16. April 2025
Donald Trumps Handelskrieg ist ein verzweifelter Versuch, China als Industriemacht auszustechen. Aber der relative wirtschaftliche Niedergang der USA ist kaum aufzuhalten – die Frage ist eher, wie man mit ihm umgeht.
Mit einer Flut politischer Innovationen wurde das Land durch seine »verlorenen Jahrzehnte« mit Nullwachstum und manövriert
Abstieg und Niedergang sind selten würdevoll. Cristiano Ronaldos zweite Anstellung bei Manchester United endete nach nur vier Monaten, hauptsächlich weil er sich weigerte, trotz seines Alters eine untergeordnete Rolle und ein geringeres Gehalt zu akzeptieren. Auch Michael Jordans zwei Jahre bei den Washington Wizards – in denen er seine Position als Vizepräsident des Vereins missbrauchte, um eine Reihe reichlich unüberlegter Spielerverpflichtungen anzunehmen und sich als 38-jähriger Stammspieler in ein Team zu setzen, das eine der schlechtesten Bilanzen der NBA hatte – war enttäuschend.
Der aktuelle Versuch der Vereinigten Staaten von Amerika, China als Industriemacht auszustechen, nachdem jahrzehntelang zu wenig investiert wurde und inzwischen weniger als 9 Prozent der US-Arbeitskräfte im verarbeitenden Gewerbe beschäftigt sind, wird vermutlich auf ähnlich unwürdige Weise enden.
In den vergangenen Jahren hat die US-amerikanischen Politik es nicht vermocht, den ökonomischen Niedergang des Landes und die damit einhergehenden sozialen Krisen angemessen zu bewältigen. Das hat zu Anti-Establishment-Reaktionen sowohl von links als auch von rechts geführt. Um die hohen politischen Kosten dieses Versagens abzuwenden, suchten die amerikanischen Eliten nach externen Verantwortlichen. Offenbar hat man sich dabei auf den internationalen Handel eingeschossen, und in dieser Hinsicht insbesondere auf China als das, was der Wirtschaftshistoriker Adam Tooze als den »allumfassenden Sündenbock« für die soziale Krise der US-amerikanischen Arbeiterklasse bezeichnet hat.
Der »Schock« des Eintritts der Volksrepublik China in das globale Handelssystem und ihr Agieren als »Bösewicht« innerhalb dieses Systems sind in den Augen von Demokraten wie Republikanern die Ursache für diverse soziale und ökonomische Krisen in den USA: der Rückgang der Beschäftigung in der Industrie, die »Deaths of Despair« – also Todesfälle durch Alkohol, Drogen oder Suizide –, die zunehmende Prekarität, die wenig rosigen Zukunftsperspektiven der Mittelschicht und der damit einhergehende Aufstieg des illiberalen Populismus. All dies soll auf die eine oder andere Weise das Ergebnis der chinesischen Industrialisierung sein.
Im Laufe der Zeit hat diese Sichtweise auf die innenpolitischen Missstände zu einer aggressiven Verschiebung der US-Außenwirtschaftspolitik geführt. Diese Verschiebung beinhaltete insbesondere die Verletzung der chinesischen Souveränität (siehe Jake Sullivans Doktrin vom »kleinen Hof mit hohem Zaun«) und erreichte ihren Höhepunkt mit den kürzlich von Donald Trump angekündigten »Gegenzöllen«. Angesichts dieser Entwicklungen ist es sinnvoll, an einen historischen Präzedenzfall zu erinnern, der Trump schon in den 1980er und 90er Jahren sehr zu schaffen machte und eine Erklärung für seine dogmatische Überzeugung liefern könnte, dass Zollschranken ein Allheilmittel für die Probleme der amerikanischen Industrie seien. Man könnte kurz zusammengefasst sagen: Vor China war es Japan.
