwendung fest. Wegner hat im Vorfeld bereits klar gemacht, »dass er keinen Koalitionsvertrag unterschreibe, in dem etwas von Enteignung stehe«.
Die Einigung, die laut Medienberichten in dieser Frage bereits erzielt wurde, ist daher als Konzession an die SPD-Basis zu verstehen, die signalisieren soll, dass das Thema nicht unter den Tisch fällt. Für die Erarbeitung eines solchen Rahmengesetzes gibt es jedoch weder einen verbindlichen Zeitplan noch steht hinter der Erarbeitung tatsächlich das Ziel einer Vergesellschaftung von Wohnraum, da beide Koalitionspartner die Enteignungen von Wohnungsbeständen aus ideologischen Gründen ohnehin ablehnen.
Denkbar ist, dass das Rahmengesetz in dieser Konstellation dazu gedacht ist, die Hürden für die Vergesellschaftung so hoch zu legen, dass die Anwendung praktisch unmöglich ist. Vorstellbar ist ebenso, dass das Gesetz so verfasst wird, dass es vor den Gerichten aller Wahrscheinlichkeit nach scheitern würde. Währenddessen wird ein Ankauf zu Marktpreisen derjenigen Bestände vorangetrieben, die das Immobilienkapital ohnehin abstoßen will, weil sie sich nicht mehr rechnen. Für weitere Einschätzungen gilt es, die konkreten Vereinbarungen im Koalitionsvertrag abzuwarten. Dass die CDU jedoch die Vergesellschaftung ernsthaft in Erwägung zieht, ist praktisch ausgeschlossen.
Der erfolgreiche Volksentscheid ist von Anfang an mit dem Geburtsfehler behaftet, dass er zwar innerhalb der Bevölkerung, aber nicht innerhalb des Parlaments eine Mehrheit hinter sich hatte. Da der Volksentscheid jedoch keinen konkreten Gesetzentwurf zur Vergesellschaftung umfasste, ist der Senat nicht rechtlich dazu verpflichtet, der Aufforderung zu folgen, selbst ein Gesetz zu erarbeiten. Der Senat kann den Mehrheitswillen der Berlinerinnen und Berliner daher sanktionslos ignorieren.
Dass die gewählte Volksvertretung in der repräsentativen Demokratie andere Positionen vertritt als die Mehrheit der Bevölkerung, ist keine Seltenheit. Abgeordnete haben oft auch bei hochpolitisierten Fragen – von Wiederbewaffnung bis Hartz IV – häufig gegen den Willen der Mehrheit entschieden. Angesichts dieser Gemengelage versuchte die Kampagne Deutsche Wohnen & Co. Enteignen, durch Verweise auf die demokratische Legitimation des Volksentscheides den Druck auf die Regierungskoalition und die darin vertretenen Parteien aufrechtzuerhalten. Die Kampagne setzte dabei auf die jeweiligen Unterstützerinnen und Unterstützer der Vergesellschaftung innerhalb der Regierungsparteien und die Öffentlichkeit und betätigte sich faktisch wie eine NGO, die als Lobbyistin für den Mehrheitswillen auftritt. Man hoffte, den Prozess der Vergesellschaftung dadurch vorantreiben zu können.
Der Parteitagsbeschuss der SPD zur Umsetzung des Volksentscheids ist als Zeichen des teilweisen Erfolges dieser Strategie zu deuten. Doch mangels eines wirklichen Machtmittels jenseits von bloßem Protest gelang es nicht, die Kräfteverhältnisse in den Parteien nachhaltig zu verschieben. Die Grünen haben sich bis heute nicht klar mit Beschlüssen hinter die Vergesellschaftung gestellt. Ihre Spitzenkandidatin Bettina Jarasch fühlte sich durch den öffentlichen Druck der Kampagne zumindest dazu genötigt, während des Wahlkampfes den Willen zur Umsetzung zu signalisieren.
Doch der von der Kampagne ausgerufene »Abwahlkampf« war mangels einer tatsächlichen Wahlalternative nicht erfolgreich. Zwar verlor die von der Kampagne als Hauptgegner ausgerufene SPD 3,1 Prozent im Vergleich zu 2021, aber auch Linke und Grüne verloren 0,51 Prozent beziehungsweise 1,9 Prozent, während die CDU satte 10,23 Prozent zulegte und sich als stärkste politische Kraft in Berlin etablieren konnte.
