02. August 2025
Während Ahmad Al-Scharaa versucht, seine Macht über das zersplitterte Syrien zu festigen, nehmen die Angriffe auf Minderheiten wie Drusen und Alawiten zu. Um das Land zusammenzuhalten, braucht es eine Demokratie mit Platz für alle Bevölkerungsgruppen.
Syrische Regierungstruppen ziehen sich nach Zusammenstößen mit drusischen Militanten aus Suwayda zurück, 17. Juli 2025.
Mitte dieses Monats eskalierten Angriffe von syrischen Regierungstruppen und Beduinenstämme auf die drusische Bevölkerung im südsyrischen Suwaida und noch immer befindet sich die Region unter einem Embargo. Und obwohl die Kommandeure der regierenden islamistischen Miliz Haiat Tahrir Al-Scham (HTS) ihre Männer davor gewarnt haben, Kriegsverbrechen zu filmen, tun sie es trotzdem – genau wie vor wenigen Monaten, als sie alawitische Zivilistinnen und Zivilisten an der Küste massakriert haben.
»Es kursieren Bilder von Leichen, die auf den Straßen verstreut sind, sowie Videos, die zeigen, wie Militante, Bürger in ihren Häusern töten und von hohen Gebäuden werfen«, berichtet Omar Nasruddin, der in einem Dorf südlich der Stadt Suwaida lebt, gegenüber Jacobin. »Ich habe diese Massaker mit eigenen Augen gesehen.« Der Schmerz sitzt tief in der drusischen Community.
Solche Angriffe gab es nicht nur gegenüber den Drusen. Seit Ende des Bürgerkriegs Ende letzten Jahres zeigt sich eine neue Gewaltspirale in Syrien, die vor allem Minderheiten trifft. Bereits im Dezember 2024 wurden kurdische Gebiete direkt weiter angegriffen, im März schließlich alawitische und im darauffolgenden Monat wurden bei einem Anschlag auf eine christliche Kirche in Damaskus 25 Menschen getötet. Hinzu kommen gezielte Angriffe und Entführungen von alawitischen und drusischen Frauen und Mädchen, denen Zwangsheirat, Menschenhandel und andere Formen des Missbrauchs drohen.
Die Ursachen für diesen Ausbruch von Gewalt sind vielfältig und reichen weit zurück. Ausschlaggebend ist die Weigerung der derzeitigen dschihadistischen Übergangsregierung, die gesellschaftliche Vielfalt Syriens anzuerkennen und eine demokratische Transformation zuzulassen. Mit seinem jüngsten Schritt versucht der Anführer der HTS Ahmad Al-Scharaa, seine Macht über ein zersplittertes Syrien zu festigen und die Autonomie Suwaidas sowie indirekt auch die von Nordostsyrien, das unter kurdisch-geführter Selbstverwaltung steht, zu untergraben. Zudem zielt er darauf ab, die demokratische Dynamik der syrischen Gesellschaft zu brechen. Die Situation resultiert jedoch auch aus der »Teile-und-herrsche-Politik« westlicher Mächte, die seit jeher Tribalismus, Nationalismus und später Islamismus einsetzen, um Westasien zu kontrollieren.
Die südsyrische Region Suwaida, deren Bevölkerung überwiegend aus Drusen besteht, die bereits für ihren Widerstand gegen die Osmanen und französische Besatzung bekannt waren, erlangte in Folge des syrischen Aufstands 2011 ein gewisses Maß an politischer Autonomie. Nach dem Niedergang des Assad-Regimes vergangenes Jahr nahmen lokale drusische Streitkräfte und religiöse Führer Gespräche mit den neuen Behörden in Damaskus auf. Aufgrund des Ausbleibens eines demokratischen und inklusiven politischen Übergangs sowie mangels Garantien für die Sicherheit der Region entschieden sie sich jedoch gegen eine Entwaffnung. Am 13. Juli eskalierte die Lage in Suwaida schließlich und das Gebiet verwandelte sich in eine Kriegszone.