Es ist kein Zufall, dass im Thriller Stirb langsam aus dem Jahr 1988 ein deutscher Terrorist ein Hochhaus in Downtown Los Angeles kapert, das einem japanischen Großkonzern gehört. Diese Verschiebung in der Kultur spiegelte eine Verschiebung in der amerikanischen Politik wider: Man hatte zwar auf den bemerkenswerten Erfolg der deutschen Industrie reagiert, doch Japan wurde zur regelrechten Obsession der politischen Eliten in den USA.
Japans ökonomischer Aufstieg sticht unter den anderen Wirtschaftswundern der Nachkriegszeit hervor. Japan stellte Korea, Taiwan und Deutschland in den Schatten, schloss mit rasanter Geschwindigkeit zur Weltspitze in Sachen Industrietechnologie auf und definierte diese dann sogar neu. Und obwohl Japan als einer der engsten und loyalsten Verbündeten der Vereinigten Staaten galt, belastete der kometenhafte Aufstieg seiner staatlich gelenkten Wirtschaftsentwicklung die Beziehungen.
Die Wettbewerbsfähigkeit der produktiveren Konkurrenten der USA im verarbeitenden Gewerbe (in Kombination mit den ökonomischen Belastungen des Vietnamkriegs und der anschließenden Ölkrise) veränderte die Zahlungsbilanzen in der Weltwirtschaft in den 1970er und 80er Jahren drastisch: Ab 1982 verzeichneten die Vereinigten Staaten ihre bis dahin höchsten Handelsdefizite mit Japan; 1985 wurde Japan mit deutlichem Abstand zum größten Gläubiger Amerikas (was es bis heute geblieben ist).
»Ein gewisser Donald J. Trump trat zu dieser Zeit als einer der lautesten Befürworter einer handelspolitischen Vergeltung auf.«
Im selben Jahr zeigte sich ein führendes Mitglied des US-Kongresses, William Broomfield, besorgt über die »liberal klingende Politik« Japans, die sich in der Praxis jedoch als protektionistisch erweise. Er machte deutlich: »Amerika ist in Aufruhr [...]. Wenn diese Warnung nicht beachtet wird, stehen Vergeltungsmaßnahmen und möglicherweise ein ausgewachsener Handelskrieg unmittelbar bevor.« Während derselben Sitzung äußerte der Abgeordnete John Dingell: »Japan muss anfangen, nach fairen Regeln zu spielen.« Eine ähnliche Nervosität wie im US-Kongress zeigte sich auch in der Geschäftswelt, die mit Blick auf die große Kauflust japanischer Firmen in den USA in den 1980er Jahren vor einem »ökonomischen Pearl Harbor« und einer »japanischen Übernahme« warnte.
Ein gewisser Donald J. Trump – dessen gesamtes Geschäftsmodell von den US-Defiziten und billigen Kapitalzuflüssen abhängig war, die er so beklagte und bis heute moniert – trat zu dieser Zeit als einer der lautesten Befürworter einer handelspolitischen Vergeltung auf.
Vierzig Jahre später hat die amerikanische Politik dieses Narrativ wieder aufgegriffen. Sowohl unter Biden als nun auch unter Trump soll(t)en die Anti-China-Falken in den Regierungen zufriedengestellt werden. Dabei ist die Bedrohung heute nicht nur ökonomischer, sondern auch geopolitischer Natur. Das Gespenst einer »Pax Nipponica« wurde durch eine »Pax Sinica« ersetzt.
Der historische Präzedenzfall Japan ist aufschlussreich, denn er bietet Einblicke in die Denkweise einiger der führenden Protagonisten des heutigen Handelskriegs. Zunächst zeigen sich natürlich eklatante Unterschiede zwischen dem heutigen China und dem Japan der 1980er Jahre. Die Art, das Ausmaß, die Intensität und die Geschwindigkeit der industriellen Entwicklung und Urbanisierung in China – die sich von der in Japan unterscheidet und ausdrücklich im Dienste des Nation-Buildings und der Sicherung der nationalen Souveränität nach einem »Jahrhundert der Demütigung« steht – entzieht sich jeglichem historischen Vergleich.
