30. Dezember 2021
Elon Musk will mit seinem Tesla die Welt retten. Tatsächlich rettet er vor allem die amerikanische Autoindustrie.
Elon Musk will mit seinem Tesla sogar ins All.
Start-ups, die Autos herstellen, sind eine neue Erscheinung. In den letzten Jahrzehnten waren Daimler, VW, BMW und eine Handvoll anderer Autohersteller mit Benzin- und Dieselmotoren die Platzhirsche in der Branche. Newcomer hatten schlechte Chancen. Das Startkapital, das nötig gewesen wäre, um konkurrenzfähige Autos zu produzieren, konnten sie kaum aufbringen. Immerhin haben die etablierten Konzerne jahrzehntelang in riesigen Forschungs- und Entwicklungsabteilungen erhebliches Know-how entwickelt und in Stuttgart, Wolfsburg und diversen anderen Städten in Form gigantischer Fabriken genug »konstantes Kapital« angehäuft, um potenziellen Konkurrenten den Markteintritt entsprechend teuer zu machen
Hinzu kommt, dass im Automarkt seit Jahr und Tag ein harter Verdrängungswettbewerb herrscht. Um es mit den Worten des ehemaligen BMW-Chefs Eberhard von Kuenheim zu sagen: »Es gibt zu viele Autos auf der Welt, aber zu wenig BMW«. Trotz der immensen Einstiegskosten und der starken Konkurrenz hat Tesla es geschafft, sich zwischen den Giganten einen Platz in diesem 4-Billionen-Dollar-Markt zu erobern. Die drei Bausteine für den Erfolg von Tesla sind die technischen Innovationen des Unternehmens, mit denen Musk genau in die Klimaschutzprogramme der maßgeblichen Nationen passt und von diesen politisch und ökonomisch profitieren kann. Das überzeugt drittens auch das Finanzkapital von der Güte des Unternehmens, das so zum kapitalkräftigsten Autohersteller wurde – ganz ohne profitable Autos zu verkaufen.
Technisch hat Tesla auf den Elektromotor gesetzt. Damit umgeht das junge Unternehmen die Konkurrenz um Verbrennungsmotoren, bei denen die etablierten Autohersteller Spitzenreiter sind. Stattdessen setzt Tesla seit seiner Gründung 2004 auf die Kombination von digitaler Technik und E-Motor. Ein ganz neues Fahrzeugdesign wurde so nicht nur möglich, sondern auch notwendig. Die schwere Batterie ist beim Tesla im Fahrzeugboden integriert und als Fahrzeug neuen Typs, ist der Tesla weniger ein digitalisiertes Auto als vielmehr ein »rollendes Smartphone«. Die Software zum autonomen Fahren wird per »Over-the-Air-Update« laufend aktualisiert, was den Tesla grundsätzlich von anderen rollenden Computern unterscheidet – zumindest hoffen das der Hersteller und seine treuen Fans.
Das Unternehmen hat sich entschlossen, das Produkt »Auto« neu zu definieren und genau auf die Techniken zu setzen, die von der Branche bis dahin vernachlässigt wurden. Der Marke gelang es so von Anfang an, mit diesen technischen Innovationen assoziiert zu werden. Elon Musks Selbstdarstellung als Visionär und grenzenloser Macher ist Teil der ökonomischen Strategie seines Start-Ups: Die Imagepflege hat sich ausgezahlt, das Unternehmen hat den Ruf, grün und technikaffinen zu sein. Dieser Inszenierung entsprechend wendet sich das Unternehmen mit seinem Produkt an eine Kundschaft, die sich technisches Spielzeug auf höchstem Niveau mit Weltretter-Attitüde leisten kann – und verdeutlicht einmal mehr, welches Geschäftspotenzial im moralischen Versprechen grünen Wachstums liegt.
Das Geschäftsmodell von Tesla wird von einigen bewundernd als »Insane Mode« bezeichnet und gemessen am »Business as usual« geht es bei Tesla tatsächlich »wahnsinnig« zu. Das Verhältnis von investiertem Kapital zu erzieltem Erlös des Unternehmens ist desaströs. Das erste Tesla-Modell »Roadster« kostet in der Produktion ungefähr 200.000 Dollar und wird im Durschnitt für 90.000 Dollar verkauft. Das Geschäftsmodell lautet entsprechend, über Jahre hinweg Autos mit Verlust zu verkaufen. Tesla hat damit nur deswegen Erfolg, weil das Unternehmen politisch unterstützt wird.
