31. Oktober 2025
Deutschland und Europa haben erst Israel dabei geholfen, Gaza zu zerstören, und verpflichten sich jetzt auf Drängen der USA, die Rechnung für den Wiederaufbau zu zahlen. Erklären lässt sich das nur mit geopolitischen Interessen des Westens im Nahen Osten.

Kinder spielen auf einem beschädigten israelischen Militärfahrzeug im Flüchtlingslager Jabalia im Norden des Gazastreifens, 30. Oktober 2025.
Bei der Zeremonie im ägyptischen Badeort Scharm al-Scheich versammelten sich Mitte Oktober die Oberhäupter von europäischen und arabischen Staaten hinter US-Präsident Donald Trump. Der deutsche Kanzler Friedrich Merz wirkte am Rand der Szenerie für die Friedensshow etwas verloren. Von Trump erhielt er ein Lob, er sei »sehr schlau, und er erledigt für sein Land einen fantastischen Job«.
Nicht nur Merz, sondern die Europäer insgesamt fühlten sich sichtlich unwohl in der ihnen zugewiesenen Statistenrolle und lächelten gequält in die Kameras. Der Friedensplan für Gaza wurde von Katar, Ägypten, der Türkei und den USA unterzeichnet, nicht von den Europäern oder der EU.
Nun will die deutsche Regierung zumindest die erste Geige unter den zweiten Geigen bei der Umsetzung von Trumps Friedensplan spielen, der in Wirklichkeit eine verschärfte Besatzungspolitik enthält – ohne Perspektive auf ein Ende von Fremdherrschaft, Entrechtung und Blockade des Palästinenserstaats durch Israel und die USA. In diesem Sinn soll Merz seinen Kollegen Keir Starmer in London und Emmanuel Macron in Paris gesagt haben: »Die harte Arbeit wird erst morgen beginnen.« Dabei wolle Berlin vorangehen.
Die harte Arbeit – oder die »Drecksarbeit«, um es in den Worten auszudrücken, die Merz mit Blick auf Israels Gaza-Krieg wählte – bedeutet vor allem den Wiederaufbau Gazas. Zusammen mit Ägypten plant die deutsche Regierung einen Spendengipfel. Schätzungen gehen von rund 80 Milliarden Dollar an Kosten für den Wiederaufbau aus. Aber sie könnten noch deutlich höher liegen. Ob diese Summen am Ende aufgebracht und auch gezahlt werden, ist sehr fraglich, auch wenn vollmundige Versprechen gemacht werden sollten. Die Haushalte in europäischen und arabischen Ländern sind sehr angespannt – und die EU sieht sich zudem mit enormen Wiederaufbaukosten von über einer Billion Euro in der Ukraine konfrontiert.
»Wie zuvor wird den Europäern wie den arabischen Ländern von den USA die Rolle zugewiesen, die Rechnung für die Schäden der Verwüstungen zu übernehmen, die vor allem mit US-Waffen und israelischen Soldaten in den besetzten Gebieten angerichtet worden sind.«
Die Vergangenheit gibt auch keinen Grund für Optimismus. So versprachen insbesondere die Golfstaaten und die EU-Länder nach dem israelischen Gaza-Krieg von 2014, der 2.000 Palästinenser tötete und 17.000 Wohnungen zerstörte, bei einer Konferenz in Kairo 3,5 Milliarden Dollar für den Wiederaufbau und knapp 2 Milliarden für den Haushalt der Palästinensischen Autonomiebehörde. Doch über die nächsten Monate kam praktisch kein Geld an. Vier Jahre später waren viele Versprechen nicht erfüllt, sodass bei der nächsten Gaza-Bombardierung im Jahr 2021 viele Gebäude, die bei früheren Angriffen Israels zerstört wurden, immer noch Ruinen waren.
Dass Israel und die USA dafür zahlen sollten, in Form von Reparationen, steht in westlichen Öffentlichkeiten nicht zur Debatte. Wie zuvor wird den Europäern wie den arabischen Ländern von den USA die Rolle zugewiesen, die Rechnung für die Schäden der Verwüstungen zu übernehmen, die vor allem mit US-Waffen (im Wert von fast 22 Milliarden US-Dollar) und israelischen Soldaten in den besetzten Gebieten angerichtet worden sind. Hier spielt Deutschland eine zentrale Rolle und steuert Geld und Hilfe bei. Die Bundesregierung hat bereits angekündigt, 200 Millionen Euro an Soforthilfe für Gaza bereitzustellen.