Während es den USA ab den 1980er Jahren zwar nicht gelang, den eigenen industriellen Niedergang aufzuhalten oder die Handelsbilanzen zu ihren Gunsten zu wenden, ist es wohl gelungen, das Wachstumsmodell Japans ins Wanken zu bringen und zu verändern. Als Reaktion auf einen rasch an Wert gewinnenden Dollar während der Volcker-Ära (als der damalige Vorsitzende der Federal Reserve die Zinssätze drastisch erhöhte), leiteten die USA und ihre größten Verbündeten 1985 mit dem Plaza-Abkommen eine Neugestaltung der globalen Währungspolitik ein. Es war dasselbe Jahr, in dem Japan zum größten Halter von US-Staatsanleihen wurde.
»Das japanische Szenario eines kontrollierten postindustriellen Niedergangs hat seinen Preis: eine Technokratie, die kohärent agiert. Ob diese Voraussetzungen in Nordamerika oder Europa erfüllt ist, kann zumindest hinterfragt werden.«
Wie erhofft, sank der Wert des Dollars – was den amerikanischen Exporten neuen Schwung verlieh –, während der Yen im Vergleich zur US-Währung stark an Wert gewann. Das Ergebnis war eine tiefe Rezession in Japan (treffend benannt als Nihon no endakafukyō, was so viel bedeutet wie »Rezession durch Aufwertung des Yen«). Die japanische Zentralbank reagierte mit einer drastischen Senkung der Zinssätze. Das folgende Louvre-Abkommen der damaligen G6 vermochte es nicht, die Dollar/Yen-Devisentrends umzukehren, sodass 1987 eine weitere Zinssenkung beschlossen wurde.
Als Reaktion auf die Rezession, die die japanischen Exporte schwer traf, entschieden sich die Zentralbank und die japanische Regierung für einen Wechsel hin zu einem von der Finanzwirtschaft angetriebenen Wachstumsmodell: In Kombination mit einer sehr großzügigen Geld- und Fiskalpolitik wurde Spekulation durch immer laschere Kreditstandards und eine Politik gefördert, die japanische Vermögenswerte, insbesondere Immobilien, besser »vermarktbar« machte. Das Ergebnis war die Mutter aller Vermögensblasen. Im Laufe der Jahre 1990–1992 erlebte Japan dann den nach gewissen Maßstäben größten Asset-Preisverfall aller Zeiten.
Nach drei Jahrzehnten rasanter Urbanisierung befindet sich China nun an einem ähnlichen Wendepunkt. Es bleibt abzuwarten, ob es dem chinesischen Staat nach dem Scheitern seines bisherigen Wachstumsmodells gelingen wird, die Folgen seiner riesigen Asset-Blase so effektiv zu bewältigen wie Japan damals. Die entscheidende Frage ist: Wie schaffen es exportorientierte »Wachstumswunder« wie China oder Japan, von einer hauptsächlich auf Kapitalinvestitionen, hohen Sparquoten und Vermögenspreiswachstum basierenden Wirtschaft zu einer stabileren, hauptsächlich vom Binnenkonsum getragenen Wirtschaft überzugehen?
Sollte China nach dem Platzen seiner Immobilienblase eine relativ sanfte Landung gelingen, wäre dies die größte makroprudenzielle und finanzpolitische Leistung der Geschichte. Doch selbst wenn China eine finanzielle Katastrophe ähnlich der japanischen Anfang der 1990er Jahre vermeiden kann, ist sicher, dass die künftigen Wachstumsraten niedriger sein werden als die, die das Land in diesem Jahrhundert bislang meist verzeichnen konnte. Darüber hinaus ist alles andere als klar, wie diese Veränderung die Motivation und Erwartungen der chinesischen Haushalte, Unternehmen und Einzelpersonen beeinflussen wird – und welche politischen Folgen dies haben könnte.
