06. Juni 2025
In der aktuellen Wehrpflicht-Debatte wird immer wieder gefordert, auch Frauen sollen an der Waffe »Verantwortung« für ihr Land übernehmen. Das wäre ein frauenpolitischer Rückschritt.
Soldatinnen beim feierlichen Gelöbnis zum Gründungstag der Bundeswehr auf dem Platz der Menschenrechte in Hannover, 12. November 2024.
Anfang Juni beschließen die NATO-Minister ein riesiges Aufrüstungsprogramm. Allein in Deutschland bräuchte es dafür – laut Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius – 60.000 aktive Soldaten. Pistorius hofft zwar dafür, Freiwillige zu finden, ob das gelingt, dazu gibt es auch in seiner eigenen Regierung Zweifel. CDU-Verteidigungspolitiker Roderich Kiesewetter sprach zuletzt sogar von »etwa 460.000 zusätzlichen Soldatinnen und Soldaten, zuzüglich einer militärischen und zivilen Reserve«. Spannend, wie einfach es einem CDU-Politiker plötzlich leicht fällt, zu gendern.
Im Rahmen dieser Fantasiezahlen wird der Wunsch nach einer Aktivierung der Wehrpflicht laut. Dies würde aber nur Männer betreffen – denn Frauen sind davon in Deutschland ausgenommen. Gefordert wird sie trotzdem. Bisher eher von einer Seite, die sich nicht des feministischen Aktivismus schuldig macht, wie etwa der Generalinspekteur der Bundeswehr Carsten Breuer, Politikern der Union oder – schon länger – FDP-Politikerin Marie-Agnes Strack-Zimmermann.
Neu ist, dass auch Feministinnen eine Wehrpflicht positiv diskutieren. So erklärt etwa die Mitherausgeberin und -gründerin des Missy Magazins Stefanie Lohaus diese Woche im Spiegel, dass sich – trotz der »pazifistischen Tradition des Feminismus« – auch Feministinnen fragen müssen, »wie die Demokratie im Ernstfall verteidigt werden kann«. Soll heißen, wie der Titel des Textes recht plakativ sagt: »Frauen an die Waffen«.
Dabei widerspricht das dem Gros der feministischen Tradition und Ideengeschichte. Die feministische Bewegung war – wie Lohaus auch benennt – immer auch eine Friedensbewegung. Nur: Darauf kann kein »aber« folgen. Das Recht oder gar »Privileg« neben Männern zu dienen, ist weniger ein Zeichen der Gleichberechtigung, sondern ein weiterer Schritt in Richtung eines globalen Kalten Krieges, der die Errungenschaften aller progressiven Bewegungen gefährdet.
In aktuellen Debatten um Aufrüstung wird selten dezidiert ein Kämpfen für das Vaterland gefordert. Stattdessen werden ehrbare Tugenden in den Vordergrund gestellt. Es geht wahlweise darum, Europa, die liberale Demokratie oder schlicht »unsere Art zu leben« zu verteidigen. Meistens mit der Idee, dass antimilitaristische Positionen zwar schön und gut seien, aber im Grunde unrealistisch und naiv.
So spricht auch Lohaus in ihrem Text davon, dass das Hinterfragen von Militarismus zwar eine feministische Aufgabe sei, aber ein ominöses Wir »der Realität ins Auge blicken« müsste. Eine Wehrpflicht sei vermutlich »notwendig« – und könne »unter bestimmten Voraussetzungen« auch positive Konsequenzen haben. Die Frage ist nur, welchen Grund Feministinnen – oder überhaupt: Frauen – haben sollten, ob zögerlich oder nicht, in den militaristischen Kanon, der von Medien und Politik vorangetrieben wird, einzustimmen.
Frauen sind in dieser Gesellschaft, die sie plötzlich mit der Waffe verteidigen sollen, in quasi jedem Bereich benachteiligt. Sie leben öfter in Armut, sie leisten mehr unbezahlte Sorgearbeit, sie erleben männliche Gewalt und werden im Extremfall von ihren (Ex-)partnern umgebracht. Lohaus schreibt davon, dass Emanzipation bedeutete »gesellschaftliche Verantwortung zu übernehmen« und Gleichstellung »nicht nur ein Privileg«, »sondern auch eine Verpflichtung« sei. Das gilt vielleicht in einer Welt, in der Gleichstellung bereits verwirklicht wurde, aber nicht für die, in der wir leben.
