19. März 2024
Die Europäische Investitionsbank hat eine Bilanzsumme von über einer halben Billion Euro. Doch anstatt ihren öffentlichen Auftrag zu erfüllen, verhätschelt sie die größten Unternehmen des Kontinents.
Das Gebäude der Europäischen Investitionsbank in Luxemburg.
Anfang 2024 ernannte die Europäische Investitionsbank (EIB) – die größte multilaterale Bank der Welt – Nadia Calviño zu ihrer neuen Präsidentin. Bis letztes Jahr war sie stellvertretende Ministerpräsidentin und Wirtschaftsministerin Spaniens. In dieser Funktion implementierte sie eine Drei-Milliarden-Euro schwere Steuern auf Übergewinne von Unternehmen im Energie- und Bankensektor durch. Doch diese progressiven Maßnahmen täuschen darüber hinweg, dass sie in der linken Regierung von Pedro Sánchez eine überzeugte Zentristin war, die sich mit Arbeitsministerin Yolanda Díaz über die »Wiederaufbaufonds« der EU stritt.
Dieses 800-Milliarden-Euro-Paket, das durch gemeinsame Schuldenaufnahme der EU-Mitgliedstaaten finanziert wird, sollte die europäische Wirtschaft nach dem COVID-19-Schock durch Darlehen und Zuschüsse ankurbeln. Deren Finanzierung wird jedoch 2026 auslaufen. Dadurch wird sich der EU-Haushalt fast halbieren – zusätzlich zu einer Rückkehr der bis dato ausgesetzten Austeritätsregeln. Calviño verwaltete Spaniens Anteil an den Investitionen, die im Rahmen von technokapitalistischen öffentlich-privaten Partnerschaften durchgeführt wurden.
In ihrer neuen Rolle an der Spitze der EIB steht Calviño nun unter Druck, die Bank im Zuge des Ukraine-Kriegs zur Finanzierung der Rüstungsindustrie einzusetzen. Das ist weit entfernt vom europäischen und globalen Green Deal, den die EIB – die »Klimabank« der EU – im Jahr 2021, als Ursula von der Leyen Präsidentin der Europäischen Kommission wurde, auf den Weg bringen wollte. Calviños persönlicher Einfluss auf die Ausrichtung der EIB hat sicherlich seine Grenzen. Nichtsdestotrotz sollten linke und progressive Kräfte mit ihrer Ernennung – und dem Beginn einer neuen Europäischen Kommission und eines neuen Parlaments nach den Wahlen im Juni – dieses Zeitfenster nutzen, um das lange übersehene öffentliche Mandat der Bank zu politisieren.
Die Bank wurde als öffentliche Einrichtung gegründet, die auf gemeinnütziger Basis tätig ist und Finanzmittel wie Eigenkapital, Garantien oder Darlehen zu Vorzugsbedingungen (die günstiger sind als die von Geschäftsbanken) anbietet, um die Ziele der EU in den Bereichen Integration und Wirtschaft zu unterstützen.
Versteckt in Luxemburg, wurde sie in Brüssel im Jahr 1958 gegründet, um die europäische Wirtschaft mit den Mitteln ihrer Anteilseigner, das heißt der Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaften (heute der EU) zu entwickeln. Der Großteil der anfänglichen Finanzierung konzentrierte sich auf die Regionalentwicklung in den ärmsten Regionen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWG). Die Bank finanzierte öffentliche Versorgungsunternehmen, die einen hohen Kapitalbedarf mit langen Laufzeiten hatten. Mit dem Einsetzen des Washingtoner Konsenses übernahm die EIB das politische Projekt des Binnenmarktes und verlegte sich auf die Rolle des »Marktmachers« in Europa, wobei sie sich auf Straßen, Eisenbahnen und andere Sektoren konzentrierte, die von den Liberalisierungs- und Privatisierungsbestrebungen betroffen waren, wie Telekommunikation, Strom oder Gas. Die größten Nutznießer des Unternehmens in den letzten zehn Jahren waren Iberdrola, Deutsche Telekom und Terna.