Dies wirft die allgemeine Frage auf, wie moderne Industrienationen den sogenannten »inhärenten Wachstumszwang« (embedded growth obligation) handhaben, wenn ihr Wachstumsmodell an Schwung verliert. In diesem engen Sinne sind die vorherigen Erfahrungen Japans für die nahe Zukunft Chinas von Bedeutung – und auch für die Gegenwart der USA.
»Wirtschaftspolitik wie Paul Krugman warnen davor, dass Europa Gefahr laufe, ›Japan zu werden, aber ohne den gesellschaftlichen Zusammenhalt‹.«
Denn das japanische Beispiel zeigt, wie man möglichst souverän und angenehm auf postindustrielle Stagnation und ökonomischen Niedergang reagieren kann. Die Faktoren und Mittel, die diese japanische Reaktion möglich machten, stehen anderen Nationen jedoch nicht ohne Weiteres zur Verfügung. Zuallererst braucht es die passende makropolitische Mischung: Im japanischen Fall war es eine rigorose Wirtschaftspolitik, die das Land davor bewahrte, in eine Depression im Stile der 1930er Jahren zu stürzen (trotz eines Finanzkollapses von durchaus ähnlichem Ausmaß). Die Zentralbank des Landes wurde zum wichtigsten Akteur der Finanzpolitik, indem sie Staatsdefizite finanzierte und sowohl die kurz- als auch die langfristigen Zinssätze (und die damit verbundenen Kosten für den Schuldendienst) niedrig hielt, da sie unbegrenzt Staatsanleihen kaufte (oder zumindest Pläne zu solchen Käufen ankündigte).
Die japanischen Entscheidungsträger hielten also die Kreditzinsen niedrig und sorgten somit dafür, dass die Kosten für Kreditaufnahme und Schuldentilgung übersichtlich blieben. So konnten sie auf eine regelrechte Flut teils exotischer politischer Innovationen wie extrem niedrige oder sogar negative Zinssätze, »quantitative easing« und »Renditekurvenkontrolle« bauen, um das Land durch seine »verlorenen Jahrzehnte« mit Nullwachstum, anhaltender Deflation und einer erdrückenden Risikoaversion seitens der traumatisierten Unternehmen und Haushalten zu manövrieren. Der Ökonom Richard Koo sprach von einer reinen »Bilanzrezession« (»balance sheet recession«). Gleichzeitig konnten aber der außergewöhnlich hohe Lebensstandard sowie politische Stabilität gewahrt werden.
Es hat sicherlich nicht geschadet, dass Japan damals seine Wohnungspolitik richtig gestaltet hat und dafür sorgte, dass das Angebot mit der Nachfrage Schritt hielt. Außerdem wurde stark in Humankapital investiert. Japan hat sich in diesen beiden Politikbereichen sehr gut geschlagen. Das soll nicht heißen, dass tiefgreifende ökonomische und soziale Probleme nicht fortbestehen – allen voran die negativen demografischen Trends und weit verbreitete Gefühle von Einsamkeit und Entfremdung. Dennoch zeigt das japanische Beispiel, dass wirtschaftlicher Niedergang nicht unbedingt mit einem gesellschaftlichen Zusammenbruch einhergehen muss.
Es ist verlockend, daher zu dem Schluss zu kommen, dass ausgereifte Volkswirtschaften in Nordamerika, Westeuropa, Korea oder Taiwan ihre eigenen gesellschaftlichen Krisen so bewältigen könnten, dass sie sich nicht selbst zerstören (und im Falle der USA keinen globalen militärischen Flächenbrand riskieren), indem sie dem historischen Beispiel folgen und sich »japanisieren«.
Aber eine solche Japanisierung hat ihren Preis. Das japanische Szenario eines kontrollierten postindustriellen Niedergangs hat gewisse Grundvoraussetzungen. Die wichtigste davon ist eine Technokratie, die nicht nur kompetent ist, sondern auch kohärent agiert. Ob auch nur eine dieser Voraussetzungen in Nordamerika oder Europa erfüllt ist, kann zumindest hinterfragt werden.