»Wenn die Männer töten, so ist es an uns Frauen, für die Erhaltung des Lebens zu kämpfen. Wenn die Männer schweigen, so ist es unsere Pflicht, erfüllt von unseren Idealen, die Stimme zu erheben.«
Wer in Zeiten des Krieges damit liebäugelt von der feministischen Tradition, gegen diese Gesellschaft aufzubegehren in den Modus der »Verteidigung« ebendieser wechselt, hat unser eigentliches politisches Ziel aus den Augen verloren. Nicht einmal bei Minimalkonsens-Forderungen nach Geschlechtergerechtigkeit – wie etwa der Zugang zu sicheren Schwangerschaftsabbrüchen oder Gewaltschutzkonzepte – kann im Rahmen einer nationalistischen Front ein Fortschritt erreicht werden. Im Gegenteil: Plötzlich im Boot mit der CDU zu sitzen, heißt mit jenem politischen Gegner zusammenzuarbeiten, der eine Umsetzung der eigenen politischen Forderungen immer aktiv verhindert hat.
Lohaus spricht davon, dass Frauen an der Waffe durchaus auch ein emanzipatorisches Potenzial haben könnte. So schreibt sie: »Frauen und queere Menschen könnten positive Erfahrungen sammeln, die bisher eher männlich konnotiert waren: körperliche Selbstwirksamkeit, Selbstverteidigung, strategisches Denken, Teamfähigkeit unter Extremsituationen.« Aber für diese Dinge muss niemand lernen, wie man einen Leopard-2-Kampfpanzer fährt, es reicht, in einen örtlichen Football- oder Boxverein zu gehen.
Selbst wenn es diese positiven Erfahrungen der Soldatinnen gäbe: Die negativen Konsequenzen einer aufgerüsteten und militarisierten Gesellschaft überwiegen – und zwar ganz abgesehen davon, dass der Dienst an der Waffe immer den Tod mit sich bringen kann. Das größte Aufrüstungsprogramm Deutschlands seit Ende des 2. Weltkriegs muss auch finanziert werden – mit neuen Schulden, die es für frauenpolitische Anliegen nie gab und mit Angriffen auf Soziales. Dabei sind Frauen besonders auf den Sozialstaat angewiesen, etwa wenn er sie in bestimmten Bereichen wie Kinderbetreuung entlastet. Weniger Sozialstaat heißt somit automatisch eine noch höhere Arbeitsbelastung für Frauen.
Die Frauenbewegung hat in den letzten 100 Jahren Fortschritte erzielt, die für damalige Protagonistinnen vermutlich undenkbar gewesen wären – und dennoch bleibt in den meisten Bereichen eine strukturelle Schlechterstellung. Dass Frauen in Deutschland – anders als etwa in Schweden oder Norwegen – nicht zum Militär müssen, ist vermutlich die einzig positive Geschlechterdiskriminierung, die es hier gibt. Es gibt keinen Grund, an ihr zu rütteln. Sogar die österreichische Verteidigungsministerin Klaudia Tanner von der konservativen ÖVP erklärte in Rahmen einer ähnlichen Debatte, dass eine Wehrpflicht für Frauen erst zum Thema werde, »sobald die absolute Gleichstellung der Frauen da ist – und das ist nicht«.
Die proletarische Frauenbewegung hat Frauen vor über 100 Jahren einen klaren Auftrag zur Haltung in Kriegszeiten gegeben. »Wenn die Männer töten, so ist es an uns Frauen, für die Erhaltung des Lebens zu kämpfen«, schreibt die Sozialistin und Kriegsgegner Clara Zetkin 1914. »Wenn die Männer schweigen, so ist es unsere Pflicht, erfüllt von unseren Idealen, die Stimme zu erheben.« Denn damals wie heute bedeutet Feminismus nicht, Seite an Seite mit Männern im Schützengraben zu liegen, sondern dafür zu sorgen, dass niemand mehr in einem Krieg sterben muss.
Magdalena Berger ist Assistant Editor bei JACOBIN.