30. November 2021
Die Beschäftigten im Münchener Bosch-Werk kämpfen um den Erhalt ihrer Arbeitsplätze. Dabei werden sie von Klimaaktivisten unterstützt. Ihre gemeinsame Forderung: Keine Entlassungen für den Klimaschutz, stattdessen die Umstellung auf ökologische Produktion.
IG-Metaller beim Aktionstag gegen die Schließung des Bosch-Werks in München, 19. November 2021.
Das ist eine Katastrophe«, sagt Giuseppe Ciccone als er beim IG-Metall-Aktionstag zu Bosch vor »seinem« Münchner Werk steht. Kurz zuvor hatte er vor etwa 600 Beschäftigten eine kämpferische Rede gehalten. Mittlerweile sind die meisten wieder ins Werk gegangen oder abgereist. Der Münchner Bosch-Betriebsratsvorsitzende arbeitet seit fast vierzig Jahren im dortigen Bosch-Betrieb. Mit 18 Jahren ist er dorthin gekommen – und bis heute geblieben. Das Werk und seine Beschäftigten sind ein zentraler Teil seines Lebens: »Wie eine Familie«, sagt er selbst. Eine Familie jedoch, in der in letzter Zeit gehörige Krisenstimmung herrscht. Denn die Zukunft des Werks steht auf dem Spiel.
Im vergangenen Jahr verkündete Bosch seine Schließungspläne. Das Werk in München ist bislang ein Verbrennerstandort. Dort werden Kraftstoffpumpen und Ventile für Diesel- und Benzinmotoren gefertigt, die in E-Autos keine Verwendung mehr finden werden. Vor zwanzig Jahren arbeiteten dort noch etwa 1.600 Menschen, jetzt sind es nur noch etwa 260. Eigentlich ein kleiner Standort. Doch der Kampf der 260 gegen die geplante Schließung ist längst zum Symbol der Auseinandersetzungen um die Zukunft der Autoindustrie und ihrer Beschäftigten geworden.
Bosch ist der aktuell weltgrößte Automobilzulieferer. Der Konzern macht seinen Umsatz bislang allerdings hauptsächlich mit Verbrenner-Technik. Will er seine Machtposition erhalten, wird sich der Konzern transformieren müssen. Unter anderem plant das Unternehmen, die bisher in München angesiedelte Produktion zu verlagern, einen kleinen Teil nach Nürnberg, den größeren nach Tschechien oder Brasilien. Dabei hatten die Beschäftigten zwischen 2005 und 2017 im Rahmen eines Beschäftigungssicherungsvertrages 40 Millionen Euro gezahlt, um ihre Arbeitsplätze zu sichern. Eine beachtenswerte Vorgehensweise für einen Konzern, der auf seiner Homepage zum Münchner Werk schreibt: »Im Werk München stehen wir für ein familiäres Miteinander.«
Ähnliche Pläne zum Abbau von Arbeitsplätzen bestehen für die Werke im thüringischen Arnstadt und im badischen Bühl: In Arnstadt will Bosch ebenfalls die Produktion einstellen. In Bühl sollen 1.000 der bisher 3.700 Arbeitsplätze abgebaut werden.
Der Konzern begründet seine Pläne mit dem Wandel zur E-Mobilität und der damit einhergehenden Anpassung der Konzernstruktur. Er kündigte an, Elektromobilität zu seinem Kerngeschäft machen zu wollen und die »CO2-freie« Mobilität als Wachstumsfeld nutzen zu wollen. Dazu will das Unternehmen diverse Standorte schließen – und nutzt den Umbau, um zu sparen und Arbeitsplätze abzubauen. Denn für die Fertigung eines E-Autos werden deutlich weniger Arbeitskräfte benötigt als für einen Verbrenner.
Für Miyase Erdogan, die ebenfalls seit Jahrzehnten in dem Münchner Werk arbeitet, ist jedoch klar: »Mit E-Autos hat das nichts zu tun«. Denn Bosch habe die Produktion schon früher in sogenannte Billiglohnländer verlagern wollen. Und auch die IG-Metall meint, Bosch missbrauche den Verweis auf die Umstellung zur E-Mobilität als einen weiteren Vorwand für Schließungspläne. Bei den Verlagerungen und dem Arbeitsplatzabbau gehe es vor allem darum, höhere Profite zu erwirtschaften. Tatsächlich will Bosch auch gar nicht mit dem Verbrennergeschäft Schluss machen – es soll nur eben günstiger werden.
Die Belegschaft im Münchner Werk will das nicht hinnehmen. Die Beschäftigten verlangen den Erhalt ihrer Arbeitsplätze. Dazu haben sie unter anderem ein Alternativkonzept ausgearbeitet, mit dem sowohl der Standort als auch die Arbeitsplätze in München gesichert werden sollen. Sie machen deutlich: Standorte, die bisher Verbrennerstandorte gewesen sind, lassen sich zukünftig für die Produktion anderer, umweltfreundlicher Produkte nutzen. »Wenn man das wollte, würden wir das alle hinbekommen«, sagt Ciccone mit Nachdruck.
Die IG Metall leitete die anstehende Konfliktphase am vergangenen Freitag mit einem Solidaritäts-Aktionstag rund um Bosch ein. In München, Arnstadt und Bühl demonstrierten insgesamt fast 2.500 Beschäftigte für ihre Zukunft. Durch die ruhige Wohngegend im Münchner Osten, in der das Bosch-Werk angesiedelt ist, schallt Musik. Es wimmelt vor roten Fahnen, kämpferische Worte schallen durch eine Lautsprecheranlage. Die Münchner Belegschaft ist fast geschlossen zur Kundgebung vor ihrem Werk erschienen. Beschäftigte aus Stuttgart, Nürnberg, Bamberg und Blaibach sind ebenfalls angereist, um die Münchner Kolleginnen und Kollegen zu unterstützen. Alle, die an diesem Vormittag in München auf der Straße sind, wissen: Es geht um sie alle.