»Der Wettlauf um saubere Technologien lenkt die öffentlichen Finanzmittel der EU in Richtung der größten Privatunternehmen Europas, ohne die langfristigen ökologischen und sozioökonomischen Auswirkungen zu berücksichtigen.«
Jetzt setzt die Bank im Rahmen ihres marktorientierten Portfolios verstärkt die Finanzierung des dekarbonisierten Kapitalismus. Die Dekarbonisierung der europäischen Industrie und des verarbeitenden Gewerbes durch Unterstützung der Produktion von Elektrofahrzeugen, Technologieunternehmen oder erneuerbare Energien kommt den großen europäischen Konzernen wie Volvo, Iberdrola, Schaeffer, Ericsson oder Repsol sehr entgegen. Aber die Bank unterstützt auch einige nicht-EU Unternehmen wie, zum Beispiel, die US Halbleiterunternehmen GlobalFoundries, oder Northern Fiber Holding, ein deutsches Portfoliounternehmen des globalen Vermögensverwalters UBS mit Sitz in der Schweiz. In den ersten Monaten von Calviños Amtszeit hat die EIB 942,6 Millionen Euro für die Batterie-Gigafabrik von Northvolt in Schweden bereitgestellt. Dabei handelt es sich nach eigenen Angaben um das bisher größte grüne Darlehenspaket in Europa mit einem Gesamtvolumen von 5 Milliarden US-Dollar an Fremdmitteln.
Der Wettlauf um saubere Technologien – auf Grundlage des zunehmenden Bedarfs an stabilem Zugang zu Rohstoffen – lenkt die öffentlichen Finanzmittel der EU in Richtung der größten Privatunternehmen Europas, ohne die langfristigen ökologischen und sozioökonomischen Auswirkungen zu berücksichtigen. Dabei ist es nicht so, dass die EIB ein Mandat für Greenwashing oder extraktivistische Investitionen hat. Tatsächlich sind große öffentliche Banken wie die EIB – mit einer Bilanzsumme von 545 Milliarden Euro – gut positioniert, um Finanzmittel von den Kapitalmärkten aufzunehmen und sie im Interesse des sozialen und ökologischen Nutzens umzuleiten.
Ein Blick auf die Finanzminister der größten EU-Volkswirtschaften, die dem Verwaltungsrat der EIB angehören – vom fiskalkonservativen deutschen Finanzminister Christian Lindner über den französischen Finanzminister Bruno Le Maire, der die Staatsausgaben kürzt, bis hin zum tschechischen Finanzminister Zbyněk Stanjura, der das Arbeitsrecht seines Landes aushöhlt – ist es unwahrscheinlich, dass die Bank eine Reform zur systematischen Erhöhung der dringend benötigten Sozialinvestitionen inmitten der Inflationskrise durchführen wird. Aber auch so kann die Bank schon viel mehr tun – und sie sollte öffentliche Projekte unterstützen, die langfristig finanzierbar sind und nicht durch saftige Renditen motiviert werden.
Die Gewinne der Bank beliefen sich im Jahr 2022 auf ganze 2,36 Milliarden Euro. Das bedeutet, dass die Bank durchaus mehr Projekte unterstützen kann, die sozialen Nutzen über attraktive Gewinne stellen. Andere große öffentliche Banken wie die deutsche Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) oder die Europäische Bank für Wiederaufbau und Entwicklung (EBWE) legen mehr Risikorücklagen an als die EIB und behalten ihr AAA-Rating. Ja, wo ein Wille ist, ist auch ein Weg: Derzeit verspricht die EIB, ihre Risikobereitschaft zu erhöhen – allerdings für innovative Projekte und solche mit hoher Rendite.