»Die derzeitige Spätphase des Neoliberalismus entwickelt sich zu einem ausgesprochen autoritären und ökonomisch destruktiven System.«
Wie dem auch sei, es ist zumindest denkbar, dass diese beiden Voraussetzungen im Laufe der Zeit entstehen können. Weniger wahrscheinlich ist hingegen, dass technokratische Eliten so mutig auftreten, wie sie es in Japan getan haben. Dies ging so weit, dass die japanische Zentralbank und die Bürokratie praktisch alle wichtigen Fäden in der Hand hatten. Selbst wenn ein solcher Übergang zu bewerkstelligen wäre, wäre es wahrscheinlich, dass eine Mehrheit der US-Amerikaner und Europäer eine dysfunktionale Demokratie einem reinen Abnickparlament und einer Politik vorziehen würde, in der die Exekutivgewalt auf eine kleine Clique von Parteipolitikerinnen, Industriellen und Bürokraten verteilt ist.
Der ehemalige Mehrheitsführer im US-Senat, Robert J. Dole, hatte einmal über »die Karrieristen in der Bürokratie, die die Regierung in Tokio lenken« gespottet. Diese Bürokraten würden in Japan »nur höflich zuhören und die Anweisungen ihrer eigentlichen politischen Vorgesetzten ignorieren«. Angesichts der aktuellen Feindseligkeit gegen Bürokratie, Verwaltung und die entsprechenden Berufsstände wirkt das japanische Szenario für den Westen undenkbar.
Darüber hinaus erscheint es schwierig (und vermutlich auch nicht wünschenswert), in liberaleren und deutlich »individualistischeren« Gesellschaften die strikten gesellschaftlichen Regeln (die von Westlern und japanischen Konservativen lange Zeit fälschlicherweise als »Harmonie« interpretiert wurden) zu reproduzieren, die es japanischen Institutionen – vom Arbeitsmarkt über Unternehmen bis hin zur Familie – zu ermöglichen scheint, weitgehend »reibungslos« zu funktionieren. Bewunderer der japanischen Wirtschaftspolitik wie Paul Krugman warnen möglicherweise nicht zu Unrecht, dass beispielsweise Europa Gefahr laufe, »Japan zu werden, aber ohne den gesellschaftlichen Zusammenhalt«. Eine Politik des Wachstums und der sozialen Mobilität könnte sich in den Vereinigten Staaten als besonders schwierig erweisen: Schließlich hat die Nullsummenspiel-Mentalität des US-Kapitalismus den Wunsch der meisten Amerikanerinnen und Amerikaner, zur Mittelschicht zu gehören, weitgehend zunichte gemacht.
Die Japanisierung als Ziel einer Demokratie auszurufen, dürfte bei Progressiven in anderen Industrieländern also auf Ablehnung stoßen. Doch auch die Alternativen zu Japans halbwegs erfolgreichem Versuch, seine Wirtschaft »wieder ins Gleichgewicht zu bringen«, müssen ihnen zuwider sein: Denn diese Alternativen beinhalten quasi-permanente Austerität; neue, exzessive Formen von Finanzvermögensaufbau, wobei der Großteil der Bevölkerung im Regen stehen gelassen wird; oder, wie im Fall von China, eine starke Schrumpfung des BIP und ein Anstieg der Arbeitslosigkeit.
