31. Januar 2022
Durch den gewonnenen Volksentscheid und die Regierungsbeteiligung unter Franziska Giffey hat sich die Linkspartei in Berlin in ein Dilemma manövriert. Lösen kann sie es nur, wenn sie sich als sozialistische Partei klar dazu verhält.
Klaus Lederer (DIE LINKE) bei der öffentlichen Übergabe von Unterschriften an die Kampagne Deutsche Wohnen und Co enteignen, Berlin, 21. Juni 2021.
Bereits vor der Wahl machte die nun in Berlin Regierende Bürgermeisterin Franziska Giffey (SPD) deutlich, dass sie den Volksentscheid zur Vergesellschaftung großer Immobilienkonzerne ablehnt . Sie bezeichnete Enteignungen gar als »rote Linie« für eine Regierungsbeteiligung. Die Grünen hingegen wollten den Druck des Entscheids für freiwillige Vereinbarungen mit der Immobilienwirtschaft nutzen; Enteignungen seien das letzte Mittel. Die einzige Partei, die im Wahlkampf hinter der Kampagne stand, war DIE LINKE – dutzende medienwirksame Auftritte vom Spitzenpersonal in lila Weste zeugen davon. Hunderte Parteimitglieder, engagiert als Teil der Kampagnen-Kiezteams oder bei den eigenen Sammelaktionen der LINKEN, warben auf den Straßen Berlins für die Vergesellschaftung von Wohnraum. Die Kampagne war ein praktisches Beispiel für sozialistische Politik, die Vergesellschaftung ein erreichbares Ziel und gleichzeitig ein konkreter Angriff auf die Macht der Immobilienkonzerne.
Gleichzeitig erklärte die Landesspitze der LINKEN, die durch das Reformerlager dominiert wird, noch während des Wahlkampfs, dass eine erneute Regierungsbeteiligung mit SPD und Grünen ihr erklärtes Ziel sei – und das, obwohl beide potenziellen Koalitionspartner den Volksentscheid offen ablehnten. Die Landesspitze begab sich so in einen Widerspruch, dem sie nur durch das Scheitern des Volksentscheids hätte entgehen können.
Über 1 Million der wahlberechtigten Berlinerinnen und Berliner stimmten am Tag der Abgeordnetenhauswahl für die Vergesellschaftung von Wohnraum – ein deutlicher Erfolg für die Kampagne Deutsche Wohnen & Co enteignen. DIE LINKE hingegen flog fast aus dem Bundestag, auch in Berlin verlor die Partei trotz ihrer Unterstützung der populären Kampagne 1,6 Prozent der Stimmen. Mit dem Sieg des Volksentscheids kam der Widerspruch zwischen der Forderung nach der Enteignung großer Immobilienkonzerne und dem unbedingten Willen zu regieren zum Tragen.
Mit einem Ergebnis von 14,1 Prozent ist die Berliner LINKE weit davon entfernt, Bedingungen für eine Regierungsbeteiligung zu diktieren. Trotzdem trat sie am 21. Dezember 2021 der Regierungskoalition bei. Wäre es nach Franziska Giffey gegangen, hätte es auch in Berlin eine Ampelkoalition gegeben. Es ist dem Einfluss des scheidenden Bürgermeisters Michael Müller und den Antipathien der Berliner Grünen gegenüber der FDP zu verdanken, dass die LINKE überhaupt Teil der Regierung ist. Entsprechend dankbar zeigte sich die Parteispitze über diese Chance – doch die hat ihren Preis.
Entgegen aller Beteuerungen des Reformerflügels trägt der Koalitionsvertrag keine linke Handschrift. Die Privatisierung der S-Bahn, die Durchsetzung des neoliberalen Mantras »Bauen Bauen Bauen«, die Videoüberwachung öffentlicher Plätze, Abschiebungen von Geflüchteten und die Verbeamtung von Lehrkräften sind nur einige Beispiele der harten Niederlagen, die die Linkspartei in den Verhandlungen einstecken musste. Am schwersten wiegt der Verlust des Ressorts für Stadtentwicklung. Dieses hatte DIE LINKE in der vorigen Regierung noch besetzt und damit immerhin den Mietendeckel durchgesetzt, der dann jedoch vom Verfassungsgericht kassiert wurde.