Der zweite Baustein im System Tesla findet sich im politischen Programm seiner Heimat, den USA. Hierzulande ist kaum bekannt, dass die Elektromobilität seit inzwischen zwanzig Jahren staatlich gefördert wird, allen voran durch die kalifornische Umweltbehörde CARB: Punktesystem für Autohersteller, E-Auto-Quote, Steuergutschrift für den Kauf von emissionsarmen Autos, Unterstützung für den Aufbau von Energietankstellen und sonstiger Infrastruktur.
Gemäß marktwirtschaftlicher Logik sollen »Anreize« geschaffen werden, um das US-amerikanische Kapital in dem wachsenden Markt der Elektroautoindustrie entsprechend aufzustellen. Die Problemdiagnose ist eindeutig: Den chronisch überfüllten Straßen und der Vernutzung der Umwelt durch fossile Brennstoffe durch – aus US-Perspektive – zu viele deutsche Autos muss ein Ende gesetzt werden. Die kongeniale Lösung des Problems? Die chronische Überfüllung von Straßen und die Vernutzung der Umwelt soll nun durch elektrische, aber vor allem amerikanische Autos weiter vorangetreiben werden. Und zwar weltweit.
Tesla ist dabei eines der Unternehmen, das von dieser staatlichen Förderung am meisten profitiert. Das US-Energieministerium hat von 2008 an insgesamt 465 Millionen in das Unternehmen gesteckt. Die Bedingung des Staates war, dass sich Tesla mit den Geldern selbst an den Punkt der Profitabilität bringt. Für den Bau von Batteriefabriken, einem entscheidenden Punkt in der Wertschöpfungskette des E-Autos, erhält Tesla weitere 1,9 Milliarden Dollar.
Die politische Maßnahme, die vorsieht, dass andere Autokonzerne ihre fossil betriebenen Flotten mit dem Kauf von Verschmutzungsrechten von Tesla ausgleichen können, beschert dem Konzern weitere Einnahmen, wenn auch aus den Kassen anderer Konzerne. So verdient auch Tesla an dem Geschäft mit den Verbrennungsmotoren, dem es gleichzeitig den Kampf ansagt.
Die Gelder von staatlicher und unternehmerischer Seite sind allerdings nur ein Teil der Schützenhilfe für Tesla. Viel entscheidender ist der politische Wille aller großen Autostaaten, in Zukunft Diesel- und Benzinmotore zu verbieten. Erst dieser Entschluss der kapitalistischen Staaten, auf die neue Technik zu setzen, eröffnet Tesla den ganzen Weltmarkt und macht die Firma zu einem der gefragtesten Unternehmen überhaupt – und zwar nicht irgendwo, sondern da, wo über Konzerne, die entscheidendsten Urteile gefällt werden: an der Börse.
Für die Investoren ist nicht entscheidend, dass Tesla die ersten fünfzehn Jahre nur Miese gemacht hat. Viel wichtiger ist, dass die Entwicklung eines Autos neuen Typs und dessen politische Unterstützung ein derart gutes Geschäft versprechen, das ordentlich investiert wird. Das weltweit nach Anlagemöglichkeiten suchende Kapital ist Baustein Nummer drei im System Tesla. Die Spekulation auf zukünftige Gewinne schafft den Widersinn, Betriebsvermögen und Finanzkraft von Tesla schon vor jedem Gewinn dank der immer weiteren Ausschüttung von Aktien voranzutreiben. Die Börsennotierung des Unternehmens bei NASDAQ und Dow-Jones macht diesen Irrsinn komplett, indem die steigenden Aktienkurse des Unternehmens das angelegte Geldvermögen wachsen lassen, was wiederum noch mehr Investoren anlockt, wodurch die Kurse wiederum weiter steigen.