Es ist die übliche deutsch-europäische Doppelrolle: Erst helfen beim Zerstören, dann zahlen für den Wiederaufbau des Zerstörten. Deutschland ist dabei nicht nur Musterschüler beim Aufräumen, sondern agiert als treuer Verbündeter an der Seite der USA, um Israels Verwüstungen in den besetzten Gebieten zu ermöglichen und danach die Beweislage zu entfernen. Allgemein wird bei Deutschlands eherner Unterstützung Israels auf den Holocaust – die Verantwortung für den jüdischen Staat wegen der historischen Schuld Deutschlands – verwiesen. Doch die deutsche Staatsräson gegenüber Israel hat weniger mit Moral als mit der Einfügung in ein geopolitisches Korsett zu tun.
Während des zweijährigen Genozids an der Bevölkerung im Gazastreifen steigerte Berlin die Waffenlieferung an Israel um das Zehnfache. Man enthielt sich bei den Resolutionen zu einer Gaza-Waffenruhe in der UN-Generalversammlung, die von einer überwältigenden Mehrheit der Staatengemeinschaft unterstützt wurden, und intervenierte an der Seite Israels beim Internationalen Gerichtshof (IGH), als Südafrika die Netanjahu-Regierung anklagte, Völkermord in der Enklave zu begehen.
Auch bei der historischen UN-Resolution im letzten Jahr, die Israel aufforderte, die Okkupation von palästinensischen Gebieten zu beenden, enthielt sich Deutschland der Stimme. Der IGH hatte zuvor in einem wegweisenden Urteil die Besatzung von Gaza und des Westjordanlands inklusive Ostjerusalems durch Israel für illegal erklärt. Das Gericht forderte Tel Aviv auf, seine Besatzung zu beenden, seine Siedlungen abzubauen, den palästinensischen Opfern vollständige Entschädigungen zu gewähren und die Rückkehr der Vertriebenen zu erleichtern.
Die deutsche Regierung betonte außerdem bis zum Schluss, trotz der massiven Kriegsverbrechen und Verwüstungen im Gazastreifen und auch im Westjordanland, das Recht Israels auf Selbstverteidigung, obwohl Völkerrechtler klarstellen, dass eine Besatzungsmacht kein Kriegsrecht gegen die besetzte Bevölkerung geltend machen kann, sondern im Gegenteil Schutzpflichten habe. Auf EU-Ebene verhinderte Deutschland die Initiative, Sanktionen zu ergreifen und eine Teilaussetzung des EU-Assoziierungsabkommen mit Israel, also die Streichung von Handelsvorteilen, umzusetzen, um Druck auf Tel Aviv zu machen, den Völkermord zu stoppen.
»Die Opposition gegen US-Interessen ausgehend von arabischen Unabhängigkeitsbestrebungen wurde von Washington als reale Gefahr angesehen. Vor diesem Hintergrund entwickelte sich die besondere Beziehung zwischen den USA und Israel.«
Um zu verstehen, warum vor allem die Bundesregierung, aber auch die meisten EU-Staaten in Gaza derart versagt haben, lediglich rhetorische Kritik übten, aber ansonsten im von den USA und Israel vorgegebenen Rahmen agierten, muss man sich klarmachen, dass die Europäer insgesamt nur eine dienende Funktion innerhalb des Israel-Palästina-Konflikts spielen. Deutschlands Rolle ist den geopolitischen Interessen der USA in der Region untergeordnet. Für die US-Außenpolitik hat Kontrolle über die fossilen Energiereserven im Nahen Osten seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs oberste Priorität. So hieß es in einem Papier des Außenministeriums an den damaligen Präsidenten Harry Truman 1945, dass vor allem in der Golfregion eine »überwältigende Quelle strategischer Macht und einer der größten materiellen Gewinne in der Weltgeschichte« zu finden seien. Die USA übernahmen in der Nachkriegszeit von Großbritannien die Kontrolle über die fossilen Energieressourcen in der arabischen Region.
Man bezog zwar nie viel Öl aus dem Nahen Osten. Aber es war für die USA zentral, den Ölpreis in ihrem Sinn unter Kontrolle zu halten und dafür zu sorgen, dass der enorme Reichtum aus den Energieressourcen im Nahen Osten, insbesondere der Golfregion, Richtung Westen fließt, in Form von Waffenkäufen, Investitionen, diversen Importen und Finanzinvestments. Was dann auch geschah im Zuge der Petro-Dollar-Geopolitik.
