01. Mai 2025
Die Mietenbewegung hat in den letzten Jahren viele Fortschritte gemacht. Auf ihrem Höhepunkt, dem erfolgreichen Vergesellschaftungs-Volksentscheid in Berlin, wurde sie politisch ausgebremst. Was kommt als Nächstes?
Protestierende mit Masken von Michael Müller (SPD, Bürgermeister von Berlin 2014–2021) und Michael Zahn (Vorstandsvorsitzender der Deutsche Wohnen 2008–2021), Berlin, 2019.
Nur einen halben Tag brauchte es am 15. April 2021, um 15.000 wütende Menschen auf dem Hermannplatz in Berlin-Neukölln zu versammeln. Mobilisiert hatte das Bundesverfassungsgericht, indem es den Berliner Mietendeckel für nichtig erklärte. Der Deckel war die Hoffnung der Hauptstadt – ein ganzes Jahr lang hatte er Mieterhöhungen verboten und die Vermieter zur Weißglut getrieben. Sie wehrten sich mit einem Vermietungsstreik und mobilisierten den halben Bundestag für eine Verfassungsklage.
Nach dem Fall des Deckels war die Empörung mit Händen zu greifen, Schilder mit Losungen wie »Dann eben enteignen« beherrschten die Spontandemo auf dem Hermannplatz. Es war auch diese Wut, die im September 2021 den Volksentscheid der Initiative Deutsche Wohnen & Co Enteignen (DWE) ins Ziel brachte. Eine Million Menschen verlangten die Vergesellschaftung aller Berliner Bestände der Wohnkonzerne. Die seit 2018 aktive Initiative nahm Deutschland mit auf einen Zeitsprung in die Jahre 1945–50, als selbst die CDU sich für Gemeinwirtschaft starkmachte. Konfrontiert mit dem nach wie vor gültigen Artikel 15 stellten Zeitungen verblüfft fest, dass »Soziale Marktwirtschaft« im Grundgesetz nicht erwähnt wird – wohl aber Vergesellschaftung.
Doch die Offenheit währte nicht lange, eine historische Chance wurde vertan. Schmerzhaft im Gedächtnis geblieben ist mir der 28. Juni 2023, als eine Senatskommission zum Volksentscheid im Berliner Roten Rathaus ihren Abschlussbericht präsentierte. Die Initiative war nicht eingeladen. Einige von uns versuchten, sich als Pressevertreter einzuschmuggeln – ein peinlicher Versuch, der erfolglos blieb. Wir konnten unseren Volksentscheid von außen betrachten. Die Kommission bestätigte, dass Vergesellschaftung von Wohnungsbeständen verfassungsgemäß sei, doch der Sieg blieb folgenlos. Die Kommission diente der Verschleppung, zwei Senate unter Rot-Rot-Grün und Schwarz-Rot haben zwei Jahre lang nichts getan, um Vergesellschaftung umzusetzen.
Seitdem arbeitet die Initiative an einem neuen Volksentscheid: Statt eines kurzen Beschlusses soll ein fertiges Gesetz vorgelegt werden. Eine Zustimmung von Senat oder Parlament bräuchte es dann nicht mehr. Ob dies Erfolg haben wird, hängt nicht nur von einem juristisch wasserdichten Entwurf ab – sondern auch davon, ob die hinter dem Volksentscheid stehende Mietenbewegung es schafft, sich noch einmal aufzubäumen.
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Ralf Hoffrogge ist Historiker und Publizist. Er lebt in Berlin, ist dort seit über zehn Jahren in der Mietenbewegung aktiv und war Mitbegründer von Deutsche Wohnen & Co Enteignen. In der Reihe theorie.org erschien 2017 seine Einführung Sozialismus und Arbeiterbewegung in Deutschland und Österreich. Im September 2025 wird im Brumaire Verlag sein Buch Das laute Berlin über hauptstädtische Mietenproteste seit der Finanzkrise erscheinen.