20. Juni 2022
Beim Landesparteitag stimmt die Berliner SPD für Enteignung und gegen den Ausbau der A 100 – alles, wofür Franziska Giffey in den Wahlkampf zog. Und auch das Bündnis mit der Immobilienlobby scheitert. Der Druck auf die Bürgermeisterin wächst.
Die Parteibasis rebelliert, das Immobilienbündnis bröckelt: Berlins Bürgermeisterin Franziska Giffey musste gleich zwei Niederlagen einstecken.
Als die Berliner SPD Ende 2020 eine Hoffnungsträgerin sucht, fällt ihre Wahl auf Franziska Giffey. Mit stattlichen 89 Prozent krönt die Partei die ehemalige Bürgermeisterin Neuköllns zu ihrer Ko-Parteivorsitzenden und Spitzenkandidatin für die Berliner Abgeordnetenhauswahlen. Mit ihr soll die SPD Berlin zu alter Größe zurückfinden und das Rote Rathaus erobern.
Anderthalb Jahre später stellen die Sozialdemokraten nun die Berliner Regierungschefin, aber von der anfänglichen Euphorie ist nicht viel übrig geblieben. Ermattet blickt die regierende Bürgermeisterin auf das Ergebnis zur Wahl der Landesvorsitzenden auf dem Berliner Parteitag: 59 Prozent. Ein Paukenschlag! Ebenso viele Stimmen erhielt im September letzten Jahres auch der Volksentscheid zur Enteignung großer Immobilienkonzerne, dem sie energisch entgegentrat.
Nicht einmal ihr blasser Vorgänger im Amt des Partei- und Regierungschefs Michael Müller musste eine solche Schmach erleiden. Darüber hinwegtrösten kann dann auch nicht, dass der notorisch unbeliebte Netzwerker Raed Saleh ein noch miserableres Ergebnis einfuhr, und mit nur 57 Prozent in das Amt des Ko-Vorsitzenden wiedergewählt wurde. »Franziska Giffey hat heute ihre Partei verloren. Und alles wofür sie im Wahlkampf angetreten ist. [...] Dass die SPD Berlin das jetzt abgeräumt hat, ist eine öffentliche Demütigung«, meint FDP-Politiker Sebastian Czaja und hat damit ausnahmsweise einmal recht.
All das wäre nur für die politische Klatschpresse von Interesse, gäbe es da nicht auch noch inhaltliche Entscheidungen des Landesparteitages, die dem Kurs von Giffey entgegenstehen. Der in Berlin seit Jahren heiß diskutierte Ausbau der Stadtautobahn A 100 wurde vom Parteitag abgelehnt. Für dieses Projekt ist die Berliner SPD zwar nur bedingt zuständig, schließlich fällt die Verantwortlichkeit dafür dem Verkehrsministerium im Bund zu und somit den Liberalen. In der Abstimmung zeigt sich aber der Unmut gegenüber Giffey: Im letzten Herbst liebäugelte sie mit einer Deutschland-Koalition und machte CDU und FDP Avancen, jetzt zeigt sie sich bei der Verkehrswende in Berlin ausgesprochen unambitioniert.
Bekannt ist außerdem Giffeys Ablehnung des Volksentscheides Deutsche Wohnen und Co. Enteignen. Auf der Kundgebung zum 1. Mai des DGB kassierte sie für diese Blockadehaltung gellende Pfiffe, Buhrufe und einen Eierwurf. Obwohl der Volksentscheid die Mehrheit der Berliner Bevölkerung hinter sich hat, verkündete Giffey, dass sie keiner Enteignung zustimmen wolle. Erst innerparteilicher Druck bewegte sie überhaupt dazu, zähneknirschend Koalitionsverhandlungen mit Grünen und der Linkspartei zuzustimmen und sich auf eine Expertenkommission zur Enteignung der Immobilienkonzerne zu verständigen.