Die Logik der Börse diktiert, dass das Vertrauen der Aktionäre in die »Zukunftsfähigkeit« des Unternehmens nicht verloren gehen darf, weshalb Elon Musk permanent für sich und damit für sein Unternehmen wirbt: Mit Events und einer ordentlichen Portion Großspurigkeit wird weiter am Bild des Zukunftsunternehmens gebastelt, was dank finanzkapitalistischem Wahnsinn tatsächlich zum Geschäftsmodell taugt. Das Unternehmen ist längst viel mehr wert als alle Konkurrenten in der Branche zusammen, nämlich rund 1 Billion US-Dollar. Dass Tesla umgekehrt ein paar Mal nur sehr knapp der Insolvenz entgangen ist, so zum Beispiel, als plötzlich Zweifel über die Realisierbarkeit des Projekts »autonomes Fahren« laut wurden, hat das Vertrauen offenbar nicht getrübt.
Mit Tesla ist eines der größten Unternehmen der Welt entstanden, ohne dass dessen größter Einzelaktionär, Elon Musk, durch die selbst betriebene Ausbeutung von Arbeiterinnen und Arbeitern reich geworden wäre. Musk hat sich vielmehr an dem akkumulierten Vermögen anderer Kapitale und des Staates bereichert. Die Quellen dieses Reichtums sind am Ende auch die Natur und die Arbeit, auch wenn entschlossen an der Lüge vom sich »selbst« vermehrenden Geld festgehalten wird.
Dass nur andere die Springquellen des Reichtums direkt anzapfen und indirekt an Tesla weiterleiten, soll sich allerdings bald ändern. Denn der technische Vorsprung und damit das Alleinstellungsmerkmal der Marke schrumpft immer weiter, je mehr sich die klassischen Giganten der Branche selbst in die Transformation ihrer Produkte und Produktionsprozesse stürzen. In demselben »Insane Mode« gilt es nun also auch zum weltgrößten Autohersteller aufzusteigen. Tarife, Gewerkschaften, Arbeitszeit oder andere Begrenzungen gelten erwartungsgemäß als überbrückbare Hürden dieser Expansionsoffensive. In Fremont, Kalifornien, setzt sich Musk etwa über die coronabedingte Produktionsunterbrechung hinweg, indem das Unternehmen sich selbst für systemrelevant erklärt und die Fabrik einfach wieder öffnet. Wer sich von einer weltweiten Pandemie und der möglichen Ansteckung seiner Mitarbeitenden nicht beirren lässt, der verbietet konsequenterweise auch jede Art von Mitbestimmung und kollektiver Interessenvertretung: Betriebsräte und Gewerkschaften gibt es bei Tesla nicht. Die Arbeitszeiten im Unternehmen sind entgrenzt, mit dem Monatsgehalt sind alle Ansprüche etwaiger Überstunden abgegolten. Tariflöhne ignoriert Tesla auch. Die Folge sind viele Krankheitstage, hohe Fluktuation bei den Mitarbeitenden und Arbeitsunfälle.
Auch bei der Be- und Vernutzung der Arbeitskraft wird die Börse einmal mehr kreativ genutzt. Der Lohn wird bei Tesla teilweise als Aktienoptionen ausgezahlt. Damit behält das Unternehmen einen Anteil der Lohnkosten als Kapitalvorschuss ein. Gleichzeitig macht der Konzern seine Beschäftigten so einmal mehr für den Unternehmenserfolg haftbar. Im Falle des Konzerns mit dem »visionären« CEO Musk hat sich folgender Satz von Marx bis heute bewahrheitet: »Die kapitalistische Produktion entwickelt daher nur die Technik und Kombination des gesellschaftlichen Produktionsprozesses, indem sie zugleich die Springquellen allen Reichtums untergräbt: Die Erde und den Arbeiter«.