Ab den 1970er Jahren lösten die US-Verbündeten Saudi-Arabien und Iran Venezuela als größten Ölexporteur ab, während sich im arabischen Raum, wie es in Aktenvermerken des Nationalen Sicherheitsrats (NSC) der Vereinigten Staaten hieß, »radikale« pan-arabische nationale Bewegungen ausbreiteten, die sich von westlicher Dominanz lösen wollten. In Ägypten fanden unter Präsident Gamal Abdel Nasser Verstaatlichungen statt, während er die arabischen Staaten unter einer sozialistischen Agenda vereinen wollte. Progressiver arabischer Nationalismus vertrieb die Vereinigten Staaten sogar zeitweilig aus Saudi-Arabien. Man verlor dort seine militärische Präsenz und einen Stützpunkt. Auch in anderen Öl-produzierenden Ländern übernahmen »radikale« Nationalisten die Macht, wie im Irak, Algerien oder später in Libyen.
Die Opposition gegen US-Interessen ausgehend von arabischen Unabhängigkeitsbestrebungen wurde von Washington als reale Gefahr angesehen. Vor diesem Hintergrund entwickelte sich die besondere Beziehung zwischen den USA und Israel. Israel-Unterstützung wurde in Folge als logische Konsequenz angesehen, dieser Bedrohung entgegenzutreten. Im oben schon zitierten NSC-Vermerk hieß es 1958: »Wenn wir uns dafür entscheiden, den radikalen arabischen Nationalismus zu bekämpfen und das Öl am Persischen Golf notfalls mit Gewalt zu sichern, wäre es nur logisch, Israel als einzige verbliebene pro-westliche Macht im Nahen Osten zu unterstützen.«
Nach dem Sechstagekrieg von 1967, bei dem Israel die größte Militärmacht in der Region Ägypten und zugleich Syrien schlug, womit es zum Sparta des Nahen Ostens aufstieg, erkannten die USA im jüdischen Staat einen strategischen Verbündeten, einen entscheidenden Wert für Dominanzausübung in der öl- und gasreichen Region. Israel erfüllt seitdem für die Vereinigten Staaten die Funktion einer Barriere gegen nationale Unabhängigkeitsbestrebungen im arabischen Raum oder sonstige Kontrollverluste, die US-Interessen schaden könnten – meist erfolgreich. Die US-Hilfen und Waffenexporte für Israel stiegen in den 1970er Jahren an, ebenso die Vetos im UN-Sicherheitsrat, die Israel vor Sanktionen und einem Palästinenserstaat schützten.
Die »bedingungslose« Unterstützung Deutschlands für Israel war immer an diese Bedingung geknüpft. Am Anfang, nach dem Zweiten Weltkrieg, war Philosemitismus und die Unterstützung für Israel die Voraussetzung für die BRD, in das imperiale westliche System integriert zu werden, wie der israelische Forscher Frank Stern betont. Jetzt ist deutsche Politik, was Israel angeht, förmlich an US-Interessen angetackert. Solange die USA Israel als ein »strategic asset« in der öl- und gasreichen Region ansehen, wird sich an der »speziellen Beziehung« Deutschlands zu Israel und der generellen Unterstützung für das Okkupationsregime und der daraus resultierenden Gewalt sowie Rechtlosigkeit nichts ändern.
Oder um es anders auszudrücken: Wenn Israel in einem ärmlichen Teil Afrikas gegründet worden wäre, weit weg von irgendwelchen Ressourcen, hätte sich das spezielle Verhältnis zu den USA nie gebildet – und die Europäer und Deutschland wären kaum dazu gezwungen, ein jahrzehntelanges Besatzungsregime und einen Genozid mit Waffen, Handelsvorteilen und weitreichenden Hilfen bis heute »bedingungslos« zu stützen.
Tatsache ist: Vor dem Hintergrund der US-Dominanz im Nahen Osten und der Golfregion und der damit zusammenhängenden Unterstützung Israels wurden Europa und Deutschland ihre Rollen zugewiesen. Nicht selten mussten sie eigene nationale Interessen dabei zurückstellen. So führte der Jom-Kippur-Krieg Israels gegen arabische Länder 1973 zum Embargo der arabischen OPEC-Staaten und zur Öl- und Wirtschaftskrise. Die Westeuropäer waren besonders betroffen, da sie damals noch 75 Prozent des Öls aus der Region importierten, einschließlich Westdeutschland. Seitdem hat man diese Abhängigkeit reduziert, indem die Energieimporte diversifiziert wurden.