»Mit ihren Operationen in Suwaida will die syrische Übergangsregierung ihre Autorität über das fragmentierte Land stärken.«
Kurz zuvor war ein drusischer Gemüsehändler im Süden Syriens an einem Checkpoint von sunnitischen Beduinen festgenommen, zusammengeschlagen und seiner Ladung beraubt worden. Am nächsten Tag spitzte sich die Situation weiter zu und mündete in einer Welle der Gewalt zwischen den Gemeinschaften. Die Truppen der Übergangsregierung unter Al-Scharaa griffen an der Seite der beduinischen Stämme ein und nutzten diese Gelegenheit, um ihre Präsenz in der de facto autonomen Region Suwaida zu festigen. Israel begann daraufhin anrückende Panzer sowie das Verteidigungsministerium und den Präsidentenpalast in Damaskus zu bombardieren. Nach einer Woche der Kämpfe wurde unter der Schirmherrschaft der USA und regionaler Mächte ein Waffenstillstandsabkommen geschlossen.
Die aktuelle Bilanz beläuft sich laut der Syrischen Beobachtungsstelle für Menschenrechte (SOHR) auf über 1.400 Tote, darunter überwiegend drusische Zivilisten, von denen viele durch dschihadistische Regierungstruppen auf brutale Weise hingerichtet wurden. Die UN spricht von 145.000 Menschen, die innerhalb einer Woche vor den Bombardements, Massakern und Demütigungen aus ihren Häusern fliehen mussten. Augenzeugen berichten von systematischen Plünderungen und völlig zerstörten Dörfern. Zudem können kaum lebenswichtige Güter in die umzingelte Region gelangen, weshalb sich eine humanitäre Krise abzeichne.
Syrien ist ein Mosaik aus verschiedenen Völkern, Konfessionen sowie politischen Visionen und Zielen, die das soziale Leben des Landes prägen. Als Wiege monotheistischer Religionen und dank seiner fruchtbaren Böden sowie seiner vorteilhaften geografischen Lage entwickelte sich das heutige Gebiet Syriens schon vor Jahrhunderten zu einem bedeutenden Handelszentrum. Das machte die Region früh zum Ziel ausländischer Einmischung und rivalisierender Mächte, die die bestehenden Unterschiede ausnutzten, um Konflikte zu schüren. Bis heute steht Syrien im geopolitischen Mittelpunkt von Konflikten über Transportwege und rivalisierende Machtblöcke. Letztlich haben die autoritäre Herrschaft und die Korruption der Baath-Partei von Baschar und seinem Vater Hafez al-Assad sowie ihre Weigerung, ethnischen und religiösen Gruppen demokratische Teilhabe zu gewähren, das Land zerrissen. Über ein halbes Jahr nach dem Sturz des Assad-Regimes, der vielen Menschen in Syrien Hoffnung auf das Ende des seit 13 Jahren andauernden Bürgerkrieges und einen politischen Neuaufbruch gegeben hatte, bleibt Syriens Zukunft ungewiss.
Die von außen auferlegten nationalstaatlichen Grenzen und Strukturen, wie sie etwa im Sykes-Picot-Vertrag festgeschrieben wurden, entsprechen oft nicht den kulturellen Zugehörigkeiten der Menschen im Nahen Osten. So haben die beduinischen Stämme in den Wüsten Ostsyriens oft mehr sprachliche und kulturelle Gemeinsamkeiten mit ihren Nachbarn im Irak als mit ihren Mitbürgern in Damaskus. Auch die kurdische Bevölkerung in Nordsyrien fühlt sich eher mit ihren Verwandten in der Türkei oder im Nordirak verbunden als beispielsweise mit der arabischen Bevölkerung im westsyrischen Hama.
»Die israelische Regierung gibt zwar vor, die drusische Gemeinschaft im Süden Syriens zu beschützen, schürt jedoch gleichzeitig religiöse Konflikte, indem sie die Massaker durch regierungsnahe Milizen ausnutzt.«
Heterogene Staaten wie Syrien waren darum ein leichtes Pflaster für die jahrhundertealte Machtpolitik nach dem Prinzip »teile und herrsche«, die verschiedene ethnische und religiöse Gruppen gegeneinander ausspielt. Westliche Mächte wie die USA oder Großbritannien setzten Tribalismus, Nationalismus, konfessionelle Konflikte und religiösen Fundamentalismus gezielt ein, um westasiatische Staaten und lokale Gemeinschaften leichter kontrollieren und ausbeuten zu können. Dies wurde insbesondere während des Kalten Kriegs deutlich, als sozialistische Ideen im Nahen Osten an Einfluss gewannen. Die USA reagierten darauf mit der Strategie des »grünen Gürtels«, also der Förderung des politischen Islam, um den sowjetischen Einfluss zurückzudrängen. Ab 1991 stiegen auch diverse direkte Interventionen der USA, um die bestehenden Nationalstaaten, die als Hindernis für den freien Kapitalfluss wahrgenommen wurden, zu destabilisieren oder zu transformieren. Unterstützt wurden sie dabei von Verbündeten wie Israel, Saudi-Arabien und der Türkei.