Dem Umfang der öffentlichen Investitionen sind Grenzen gesetzt unter dem neoliberalen Rahmen der EU, der starre fiskalische Regeln und eine Binnenmarktgesetzgebung vorsieht, die die Privatisierung öffentlicher Dienstleistungen vorantreibt. Aber selbst kleine Verlagerungen der EIB-Finanzierung vom Privaten zum Öffentlichen könnten dazu beitragen, die Finanzialisierung wichtiger öffentlicher Dienstleistungen zu verhindern. Gewerkschaften und Kommunalverwaltungen sollten mit der Bank über ihre öffentlichen Investitionsinteressen sprechen, wie zum Beispiel die Schaffung von hochwertigen Arbeitsplätzen oder die Lebensgrundlage von Haushalten angesichts der Kürzungen öffentlicher Ausgaben (das heißt die Erhöhung des Geldbetrags, der Haushalten nach Begleichung aller Rechnungen zur Verfügung steht, durch Verbesserung des Zugangs zu wesentlichen öffentlichen Gütern und Dienstleistungen). Ebenso können sie eine beratende Funktion einfordern; schließlich sind Gewerkschaften und Städte im Verwaltungsrat der KfW vertreten.
Dies ist von entscheidender Bedeutung: Um sowohl ihre Einnahmen als auch ihre Bedeutung weiter zu steigern, wurde die EIB in die Lage versetzt, die wichtigsten Investitionsprogramme der EU zu finanzieren, die von Brüsseler Bürokraten — und damit auch von Europas wichtigsten Lobbygruppen — entworfen wurden. Beispiele hierfür sind die Wiederaufbaufonds, RePowerEU oder der Green-Deal-Industrieplan — die Antwort der EU auf den US Inflation Reduction Act.
»Auch im globalen Süden sollten Internationalisten und Progressive die Bank auffordern, mehr öffentliche Dienstleistungen, soziale Infrastruktur und den lokalen Produktionssektor zu finanzieren.«
Eine stärkere politische Opposition, die sich dagegen wehrt, sich auf eine technische Lösung für die wirtschaftlichen Probleme Europas zu verlassen, ist ebenso notwendig. Nehmen wir öffentliche Investitionen in die Dekarbonisierung als Beispiel. Private Akteure investieren nur zögerlich in erneuerbare Energien, da sie darin relativ wenig kommerziellen Anreiz sehen – und wenn sie es doch tun, sind ihre Kosten und Preise viel höher als bei einer öffentlichen Alternative. In diesem Zusammenhang begünstigen öffentliche Investitionen in Europa damit gut etablierte und kapitalkräftige Unternehmen wie die fossilen Energieriesen TotalEnergies, Enel oder RWE. Bis zur vollständigen Rückführung der Energie in öffentliches Eigentum können Städte und Gemeinden EIB-Finanzierungen für Projekte im Bereich der erneuerbaren Energien in öffentlichem Besitz in Anspruch nehmen, wodurch ein Teil der Entwicklung erneuerbarer Energien aus den Händen privater Entwickler genommen wird.
Die derzeitige Strategie der EIB ist stattdessen tief verwurzelt in der neokolonialen Plünderung billiger Ressourcen aus dem globalen Süden und in den eigenen Kern-Peripherie-Beziehungen der EU zwischen Westeuropa auf der einen Seite und den süd- und osteuropäischen Ländern auf der anderen. Der Markt für grüne Technologien begünstigt Patentinhaber, von denen zwei Drittel in Deutschland konzentriert sind. Und obwohl Polen umfangreiche Finanzmittel von der EIB erhält – die polnische Nationale Entwicklungsbank ist seit 2010 der größte Partner der EIB –, entwickelt das Land nicht seine eigenen industriellen Kapazitäten, sondern füttert westliches Kapital und multinationale Unternehmen mit billigeren Arbeitskräften und niedrigeren Steuern. Dies wird bei von der EIB finanzierten Projekten wie der von LG geplanten Gigafabrik für Elektroautos in Polen deutlich sichtbar.
Im globalen Süden behauptet die Bank, Entwicklung zu finanzieren, indem sie die Marktchancen für europäische Unternehmen in Sektoren wie Enel’s Erneuerbare-Energien-Projekte in Brasilien, deutschen Investitionen in fragwürdige Wasserstoffpläne in Namibia oder dem Unterwasserkabelsystem von Orange im Mittelmeerraum erweitert. Auch hier sollten Internationalisten und Progressive die Bank auffordern, mehr öffentliche Dienstleistungen, soziale Infrastruktur und den lokalen Produktionssektor zu finanzieren. Denn die neoliberalen Brüsseler Institutionen sollten nicht die Geschäfte der Bank leiten und noch mehr von denselben Programmen vorschlagen, die öffentliche Investitionen missbrauchen, um die Gewinnmaximierung des Großkapitals vor Risiken zu schützen.