Aber mit dem Ukraine-Krieg und den Sanktionen gegen Russland ist man wieder stärker auf die Ölmonarchien angewiesen, siehe die deutschen Gas-Deals mit den Golfstaaten oder die zukünftige Versorgung mit grünem Wasserstoff. Der Wirtschaftswissenschaftler Edoardo Campanella von der Harvard University spricht von »Europas neuer Energiekarte«: »Eine verstärkte Abhängigkeit vom Öl aus dem Nahen Osten wird Europa viel anfälliger für geopolitische Spannungen in der Region machen.« Zugleich beeinträchtigt das von den USA und Israel forcierte Sanktionsregime gegen den Iran das »besondere Verhältnis«, das Deutschland und Europa mit der islamischen Republik unterhalten, nicht so sehr angetrieben von ökonomischen, sondern geopolitischen Interessen.
»Solange die USA Israel als ein ›strategic asset‹ in der öl- und gasreichen Region ansehen, wird sich an der ›speziellen Beziehung‹ Deutschlands zu Israel und der generellen Unterstützung für das Okkupationsregime und der daraus resultierenden Gewalt sowie Rechtlosigkeit nichts ändern.«
Deutsche Regierungen versuchen dabei, einen Balanceakt zu vollziehen und ihre eigenen Interessen in der Region, die wirtschaftlichen und geopolitischen Beziehungen mit arabischen und muslimischen Ländern in Bezug auf Handel oder fossile Importe, vor den negativen Effekten, die aus der Unterstützung für die Besatzungspolitik Israels folgen können, zu schützen. Das haben sie lange Zeit durch moderates, vermittelndes Auftreten – Mediation und Unterstützung für die Palästinensische Autonomiebehörde, Betonung von nichtmilitärischen, diplomatischen Lösungen, Übernahme der EU-Linie für eine Zweistaatenlösung und begrenzte Kritik am Vorgehen Israels – getan. Auf die Realpolitik hatte das aber keine Auswirkungen. Auf die Worte folgten keine Taten.
Denn am Ende haben Deutschland wie die EU, beide natürlich eng verflochten, die israelische Besatzung, den Bruch internationalen Rechts, Menschenrechtsverletzungen und nun einen Genozid mitunterstützt – in Form von militärischer Hilfe, Sicherheitskooperationen, Unterstützung für die Besatzung, ökonomische Sonderbehandlung, diplomatisches Cover, Unterdrückung von Israel-Kritik, politische Abwehr von Sanktionen und mehr. Sie sind, wie Studien, Menschenrechtsorganisationen oder UN-Behörden feststellen, damit Komplizen, nun auch bei einem plausiblen Völkermord, wie es der Internationale Gerichtshof ausdrückt. Komplizen sind aber ebenso verantwortlich und am Ende auch juristisch belangbar für Verbrechen wie die Täter.
Seit den Gaza-Kriegen ab 2008 infolge der Hamas-Wahl hat sich die Linie der BRD noch verschärft und militarisiert.Deutschland tritt seit der aktiven Teilnahme an diversen Kriegen in den 1990er Jahren insgesamt aggressiver auf der Weltbühne auf, von der Beteiligung an den Jugoslawienkriegen bis zur Afghanistan-Besatzung und der Unterstützung für den Irak-Krieg. Die militärischen Angriffe Israels auf die besetzte Bevölkerung wurden von deutschen Regierungen tatkräftig unterstützt und gerechtfertigt. Zugleich bekämpft man Israel-Kritik immer vehementer mit dem Vorwurf des Antisemitismus, begrenzt die Meinungsfreiheit mit repressiven Mitteln – siehe das vom Bundestag beschlossene BDS-Verbot, Mittelkürzungen bei Israel-Kritik, Polizeigewalt gegen Demonstrationen oder Strafen für Protestierende, die sich gegen Israels Kriegsverbrechen aussprechen.
Durch die beispiellose Unterstützung des israelischen Genozids in den letzten zwei Jahren hat die deutsche Regierung und mit ihr auch große Teile der deutschen Gesellschaft jede Glaubwürdigkeit in der Welt verloren, im Konflikt zu vermitteln. Merz war daher auch nur eine Randfigur bei der Zeremonie für Trumps Friedensplan in Ägypten.
Doch Deutschland und die EU könnten auch einen anderen, von den USA unabhängigen Weg einschlagen, um den Konflikt zu deeskalieren, die Gewalt zu minimieren und Frieden in die Region zu bringen – und damit den zerstörerischen Selbstzerstörungskurs Israels beenden sowie auch nachhaltige Sicherheit für die israelische Bevölkerung bringen. So wie sie im Fall Russlands auf Völkerrechtsverstöße reagiert haben, könnten sie auch gegenüber Israel ähnliche Maßnahmen ergreifen. Dazu zählen etwa die Anerkennung der festgestellten Kriegsverbrechen, die Umsetzung der Haftbefehle des Internationalen Strafgerichtshofs oder das Knüpfen künftiger Kooperationen an humanitäre und völkerrechtliche Bedingungen.
