17. März 2022
Die Neue Rechte kapert das Internet mit besonders provokanten Inhalten. Anstatt die Schuld bei digitalen Plattformen zu suchen, sollten wir mit einem neuen Antifaschismus dagegenhalten.
Fackelzug der Edgelords von der Identitären Bewegung in Wien, 8.9.2019.
In den 2010er Jahren konnte man bereits erahnen was da auf uns zukommen würde – wenn man richtig hingeschaut hätte. Die Frage war eher, wie ernst man das alles nahm. Schaut man heute im Jahr 2022 auf das allseits triumphierende Grauen, denkt man an viele Momente zurück, in denen eigentlich klar war, was unter der Oberfläche brodelte – etwas, das heruntergespielt oder ignoriert wurde. Bei der Lektüre von Post-Internet Far Right, einem kurzen und eindringlichen Buch der antifaschistischen Podcaster Twelve Rules for What über die Kultur des heutigen Faschismus, erinnerte ich mich an denkwürdige Momente, die ich damals direkt wieder in den hintersten Winkel meines Gedächtnisses verdrängt hatte.
Ich dachte zum Beispiel an eine Ausstellung im Museum für Moderne Kunst in Warschau aus dem Jahr 2012 über »Die neue nationale Kunst«: ein Querschnitt von polnischem National-Kitsch, der von Comics über Memes bis hin zu realistischen Gemälden und Blumenarrangements reichte und größtenteils durch Verschwörungstheorien über den Flugzeugabsturz von Smolensk im Jahr 2010 motiviert worden war. Es war nicht klar, ob die (fast ausschließlich linksliberalen) Kuratorinnen und Kuratoren das Ganze für einen Scherz oder eine charmante Exzentrik hielten und welche Position sie selbst dazu einnahmen. Jetzt, ein Jahrzehnt später, befindet sich eine der experimentierfreudigsten und fortschrittlichsten Institutionen Warschaus, das Zentrum für zeitgenössische Kunst, in den Händen religiöser rechter Randfiguren.
Ich erinnerte mich auch an einen Urlaub an der bulgarischen Schwarzmeerküste im Jahr 2014, wo mir diverse Souvenirs auffielen, auf denen ein muskelbepackter, Sonnenbrille tragenden Wladimir Putin auf »Krim-Tour« abgebildet war. Wie ironisch war das wirklich gemeint? Überhaupt nicht, wie sich herausstellen sollte, da er einen wahnsinnigen, ethno-nationalistischen Krieg gegen die Ukraine führt, der auch durch Memes propagiert wird.
In meiner näheren Umgebung erinnere ich mich an eine Ausstellung in der Londoner Galerie LD50, die 2017 verschiedene rechtsextreme Memes und Kunstwerke zeigte. Waren dies, wie sie dort behaupteten, bloß unbequeme Kunstobjekte, die im Namen der »freien Erforschung von Ideen« gezeigt werden sollten? Oder wurde die Galerie damit zu einem Ort rechtsextremer Organisierung, wie Protestierende skandierten? Mittlerweile wissen wir: Es war Letzteres.
Es könnte dem Titel des Buches geschuldet sein, dass mir ausgerechnet diese kulturellen Ereignisse in den Sinn kamen: Er erinnert an die »Post-Internet Art«, ein Begriff, der in den 2010er Jahren entwickelt wurde, um einige der extrem online-orientierten, absichtlich schrägen und paradoxen Kunstwerke zu beschreiben, die von der Generation, die mit dem Internet großgeworden ist, gemacht werden. Die Kultur der zeitgenössischen Rechtsextremen, so die These des Buches, sei in ähnlicher Weise durch digitale Medien verdorben.