Die im Jahr 2010 in Tunesien begonnene Protestbewegung, die als Arabischer Frühling bekannt wurde, führte zu einer Welle von Massenprotesten in Nordafrika und dem Nahen Osten, die sich auch auf Syrien auswirkte. Es entwickelte sich eine heterogene Opposition, bestehend aus verschiedenen politischen Fraktionen, Ethnien und Glaubensrichtungen, darunter säkulare, religiöse, liberale, konservative und sozialistische Kräfte. Gleichzeitig nutzten die USA und die NATO die chaotische Lage, um unliebsame Regime zu stürzen und die Region nach ihren Vorstellungen umzugestalten. Auch Russland sowie regionale Akteure wie die Türkei, Katar und der Iran versuchten, ihre Stellvertreter und Verbündeten an die Macht zu bringen.
Waffenlieferungen und Ausbildungsprogramme der USA und der Türkei kamen darum dschihadistische Gruppen wie der al-Nusra-Front, also der Nachfolgeorganisation des syrischen Al-Qaida-Ablegers zugute, aus der später die regierende Haiat Tahrir al-Scham (HTS) hervorging. Säkulare Kräfte verloren hingegen an Bedeutung. Die »Opposition« wandelte sich zu einer sunnitisch-islamistischen Bewegung. Minderheiten wie Christinnen, Alawiten, Kurdinnen und Drusen erkannten, dass ihre Interessen nicht mehr vertreten wurden und der Aufstand sich zu einer Konterrevolution entwickelt hatte.
Mit ihren Operationen in Suwaida will die syrische Übergangsregierung ihre Autorität über das fragmentierte Land stärken. Anfangs strebte die von der HTS geführte Übergangsregierung externe Anerkennung und Legitimität an, um ihre Dominanz in Syrien zu festigen. Sie begann allmählich jedoch auch, die Kontrolle über staatliche Institutionen, das Militär und soziale Einrichtungen zu übernehmen.
Die neue Regierung und ihre unterstützenden Streitkräfte setzten zunehmend auf islamistisch-nationalistische Rhetorik und Gewalt, die sich zunächst gegen die alawitische und zunehmend auch gegen die drusische und kurdische Bevölkerung richtete. Das Narrativ der »Mazlumiya Sunniya« (Opferrolle der Sunniten) wurde intensiv genutzt, um die arabische sunnitische Gemeinschaft hinter der Regierung von Al-Scharaa zu vereinen – trotz ihrer politischen und sozialen Unterschiede.
»Die Entwicklungen in Syrien sind Teil einer umfassenderen Strategie zur Neuordnung des Nahen Ostens.«
Die Ausnutzung ethnisch-konfessioneller Konflikte zielte auch darauf ab, demokratische Bewegungen zu unterdrücken. Suwaida ist ein Ziel der Regierung, da die Stadt ein Symbol des Widerstands gegen das Assad-Regime ist. Auch unter der früheren Diktatur gab es dort Demonstrationen, eine aktive Zivilgesellschaft sowie den Versuch, alternative Gewerkschaften aufzubauen. Einige Drusen protestierten sogar als Reaktion auf die jüngsten Angriffe am Umayyadenplatz im Zentrum von Damaskus. Anfang dieser Woche kam es zudem zu Massenprotesten in Suwaida gegen das Embargo in der Region.