Fairerweise muss man sagen, dass die EIB bereits einige vielversprechende Maßnahmen ergriffen hat – wenn auch mangelhaft, oder nicht umgesetzt. Es muss eine klare ökonomische Begründung geben für ihre Vorzugsdarlehen in Kombination mit EU-Zuschüssen und Garantien, um Marktversagen zu beheben. Um beispielsweise Regionen zu finanzieren, die es am nötigsten haben, und die Konvergenz der Lebensstandards in ganz Europa zu gewährleisten (was Teil des EIB-Mandats ist), verfügt die Bank über eine so genannte Darlehensfazilität für den öffentlichen Sektor: ein Fonds von bis zu 10 Milliarden Euro an EIB-Darlehen ergänzt durch EU-Zuschüsse in Höhe von 1,5 Milliarden Euro, zur Unterstützung von Regionen, die vom Ausstieg aus der Nutzung fossiler Brennstoffe und Dekarbonisierung von umweltschädlichen Industrien betroffen sind.
Das erste PSLF-Projekt wurde in Westmazedonien unterzeichnet, einer griechischen Region, die vom Stein- und Braunkohlebergbau, der Schwerindustrie und fossilen Brennstoffen abhängig ist. Hier werden mit einem EU-Zuschuss von 14,5 Millionen Euro und EIB-Darlehen in Höhe von 58 Millionen Euro die wirtschaftliche Diversifizierung, die öffentliche Gesundheitsversorgung, die Sanierung öffentlicher Gebäude und öffentliche Energieeffizienzmaßnahmen finanziert. Bedauerlich ist nur, dass die PSLF-Summe im Vergleich zu den »grünen« De-Risking-Programmen deutlich geringer ausfällt.
»Selbst das US-Chips-Gesetz enthält Bedingungen wie Beschränkungen für Aktienrückkäufe und Dividenden.«
Die EIB finanziert auch Projekte des bezahlbaren und sozialen Wohnungsbaus wie die der kommunalen Wohnungsbaugesellschaft Hannover oder die von Barcelona en Comú, einer Partei unter der Leitung der ehemaligen linke Bürgermeisterin Ada Colau. In seiner jetzigen Form ist das Programm bei weitem nicht perfekt: Es fördert auch den privaten Wohnungsbau und öffentlich-private Partnerschaften, so dass es nur begrenzt in der Lage ist, der Verwertung eines öffentlichen Gutes wie Wohnraum entgegenzuwirken. Aber es gibt Raum für europäische Städte und Gemeinden mit einer progressiven politischen Vertretung und organisierten Gemeinschaften, um viel mehr langfristige öffentliche Finanzierungen von der EIB für erschwingliche Wohnungsbauprojekte zu entwickeln und zu fordern, als derzeit gewährt werden.
Angesichts des weltweiten Drucks, mit Chinas staatlichen Subventionen zu konkurrieren und sich eine gute Position in den Lieferketten und auf dem Markt für saubere Technologien zu sichern, ist der Druck auf die öffentlichen Haushalte immens. Aber selbst das US-Chips-Gesetz enthält Bedingungen wie Beschränkungen für Aktienrückkäufe und Dividenden. Wenn es für die EIB eine Lehre aus der chinesischen oder US-amerikanischen Staatsfinanzierung gibt, dann ist es die Notwendigkeit, die Finanzkraft der EIB umzuschichten, um Unternehmen in öffentlichem Besitz und unter öffentlicher Kontrolle zu unterstützen – und ein mächtiges Programm für öffentliche Investitionen umzusetzen.
Alexandra Gerasimcikova arbeitet zu europäischen öffentlichen Finanzen und sozialer Gerechtigkeit bei der gemeinnützigen Organisation Counter Balance in Brüssel.