Unterstützt wird Tesla dabei auch von der deutschen Politik – etwa beim Standort in Grünheide in Brandenburg. Weil das neue Werk so gut in die digital-grüne Wende der alten und neuen Bundesregierung passt, wird das Arbeitsrecht entsprechend modifiziert: Auf der Baustelle von Tesla darf werktags rund um die Uhr gearbeitet werden, sonntags von 7 bis 20 Uhr: »Denn die beschleunigte Umsetzung solcher Projekte für die Energie- und Mobilitätswende sei erforderlich, um die ambitionierten Klimaschutzziele erreichen zu können«, kann man im Tagesspiegel nachlesen. Mehr noch: Damit der Bedarf an Billigarbeitskräften aus Osteuropa auf der Baustelle für die klimaneutrale Zukunft der Bundesrepublik auch gestillt werden kann, richtet die brandenburgische Arbeitsagentur eigens ein Büro auf dem Werksgelände der Gigafactory ein und unterstützt so bei der Rekrutierung von Arbeitenden für den Rund-um-die-Uhr-Dienst.
Im gleichen Artikel im Tagesspiegel ist auch nachzulesen, wie bei diesem »grünen« Umbau der deutschen Industrie die Natur wegkommt: 16 Zulassungen verschiedenster Art hat Tesla inzwischen von der Politik erhalten. Tesla darf diverse Versickerungs- und Löschwasserbecken nach dem neuen »dezentralen Niederschlagsentwässerungskonzept« errichten, wogegen unter anderem Naturschutzbund und Grüne Liga in einem Verfahren erhebliche Bedenken vorgebracht haben. Die Becken, so ist nachzulesen, »ragen in den oberen Grundwasserleiter, die Fabrik befindet sich teils im Trinkwasserschutzgebiet«. Der fachlich versierte Wasserverband Strausberg Erkner meldet zwar ebenfalls Bedenken an, die zuständige Behörde hält sie aber für unbegründet.
Die Gigafactory 4 liegt also idyllisch neben einem Waldgebiet samt einem Wasserschutzgebiet. Das alles ist aber kein Grund, die neue Industrie an einen anderen Ort zu verlegen, denn nur hier gibt es die ideale Kombination aus Großstadt mit Flughafen, Ingenieuren und entsprechender Infrastruktur sowie den Zugriff auf für westeuropäische Verhältnisse billige Arbeitskräfte. Zusätzlich verlangt Tesla, von den üblichen Genehmigungsgesetzen ausgenommen zu werden: In »Tesla-Speed« soll gebaut und abgeholzt werden. Der deutsche Staat spielt mit und erteilt dafür 19 Vorabgenehmigungen – und befreit Tesla gleich noch von der Arbeitszeitbeschränkung. Begründet werden diese umfangreichen Zugeständnisse mit der Übereinstimmung mit den ambitionierten staatlichen Klimazielen: Dafür muss das bisschen Grundwasser und Waldstück eben dran glauben.
Diesen Tatsachen ist eine grundsätzliche Wahrheit über die anstehende digitale und klimaneutrale Modernisierung der kapitalistischen Gesellschaft zu entnehmen: Die Dekarbonisierung des Autoverkehrs bedeutet noch lange nicht das Ende der Zerstörung des Planeten, genauso wenig läutet die immer weiter steigende Potenz der technischen Produktionsmittel ein Ende der Ausbeutung in den Fabriken ein. Vielmehr lässt sich an Tesla erkennen, dass die Versprechungen der modernen »Visionäre« zwar wirklich auf eine andere, weil dekarbonisierte Zukunft verweisen – allerdings auf eine, die weiterhin zulasten der Lohnarbeit und der Natur geht.
Die Bundesregierung hat sich dem Projekt verschrieben: Die deutsche Autoindustrie soll »zukunftsfähig« gemacht werden, vor jeder Transportleistung wird also die entscheidende Wirkung auf die deutsche Wirtschaftsleistung geprüft. Und diese Wirtschaftsleistung ist mit einem Ausbau der öffentlichen Mobilität via Bus und Bahn eben nicht zu erreichen. Einen Exportweltmeister treibt eben nicht die Frage um, wie Menschen kostengünstig und klimaneutral von A nach B kommen, sondern mit welchem Produkt auch in Zukunft amerikanische und chinesische Märkte erobert werden können. Dafür scheint die Elektromobilität – im Moment – das geeignete Mittel zu sein.
Peter Schadt ist Gewerkschaftssekretär beim DGB in Stuttgart. Sein Schwerpunkt ist die politische Ökonomie der Digitalisierung, u.a. als Podcast bei 99zuEins.