Eine der beunruhigendsten Passagen in diesem sowieso schon sehr beunruhigenden Buch handelt von der Reaktion im Netz auf den Amokläufer von Christchurch in Neuseeland, der im März 2019 sein Massaker an Musliminnen und Muslimen filmte. Das Video wurde, so schreiben die Autoren, »auf 8chan endlos manipuliert und überlagert von der Punktezählgrafik von Videospielen ... Wenn das Auftauchen von Memes im Netz nach der Schießerei vorhersehbar erscheint, so war deren Auftauchen im Manifest (des Schützen) selbst weniger vorhersehbar«. Sie verweisen auch darauf, wie eng die Verbindung zwischen diesen muffigen, schäbigen Online-Foren und dem Mainstream ist. So wurde nach diesem Massaker ein Sprecher der Identitären Bewegung – die eine Spende des Attentäters erhielt – vom Fernsehsender BBC eingeladen, um »ihre Ideologie und die Verbindung zu den Morden« zu diskutieren.
Vieles davon ist Neuland. Post-Internet Far Right versucht Antifaschistinnen und Antifaschisten näherzubringen, wie die Rechten ihre Ideen online verbreiten und welche Methoden dagegen erfolgreich sein können und welche nicht. »Es wäre eine Katastrophe«, so die Autoren, »wenn die Gegner der extremen Rechten ihre Modelle nicht aktualisieren und entweder überall Faschismus sehen oder aber ihn gar nicht erst erkennen«. Das Internet spielt dabei natürlich eine zentrale Rolle, und an dieser Stelle ähnelt ihre Argumentation der Kritik an sozialen Netzwerken, die Richard Seymour in seinem kürzlich erschienenen Buch The Twittering Machine ausführt: »Die Medienarchitektur des Internets eignet sich für so etwas wie eine Verschwörung«, schreiben sie – und die Rechtsextremen haben dies auf beeindruckende Art und Weise ausgenutzt. »Posts auf Medium weichen verschlüsselten Discord-Servern, auf denen geschlossene Gruppen im Geheimen konspirieren oder eine falsche Verlinkung in hässliche Panels von anonymen Imageboards führt ... alle Teile des Internets sind im Prinzip verknüpfbar. Wurmlöcher können sich jederzeit öffnen«.
Das ist auch das Terrain, auf das sich Antifaschistinnen und Antifaschisten begeben müssen, anstatt sich nur über die Schmuddelkinder in den düsteren Ecken des Internets zu empören: Die Autoren warnen davor »das Internet selbst als einen unheimlichen Ort zu verdammen, durch den man sich nur entlang von Twitter-Accounts mit blauem Haken und traditionellen Nachrichtenkanälen hangeln kann«. Schließlich ist an der Art und Weise, wie Rechte das Internet nutzen, »nichts geheimnisvoll«. Ihre Mittel können begriffen und bekämpft werden.
Diese rechten Räume sind von einer bestimmten Art von »Humor« durchdrungen, in dem »Ordnung und Chaos miteinander verwoben sind«: eine fast schon nihilistische Männlichkeit, die, wie Seymour in The Twittering Machine feststellt, auch vom IS geteilt wird (»Join the Islamic State, Bro«). Es gibt Videos, in denen ein auserwählter Held einen Gegner in einer Art YouTube-Zweikampf BESIEGT oder ZERSTÖRT. Dann gibt es eine Vorliebe für sehr platte Typisierungen, die die Welt in »Cucks«, »Simps« und »Soyboys« einteilen. Diese, so argumentieren sie, ähnelt der traditionellen faschistischen Angst vor Frauen und sexueller Fluidität, die Klaus Theweleit in Männerphantasien – seinem Klassiker über die Kultur der deutschen proto-faschistischen Freikorps – analysiert hat.
Die Rechte im Netz hat einen Großteil dieser Weltanschauung durch Memes verbreitet, die »erfolgreich waren, weil sie reale, sehr allgemeine Muster in der Welt beschreiben. Sie nehmen an einer spielerischen Dynamik von Abstraktion und Absurdität teil. Ihre Verbreitung beruht darauf, dass sie sehr unterschiedliche Situationen in ein und dasselbe Grundmuster pressen«, das auffallend beschränkt und pessimistisch ist. »Das Bild einer Welt, die sich an den typischen und völlig unveränderlichen Verhaltensweisen von ›Chads‹, ›Betas‹, ›Femoids‹ usw. orientiert und nicht an den unterschiedlichen Verhaltensweisen realer Menschen, kann an sich schon radikalisierend wirken«.