Auch im kürzlich veröffentlichten 100-Tage-Programm der Koalition wird deutlich, dass linke Positionen hintenanstehen. Nach Berichten des Tagesspiegels wurde die Frage der Vergesellschaftung von Wohnraum auf der Klausurtagung zugunsten der Harmonie zwischen den Koalitionären ausgeklammert. Als dezidiert linker Erfolg muss die Bezuschussung privatwirtschaftlicher Kulturbetriebe zur Kompensation von Einbußen durch die Corona-Pandemie herhalten. Selbst die Anhebung des Berliner Mindestlohns auf 13 Euro ist eine Forderung aus dem SPD-Wahlprogramm, von der zudem nur wenige profitieren.
In der Außenkommunikation des Senats wird vor allem die Verständigung auf ein »Bündnis für Wohnungsneubau und bezahlbares Wohnen« betont. Was vielversprechend klingt, ist letztlich ein Investitionsbündnis mit dem Immobilienkapital, das direkt in der Senatskanzlei angesiedelt sein wird. Auf das fehlende Thema Volksentscheid angesprochen verwies Vorsitzender Klaus Lederer in einem rbb-Interview lediglich auf die vereinbarte Expertenkommission, auf die man sich im Koalitionsvertrag geeinigt hatte. Diese solle nun »Verfahrenshindernisse bearbeiten« und Möglichkeiten der Vergesellschaftung »prüfen«.
Da die Parteibasis der LINKEN den Volksentscheid nicht nur unterstützte, sondern sogar dafür mobilisierte, muss die derzeitige Parteispitze der Basis nun vermitteln, dass man in der Regierung auch tatsächlich an der Umsetzung arbeite. Das »Verfahrenshindernis«, das Lederer aufführt, ist faktisch der fehlende politische Wille von SPD und Grünen. Vereinbart wurde in den Koalitionsverhandlungen letztlich nur eine Vertagung der Streitfrage. Die vereinbarte Expertenkommission soll nun »gegebenenfalls« »Eckpunkte für ein Vergesellschaftungsgesetz« erarbeiten, über die dann der Berliner Senat eine »abschließende Entscheidung« treffen soll. Der Konflikt wurde für die Regierungsbeteiligung vertagt. Der erzielte Formelkompromiss, der von jedem Koalitionspartner anders interpretiert wird, ermöglicht der Parteispitze jedoch, sich weiterhin zum Volksentscheid zu bekennen und den Eindruck zu vermitteln, man arbeite weiter an dessen Umsetzung.
Die Verschiebung der Entscheidung durch die Einberufung einer Kommission ändert jedoch nichts am fehlenden politischen Willen der beiden größeren Regierungsfraktionen und den Kräfteverhältnissen innerhalb des Abgeordnetenhauses. Im Gegenteil: das Bearbeiten der Umsetzungsfrage in den Hinterzimmern einer Kommission demobilisiert sowohl die Kampagne als auch die eigene Parteibasis. Es schürt zudem die Illusion, wirkliche Veränderung lasse sich am Verhandlungstisch durchsetzen. Da die »abschließende Entscheidung« am Ende beim Senat liegt, wird die unterlegene LINKE nicht darum herumkommen, die Beerdigung des Volksentscheids mitzutragen, wenn sie in der Regierung bleiben will.
Der Landesgeschäftsführer der LINKEN, Sebastian Koch, verkündet dennoch, es sei ein Erfolg, dass »Vergesellschaftung durch die Kommission Teil des politischen institutionellen Diskurses« geworden sei – dies ist allerdings kein Verdienst der Linkspartei, sondern der Berliner Mietenbewegung und der Kampagne. Die Landesspitze versucht das Narrativ zu etablieren, die Kommission würde die notwendigen Vorarbeiten für eine verfassungskonforme Umsetzung des Volksentscheids leisten. Dabei wird geflissentlich unterschlagen, dass die »Experten« die Interessen derjenigen vertreten, die sie in die Kommission entsenden. Ausgerechnet SPD-Bausenator Andreas Geisel, der bereits in der Vergangenheit durch seine Nähe zur Immobilienwirtschaft aufgefallen ist, wird nun einen Vorschlag zur Besetzung der Kommission machen – eine weitere Niederlage für DIE LINKE.