Die falsche Annahme ist, dass diese Alternativen, wie sie sich derzeit abspielen, »demokratieschonender« seien und Wachstumsaussichten sowie individuelle Freiheiten besser bewahren als ein technokratisches Vorgehen. Dies ist jedoch faktisch nicht der Fall: Die derzeitige Spätphase des Neoliberalismus entwickelt sich zu einem ausgesprochen autoritären und ökonomisch destruktiven System. Man mag geneigt sein, die Erfahrungen Japans als erstes großes Postwachstum-Experiment zu betrachten (wobei die Wachstumsraten freilich auf einem außergewöhnlich hohen Niveau von Verbraucherwohlstand, Humankapital, Lebensstandard und öffentlicher Grundversorgung eingefroren wurden), doch es gibt Anzeichen für eine Wiederbelebung der japanischen Wirtschaft. Inflation sowie Konsumausgaben sind in den vergangenen Jahren wieder stetig gestiegen. Es ist natürlich die Frage, wie schnell diese Wende eingetreten wäre, wenn es nicht die Pandemie sowie 2011 den Tsunami und die anschließende Atomkatastrophe von Fukushima gegeben hätte.
Vor allem hat Japan noch nicht die für den Übergang zu einem rein konsum- oder verbrauchsgetriebenen Wachstum erforderliche Neuausrichtung vorgenommen: Ein zu großer Teil des Nationaleinkommens wird nach wie vor von Unternehmen mit hohen Sparquoten, der Regierung und wohlhabenden Haushalten angehäuft. Auch wenn die in der Finanzpresse häufig angestellten Vergleiche mit China irreführend sind, ist doch klar, dass beide Länder massive Umverteilungsprogramme durchführen müssen, die Haushalte mit geringerem Einkommen begünstigen, die einen größeren Teil ihres Geldes direkt wieder ausgeben.
In diesem Sinne ist es noch zu früh, darüber zu urteilen, ob eine Japanisierung für westliche Gesellschaften annehmbar gestaltet werden könnte. Wenn durch diesen Ansatz der Wachstumskurs Japans tatsächlich geändert würde, könnten einige der unangenehmen Aspekte der Japanisierung politisch nicht mehr erforderlich sein. Es lohnt sich daher in jedem Fall, die Möglichkeit zu prüfen, einen ähnlichen Ansatz zu verfolgen. Dieser müsste allerdings die westlichen demokratischen und individualistischen Werte widerspiegeln, die in der Theorie Hindernisse für eine Japanisierung darstellen.
Bei dieser Debatte steht mehr auf dem Spiel, als auf den ersten Blick ersichtlich sein mag: Denn das Unbehagen über den Verlust der amerikanischen Vormachtstellung auf der Weltbühne hat diverse US-Regierungen dazu veranlasst, China in einen Wirtschaftskrieg zu verwickeln. Dadurch wird das Risiko eines ausgewachsenen Konflikts erhöht und gleichzeitig die globale Weltwirtschaftsordnung aus den Fugen gebracht.
Aufgrund des weit verbreiteten Glaubens an den amerikanischen Exzeptionalismus waren die US-Eliten aus allen politischen Lagern bisher nicht imstande, einen möglichen Niedergang nicht in absoluten Begriffen zu verstehen. Ein Grund dafür könnte sein, dass die Eliten des Landes die Nullsummen-Weltsicht aus der US-Innenpolitik (sprich: die Eliten an den Küsten profitieren auf Kosten des Landesinneren) auf die internationale Bühne übertragen.
Um den Kurs der amerikanischen Politik und des globalen Handelskriegs umzukehren, müssen zumindest die falschen Versprechungen einer Erneuerung der Nation über Bord geworfen werden und vielmehr die direkte politische Konfrontation mit einer ebenso unzufriedenen wie habgierigen Elite gesucht werden, deren Einkünfte von der Aufrechterhaltung hegemonialer Ambitionen abhängen.
Die wichtigste Erkenntnis, die es zu verinnerlichen gilt, ist jedoch, dass der Niedergang für entwickelte Industrieländer stets relativ ist. Und ein solcher relativer Abschwung muss nicht gleichbedeutend sein mit Tod und Zerstörung.
Dominik A. Leusder ist Ökonom und Autor. Gegenwärtig ist er Doktorand an der London School of Economics.