Die jüngsten Angriffe haben laut Omar Nasruddin »den Eindruck verstärkt, dass es in diesem Land keine Sicherheit gibt. Die Bürger können jeden Moment getötet, gedemütigt und misshandelt werden«. Es müsse eine Lösung gefunden werden, die den Drusen Freiheit und Schutz vor dschihadistischen Angriffen bietet. »Das Modell der Selbstverwaltung ist eine Forderung des Volkes, auf die nicht verzichtet werden kann und die nicht gefährdet werden darf«, so Nasruddin.
Auch Israel nutzt die aktuellen Spannungen, um seine eigene Agenda voranzutreiben. Die israelische Regierung gibt zwar vor, die drusische Gemeinschaft im Süden Syriens zu beschützen, schürt jedoch gleichzeitig religiöse Konflikte, indem sie die Massaker durch regierungsnahe Milizen ausnutzt. Eine ähnliche Vereinnahmungsrhetorik israelischer Regierungsvertreter ließ sich zuletzt auch gegenüber den Kurden beobachten. Zwar fordern einige drusische Führer eine Intervention Israels, doch die Mehrheit der drusischen Bevölkerung in Suwaida und anderen Gebieten lehnt dies entschieden ab und bekräftigt ihre Loyalität gegenüber der Einheit Syriens.
Das eigentliche Motiv Israels ist nicht, den Drusen zu helfen, sondern die Spaltungen innerhalb der syrischen Gesellschaft zu verschärfen und der von HTS geführten Regierung zu signalisieren, dass Israel eine militärische Präsenz im Süden Syriens, insbesondere in den Regionen Quneitra, Daraa und Suwaida, nicht akzeptieren wird. Hardliner innerhalb der israelischen Regierung riefen bereits zur Besatzung dieser Regionen und Liquidierung Al-Scharaas auf. Die jüngsten israelischen Angriffe auf Damaskus stehen im Einklang mit dieser Strategie, da sie darauf abzielen, den syrischen Staat zu schwächen und Zugeständnisse abzuringen. Nach den ersten diplomatischen Treffen in Baku trafen sich Ende Juli Regierungsvertreter Israels und Syriens in Paris. Sie beschlossen einen Waffenstillstandsdeal, der den Abzug der Regierungstruppen aus Suwaida vorsieht.
»Die jüngsten Entwicklungen haben auch in der Türkei die Alarmglocken läuten lassen.«
Die Entwicklungen in Syrien sind Teil einer umfassenderen Strategie zur Neuordnung des Nahen Ostens, in die sich der verheerende Vernichtungskrieg in Gaza, die heftigen Schläge gegen die Hisbollah im Libanon, die Unterstützung der HTS-Milizen zum Sturz Assads sowie die Angriffe auf den Jemen und zuletzt den Iran einreihen. Dabei wird versucht, Syrien an eine von den USA angeführte Achse anzubinden. Ein wichtiger Schritt in diese Richtung wäre die Normalisierung der Beziehungen mit Israel oder sogar die Teilnahme an den Abraham-Abkommen. Die syrische Führung unter Al-Scharaa scheint dem, wenn es ihrem Machterhalt dient, nicht ganz abgeneigt zu sein.
Insgesamt ist Al-Scharaas Versuch, Suwaida mit Gewalt unter seine Kontrolle zu bringen, jedoch nach hinten losgegangen. Für den Westen ist der ehemalige IS-Anführer ein Extremist mit einem erschreckenden Lebenslauf. Doch er ist auch schwach und formbar. Dank ihm konnte der Einfluss des Irans und Russlands in Syrien zurückgedrängt werden und Israel konnte seine Agenda weitgehend durchsetzen. Nun kann das Land für den neoliberalen Kapitalismus gefügig gemacht werden.
Die jüngsten Entwicklungen haben auch in der Türkei die Alarmglocken läuten lassen. Ankara sieht in Al-Scharaas Fehltritt einen Vorwand für Israel, seinen politischen und physischen Einfluss in Syrien auszuweiten. Zudem fürchtet die Regierung, durch eine mögliche Neuzeichnung der Landkarte, ihren eigenen Einfluss in Syrien zu verlieren. Außerdem könnte dies die eigene kurdische Bevölkerung ermutigen, selbst mehr Autonomie zu fordern.