Die Erzählung einer noch zu prüfenden Verfassungskonformität reproduziert im Wesentlichen das Narrativ der Immobilienlobby, die Vergesellschaftung für verfassungswidrig hält. Tatsächlich existieren bereits sieben Gutachten, die bestätigen, dass der Volksentscheid verfassungskonform ist. Justiziabel ist nach Artikel 15 des Grundgesetzes nur die Frage der Entschädigung und die Eingrenzung derjenigen Gruppen, die enteignet werden sollen.
Es ist im Rahmen eines Gesetzgebungsprozesses üblich, durch Anhörungen und Stellungnahmen externe Expertise hinzuzuziehen – dies bedarf keiner gesonderten Kommission. Doch der Verweis auf die vermeintliche Notwendigkeit dieser Kommission erlaubt es der Führungsspitze der Linkspartei, die Auflösung des Widerspruchs zwischen ihrem bedingungslosen Regierungswillen und ihrer Unterstützung des Volksentscheides zumindest zeitweise aufzuschieben.
In dem Dilemma um Deutsche Wohnen & Co enteignen wird ein grundlegendes Problem der Linkspartei sichtbar: DIE LINKE ist eine Partei, in der der Apparat unter sich ausmacht, was zu tun ist. Ein großer Teil der Basis steht dabei hinter der Parteiführung und nimmt ihr ab, dass sich Veränderungen durch geschicktes Verhandeln erringen lassen – selbst wenn man mit Blick auf die Kräfteverhältnisse deutlich unterlegen ist. Dies bezeugt auch das Ergebnis der Urwahl zum Koalitionsvertrag: 74,9 Prozent der Abstimmenden votierten mit »Ja«.
Man gibt sich etwas linker als die SPD oder etwas grüner als die Grünen, orientiert sich aber nicht mehr an dem Ziel der Überwindung der herrschenden Verhältnisse. Für eine Partei, die sich damit zufrieden gibt, als Mehrheitsbeschafferin ihrer Koalitionspartner zu agieren und im Gegenzug kleine Veränderungen zugesprochen zu bekommen, ist ein Projekt wie die Vergesellschaftung von Wohnraum jedoch zu groß. Dafür braucht es mehr: eine allgemeine gesellschaftliche Umbruchstimmung, die sich nicht an Verhandlungstischen erzeugen lässt. Auf diese Weise verkommt die Partei zu einem uninspirierten Wahlverein – ein Politikansatz, der bei der Bundestagswahl offensichtlich gescheitert ist. Der radikalere Teil der Basis wird bei der Umsetzung dieses Politikstils lediglich als hinderlich wahrgenommen.
DIE LINKE braucht eine Vision der Transformation des Kapitalismus, die sie von anderen Parteien abhebt, die Mitglieder aktiviert und sie ermutigt, die Sache der Partei zu ihrer eigenen Sache zu machen. Deutsche Wohnen und Co enteignen hat das teilweise geschafft: die Kampagne hat niedrigschwellige Mitmachangebote bereitgestellt und Tausende Menschen innerhalb und außerhalb der LINKEN dazu inspiriert, sich für die Vergesellschaftung von Wohnraum einzusetzen. Wenn DIE LINKE als sozialistische Partei eine Zukunft haben will, dann muss sie sich zu einer Bewegungspartei entwickeln, in der ihre Mitglieder innerhalb und außerhalb der Parlamente mit sozialen Bewegungen und betrieblichen Initiativen für die Überwindung des Kapitalismus kämpfen.
Den Widerspruch mit dem Volksentscheid kann die Partei erst dann auflösen, wenn sie aus einer Position der Stärke an der Umsetzung arbeitet. Bis es soweit ist, bräuchte sie einen Exit-Plan – denn der Versuch, die Vergesellschaftung über eine Kommission umzusetzen, kann nur scheitern. Ihre Glaubwürdigkeit behält die Partei nur an der Seite der Mietenbewegung, nicht an der Seite der Senatskanzlei.
Fabian Nehring ist Politikwissenschaftler und aktives Mitglied bei der LINKEN in Berlin.