Einen Schritt in diese Richtung machte die sogenannte »New York Deklaration« vor ein paar Wochen, die von der UN-Generalversammlung am 12. September als Resolution angenommen wurde. 142 Staaten stimmten dafür, zehn stimmten dagegen, zwölf enthielten sich. Die Resolution geht auf eine Initiative von Frankreich und Saudi-Arabien zurück. Das Ziel war es, »nicht nur den internationalen Konsens über die friedliche Lösung der Palästinafrage zu bekräftigen, sondern auch konkrete, zeitlich begrenzte und koordinierte internationale Maßnahmen zur Umsetzung der Zwei-Staaten-Lösung anzustoßen«.
»Das Mittel von Sanktionen, um die Zweistaatenlösung im Zuge einer Dringlichkeitssitzungen auf UN-Ebene zu erwirken, steht weiter zur Verfügung. Doch dieser Weg wird nur dann beschritten werden, wenn die Regierungen in Europa und die arabischen Staaten einen palästinensischen Staat nicht nur anerkennen, sondern realpolitisch durchsetzen.«
Auch Deutschland stimmte zu. Aber während weitere westliche Staaten Palästina als unabhängigen Staatanerkannten und so die Gesamtzahl dafür in der UN auf 157 Länder brachten, ist Deutschland neben Italien weiter das einzige große europäische Land, das sich der Anerkennung widersetzt.
Die UN-Resolution blieb aber ein Papiertiger. Sie wurde lediglich in einer Vollversammlung verabschiedet, die nicht die Macht hat, eine formelle Anerkennung zu vollziehen. Um das Veto der USA im Sicherheitsrat zu umgehen, hätte man, wie der US-Journalist Nicolas J.S. Davies argumentiert, eine Dringlichkeitssitzung einberufen müssen. Dann hätte man unter dem Grundsatz »Vereint für den Frieden« Palästina offiziell anerkennen und als Vollmitglied der Vereinten Nationen aufnehmen können. Bei der Invasion Russlands in der Ukraine wurde von dem Mittel der Dringlichkeitssitzung Gebrauch gemacht, um Maßnahmen am Sicherheitsrat und Veto Russlands vorbei zu vereinbaren.
Im Zuge der Notstandssondertagung für Palästina hätten die UN dann die angekündigten koordinierten Schritte unternehmen können, um einen Waffenstillstand zu erwirken und einen Palästinenserstaat durchzusetzen. Das hätte in Form von einem UN-angeleiteten Waffenembargo, ökonomischen Boykotten und anderen konkreten Maßnahmen geschehen können, um Israel zur Einhaltung internationalen Rechts und der UN-Resolutionen zu zwingen.
Doch stattdessen verpuffte die Initiative wegen fehlenden Muts in Folgenlosigkeit. Die Europäer und arabischen Staaten wollten sich offensichtlich nicht mit den USA anlegen. Trump nutzte das, um zeitgleich seinen von israelischen Interessen dominierten Besatzungsplan durchzusetzen, ein Rezept für weitere Eskalation, Elend und Gewalt, auch wenn die zwischenzeitliche Beruhigung der Lage zu begrüßen ist.
Das Mittel von Sanktionen, um die Zweistaatenlösung im Zuge einer Dringlichkeitssitzungen auf UN-Ebene zu erwirken, steht aber weiter zur Verfügung. Doch dieser Weg wird nur dann beschritten werden, wenn die Regierungen in Europa und den arabischen Staaten von Zivilgesellschaft und Bevölkerung dazu gebracht werden, einen palästinensischen Staat nicht nur anzuerkennen, sondern realpolitisch durchzusetzen. Denn von alleine sind sie dazu nicht bereit, wie die Geschichte bis heute zeigt, solange die USA den geopolitischen Rahmen setzen, den zu durchbrechen Kosten nach sich ziehen könnte.
David Goeßmann ist Journalist und Buchautor. Er hat für verschiedene Medien gearbeitet, darunter Deutschlandfunk, Spiegel Online, ARD und ZDF. Seine Artikel erscheinen unter anderem bei Truthout, Common Dreams, CounterPunch, The Progressive sowie bei Telepolis und Junge Welt. In seinen Büchern analysiert er Klimapolitik, internationale Beziehungen, globale Gerechtigkeit und die Medienberichterstattung.