Der türkische Außenminister Hakan Fidan erklärte, dass Ankara jeden Versuch, Syrien zu spalten, als Bedrohung der nationalen Sicherheit betrachten und intervenieren werde. Dies ist die stärkste Drohung gegen das multiethnische Militärbündnis Syrisch Demokratische Kräfte (SDF) der autonomen Selbstverwaltung im Nordosten Syrien, seit dem Sturz des syrischen Regimes im Dezember. Fidan warnte: »Keine Gruppe sollte Schritte unternehmen, die auf eine Spaltung Syriens abzielen«. Diese Warnung erfolgte nach einem Treffen des US-Sonderbeauftragten für Syrien mit dem Oberbefehlshaber der SDF und spiegelt den Druck auf die kurdisch geführte Gruppe wider. »Wenn sie mit Gewalt auf Spaltung und Destabilisierung hinarbeiten, betrachten wir das als direkte Bedrohung unserer nationalen Sicherheit. Und wir werden eingreifen«, so Fidan.
»Weder eine islamistisch-nationalistische Herrschaft noch türkische Großmachtambitionen oder eine imperialistische Neuordnung der Region bieten einen Ausweg aus dem seit 14 Jahren andauernden Bürgerkrieg in Syrien.«
Eine starke, zentralisierte Autorität in Syrien entspricht der Vision von Erdogans Regierung, die ideologisch-konfessionell keine Widersprüche mit der HTS-Regierung hat. Die Türkei fordert die bedingungslose Eingliederung Nordostsyriens mitsamt seiner militärischen Kräfte in den neuen syrischen Staat. Elham Ahmad, die Ko-Vorsitzende für auswärtige Beziehungen der Selbstverwaltung, erklärte hingegen, dass das Fehlen einer transparenten Militärstruktur in Syrien, insbesondere nach den Gewalttaten in alawitischen Regionen und der drusischen Provinz Suwaida und den fortwährenden Risiken, denen Minderheiten in Syrien ausgesetzt sind, die Integration der SDF in die Militärstruktur erschwere.
Auch die USA unterstützen die Übergangsregierung bei ihrem Vorhaben, die SDF in die syrische Armee zu integrieren, und haben wiederholt angekündigt, dass ihre rund 1.000 Soldaten nicht für immer in Nordostsyrien bleiben werden. Damit verstärken sie den Druck auf die SDF. Gemeinsam mit Frankreich und dem verbündeten kurdischen Barzani-Clan aus dem Nordirak sind sie daran interessiert, die Selbstverwaltung und ihre Selbstverteidigungseinheiten zu ideologischen Konzessionen zu zwingen.
Diese haben sich, inspiriert durch den kurdischen Revolutionär Abdullah Öcalan, für einen »dritten Weg« entschieden, der sich durch lokale Demokratie, konföderale Beteiligung der verschiedenen Bevölkerungsgruppen und eine bedeutende Frauenorganisation auszeichnet. Die Selbstverwaltung und die SDF haben wiederholt klargemacht, dass sie bereit sind, über eine Integration in ein neues Syrien und seine Armee zu diskutieren. Sie fordern jedoch ein demokratisches, plurales und föderales Syrien sowie die verfassungsrechtliche Anerkennung der Selbstbestimmung der verschiedenen Bevölkerungsgruppen im Land. Die jüngsten Angriffe auf die Drusen in Suwaida und die anhaltende Bedrohung von Alawiten, Christen und insbesondere von Frauen im Land bestärken diese Perspektive.
Weder eine islamistisch-nationalistische Herrschaft noch türkische Großmachtambitionen oder eine imperialistische Neuordnung der Region bieten einen Ausweg aus dem seit 14 Jahren andauernden Bürgerkrieg in Syrien. Die Zukunft eines geeinten Syriens hängt davon ab, ob es den fortschrittlichen Kräften im Land gelingt, eine Lösung in Damaskus zu finden. Das heißt, die eigene Zivilgesellschaft zu mobilisieren und mit internationaler Unterstützung den Druck auf Al-Scharaa zu erhöhen, um eine echte politische Transition und eine neue Verfassung zu erkämpfen, die die ethnisch-konfessionelle Vielfalt und demokratische Dezentralisierung respektiert.
Justus Johannsen ist Aktivist, politischer Bildungsreferent und schreibt regelmäßig über soziale Bewegungen und internationale Konflikte.