Von außen kann eine Partei nicht dazu gezwungen werden, gegen ihren Willen zu agieren. Da helfen weder Tricks noch Verhandlungsgeschick. Der von der Kampagne immer wieder bemühte moralische Anspruch auf eine Umsetzung des Volksentscheides basiert auf einem naiven und idealistischen Demokratieverständnis, denn er ignoriert die Realität der widerstreitenden Interessen, die die Machtpolitik repräsentativer Demokratien bestimmt. Die Interessen eines milliardenschweren Wirtschaftszweiges, des Immobilienkapitals, wiegen schwerer als der hilflose Ruf nach »echter« Demokratie.
Auch der angekündigte Widerstand der Jusos und anderer SPD-Linker, die dem Volksentscheid teilweise zugeneigt sind und über den Mitgliederentscheid eine rechte Koalition verhindern wollen, wird voraussichtlich nicht ausreichen, um die Bildung einer Großen Koalition in Berlin aufhalten zu können. Die vom rechten Flügel dominierte SPD hat sich bereits auf die Seite der CDU geschlagen.
Die SPD entschied sich auch deshalb gegen eine rechnerisch zumindest mögliche Fortführung der bisherigen rot-grün-roten Koalition, weil die LINKE die Regelung der Enteignungsfrage zur Bedingung für eine Koalition gemacht hatte. Zwar wäre die Berliner Landesspitze der LINKEN vielleicht geneigt gewesen, sich wieder mit einem Formelkompromiss zufrieden zu geben, jedoch hat der zunehmende Druck der Basis der LINKEN dazu geführt, dass im Koalitionsvertrag auf eine Lösung der Enteignungsfrage bestanden wird. Ein entsprechender Antrag auf dem Sonderparteitag der LINKEN hat den Druck auf das eigene Sondierungsteam nochmals erhöht. Er wurde auf dem Parteitag am vergangenen Freitag ohne Gegenstimme angenommen.
Das Sondierungspapier der SPD spricht deswegen von »Zweifeln« an der »Verabredungsfähigkeit der politischen Führung der Linkspartei« und der »Durchsetzungsfähigkeit verabredeter Positionen in der Breite der Partei«. Im Klartext bedeutet das nichts anderes, als dass die SPD befürchtet, man könnte dieses Mal den Konflikt um die Vergesellschaftung nicht mehr zugunsten eines gemeinsamen Regierungsprojektes aufschieben – weshalb die SPD aus dem Projekt einer gemeinsamen Regierung ausstieg.
Festzuhalten bleibt also, dass eine SPD, die keine Vergesellschaftung will, nicht von außen dazu gezwungen werden kann, diese umzusetzen. Es braucht daher also einen Strategiewechsel. So könnte etwa das bereits seit Jahren diskutierte Vorhaben eines Gesetzesvolksentscheides wieder aufgenommen werden. Der Gesetzesvolksentscheid bietet den einzigen Hebel, mit dem man gegen die Regierung und gegen die parlamentarischen Mehrheiten die politischen Anliegen der Bevölkerung durchsetzen kann.
Politikerinnen und Politiker der LINKEN bringen diese Möglichkeit immer wieder ins Spiel. Als Oppositionspartei könnte die LINKE in Zusammenarbeit mit der Kampagne und auf Basis der Arbeit der Vergesellschaftungskommission einen Gesetzesentwurf erarbeiten, der dann in einem zweiten Anlauf verbindlich geltendes Recht schaffen würde. Auch die Grünen müssten endlich Farbe dazu bekennen, ob sie die Vergesellschaftungsforderung unterstützen, indem sie Ressourcen für die Erarbeitung des Gesetzes bereitstellen. Tun sie dies nicht, ist endlich geklärt, auf welcher Seite sie wirklich stehen. Angesichts weiter steigender Mieten und der vereinten Ressourcen aller Beteiligten hätte ein zweiter Anlauf von Deutsche Wohnen & Co. Enteignen mit Sicherheit Erfolg.
Fabian Nehring ist Politikwissenschaftler und aktives Mitglied bei der LINKEN in Berlin.