Denn das Vorgehen des Bosch-Konzerns ist exemplarisch für den Umbau der Autoindustrie in Deutschland. Dieser ist längst im Gange und wird bislang vor allem auf dem Rücken der Beschäftigten ausgetragen. Zehntausende wurden bereits entlassen. Daimler plant, bis zu 20.000 Arbeitende zu feuern. Auch die Zulieferfirma Continental schließt zahlreiche Werke und will bis zu 13.000 Mitarbeitende vor die Tore setzen. Die übrigen sind gezwungen, um die wenigen Arbeitsplätze in der E-Mobilität zu konkurrieren. »Die Transformation läuft weiter«, so Ciccone. »Und es ist nur noch eine Frage der Zeit, bis auch andere Werke dran sind.«
Aber die breite Resonanz zum Aktionstag macht ihm auch Hoffnung: »Wir haben heute gesehen, dass viele Bosch-Werke und IG-Metaller uns Solidarität zeigen. Und ich glaube, diese Solidarität wird wachsen. Wir brauchen wieder eine verstärkte Solidarität. Nur dann können wir den Arbeitgebern sagen: Das könnt ihr mit uns nicht so machen. Wenn wir hier nur mit 250 Leuten gewesen wären, hätten wir keine Chance gehabt. Aber durch die Solidarität mit Bosch-Werken, IGM-lern, auch den Umweltaktivisten und allen anderen, die sich uns momentan anschließen, wird Bosch sich an uns die Zähne ausbeißen. Es geht nicht nur um 250 Leute. Wer sich mit 250 anlegt, legt sich mit allen an.«
Sein Verweis auf die Solidarität von Umweltaktivistinnen und -aktivisten mag erst einmal verwundern. Doch tatsächlich setzt sich eine Gruppe von Klimaaktivistinnen und -aktivisten ebenfalls gegen die Werksschließung ein. Auch beim Aktionstag ist sie präsent.
Nachdem sie aus der Zeitung von der geplanten Werksschließung erfahren hatten, zogen sie zum Werkstor, um mit Beschäftigten ins Gespräch zu kommen. Nach wenigen Wochen verflog die anfängliche Skepsis der Beschäftigten. Aus dieser seltenen, aber dringenden Allianz aus Klimaaktivismus und Arbeitenden aus der Autoindustrie formiert sich die Gruppe »Klimaschutz und Klassenkampf«. Ihre Argumentation: »Die Behauptung von den Entlassungen für den Klimaschutz treibt einen Spalt zwischen Klimabewegung und die mehr als 800.000 Menschen, die in Deutschland direkt in der Automobilindustrie beschäftigt sind – und verhindert damit den gemeinsamen Kampf gegen die Klimakatastrophe. Das dürfen wir nicht hinnehmen.«
Aus den persönlichen Gesprächen vor dem Werkstor ging eine gemeinsame Petition der beteiligten Klimagruppen und Beschäftigten hervor. Ihr gemeinsames Ziel: Keine Entlassungen für den Klimaschutz – und die Umstellung auf ökologische Produktion. Eine große Mehrheit der Beschäftigten hat diese Petition unterschrieben. Denn tatsächlich könnte eine umfassende Umstellung der Zuliefer- und Autoindustrie nicht nur dem Abbau von Arbeitsplätzen entgegenwirken, sondern sogar Hunderttausende neue Arbeitsplätze zugunsten der Mobilitätswende schaffen. Die Transformation der Autoindustrie dürfte dazu jedoch nicht auf die Produktion von E-Autos verengt werden.
Damit das gelingen kann, braucht es stärkere Allianzen zwischen Klima- und Arbeitskämpfen – darin sind sich an diesem Tag die Gewerkschaft, die Beschäftigten und die Klimaaktivistinnen einig.
Der Wandel in der Autoindustrie wird weitergehen, so viel ist sicher. Es geht um sichere und gute Arbeit für die Beschäftigten einer Industrie, die um ihre Zukunft ringt, und es geht um die Bekämpfung der Klimakatastrophe, die den Umbau dieser Industrie so dringend erfordert. Und schließlich geht es auch darum, sich gegen eine Transformation zugunsten der Konzerne und zulasten der Umwelt und der Arbeitenden zu wenden. Nimmt man die Klimafrage als Klassenfrage ernst, müssen Bündnisse wie diese häufiger entstehen. Das Beispiel der Münchner Allianz von Klimabewegung und Beschäftigten liefert eine überfällige Antwort auf die Frage, wie die Auseinandersetzungen in der Autoindustrie Seite an Seite geführt werden können – und zeigt, wie eine gemeinsame Organisierung gelingen kann.
Giuseppe Ciccone und alle, die an diesem Tag vor dem Münchner Werk erschienen sind, haben die Hoffnung auf eine Zukunft des Münchner Werkes noch nicht aufgegeben. In seiner Rede hat er versprochen: Wenn es sein muss, werden er und seine Mitkämpfer sich an die Maschinen ketten. Für ihn, für die betroffenen Beschäftigten an den Bosch-Standorten und für viele Beschäftigte entlang der Produktions- und Lieferketten der Autoindustrie wird der Konflikt weitergehen. Für die Klimabewegung genauso. Und so hat die Namensgebung der Gruppe »Klimaschutz und Klassenkampf« nicht zu viel versprochen.
Franziska Heinisch ist Kolumnistin bei JACOBIN.