Letztere wurde vor kurzem einberufen. Von konstruktiver Arbeit kann aber kaum die Rede sein. Franziska Giffey und Stadtentwicklungssenator Andreas Geisel – ihre rechte Hand in wohnungspolitischen Angelegenheiten – machen seither eher den Eindruck, das ganze Unterfangen mutwillig zu sabotieren. Sie ernannten drei Expertinnen und Experten, die fest im konservativen Lager stehen, und machten Herta Däubler-Gmelin (SPD) zur Vorsitzenden der Kommission. Deren erste Amtshandlung bestand dann auch folgerichtig darin, zu verkünden, dass ihr sämtliche Absprachen zur Transparenz und zum Auftrag der Expertinnenkommission egal seien.
Dies hatte nun zur Folge, dass die SPD-Linke auf dem Landesparteitag einen Kurswechsel erzwang. Demnach spricht sich die Berliner SPD nun klar für ein Enteignungsgesetz aus, sollte die Kommission zu einem positiven Ergebnis kommen. Überraschenderweise zeigten sich auch die Jusos konfliktbereit – jene »bärenstarke« Truppe, die im Bundestag kürzlich nahezu geschlossen für die militärische Aufrüstung Deutschlands votierte.
Franziska Giffey hat man also kräftig auflaufen lassen und sich explizit gegen die eigene Bürgermeisterin gestellt. In einer ihm ganz eigenen technokratischen Prosa war Andreas Geisel sichtlich bemüht, diesem Parteitagsbeschluss spätestens nächstes Jahr die Relevanz für das Regierungshandeln abzusprechen: »Was immer der Parteitag auch beschließt, ihr werdet die Wirklichkeit nicht ausblenden können.«
Diese Parteitagsentscheidung ist für die mietenpolitische Bewegung Berlins Chance und Gefahr zugleich: Chance deshalb, weil ein bedeutender Teil der sozialdemokratischen Mitgliedschaft an einer wirklich sozialen Mietenpolitik Interesse hat und dafür auch einen (ersten) Konflikt mit der eigenen Führung eingegangen ist. Insbesondere für die Kampagne Deutsche Wohnen und Co. Enteignen bietet das neue Möglichkeiten der Bündnisarbeit.
Allerdings ist auch die große Gefahr nicht von der Hand zu weisen, dass Giffey, Saleh und Geisel die Expertenkommission nun noch entschiedener als bisher zum Scheitern bringen werden. Denn wenn die Expertenkommission die Vergesellschaftung der Immobilienkonzerne für nicht verfassungskonform erklärt, wäre auch der Parteitagsbeschluss hinfällig.
Vorerst droht Giffey aber am heutigen Montag weiteres Ungemach. Bei der Verkündung ihres Gegenmodells zur Enteignung, dem Berliner Wohnungsbündnis zwischen Immobilienlobby, Senat und Mieterverbänden, rumpelt es gewaltig. Weder ihr zentrales Versprechen Wohnungsbau zur »Chefinnensache« zu erklären, noch die Entlastung der Mieterinnen durch einen Mietenstopp werden dort voraussichtlich Eingang finden. Der Berliner Mieterverein – der größte Verband für Mieter in Berlin – wird diesem Wohnungsbündnis seine Unterstützung verweigern. Die Berliner LINKE übt pflichtschuldig Kritik. Und sogar der Immobilienverband ZIA nimmt seine Zusage zurück. Somit steht Giffeys Prestigeprojekt mit heruntergelassenen Hosen da. Ein gescheitertes Bündnis – ohne Unterstützung der Mieterinnen und Mieter der Stadt.
Vor diesem Hintergrund wirkt die regierende Bürgermeisterin Berlins innerparteilich angeschlagen. Ob daraus mehr erwächst als ein sozialdemokratischer Sturm im Wasserglas, und ob die Führung der Berliner SPD wirklich zu einer sozialen Politik in der Hauptstadt getrieben werden kann, hängt nun davon ab, ob die SPD-Linke den Schneid besitzt, um diese Auseinandersetzung wenn nötig auch personell fortzuführen. Nicht zuletzt ist auch die Berliner Mietenbewegung und die Kampagne Deutsche Wohnen und Co. Enteignen gefordert, bezahlbare Mieten und die Vergesellschaftung des Wohnungsbestandes auf der politischen Agenda zu halten.
Politikwissenschaftler, arbeitet in Berlin in der politischen Bildung