Sie argumentieren allerdings auch, dass diese Art der Radikalisierung im Internet inhärente Schwächen aufweist. Der »Unite the Right«-Marsch in Charlottesville 2017, der in der Ermordung von Heather Heyer gipfelte, spaltete die Rechte. Die »Trennung von der bestehenden IRL-Organisation« hatte zur Folge, dass ihre unterschiedlichen Fraktionen undiszipliniert, chaotisch und unfähig waren, außerhalb ihrer verschiedenen Untergruppen miteinander zu kommunizieren. Seitdem haben sie sich jedoch als anpassungsfähig erwiesen: Sie ändern ihre Sprache je nach Plattform – in einem Beispiel zeigen die Autoren, wie der rechtsradikale Influencer Mark Collett von der faschistischen Splittergruppe Patriotic Alternative dafür sorgt, dass jeglicher Rassismus auf seinem YouTube-Kanal plausibel geleugnet wird, während »auf kleineren Plattformen mit weniger Beschränkungen ... sein Antisemitismus viel deutlicher zu Tage tritt«. Sie warnen auch vor einem Ansatz, der auf »Entlarvung« beruht. Ja, »Tommy Robinson«, der englische nationalistische Möchtegern-Volksheld, ist in Wirklichkeit der Kleinkriminelle Stephen Yaxley-Lennon, aber die heutige extreme Rechte ist viel weniger an Authentizität interessiert, als man annehmen könnte. Es spielt keine Rolle, wer »Tommy« wirklich ist, denn Figuren wie er »verkörpern das Selbstverständnis einer Bewegung«. Die Leute haben den Joke schon längst verstanden.
Also, was tun? In diesem Buch geht es mehr ums Verstehen als um politische Organisierung. Es ist ein Traktat darüber, wie die neue extreme Rechte denkt, wie sie sich organisiert und wie sie Memes verwendet – nicht darüber, wie man Widerstand gegen sie organisiert. Eines der Hauptprobleme, auf das die Autoren hinweisen, besteht darin, dass viele der Ansichten der Identitären Bewegung im politischen und medialen Mainstream angekommen sind.
Das Buch schließt mit einigen warnenden Bemerkungen zum heutigen Antifaschismus. Dieser müsse eine Massenbewegung werden, um zu gewinnen. Das bedeutet ihrer Meinung nach, dass er weniger subkulturell oder »auf bestimmten kulturellen Objekten« und »gemeinsamen ästhetischen Werten« gegründet sein sollte, sondern stattdessen »eine eigenständige, vielfältige Kultur« herausbilden muss. Wie könnte das aussehen? Das Beispiel mag unerwartet kommen, aber die YouTube-Videos von Natalie Wynn alias ContraPoints haben ihrer Meinung nach mehr dazu beigetragen, junge Menschen vom Online-Faschismus abzuhalten, als jeder noch so weinerliche Zeitungsartikel. Das liegt genau daran, dass Wynn Memes und Ästhetiken als politischen Ausdruck ernst nimmt – was auch das große Verdienst dieses Buches ist.
»Twelve Rules for What’s ›Post-Internet Far Right‹« ist bei Dog Section Press erschienen.
Owen Hatherley ist der Kulturredakteur bei Tribune. Sein neuestes Buch »Red Metropolis: Socialism and the Government of London« ist bei Repeater Books erschienen.
Owen Hatherley ist Culture Editor bei »Tribune« und Autor mehrerer Bücher. Zuletzt ist von ihm »Red Metropolis: Socialism and the Government of London« bei Repeater erschienen.